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Rede von Außenminister Sigmar Gabriel zur Eröffnung des Global Forum on Migration and Development

28.06.2017 - Rede

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen Minister,
sehr geehrte Damen und Herren,

herzlich willkommen in Berlin, herzlich willkommen zum Global Forum on Migration and Development!

Ich freue mich sehr, dass so viele internationale Gäste gekommen sind, auch solche mit denen wir in letzter Zeit eng zusammengearbeitet haben, wenn es um Flucht und Vertreibung einerseits und Migration andererseits geht.

Und freue ich mich ganz besonders, dass wir als Deutschland das Global Forum on Migration and Development in Ko-Gastgeberschaft mit Marokko ausrichten.

Das ist ein schönes Symbol dafür, dass es nicht zwei Seiten gibt bei dieser Frage. Der Gedanke, dass es eine Nord-Süd-Zusammenarbeit in Migrationsfragen und der gerechten Ausgestaltung von Migration geben muss, ist übrigens nicht ganz neu.

Bereits vor 40 Jahren hat ein früherer deutscher Bundeskanzler diesen Ansatz verfolgt. Willy Brandt nämlich, als Vorsitzender der Nord-Süd-Kommission.

Und wenn man heute hineinschaut in den Abschlussbericht, dann muss man sich selbstkritisch fragen: Was haben wir eigentlich gemacht, in den letzten 40 Jahren? Denn viele der Fragestellungen, übrigens auch der Antworten, sind heute noch aktuell.

Ich erinnere mich an einen Satz einer indischen Ernährungsministerin, die uns Europäern damals sagte: Wenn ihr den Unterschied zwischen arm und reich in der Welt nicht in den Griff bekommt, dann schicken wir euch eines Tages unsere Kinder.

Nun sind es nicht die Inder, die gekommen sind, aber viele andere. Die Mahnung aber, dass wir mit dem Wohlstand auf der Welt anders umgehen müssen - heute würde man sagen, die Globalisierung darf nicht Reichtum für wenige, sondern Wohlstand für alle bedeuten - diese Mahnung ist nicht neu, sie beschäftigt die Weltgemeinschaft seit vielen Jahrzehnten.

Im Abschlussbericht dieser Nord-Süd-Kommission, der den Titel hat „Das Überleben sichern“ wird empfohlen, dass wir global zusammenarbeiten sollen, um die „internationale Mobilität“, wie es dort heißt, gerecht auszugestalten. Offensichtlich haben wir diese Empfehlung nicht ausreichend befolgt, sonst müssten wir uns nicht heute mit der gleichen Thematik wieder auseinandersetzen.

Ich glaube, es ist heute mehr denn je unser Auftrag, und es ist auch unsere Verantwortung, internationale Mobilität gerecht zu gestalten!

Und zwar eine globale Verantwortung aller Akteure – die Agenda 2030 der Vereinten Nationen macht dies sehr deutlich.

Meine Damen und Herren,

wenn wir Migration tatsächlich gerecht gestalten wollen, müssen wir uns zunächst einmal darüber im Klaren sein, was denn der Kern von Migration ist.

Der Kern ist erst einmal eine individuelle, gerade keine staatliche Entscheidung.

Menschen entscheiden sich, das Land ihrer Geburt, ihrer Heimat zu verlassen und an anderer Stelle Fuß zu fassen.

Sie tun dies, weil sie sich bessere Lebensperspektiven erhoffen, für sich oder für die eigenen Kinder oder weil sie elementarer Not oder ungleichen Berufs- und Einkommenschancen entfliehen wollen.

Wir haben es also zu tun mit Millionen individueller Entscheidungen, individueller Schicksale und Hoffnungen auf eine besseren Zukunft.

Diese komplexen individuellen Motivationen und Zwänge treffen nicht nur auf die gesellschaftlichen Realitäten in den Ursprungs-, den Transit- und den Zielländern.

Sie treffen auch auf deren Gesetze. Und das sind meistens Verbote.

Es ist doch schon bemerkenswert, dass Migration mit wesentlich größeren allein rechtlichen Beschränkungen versehen ist, als zum Beispiel der globale Kapital- und Handelsverkehr.

An dieses komplexe Netzwerk von Regelungen und Beschränkungen wollen wir uns heranwagen.

Denn wir brauchen für eine gelungene Migrationspolitik eben nicht nur Verbote, sondern auch Regeln, die uns ermöglichen Einwanderung als Chance zu nutzen.

