Willkommen auf den Seiten des Auswärtigen Amts

Umfassendere Kontrollen als jemals zuvor

04.04.2015 - Interview

Namensartikel von Außenminister Frank-Walter Steinmeier. Erschienen am 04.04.2015 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Übernahme mit freundlicher Genehmigung.

***

Eine ganze Woche in einem Schweizer Hotel am Genfer See – und nur ein Thema. Ich kann mich nicht erinnern, dass die Außenminister der einflussreichsten Staaten der Welt, der Vetomächte des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen gemeinsam mit Deutschland jemals so lange zusammen gewesen wären, so intensiv verhandelt und so eng an einem Strang gezogen hätten wie in den letzten Tagen in Lausanne.

Das spiegelt die weltpolitische Bedeutung des Konflikts um das iranische Atomprogramm wider. Und es macht den Stellwert der Einigung anschaulich, die wir vorgestern Abend mit dem Iran erreicht haben. Wir haben gemeinsam gezeigt: Es mag lange dauern. Es kostet viel Mühe. Aber: Auch in den schwierigsten Konflikten sind politische Verhandlungslösungen möglich. Unser Einsatz für Abrüstung und gegen die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen ist alle Mühe wert und hat in Lausanne einen wichtigen Erfolg erzielt.

Dabei war die Ausgangslage alles andere als gut: Chancen für die Diplomatie bieten sich in der von Krisen und Krieg geplagten Region des Nahen und Mittleren Ostens in diesen Tagen wahrlich nicht oft. Die Verhandlungen mit dem Iran liefen bereits mehr als ein Jahrzehnt ohne greifbare Erfolge. Dass es uns gelingen kann, in den tage- und nächtelangen Verhandlungen der E3+3-Staaten mit Iran in Lausanne den seit mehr als zwölf Jahren schwelenden Konflikt um das iranische Atomprogramm friedlich zu lösen, kann man in seiner Bedeutung für die Region und darüber hinaus gar nicht hoch genug einschätzen.

Mit der Eckpunkte-Vereinbarung, auf die wir uns Lausanne verständigt haben, sind wir noch nicht endgültig am Ziel. Nun müssen auf dieser Grundlage bis Ende Juni auch die Details eines abschließenden Abkommens ausgehandelt werden. Über das ‚Kleingedruckte‘ wird noch hart verhandelt werden.

Aber schon jetzt ist klar: Die politischen Eckpunkte, auf die wir uns verständigt haben, bieten die Grundlage, einen iranischen Weg zu Atomwaffen wirksam, nachhaltig und nachprüfbar auszuschließen. Das ist das Ziel, das wir uns gesteckt haben. Das ist der Maßstab, an dem sich jede Vereinbarung messen lassen muss. Wir sind überzeugt, dass wir das mit den Lausanner Vereinbarungen erreichen können.

Das iranische Atomprogramm wird drastisch eingeschränkt. Mehr als zwei Drittel der gegenwärtig einsatzfähigen iranischen Zentrifugen zur Urananreicherung werden langfristig stillgelegt, 95% des Bestands an angereichertem Uran muss vernichtet oder exportiert werden. Iran darf über viele Jahre Forschung an und die Entwicklung von neuen Zentrifugen nur in kleinstem Maßstab durchführen, so dass eine sprunghafte Erhöhung der iranischen Anreicherungskapazitäten über viele Jahre und weit über ein Jahrzehnt hinaus ausgeschlossen bleibt. Der Forschungsreaktor in Arak und die unterirdische Anreicherungsanlage in Fordow werden unter Überwachung der IAEO so umgebaut, dass auch dort kein Proliferationsrisiko mehr besteht.

Mit einem ganzen Paket von Beschränkungen und Kontrollen stellen wir sicher, dass der Iran selbst bei einem Bruch des Abkommens über viele Jahre hinweg mindestens zwölf Monate benötigen würde, um genügend spaltbares Material für den Bau auch nur einer einzigen Atombombe zusammenzubekommen. Zum Vergleich: Vor dem Interimsabkommen im November 2013 war der Iran – trotz vielen Jahren schärfster Sanktionen - von dieser Schwelle nur etwa zwei Monate entfernt.

Einen Vertrauensvorschuss für den Iran kann und wird es nicht geben. Das verbieten nicht nur die heimlichen Nuklearaktivitäten der Vergangenheit, sondern auch die immer wiederkehrenden, inakzeptablen Tiraden Teheraner Hardliner gegen Israel sowie Irans zweifelhafte, bisweilen auch gefährliche Rolle in anderen Konflikten der Region, von Syrien über Irak bis Jemen.

Wir konnten und können deshalb nur eine Vereinbarung akzeptieren, die kein Vertrauen gegenüber dem Iran voraussetzt - im Gegenteil: Mit den Eckpunkten stellen wir sicher, dass es umfassendere und intensivere Kontrollen gibt als jemals zuvor, in vielen Punkten für immer, also ohne jede zeitliche Begrenzung, und 25 Jahre lang in einem historisch beispiellosen Sonder-Überwachungsregime, das den Vertrauensbrüchen der Vergangenheit Rechnung trägt. Dazu gehören unangekündigte Inspektionen aller Anlagen und permanente Überwachung der nuklearen Aktivitäten im Iran mit modernster Technik wie Sensoren und Übertragungs-Kameras.

Mehr noch: Wir geben den Sanktionshebel, mit dem wir Iran überhaupt erst an den Verhandlungstisch gebracht haben, nicht aus der Hand: Die Sanktionen werden schrittweise und unter strengen Auflagen aufgehoben und können im Fall eines Bruchs der Vereinbarung durch Iran sofort wieder in Kraft gesetzt werden.

Von manchen wissen wir, dass sie jede Art von Vereinbarung mit dem Iran grundsätzlich ablehnen. Wer so argumentiert, muss sich aber auch fragen lassen, welche Alternativen er jenseits seines Rufs nach militärischen Lösungen anzubieten hat. Weder schärfere Sanktionen noch Militärschläge können einen iranischen Zugriff auf Atomwaffen auch nur annähernd mit derselben Gewissheit verhindern wie eine Vereinbarung auf Basis der Lausanner Eckpunkte.

Chancen für die Diplomatie sind rar im Nahen und Mittleren Osten, Erfolge noch seltener. Ob Lausanne als ein Durchbruch und eine Wendemarke in die Geschichte eingehen wird, werden wir erst wissen, wenn eine abschließende Einigung nicht nur ausgehandelt und unterschrieben, sondern auch in die Tat umgesetzt worden ist. Aber ich bin überzeugt: Wenn uns das gelingt, wäre es nicht nur der Schlüssel zur Lösung des Konflikts um das iranische Atomprogramm. Auch ein neuer Rüstungswettlauf in der Region könnte so verhindert werden.

Der Iran-Frage ist seit vielen Jahren der erste und einzige Konflikt im Mittleren Osten, bei dem uns nun eine Entschärfung gelingen kann. Das weckt leise Hoffnung, dass sich aus dieser Dynamik auch Aussichten für eine Entspannung anderer gefährlicher Krisen und Konflikte im Nahen und Mittleren Osten ergeben könnte.

Das zeigt: Es lohnt die Anstrengung, ohne Illusionen, aber mit viel Beharrlichkeit auf diplomatischem Weg nach friedlichen Lösungen auch für schwierige Konflikte zu suchen.

Verwandte Inhalte

nach oben