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Regierungserklärung von Außenminister Steinmeier vor dem Deutschen Bundestag zum Europäischen Rat

18.12.2008 - Rede

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten! Hinter uns liegen in der Tat bewegte Monate. Unter der französischen Ratspräsidentschaft hatte Europa ganz außerordentliche Belastungen und Bewährungsproben zu bestehen. Ich glaube, wir dürfen heute mit Genugtuung und auch mit etwas Erleichterung sagen: Europa hat sich all diesen Krisen wirklich gewachsen gezeigt. „Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch“, wurde Hölderlin am vergangenen Wochenende in einer großen deutschen Tageszeitung zitiert. Das hätte nicht gereicht, sage ich. Als es darauf ankam, haben wir als Europäer gemeinsam gehandelt. Wir haben einig und vor allen Dingen wirksam gehandelt.

Die Europäische Union hat die Waffen zum Schweigen gebracht, als im Sommer im Südkaukasus, gleich in unserer Nachbarschaft, der Krieg ausgebrochen war. Die EU hat eine neue Finanzarchitektur auf die internationale Tagesordnung gesetzt. Das war eine schnelle Reaktion auf die historische Krise auf den weltweiten Finanzmärkten.

In der vergangenen Woche ‑ darüber diskutieren wir heute ‑ hat sich die Europäische Union auf dem Europäischen Rat auf sehr konkrete zukunftsweisende Entscheidungen verständigt: erstens auf ein Konjunkturpaket von 200 Milliarden Euro, das ein deutliches Signal an die Wirtschaft bedeutet, zweitens auf einen zukunftsweisenden Durchbruch in der Klimapolitik mit ‑ hoffentlich ‑ Signalwirkung für unsere Partner weltweit, drittens auf ein eindeutiges Bekenntnis zum Vertrag von Lissabon, der Ende 2009 in Kraft treten soll.

Das ist eine gute Bilanz in wahrhaft schwieriger Zeit; darüber bin ich froh. Sie straft Gott sei Dank all jene Lügen, die der Europäischen Union schon wieder eine Eurosklerose bescheinigen wollten. Stattdessen haben sich in Europa die alten europäischen Tugenden ‑ Berechenbarkeit, Nachhaltigkeit, auch Solidarität ‑ erneut bewährt und Europa wieder handlungsfähig gemacht. Ich darf Ihnen sagen: Ohne die mutige Führung der französischen Ratspräsidentschaft wäre das nicht möglich gewesen. Unseren französischen Freunden sagen wir deshalb an dieser Stelle Dank für die Arbeit in schwierigstem Gelände. Ich finde, das verdient auch Anerkennung in diesem Hohen Hause.

Meine Damen und Herren, vom Europäischen Rat am 11. und 12. Dezember geht eine klare Botschaft aus. Mit der Verständigung auf ein europäisches Programm zur Belebung der Konjunktur hat Europa sich seiner Verantwortung für Wachstum und Beschäftigung gestellt. Wir haben früh darauf hingewiesen: Diese Verantwortung liegt bei den Mitgliedstaaten, aber gleichzeitig auch auf der europäischen Ebene. Das gehört zur Logik eines offenen europäischen Binnenmarktes. Abstimmung, Koordinierung und, wo immer möglich, gemeinsames Vorgehen liegen auch im Interesse der Mitgliedstaaten, gerade bei der Bekämpfung der Krise, in der wir uns zurzeit befinden.

Das Konjunkturprogramm in der Größenordnung von 1,5 Prozent des EU-weiten Bruttoinlandsproduktes ist aus meiner Sicht ein starkes Signal. Die Botschaft lautet: Die Staaten Europas werden sich gemeinsam mit aller Kraft gegen den Abschwung stemmen und Arbeit erhalten, wo immer das möglich ist. Es ist gut für uns, dass sich alle in Europa darüber einig sind.