Nicht nur aus ethischen Erwägungen, sondern auch aus wohlverstandenem wirtschaftlichem Eigeninteresse.

Das sage ich sehr deutlich als Vertreter eines Landes, das auch in dieser Hinsicht Schwierigkeiten hat sich durchzuringen, die positiven Seiten von Migration zu erkennen.

Denn Wachstum braucht Zuwanderung und gerade Deutschland benötigt, auch weil wir immer weniger werden, die Fachkräfte von außerhalb Deutschlands.

Wir haben in Europa eines der größten Experimente vor uns: Wir verlieren in wenigen Jahren Millionen von Arbeitskräften. Allein unsere Bevölkerung wird nicht kleiner, denn Menschen werden Gott sei Dank immer älter. Das wird uns als Industrieland sehr herausfordern und schon deshalb sollten wir offener über die Frage von Migration sprechen, als wir das häufig tun.

Die Deutsche Industrie und Handelskammer spricht von einer halben Millionen Stellen die jetzt schon zu besetzen sind. 80% der Mittelstandsunternehmen, die für unser Land so wichtig sin, klagen bereits heute über Probleme bei der Mitarbeitersuche.

Ein anderer Punkt ist aber mindestens ebenso wichtig: wenn wir richtig mit Migration umgehen, dann bereichert sie natürlich auch unsere Gesellschaft.

Ich sehe das deutlich an einem der sichtbarsten Ergebnisse der Europäischen Einigung:

In meinem Land sind noch vor 20, 30 Jahren Zuwanderer aus Spanien, aus Italien, aus Griechenland, aus dem ehemaligen Jugoslawien, aus Marokko als Gastarbeiter bezeichnet worden. Mit dem Gefühl: die kommen jetzt mal und dann gehen die auch wieder.

Übrigens haben die Menschen, die hierhergekommen sind, die gleichen Ideen gehabt. Zum Beispiel sind Kinder von türkischen Eltern zurück in die Türkei geschickt worden mit dem Hinweis: Am besten ist es, Du gehst in der Türkei zur Schule, wir bleiben hier ja nur kurz.

Heute sind wir ein Land, in dem diejenigen, die damals als Gastarbeiter bezeichnet wurden, längst ein Teil unseres Landes sind. Manchmal sind sie deutsche Staatbürger geworden, manchmal auch nicht, aber sie sind in jedem Fall ein wichtiger, integrierter Teil unseres Landes, der das Land übrigens auch insgesamt kulturell bereichert hat.

Meine Damen und Herren,

ich glaube daher, wir brauchen ein deutliches Umdenken in der Migrationspolitik.

International, aber eben auch in unseren Gesellschaften. Und dabei müssen alle Länder, ob sie Ursprungsländer, Transitländer oder eben Zielländer sind, auch bereit sein im Dialog mit anderen ihre eigene Politik zu überprüfen.

Wir hier in Europa sind manchmal sehr gut darin, Änderungen bei anderen anzumahnen.

Ich glaube, wir sollten daher auch bei uns schauen, was wir anders machen müssen, damit Migration gerechter gestaltet werden kann.

Deshalb möchte ich drei Punkte herausgreifen, die aus meiner Sicht verdeutlichen, warum wir auch in Deutschland und in Europa eine andere Haltung zu Migration brauchen.

Erstens: Wir sind in Deutschland längst ein Einwanderungsland geworden, also sollten wir die Einwanderung auch durch ein Einwanderungsgesetz besser steuern können.

Denn auch Deutschland braucht attraktive und moderne Regelungen, um Zielland für Migration sein zu können.

Ein solches Gesetz kann – ähnlich wie in Kanada – mit einem an der Nachfrage orientierten Punktesystem arbeiten. Es sollte jedenfalls transparente, erklärbare und überschaubare Regelungen schaffen und den Bogen zu Integrationsmaßnahmen schlagen.

Der Grund ist ganz einfach: Ohne Menschen aus anderen Ländern wird unsere Gesellschaft, wird die europäische Gesellschaft nicht so stark bleiben, wie sie es ist.

Deshalb sollten wir mit einem Gesetz die Grundlage dafür schaffen, dass wir Einwanderung als Chance für unser Land, und nicht nur als Gefahr, erkennen.

Zweitens: Unser Einsatz für eine bessere Migrationspolitik kann nicht an unseren Grenzen haltmachen.

