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Rede von Europa-Staatsminister Michael Roth bei der Konferenz „Rumänien und Deutschland – neue Chancen für Europa?“ des Rumänisch-Deutschen Forums in Bukarest

04.05.2017 - Rede

--- es gilt das gesprochene Wort ---

Sehr geehrte Damen und Herren,

vor genau 15 Monaten hatte ich die Ehre, bei der Geburt dieses Forums dabei sein zu dürfen. Ich freue mich, heute zu sehen, dass das Kind offensichtlich prächtig gedeiht und schon viele neue Freundinnen und Freunde gewonnen hat.

Herzlichen Dank für die Einladung des Rumänisch-Deutschen Forums zur Konferenz „Rumänien und Deutschland – neue Chancen für Europa?“, die ja in besonderem Maße auch dem 25jährigen Jubiläum des Deutsch-Rumänischen Freundschaftsvertrags gewidmet ist. Die beiden Außenminister Sigmar Gabriel und Teodor Viorel Melescanu haben hierzu am 21. April eine gemeinsame Erklärung veröffentlicht.

Der Titel der Konferenz bringt prägnant auf den Punkt, was uns heute in erster Linie beschäftigen muss: Was müssen unsere beiden Länder leisten, um unser vereintes Europa zu verteidigen, zu stärken und auf die Zukunft auszurichten?

Aber nicht nur für dieses Ziel ist Bukarest immer eine Reise wert! Meine beiden Besuche im vergangenen Jahr habe ich in guter Erinnerung. Sie haben mir einmal mehr deutlich gemacht, wie eng die Beziehungen zwischen uns sind, wie vielfältig wir in unterschiedlichen Feldern zusammenarbeiten. Unser Verhältnis wird dabei auch getragen von den unzähligen persönlichen Banden zwischen uns.

2017 bietet einige Anlässe, dies auch gebührend zu feiern: Neben dem 50. Jubiläum der Aufnahme diplomatischer Beziehungen ist es insbesondere der „Vertrag über freundschaftliche Zusammenarbeit und Partnerschaft in Europa“ vom 21. April 1992, der - bis heute - den Grundstein für die politische, kulturelle und wirtschaftliche Entwicklung in der Zusammenarbeit unserer Länder legt.

Der Fall des Eisernen Vorhangs in Europa hatte damals den Weg dafür bereitet, endlich die Teilung Europas zu überwinden.

Die Schaffung einer dauerhaften gesamteuropäischen Friedensordnung und der Aufbau eines gemeinsamen durch Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit vereinten Europas sind und bleiben unser Ziel.

Sehr geehrte Damen und Herren,

25 Jahre später blicken wir auf viele Erfolge zurück. Das Ziel einer gemeinsamen Friedensordnung wurde durch die Aufnahme Rumäniens in die NATO 2004 und in die Europäische Union 2007 – noch dazu unter deutscher EU-Präsidentschaft – wesentlich befördert.

Der Freundschaftsvertrag umfasste eine Vielzahl von Bereichen, so auch die Förderung der kulturellen Zusammenarbeit und des wirtschaftlichen Austausches – beides sind Erfolgsgeschichten. Deutsche Investoren haben rund 300.000 Arbeitsplätze in Rumänien geschaffen und engagieren sich im Bereich der beruflichen Bildung.

Die Handelsbeziehungen zwischen Deutschland und Rumänien sind seit 2009 stetig gewachsen; das Handelsvolumen liegt heute bei über 26 Mrd. Euro, Deutschland ist Rumäniens größter Handelspartner.

