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Rede von Außenminister Frank-Walter Steinmeier vor dem 13. Deutsch-Polnischen Forum

05.12.2008 - Rede

- es gilt das gesprochene Wort -

Sehr geehrte Frau Prof. Lipowicz,
sehr geehrte Frau Prof. Schwan,
sehr geehrte Frau Dr. Hamm,
lieber Radek Sikorski,
sehr geehrte Damen und Herren,

„Den Dialog erneuern - Europa im Blick“ – mit dem Motto für das 13. Deutsch-Polnische Forum haben Sie auf den Punkt gebracht, was im deutsch-polnischen Verhältnis geboten ist.

Die Erneuerung des Dialogs – daran haben wir gemeinsam in den letzten zwölf Monaten bereits intensiv gearbeitet – und ich behaupte: auch mit beachtlichem Erfolg.

Den Anfang machten vor fast genau einem Jahr die Besuche von Ministerpräsident Tusk und Außenminister Sikorski hier in Berlin. Mit diesen Besuchen wurde nicht nur symbolisch ein neues Kapitel in unseren Beziehungen aufgeschlagen.

Zwischen beiden Regierungen sind seither Gesprächskanäle wieder eröffnet worden, die in den Jahren zuvor verschüttet waren.

Allein Radek Sikorski und ich haben uns bei einer Vielzahl offizieller und inoffizieller Anlässe getroffen – beginnend mit meinem Besuch in Radeks Landhaus in Bydgoszcz im April, den ich noch in besonders dankbarer Erinnerung habe.

Im Mai wurde die Abstimmung mit Frankreich im Weimarer Dreieck, die seit 2006 unterbrochen war, wieder aufgenommen.

Und am kommenden Dienstag werden in Warschau erstmals seit 2004 wieder volle Regierungskonsultationen stattfinden, an denen die Bundeskanzlerin und acht Bundesminister teilnehmen werden.

Bei dieser Gelegenheit werden Außenminister Sikorski und ich auch den Deutsch-Polnischen Preis wieder verleihen. Mit der Aktion Sühnezeichen Friedensdienste und der Begegnungsstätte Kreisau werden wir zwei hervorragende gesellschaftliche Initiativen auszeichnen, die sich um die deutsch-polnische Verständigung in einzigartiger Weise verdient gemacht haben.

Denn gerade davon zehren die deutsch-polnischen Beziehungen ganz besonders: Vom zwischen-gesellschaftlichen Dialog. Auch er ist in den letzten Monaten wieder aufgeblüht.

Dafür steht nicht zuletzt das heutige Deutsch-Polnische Forum. Ich bin froh, dass das Forum nach drei Jahren Unterbrechung heute wieder zusammengekommen ist.

Mein Dank dafür gilt den beiden gastgebenden Koordinatorinnen des Forums, Frau Prof. Schwan und Frau Prof. Lipowicz sowie dem Deutschen Polen-Institut.

Sie alle tragen mit Ihrer Arbeit ganz unmittelbar zur Weiterentwicklung unserer bilateralen Beziehungen bei.

Für die Erneuerung des Dialogs steht aber auch das Deutsch-Polnische Jugendwerk, das seine Programmtätigkeit in diesem Jahr wieder voll entfalten konnte.

Und mit der Deutsch-Polnischen Wissenschaftsstiftung konnte eine weitere Einrichtung nach langen Vorbereitungen in diesem Jahr endlich ihre Arbeit aufnehmen.

Einen kaum zu überschätzenden Beitrag zur Belebung des Dialogs auf ganz breiter Basis leistet nicht zuletzt die Aufhebung der Grenzkontrollen im Schengenraum zum letzten Jahreswechsel – denn der Dialog lebt nun einmal von persönlichen Begegnungen und Kontakten.

Angesichts dieser Dynamik lässt sich ohne Übertreibung feststellen: Was immer man eines Tages über dieses weltpolitisch außerordentlich bewegte Jahr 2008 sagen und schreiben wird: Für die deutsch-polnischen Beziehungen war es ein gutes Jahr!

In dieses Bild passt es sehr gut, dass der Europäische Gerichtshof im Oktober einen Stolperstein für die bilateralen Beziehungen endgültig aus dem Weg geräumt hat.