Ganz im Gegenteil: Die gerechte Gestaltung von Zuwanderung und Migration ist eine globale Aufgabe, genauso, wie übrigens auch der würdige Umgang mit Flüchtlingen.

Kein Land kann sich dauerhaft abschotten. Das ist eine Illusion, die von Nationalisten aller Couleur immer wieder propagiert wird.

Diese Debatte sollten wir daher offensiv führen. Denn eine gerechte Welt, gerechte Migration wird nicht entstehen, wenn immer mehr Mauern und Zäunen gebaut werden.

Und drittens können gerechte Standards uns vielleicht auch helfen, wenn es um die Bekämpfung von Schleppern und Menschenhändler geht, die aus der Zwangslage von Migrantinnen und Migranten Profit schlagen.

Denn wer illegale Migration eindämmen will, der muss legale Einwanderungsmöglichkeiten schaffen.

Ich will das hier nicht im Detail ausbuchstabieren, aber transparente „Migrationsangebote“ wirken dem Eindruck entgegen, dass man sich in Europa nur dann eine Existenz aufbauen kann, wenn man sich auf Asyl und Verfolgung beruft, selbst wenn man nicht wirklich schutzbedürftig ist. Und vor allem wenn man sich in die Hände von Menschhändlern und Schleppern begibt und dabei sein eigenes Leben gefährdet.

Solche Angebote schaffen Anreize für Staaten, bei der Rücknahme eigener Staatsbürger auch eher mit uns zusammenzuarbeiten, wenn es legale Formen der Einwanderung gibt.

Meine Damen und Herren,

dies sind einige Gedanken dazu, was Deutschland als Zielland für Migration tun sollte.

Natürlich sind die Interessen anderer Staaten von ganz anderen Realitäten geprägt. Transitstaaten und auch Herkunftsstaaten schauen naturgemäß mit anderen Augen auf Migration und ihre Folgen.

Deshalb ist es so wichtig, dass wir diese Aufgabe gemeinsam anpacken. Ein noch besseres gemeinsames Verständnis entwickeln und auch konkret zu Konsequenzen kommen.

Deshalb wollen wir hier einen „globalen Gesellschaftsvertrag“ erarbeiten und über Regeln nachdenken, die 2018 in den Global Compact on Migration einfließen.

Diese Regeln sollen die Bedürfnisse zu allererst der Migrantinnen und Migranten, ihrer Heimatstaaten und der Zielstaaten miteinander vereinen.

Vielleicht werden jetzt einige bei dem Wort „Regeln“ aufhorchen und schon wieder an migrationsbeschränkende Barrieren und Verbote denken.

Das ist nicht unser Ziel. Der Ruf nach mehr Regeln für Migration folgt der schlichten Erkenntnis: Die irregulären Migrantinnen und Migranten sind meistens diejenigen, die ausgebeutet werden, sie sind eben nicht die Gewinner.

Deshalb müssen wir ein klares Regelwerk finden, dass nicht nur einseitig die Interessen der Zielländern abbilden kann, sondern die Interessen und Rechte aller in den Blick nimmt.

Migration soll nicht als Einbahnstraße beschrieben werden. Sondern es müssen auch Entwicklungschancen für die Ausgangsländer skizziert werden, die zeigen, dass es uns nicht um einen einseitigen „brain drain“ geht, also der Versuch möglichst kluge Leute ins Land zu holen, sondern wie es Willy Brandt in der Nord-Süd-Kommission gefordert hat, um gerechte Prinzipien, um gerechte Migration.

Mir ist völlig bewusst: diese Aufgabe ist komplex. Deshalb sind solche Konferenzen wie diese hier auch so bedeutsam. Und deshalb brauchen wir Partnerschaften.

Zwischen Ziel- und Herkunftsländern, wie Marokko und Deutschland es mit dem gemeinsamen Vorsitz vorleben.

Aber auch Partnerschaften mit der Zivilgesellschaft und der Privatwirtschaft. Denn Staaten alleine werde es nicht richten – weder national noch international.

Deshalb freue ich mich, dass Sie alle unsere Einladung gefolgt sind.

Und für die gemeinsame Arbeit des Forums für eine gerechte Migration wünsche ich uns Durchhaltevermögen, gutes Gelingen und am Ende den gemeinsamen Erfolg aller Beteiligten!

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

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