Sehr geehrte Damen und Herren,

ein wesentlicher Teil des Freundschaftsvertrages war die Einrichtung einer rumänisch-deutschen Regierungskommission für die Belange der deutschen Minderheit in Rumänien. Die 20. Tagung der Kommission, also ebenfalls ein Jubiläum, fand gerade vor wenigen Tagen in Bukarest statt. Die Angehörigen der Minderheit waren und sind ganz besonders wichtige Brückenbauer und Mutmacher. Das gilt zugleich für die vielen rumänischen Bürgerinnen und Bürger, die in Deutschland leben und die engen Beziehungen unserer beiden Länder bereichern. Dieses tägliche Miteinander zwischen Rumänen und Deutschen macht eindrucksvoll deutlich: Vielfalt und Unterschiedlichkeit sind in Europa eine Selbstverständlichkeit. Wir profitieren davon. Gemeinsam.

Sehr geehrte Damen und Herren,

Aber machen wir uns nichts vor: niemals sah sich die Europäische Union so vielen und so großen Schwierigkeiten gegenüber wie heute! Wenn die Krisen und Bewährungsproben etwas gezeigt haben: Wir dürfen das Erreichte der vergangenen Jahrzehnte nicht einfach als gegeben hinnehmen! Politische Stabilität, innere und äußere Sicherheit, und insbesondere auch die Bewahrung von Menschenrechten, Grundfreiheiten und einer demokratischen und rechtstaatlichen Kultur sind zu wichtig, als dass wir einer möglichen Erosion auf welcher Ebene auch immer tatenlos zuschauen dürfen. Zwischen Deutschland und Rumänien führen wir dazu einen offenen, konstruktiven und zielgerichteten Dialog. Eine stabile Partnerschaft muss dabei auch einer kritischen Auseinandersetzung standhalten können.

Sehr geehrte Damen und Herren,

Rumänien hat in den zurückliegenden Jahren, begleitet vom Kooperations- und Verifikationsmechanismus der Europäischen Union, beeindruckende Fortschritte gemacht im Kampf für mehr Rechtsstaatlichkeit und gegen Korruption. Vor diesem Hintergrund - lassen Sie es mich offen sagen - hat die Eilverordnung Nr. 13 Ende Januar die Bundesregierung und viele andere internationale Partner stark beunruhigt und ihr Vertrauen in die Bereitschaft der rumänischen Regierung beeinträchtigt, entschlossen am erfolgreichen Kurs festzuhalten. Wir teilen damit die Sorge und das Unverständnis weiter Teile der rumänischen Zivilgesellschaft selbst.

Diese hat dann jedoch in eindrucksvoller Weise und mit viel Mut, Einsatz und Leidenschaft klare Signale gesendet: gegen Korruption, für mehr Rechtsstaatlichkeit und - das möchte ich besonders unterstreichen: für Europa.

Zehntausende Rumäninnen und Rumänen, die die Europafahne schwenken – ein klareres und bewegenderes Bekenntnis ist schwer vorstellbar. Das ist vielleicht das deutlichste Zeichen, wie erfolgreich der Weg in Richtung einer offenen, toleranten und pluralistischen Gesellschaft in Rumänien tatsächlich ist: Bürgerinnen und Bürger gehen für Vielfalt, Meinungsfreiheit und die Einhaltung klarer Regeln zu Zehntausenden auf die Straße. Das ist gelebte Demokratie, die ganz sicher nicht überall in Europa selbstverständlich ist.

Die Bundesregierung setzt darauf, dass die rumänische Regierung diese Zeichen ernst nimmt und gemeinsam mit dem Parlament bei allen weiteren Schritten einer Strafrechtsreform und zur Lage in den Gefängnissen entsprechend handelt. Dies zeigt zugleich den Partnern in der Europäischen Union, dass Rumänien gewillt ist, am Reformkurs konsequent und glaubhaft festzuhalten. Ein Bekenntnis zur gemeinsamen Europäischen Union bedeutet immer auch ein Bekenntnis zu unseren gemeinsamen Grundwerten.