Das Brüsseler Konjunkturprogramm enthält auf nationaler und auf europäischer Ebene Instrumente, die sich gegenseitig ergänzen werden und sollen. Ich darf Ihnen nach den Diskussionen der vergangenen Woche sagen: Bei den nationalen Maßnahmen steht Deutschland in Europa bisher gut da. Noch nicht einmal die Hälfte der Mitgliedstaaten hat vergleichbare Maßnahmenpakete, wie wir sie in diesem Hohen Hause in den vergangenen Wochen beschlossen und verabschiedet haben, auf den Weg gebracht. Gleichwohl ‑ das ist verständlich angesichts der Wirtschaftsdaten, denen wir entgegensehen ‑ tobt natürlich auch in Deutschland eine Debatte darüber, ob in der Krise genügend nationale Gegenwehr gegeben ist. Die Zahl der Vorschläge ‑ Sie erkennen das auch ‑ wird nach und nach unüberschaubarer.

Wir wissen, meine Damen und Herren, wenn Konjunktur und Beschäftigung massiv einbrechen, dann werden wir gegebenenfalls neu entscheiden müssen, um Arbeitsplätze zu schützen und Jobs zu erhalten. Wir werden dabei kraftvoll und ‑ so darf ich Ihnen versprechen ‑ auch überlegt handeln. Wir werden wirksame Maßnahmen ergreifen, die konkret und langfristig zugleich sind. Darauf kommt es nämlich an.

Wirksam können Konjunkturprogramme nur dann sein, wenn wir in Europa gemeinsam handeln, wenn Europa und die Mitgliedstaaten der Europäischen Union in dieselbe Richtung marschieren. Ich glaube, dass wir nur so eine Konjunkturkrise wirklich abfedern können. Deshalb müssen wir in Europa ein Dreifaches gemeinsam tun: Beschäftigung sichern, Infrastruktur ausbauen und Zukunftstechnologien fördern. Das Programm, das wir gerade in Brüssel beschlossen haben, greift viele unserer Vorschläge auf. Ich finde, das ist keine schlechte Auszeichnung für uns in Deutschland.

Ein wichtiger Punkt für mich ist: Wir müssen stärker in Energieeffizienz und auch in die Zukunftsfähigkeit der ländlichen Gebiete investieren. Wir dürfen diese Gebiete nicht abhängen, auch nicht bei uns in Deutschland. Wir brauchen auch im ländlichen Raum eine technische Infrastruktur. Breitbandnetze sind Lebensadern für Modernisierung, Wachstum und Innovation in den ländlichen Räumen. Sie wissen aus Ihren Wahlkreisen, dass das Vorhandensein von Breitbandnetzen mittlerweile auch ein Gesichtspunkt für mögliche Ansiedlungen ist. Deshalb ist es richtig und wichtig, dass wir das auch von europäischer Ebene aus auf den Weg bringen, dass wir bürokratische Hemmnisse beseitigen und dass wir den Ausbau auch fördern.

Ein zweiter Punkt, den ich herausstellen möchte, ist die Ausweitung der Kredite der Europäischen Investitionsbank zugunsten kleiner und mittlerer Unternehmen. Auch das hatten wir von deutscher Seite bereits früher angeregt. In letzter Zeit haben wir auch in Deutschland oft gehört, dass Kredite so etwas wie der Blutkreislauf der Wirtschaft sind. Das ist ein gutes Bild. Wenn dies zutrifft, dann brauchen viele Betriebe gerade jetzt in der Krise eine Blutzufuhr, damit sie innovativ bleiben. Wir dürfen den Kreislaufkollaps nicht zulassen. Ich finde, die europäischen Beschlüsse, aus denen ich gerade zitiert habe, sind eine gute Hilfe, um genau dies zu verhindern. Deshalb sind es gute Beschlüsse.

Mehr Investitionen und Beschäftigung versprechen wir uns im Übrigen auch von einfacheren Beihilfe- und Ausschreibungsverfahren. Bisher werden Beihilfen ab 200 000 Euro in Brüssel geprüft. Künftig werden Beihilfen erst ab einem Betrag von 500 000 Euro geprüft. Das bedeutet mehr Planungssicherheit für viele Vorhaben, die in dem Umfang bisher nicht gegeben war. Hinzu kommt, dass die Ausschreibungsfrist bei Großprojekten von derzeit 87 auf künftig 30 Tage verkürzt wird. Auch damit gewinnen Unternehmen wertvolle Zeit. Deshalb ist dies ein guter Beschluss aus der vergangenen Woche.

