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„Wir suchen nach einer neuen globalen Ordnung“

12.02.2015 - Interview

Anlässlich seines Brasilien-Besuchs spricht Außenminister Frank-Walter Steinmeier mit der Zeitung „Folha de São Paulo (12.02.2015).

Anlässlich seines Brasilien-Besuchs spricht Außenminister Frank-Walter Steinmeier mit der Zeitung „Folha de São Paulo“ (12.02.2015).

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Ist der Dialog für einen Frieden zwischen der Ukraine und Russland, der in Minsk durch Frankreich und Deutschland vorangebracht wurde, die letzte Chance auf eine friedliche Lösung des Konflikts in der Ukraine? Erwägt die Bundesregierung, Waffen an Kiew zu liefern, wenn die Initiative scheitert?

Uns geht es darum, einen friedlichen Ausweg aus der Ukraine-Krise zu finden. Fast täglich sterben Menschen, der Frieden und die Sicherheit in ganz Europa stehen auf dem Spiel. Jetzt erleben wir entscheidende Tage, Deutschland und Frankreich arbeiten mit der Unterstützung aller Partner in der EU hart daran, einen politischen Prozess in Gang zu setzen, um die Minsker Vereinbarungen doch noch umzusetzen. Dazu haben sich die Konfliktparteien mit Frankreich und Deutschland zusammen auf höchster Ebene in Minsk getroffen, heute beraten die europäischen Staats- und Regierungschefs in Brüssel über das weitere Vorgehen. Europas Stärke ist die Geschlossenheit, die wir bewahren müssen. Allen ist klar, wenn die aktuellen Bemühungen keinen Erfolg haben, dann wird der Konflikt in eine nächste Stufe eskalieren. Eine militärische Lösung kann und darf es nicht geben. Der Lieferung von Waffen stehen sehen daher skeptisch.

Versucht Deutschland, auf der internationalen Bühne eine zentralere Rolle einzunehmen, obwohl Umfragen zeigen, dass die Deutschen kein stärkeres Engagement ihres Landes befürworten?

Wir führen in Deutschland eine breite Debatte über Deutschlands Rolle in der Welt. Das ist keine theoretische Diskussion. Im Gegenteil, die Welt um uns scheint aus den Fugen, wir suchen nach einer neuen globalen Ordnung. Das erleben wir jeden Tag von der Ost-Ukraine über Syrien d Irak bis Westafrika. Als ein wirtschaftlich starkes und politisch stabiles Land kann und darf Deutschland das Geschehen nicht nur von der Seitenlinie kommentieren. Zugleich müssen wir aber ehrlich fragen: Was können wir leisten, und wo sind Grenzen? Die Haltung vieler Deutscher ist dabei sehr anspruchsvoll: Zurückhaltung bei militärischen Mitteln, aber hohe Erwartungen an deutsche diplomatische und humanitäre Initiativen.

Könnte dieses Engagement bis zu dem Punkt ausgedehnt werden, dass deutsche Soldaten in irgendeinem Konfliktgebiet eingesetzt werden, wenn andere westliche Partner dies ebenfalls tun – wie zum Beispiel, um ISIS zu besiegen?

Ich sehe keinen Kampfeinsatz deutscher Truppen im Mittleren Osten. Und ich sehe derzeit auch sonst niemanden, der bereit wäre, eigene Soldaten in einen solchen Einsatz zu schicken, bei dem unklar ist, wo der Auftrag endet, und wer unter den Hunderten militanten Gruppen Freund und wer Feind ist. Militärische Einsätze müssen grundsätzlich sehr wohl überlegt sein. Für den Erfolg gegen ISIS wird ausschlaggebend sein, dass wir auch einen Weg zu einer politischen Lösung finden, die das Zusammenleben zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen der Region auf eine neue Grundlage stellt. Nicht zuletzt gilt es, dem islamistischen Extremismus die ideologische Grundlage zu entziehen.

Dass die linksgerichtete Syriza in Griechenland an die Mach gekommen ist, hat die Art und Weise verändert, wie das Land den Stabilitätspakt mit der Europäischen Union sieht. Kann Deutschland den griechischen Vorschlag in Betracht ziehen, seine Schulden neu zu verhandeln? Gibt es ein reales Risiko, dass Athen die Eurozone verlässt?

Griechenland ist fest in der Mitte der Europäischen Union verankert. Wir wünschen uns, dass es diesen Platz auch weiterhin einnehmen wird. Es gibt keinen Zweifel: Unser Ziel ist es, die Eurozone mit all ihren Mitgliedern zusammenzuhalten und zu stärken. Deutschland kennt seine Mitverantwortung für das Gelingen der europäischen Einigung. Als Demokraten respektieren wir natürlich die neue Mehrheit im griechischen Parlament. Wir setzen uns nicht nur für tragfähige Haushalte ein, sondern auch für Wachstum, Investitionen und Innovationskraft. Wenn unsere griechischen Partner einen realistischen Vorschlag machen, der die bestehenden Verpflichtungen respektiert und zugleich Wege aufzeigt, die die notwendigen Reformen sozialer und gerechter auszugestalten, setzen wir uns selbstverständlich damit ernsthaft auseinander.