Mit der Zurückweisung der Klagen der so genannten „Preußischen Treuhand“ bezüglich Eigentumsforderungen deutscher Vertriebener hat die höchstrichterliche europäische Instanz Rechtssicherheit geschaffen: Es gibt keine offenen Vermögensfragen im deutsch-polnischen Verhältnis im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg.

Beide Regierungen haben die Entscheidung des Gerichts einhellig begrüßt. Staatssekretär Bartoszewski bezeichnete sie sogar als eines der wichtigsten Dokumente der deutsch-polnischen Beziehungen.

Mit Adam Krzeminski könnte man sagen, dass wir „nun endlich gute Nachbarn“ geworden sind. Das klingt bescheiden, aber es bedeutet vor dem Hintergrund unserer Geschichte sehr viel.

Denn die Wunden unserer Geschichte reichen besonders tief. Die Aufarbeitung unserer gemeinsamen Vergangenheit bleibt eine zentrale Aufgabe für uns.

Deshalb sehe ich es nicht als Selbstverständlichkeit an, sondern als eine Errungenschaft, wenn wir heute von „neuer Normalität“ sprechen können, von freundschaftlicher Verbundenheit und Partnerschaft zwischen Nachbarn innerhalb der EU.

Um Missverständnissen gleich vorzubeugen: „Neue Normalität“ heißt für mich keineswegs, den Dialog zu unserer schwierigen gemeinsamen Vergangenheit nicht weiter zu führen. Die Aussöhnung mit Polen bleibt eine Generationenaufgabe deutscher Politik und eine zentrale Prämisse deutscher Außenpolitik.

Normalität heißt aber: Wir können miteinander über alles reden, wir arbeiten zusammen, wir unterstützen einander. Natürlich bedeutet es auch, dass wir unterschiedliche Standpunkte akzeptieren und diskutieren, dass wir uns gerade dann gut zuhören, in Respekt und Freundschaft.

Für die Normalisierung unserer Beziehungen gibt es einen ganz einfachen Gradmesser: Die Tatsache, dass „Problemthemen“ bilateraler Natur immer weniger Platz auf der Agenda gemeinsamer Treffen einnehmen. Stattdessen reden wir zunehmend darüber, was wir gemeinsam positiv anstoßen können, zum Beispiel auf den Gebieten Kultur, Wissenschaft oder Bildung. Und wir reden über die gemeinsam interessierenden europäischen und internationalen Fragestellungen.

Das Motto des Forums sagt es treffend: „Europa im Blick“ - das ist unsere gemeinsame Berufung.

Polen hat im letzten Jahr mit seiner konstruktiven Haltung in Europa an Einfluss gewonnen. Wenn sich in Zukunft Polen und Deutsche um gemeinsame Positionen zu den drängenden europäischen Aufgaben bemühen, haben wir beide viel davon zu gewinnen.

Deshalb ist es gut, dass unsere bilateralen Regierungskonsultationen in der nächsten Woche in Polen vor dem Treffen des Europäischen Rates stattfinden.

In Brüssel werden die Themen Energiesicherheit und Klimaschutz und die Bewältigung der Finanz- und Wirtschaftskrise im Vordergrund stehen. Es sind Themen, die für die Zukunft unserer beiden Länder und Europas von überragender Bedeutung sind. Wenn sich Polen und Deutsche hier verständigen können, steigen die Chancen auf einen Kompromiss auch auf europäischer Ebene.

Vom Europäischen Rat muss – genauso wie von der gegenwärtig in Posen stattfindenden 14. VN-Klimakonferenz – ein Signal ausgehen, dass wir in unseren Anstrengungen zur Bewältigung des Klimawandels auch angesichts der weltweiten Krise auf den Finanzmärkten nicht nachlassen.

Dazu können Polen und Deutschland gemeinsam auch ganz konkrete Beiträge leisten. Ich denke hier zum Beispiel an die Entwicklung und Anwendung sauberer Kohletechnologien. Oder an die Zusammenarbeit bei der Entwicklung von Windenergietechnologie oder Biomassenutzung.

Eine vertrauensvolle und enge Abstimmung liegt aber auch bei den außenpolitischen Fragen im beiderseitigen Interesse, insbesondere bei unserer Politik zu den östlichen Nachbarn der EU und zu Russland - also genau den Themen, die Sie auch im Forum heute besprochen haben.

Wir mögen vor dem Hintergrund unserer jeweiligen nationalen Erfahrungen zu diesen Fragen unterschiedliche Perspektiven haben.