Nicht zuletzt werden auch der Europäische Sozialfonds und andere europäische Instrumente ‑ wie wir es gefordert haben ‑ noch einmal daraufhin durchforstet, wie Beschäftigung gesichert und wie die Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt gefördert werden kann. Eine der Lösungen, die wir im Vorfeld diskutiert haben, war: Wenn kleine Unternehmen einen Arbeitslosen einstellen, dann können künftig Lohnnebenkosten unter Zurückgreifen auf europäische Mittel ‑ auch ESF-Mittel ‑ befristet übernommen werden. Ich finde, wenn Europa für die Menschen Gestalt annehmen soll, dann müssen wir an solchen lebensnahen Lösungen mehr arbeiten als bisher. Davon werden wir alle profitieren.

Alle diese Maßnahmen entsprechen einer Prämisse, die wir auch für uns gelten lassen: Vorfahrt für Arbeit. Darum geht es uns. Das müssen wir auf der nationalen und der europäischen Ebene umsetzen, damit wir die Rezession so gut wie nur irgend möglich abpuffern. Ich habe an anderer Stelle gesagt: 2009 darf kein Jahr der Entlassungen werden. Das müssen wir mit unseren Möglichkeiten so gut wie möglich verhindern.

Die Beschlüsse des Europäischen Rates ‑ auch das haben Sie gesehen ‑ geben den nationalen Mitgliedstaaten Möglichkeiten, je nach den unterschiedlichen Bedingungen ergänzende, weiter gehende Maßnahmen zu ergreifen. Man kann ‑ das ist mittlerweile Allgemeingut ‑ die Mitgliedstaaten der EU nicht über einen Kamm scheren. Die Volkswirtschaften haben eine unterschiedliche Struktur, und von dieser Vielfalt haben wir in Europa sogar ganz gut gelebt. Was zur Bewältigung der Krise etwa in der britischen Dienstleistungs- und Finanzdienstleistungswirtschaft hilft, das muss noch keine Hilfe für eine aus guten Gründen nach wie vor ‑ wir sind froh darüber ‑ industriell geprägte deutsche Volkswirtschaft sein. Deshalb war es klug, dass wir nicht alles über einen Kamm geschert haben, uns nicht auf einige wenige Instrumente verständigt haben, sondern weiterhin von der Anwendung eines Instrumentenkastens ausgehen.

Wo einheitliches Handeln nicht zwingend und sogar untauglich ist, da stimmen wir uns über den Rahmen nationalen Handelns gemeinsam ab. Das haben wir in der vergangenen Woche getan; das werden wir auch in Zukunft tun müssen. Warum? Weil zu dem Rahmen für nationales Handeln weiterhin natürlich auch zum Beispiel der Stabilitäts- und Wachstumspakt gehört. Wir haben uns in Brüssel vonseiten der deutschen Regierung dafür starkgemacht, dass dieser Pakt nicht komplett unterlaufen und nicht gänzlich ausgehebelt wird. Dieser Pakt bietet nämlich auch für die kommende Zeit Flexibilität. Er erlaubt, wie Sie wissen, ein zeitlich befristetes Überschreiten der 3-Prozent-Verschuldungsgrenze. Klar ist aber auch ‑ auch das ist enthalten ‑: Alle sind gehalten, die Verschuldung unverzüglich zurückzuführen und für ausgeglichene Haushalte zu sorgen, sobald der nächste Aufschwung beginnt. Dabei bleibt es.

Das zweite große Thema neben der Finanz- und Wirtschaftskrise beim Gipfel war natürlich das Klimapaket. Auch bei der Klimakonferenz in Posen oder anderswo ‑ überall zweifelte man, ob die Europäische Union ihre ehrgeizigen Klimaschutzziele bei der ersten Gelegenheit, wenn es denn passt, gleich wieder in die europäische Schublade zurücklegt. Es klingt in der Tat nicht ganz mutlos, was wir uns vorgenommen haben. Bis 2020 wollen wir in Europa 20 Prozent weniger Treibhausgase als 1990 haben. Wir wollen den Anteil der erneuerbaren Energien am Energieverbrauch auf 20 Prozent steigern.