Zusammen mit den Attentaten von Paris hat das Anwachsen der anti-islamischen Pegida-Bewegung in Deutschland hat eine Debatte über Islamophobie in Europa ausgelöst. Was ist Ihrer Ansicht nach die beste Strategie, um mit diesem Problem umzugehen bzw. zu verhindern, dass die islamfeindlichen Demonstrationen zu einer gewalttätigen Antwort von islamischen Extremisten führt?

In Deutschland werden die Proteste, die sich gegen den Islam oder Flüchtlinge wenden, von der Mehrheit der Bevölkerung mit großer Sorge gesehen. Pegida und ihre Ableger stehen nicht für uns Land. Deutschland ist und bleibt weltoffen, viele Menschen engagieren sich in ihren Städten ehrenamtlich und schauen nicht weg, wenn Millionen Menschen zur Flucht gezwungen werden. Die Bundesregierung beteiligt sich mit aller Entschlossenheit am Kampf gegen islamistischen Terrorismus. Erst kürzlich haben wir eine Verschärfung des Strafrechts auf den Weg gebracht. Aber wir laden zugleich ein zum Dialog mit den vielen friedlichen und gut integrierten Muslimen in unserem Land, die doch genauso erschrocken sind über die Bluttaten.

Was ist das konkrete Ziel Ihrer Reise nach Brasilien?

Brasilien als größtes Land Südamerikas hat eine gewichtige Stimme, der man nicht nur in der Region Gehör schenkt. Es ist das einzige Land in Lateinamerika, mit dem die deutsche Regierung eine strategische Partnerschaft pflegt. Uns verbinden nicht nur kulturelle Gemeinsamkeiten, sondern wir stehen auch auf einem gemeinsamen Wertefundament. Dass Brasilianer auch außergewöhnliche Gastgeber sind, haben viele Deutsche letztes Jahr wieder bei der großartigen Fußballweltmeisterschaft erlebt. Das alles ist eine gute Grundlage für meinen Besuch. Ich freue mich auf den umfassenden Austausch mit meinem neuen brasilianischen Amtskollegen Mauro Vieira. Die Globalisierung verantwortungsvoll mitzugestalten, ist unseren Ländern ein gemeinsames Anliegen. Wir erleben gerade, wie zahlreiche Konflikte und Gewalt die Welt erschüttern, von der Ukraine bis Nigeria. In dieser beklemmenden Lage neue Ordnung und Frieden zu schaffen, ist eine globale Aufgabe. Deswegen möchte ich unseren Blick auf die internationalen Krisen mit den brasilianischen Partnern abgleichen. Welche Wege haben wir, um gemeinsam effektiv auf Russland einzuwirken? Wie können wir unsere Partner in Afrika gegen die terroristische Boko Haram unterstützen? Das sind Beispiele für konkrete Fragen. Mir ist es aber auch wichtig, die Einschätzungen meiner brasilianischen Gesprächspartner zur schwierigen Lage in Venezuela wie auch zu den historischen Entwicklungen der Beziehungen zwischen den USA und Kuba zu erfahren.

Mit Ihnen zusammen reist eine große Gruppe von Vorständen deutscher Unternehmen nach Brasilien. Ihr Besuch dreht sich also nicht nur um die Politik?

Richtig, das Interesse der deutschen Wirtschaft, mit mir nach Brasilien zu kommen, ist groß. Hochrangige Vertreter namhafter deutscher Unternehmen werden sich mit brasilianischen Unternehmern und Wirtschaftspolitikern treffen. Wir kommen in einer Zeit nach Brasilien, in der sinkende Preise und Nachfrage nach Rohstoffen die Spielräume für Politik neu bestimmen. Wir kommen, um deutlich zu machen, dass Deutschland und die deutsche Wirtschaft auch in schwierigen Zeiten verlässliche Partner sind, die bereit stehen, mit verstärkter Zusammenarbeit, besonders in Wissenschaft, Forschung und Innovation, weiter gemeinsam Brücken über den Atlantik zu schlagen.

Es gibt Kritik von Umweltaktivisten hier und in Deutschland an der Diskussion um die Erneuerung eines bilateralen Abkommens zur Kooperation im Nuklearbereich zwischen Deutschland und Brasilien, der seit 1975 gültig ist. Ist Deutschland daran interessiert, diesen Vertrag für mehr als fünf Jahre zu verlängern? Gibt es strategische Gründe für die deutsche Regierung, diese spezielle Partnerschaft nicht zu beenden?

Deutschland und Brasilien arbeiten seit vielen Jahren sehr eng beim Thema Energie in all seinen Facetten zusammen. Aktuell liegt unser Schwerpunkt auf der Förderung erneuerbarer Energien und Energieeinsparung. Deutschland unterstützt Brasilien auf diesen Feldern mit Angeboten technischer Beratung und in Finanzierungsfragen. Gleichzeitig ist mein Verständnis, dass keine Seite einen Anlass sieht, die Zusammenarbeit zu Fragen der friedlichen Nutzung der Atomkraft zu beenden, die wichtige Fragen wie die Verbesserung der Sicherheit von kerntechnischen Anlagen, die Nichtverbreitung sowie die Entsorgung und den Strahlenschutz umfasst.

Interview: Juliano Machado.

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