Sehr geehrte Damen und Herren,

unter dem Titel „Deutschland und Rumänien 2016 – gemeinsame Lösungen für neue Herausforderungen in Europa“ haben wir bei der Gründung des Forums erste Gedanken ausgetauscht zur Zukunft unseres gemeinsamen Europas. Manche der sich zu dieser Zeit am europäischen Horizont abzeichnenden Bewährungsproben sind inzwischen leider bittere Wirklichkeit. Jetzt liegt es an uns, die richtigen Antworten zu finden. Auch hier und heute in der gleich folgenden Diskussion. Gestatten Sie dazu an dieser Stelle zwei einführende Gedanken.

Erstens: Wir müssen Europa befähigen, sein Versprechen auf Wohlstand einzulösen. Wir alle müssen Solidarität leben. Der gemeinsame Binnenmarkt war lange Zeit der Garant für Wachstum und Beschäftigung in Europa. Die vergangenen Jahre haben aber gezeigt: der Binnenmarkt reicht eben nicht aus für den Zusammenhalt unter uns Europäerinnen und Europäern.

Wir müssen die europäische Wirtschaft zu einer funktionierenden sozialen Marktwirtschaft ausbauen. Wenn Europa sein Versprechen auch in Zukunft halten soll, muss Europa sozialer und solidarischer werden. Nicht nur in unseren Sonntagsreden, sondern ganz spürbar für die Menschen. Und zwar überall in der EU.

Das lässt sich auch deutlich mit Zahlen hinterlegen. Zwar sind die Wachstumsprognosen für alle EU-Mitgliedstaaten positiv. Aber das macht noch keine Trendwende: die durchschnittliche Arbeitslosigkeit in Europa bleibt viel zu hoch. Vor allem ist das Thema Jugendarbeitslosigkeit eine schwere Hypothek für die Zukunft Europas. In Rumänien etwa ist die Jugendarbeitslosigkeit fast viermal Mal so hoch wie die allgemeine Arbeitslosigkeit.

Daher ist es richtig, dass wir 60 Jahre nach den Römischen Verträgen eine Zukunftsdebatte führen, die die soziale Dimension, Jugend und Beschäftigung in den Mittelpunkt unserer Debatten und Entscheidungen rückt.

Zweiter Gedanke: Wir müssen eine solidarische und eine menschliche Antwort finden auf eine der großen Bewährungsproben der Zukunft: Flucht und Migration vor Krieg, Vertreibung und existentieller Not.

Glaubt wirklich jemand, dass EU-Mitgliedstaaten durch nationale Alleingänge vernünftige Lösungen finden können angesichts von weltweiter Flucht und Migration, vor allem in unserer unmittelbaren Nachbarschaft? Das ist doch absurd. Abschottung kann nicht die Antwort sein.

Natürlich muss die EU auch in die Lage versetzt werden, ihre gemeinsamen Außengrenzen zu kontrollieren. Für mich ist die Migrationskrise deswegen aber vor allem ein Beleg, dass wir Europa brauchen. Und zwar ein besseres, handlungsfähigeres Europa, nicht weniger.

Dabei dürfen wir in unseren Diskussionen eines nicht vergessen: die Lösung der Migrationskrise ist nicht einfach ein weiterer Punkt auf der aktuellen „to-do-Liste“ der EU. Ich hatte es anklingen lassen: mit unserer Antwort steht und fällt unser liberales und pluralistisches Gesellschaftsmodell. Und damit unser gemeinsames Wertefundament in Europa. Europa muss ein sicherer Hafen bleiben für Menschen, die vor Diktatur, Krieg und Verfolgung fliehen.

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich freue mich, heute Abend mit Ihnen über all diese Fragen zu diskutieren und Ideen zu entwickeln, wie Deutschland und Rumänien konkret zu Lösungen beitragen können. Damit klar wird: Das Fragezeichen hinter dem Titel „Rumänien und Deutschland – neue Chancen für Europa?“ werden wir durch ein Ausrufezeichen ersetzen!

Ich danke Ihnen und freue mich auf einen spannenden Abend!

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