Dann gab es tatsächlich welche ‑ Unternehmen, Staaten und auch manche aus der Politik, wie ich Ihnen sagen kann ‑, die natürlich die Gunst der Stunde nutzen und den Klimaschutz von den vorderen Rängen der politischen Tagesordnung ‑ auch der internationalen Tagesordnung ‑ herunterziehen und von dort verdrängen wollten. Ich sage Ihnen offen: Auch aus meiner Sicht lag in den letzten Wochen vor dem Gipfel die Verschiebung des gesamten Paketes manchmal näher als die Möglichkeit, sich noch vor Weihnachten auf einen gemeinsamen Kompromiss zu verständigen.

Nach diesem Gipfel können wir aber sagen: Die EU hat Wort gehalten. Wir haben die Ziele bekräftigt und die Last konkret und verbindlich auf die EU-Staaten aufgeteilt. Ich finde, die Eckpunkte dieser Verständigung, die ich Ihnen jetzt vortragen werde, zeigen das knapp, aber auch ebenso klar:

Erstens. Wir werden einen gemeinsamen europäischen Emissionshandel einführen, der die bis dahin bestehenden nationalen Regelungen ablöst. Alle energieintensiven Unternehmen in Europa bekommen jetzt endlich ‑ das war notwendig ‑ gleiche Wettbewerbsbedingungen.

Zweitens. Kraftwerke, auch energieintensive Industriebetriebe dürfen jedes Jahr weniger Treibhausgase ausstoßen. Bis 2020 sinkt die Obergrenze schrittweise um 21 Prozent gegenüber 2005.

Drittens. Grundsätzlich bekommt kein Energieerzeuger in Europa Emissionsrechte geschenkt. Nur manchen Ländern in Osteuropa werden Übergangsregelungen eingeräumt, weil sie fast komplett von Strom aus alten Kohlekraftwerken abhängen.

Viertens. Auch beim Ausbau der erneuerbaren Energien haben sich die europäischen Mitgliedstaaten auf dem Rat zu verbindlichen Zielen verpflichtet. Wir Deutsche wollen bis 2020 18 Prozent der Energie aus erneuerbaren Energiequellen erzeugen. 2005 waren es noch 5,8 Prozent. Auf diesem Gebiet wartet viel Arbeit und vor allen Dingen viel kluge Politik auf uns. Die wollen wir miteinander machen.

Diese vier Punkte, die ich Ihnen kurz vorgetragen habe, sind aus meiner Sicht unter Klimaschutzgesichtspunkten ganz wichtige Schritte nach vorn. Zum ersten Mal werden in einem wirklich großen Wirtschaftsraum Ziele und Deklarationen, die bisher unverbindlich waren, in Regelungen und Maßnahmen umgesetzt. Das ist ein Erfolg, den wir hier im Hause und möglichst auch außerhalb dieses Hauses nicht kleinreden sollten. Das ist ein Erfolg.

Ich darf hinzufügen, dass damit den Erwartungen Rechnung getragen wurde, die uns der Umweltausschuss des Deutschen Bundestages im Mai 2008 vorgetragen hat. Der Bundesumweltminister hat das in der gestrigen Sitzung des Umweltausschusses, wie ich gehört habe, ausführlich und überzeugend dargestellt. Ich danke ihm dafür.

Das Ergebnis beweist, dass man Klimaschutz und Arbeitsplatzschutz nicht gegeneinander ausspielen muss, sondern dass es sinnvolle Verknüpfungen gibt. Ich sage hier ganz klar: Wer eine breite Akzeptanz für den Klimaschutz will, der darf diese notwendige Anstrengung nicht auf dem Rücken von Arbeitnehmern durchsetzen. Nach dieser Überzeugung haben wir ‑ ich zähle auf Ihr Verständnis ‑ auch auf diesem EU-Gipfel gehandelt.