Aber wir teilen doch allemal das Interesse, dass östlich der EU ein Raum der Wohlstands und der Sicherheit entsteht – als Bestandteil einer gesamteuropäischen Friedensordnung.

Die Georgienkrise hat uns in diesem Sommer drastisch vor Augen geführt, wie weit wir davon noch entfernt sind. Sie hat uns auch daran erinnert, dass die EU sich einer besonderen Verantwortung für ihre östliche Nachbarschaft gar nicht entziehen kann.

Ganz im Gegenteil: Eine aktive Ostpolitik liegt mehr denn je im Interesse der EU. Ich stimme Außenminister Sikorski zu, dass wir eine Vision der langfristigen Stabilisierung und der Zusammenarbeit mit den Staaten Osteuropas brauchen.

Dieser Gedanke war auch in der Initiative zur Europäischen Nachbarschaftspolitik angelegt, die wir während unserer deutschen Ratspräsidentschaft auf den Weg gebracht haben.

Polen und Schweden haben diese Ideen in einem gemeinsamen Konzeptpapier mit Blick auf die EU-Politik gegenüber den osteuropäischen Nachbarn fortentwickelt.

Die Kommission hat diesen Impuls aufgegriffen und vor zwei Tagen einen Vorschlag für eine „Östliche Partnerschaft“ vorgelegt.

Ich denke, das ist ein Paradebeispiel dafür, wie man Europa gemeinsam voranbringt.

Polen und Deutschland werden die kommende tschechische Präsidentschaft bei der Konkretisierung der „Östlichen Nachbarschaft“ nach Kräften unterstützen.

Unser Ziel sollte es dabei sein, die Europäische Nachbarschaftspolitik, die von Polen und Schweden angeregte „Östliche Partnerschaft“ und die bestehende „Schwarzmeersynergie“ zu einem Stabilitätsschirm für die gesamte Region zu bündeln.

Wenn wir an Stabilität in der Region denken, dann wissen wir alle, dass es die nicht ohne oder gar gegen Russland geben wird.

Um gar keinen Zweifel aufkommen zu lassen: Der Georgien-Konflikt hat die Beziehungen Europas zu Russland schwer belastet. Die Verletzung der territorialen Integrität Georgiens war, ist und bleibt für uns völlig inakzeptabel.

Gleichzeitig sind wir uns aber mit Polen einig, dass es zu einer funktionierenden Zusammenarbeit zwischen der EU und Russland keine Alternative gibt. Wir brauchen gerade in den schwierigen Zeiten funktionierende und offene Gesprächskanäle mit Russland.

Deshalb bin ich froh, dass wir uns in dieser Woche in Brüssel darauf verständigt haben, den Dialog mit Russland im Rahmen des NATO-Russland-Rats fortzusetzen.

Ob im NATO-Russland-Rat oder im Zuge der Verhandlungen über ein neues Partnerschaftsabkommen der EU mit Russland: der Ausbau der praktischen Zusammenarbeit mit Russland - bei der Raketenabwehr, bei der Energiesicherheit oder bei der Abrüstung – nützt beiden Seiten unmittelbar und schafft Vertrauen.

Vertrauen, auf das wir angewiesen sind für den Aufbau einer neuen europäischen Sicherheitsarchitektur.

Denn das ist unser Ziel: eine Sicherheitspartnerschaft, an der alle Staaten von Vancouver bis Wladiwostok gleichberechtigt mitwirken. Eine Partnerschaft, die basiert auf den Grundsätzen und Werten, zu denen wir uns in KSZE und OSZE bekannt haben. Die das Bewährte bewahrt – sich aber veränderten Rahmenbedingungen und neuen Aufgaben stellt. Das bedeutet auch, dass wir unseren Sicherheitsbegriff sehr breit fassen müssen.

Darüber haben wir gestern im Kreise der OSZE-Außenminister in Helsinki eine erste Aussprache geführt. Wir werden sie im neuen Jahr fortsetzen, mit einer neuen amerikanischen Administration, die sich ausdrücklich dazu bekennt, das Denken in den Kategorien des Kalten Krieges zu überwinden.

Das kommende Jahr kann ein Jahr wichtiger Weichenstellungen für die Schaffung einer tragfähigen gesamteuropäischen Friedensordnung im 21. Jahrhundert werden. Polen und Deutschland tragen gemeinsam besondere Verantwortung dafür, dass die Weichen richtig gestellt werden.

Vielen Dank!

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