Zur Wahrheit gehört auch, dass Deutschland ein starkes Industrieland bleiben muss. Wir brauchen produzierende Betriebe. Mit Dienstleistungen allein ‑ das wissen Sie ‑ können wir unseren Wohlstand nicht sichern. Deshalb ‑ das ist der Grund, meine Damen und Herren ‑ haben wir Regeln vereinbart, die die energieintensiven Betriebe in Deutschland wettbewerbsfähig halten und nicht aus dem Land treiben. Das ist für mich und für die gesamte Bundesregierung verantwortungsvolle Politik. Dafür stehen wir. Dafür haben wir auch in Brüssel gestanden.

Wir kommen an den schwierigen Themen nicht vorbei; ich weiß das. Die Kohlekraft gehört dazu. Ich glaube aber, dass wir nur dann Standards setzen und in den noch problematischeren Regionen der Welt Vorbild bleiben können, wenn wir eine verantwortungsvolle Politik machen. Mit einem Verbot von Kohlekraftwerken, das manche fordern, werden wir in China niemanden überzeugen.

Wir werden eher Kopfschütteln hervorrufen, Herr Kuhn. Wenn Kohlekraft weltweit genutzt wird ‑ das wird auf Sicht in vielen Regionen dieser Welt so sein ‑, dann dürfen gerade wir als Technologietreiber ‑ hören Sie ruhig zu ‑ uns nicht aus der Verantwortung stehlen. Ein gutes Gewissen, das manche sich davon versprechen, macht noch kein gutes Klima. Deswegen war das, glaube ich, ein richtiger Kompromiss.

Mit Blick auf manche Debatten, die uns bei den Verhandlungen in Brüssel begleitet haben, muss ich sagen: Ich verstehe manches von dem, was an Vorwürfen öffentlich gehandelt worden ist, nicht. Wie kann man denn glauben, dass eine solche Debatte, die wir in Brüssel geführt haben, in einem völlig luftleeren Raum stattfindet? Wenn dort Regierungschefs aus 27 Staaten zusammensitzen, sprechen sie natürlich auch über alles andere, was uns gegenwärtig plagt und umgibt: über die wirtschaftliche Situation und auch über die Sicherung von Arbeitsplätzen. Was soll also der Vorwurf, dass das bei der Diskussion über Klimafragen eine Rolle spielt?

Entscheidend nach diesem Gipfel ist, dass Europa trotz dieser Diskussion ‑ wir haben einen guten Kompromiss erzielt ‑ weiterhin Vorreiter beim Klimaschutz bleibt. Die EU kann im nächsten Jahr die Verhandlungen über das Nachfolgeabkommen zum Kioto-Protokoll glaubwürdig beginnen. Ich sage Ihnen auch: Wir freuen uns über einen amerikanischen Präsidenten, der dem globalen Kampf gegen Erderwärmung einen wirklich neuen Schub gibt.

Ich verfolge im Augenblick die inneramerikanische Diskussion. Die USA wollen ‑ vorausgesetzt, Obama setzt sich mit seinen Vorstellungen durch ‑ eine CO2-Reduzierung, eine Reduzierung der Treibhausgase auf den Stand von 1990 erreichen. Das ist vor dem Hintergrund der amerikanischen Diskussion sehr ehrgeizig; aber wir in Europa wollen weiter. Deshalb sage ich: Wir müssen uns angesichts dessen, was in Brüssel erreicht und bestätigt worden ist, nicht verstecken. Die Ziele bleiben. Wir sind aber weiter, weil wir sie jetzt mit Maßnahmen und konkreten Verabredungen unterlegt haben.

Ob im Kampf gegen die Rezession oder beim Klimaschutz ‑ überall zeigt sich, dass wir in Europa gemeinsam mehr schaffen als jeder für sich allein. Aber Politik ist eben auch Organisation. Da haben mache recht und viele Erfahrung. Deshalb müssen wir Europas Handlungsfähigkeit auf Dauer sichern. Dafür steht der Vertrag von Lissabon, für den wir alle gemeinsam gekämpft haben. Ich glaube, wir haben beim Europäischen Rat einen Weg gefunden, wie der Vertrag im nächsten Jahr hoffentlich doch noch in Kraft treten kann. Das war nur möglich, weil die irische Regierung Mut gezeigt und ein weiteres Referendum im nächsten Jahr in Aussicht gestellt hat. Dies begrüße ich in der Tat sehr.

Wir jedenfalls wollen diesen Vertrag. Deshalb sind wir trotz mancher Kritik bereit, Irland entgegenzukommen. Wir werden das Prinzip „Ein Land ‑ ein EU-Kommissar“ nicht im Jahre 2014 abschaffen. Das ist in der Tat eine bedeutsame Konzession, die uns nicht einfach gefallen ist. Aber wir sagen: Der Vertrag selbst muss in Kraft treten, und zwar wie geplant. Das heißt, Nachverhandlungen über den Vertrag darf es nicht geben. Das ist gesichert. Ich bin froh darüber, dass der Weg zur Ratifizierung jetzt auch in Irland beschritten wird.

Ich komme zum Schluss. Frieden in Europa gibt es nur, wenn auch Frieden um Europa herum herrscht. Wie schnell Situationen eskalieren, haben wir gerade in diesem Jahr mit einigem Schrecken im südlichen Kaukasus erlebt. Wir in Europa arbeiten gemeinsam dafür, dass sich diese oder ähnliche Situationen nicht wiederholen. Darum wollen wir Stabilität und Sicherheit in der östlichen Nachbarschaft der Europäischen Union stärken. Das ist eine unserer Antworten auf die Georgien-Krise. Das ist gelebte praktische Verantwortung. Das ist, wenn Sie so wollen, nachhaltige Politik im Bereich der Außenpolitik.

Konkret heißt das: Wir werden im März 2009 die europäische Nachbarschaftspolitik durch eine östliche Partnerschaft stärken. Erste Vorschläge dazu haben wir gemacht. Sie wurden von den Polen und Schweden aufgegriffen und sind in ein Konzept der Europäischen Kommission eingeflossen. Diese östliche Partnerschaft umfasst die Ukraine, Moldau und die Staaten des südlichen Kaukasus. Wenn sich die Entwicklung in Weißrussland positiv fortsetzt ‑ ein paar Anzeichen dafür waren in den letzten Wochen zu sehen ‑, dann wird auch Weißrussland zu dieser östlichen Partnerschaftspolitik dazugehören können.

Die tschechische Präsidentschaft wird dies zu einem Schwerpunkt ihres Vorsitzes machen. Der tschechische Außenminister war gerade erst hier. Ich habe ihm versprochen, dass wir diesen Schwerpunkt von deutscher Seite aus nach Kräften unterstützen wollen.

Meine Damen und Herren, nächstes Jahr wird für die Europäische Union ein wichtiges Jahr, nicht nur, weil Europawahlen anstehen. Vor uns liegt eine Zeit der Veränderungen. Wir haben jetzt die Chance, auf die Globalisierung der Märkte mit kluger gemeinsamer Politik die politische Globalisierung folgen zu lassen. Die neue Architektur der Finanzmärkte wird dabei nur ein erster Schritt sein.

Es geht aber auch darum, wie wir die verschobenen Gewichte auf der internationalen Bühne neu austarieren, wie wir möglichst viele Akteure in eine internationale Verantwortungsgemeinschaft einbeziehen und integrieren. Das muss gelingen, und das kann nur gelingen, wenn wir in Europa gerade dabei eine gemeinsame Haltung entwickeln.

Die wichtigste Antwort auf die Globalisierung lautet für unser Land immer noch Europa, nicht nur ein Europa der Märkte, sondern auch ein Europa für alle Menschen, ein Europa, das nicht nur mit feierlichen Erklärungen und Dokumenten glänzt, sondern auch richtige Antworten auf die großen Zukunftsfragen gibt. Der Europäische Rat jedenfalls hat dafür in der vergangenen Woche aus meiner Sicht ein sehr ermutigendes Signal gegeben.

Ich danke Ihnen herzlich für Ihre Aufmerksamkeit.

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