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Rede von Außenminister Frank-Walter Steinmeier bei der Konferenz deutscher Nichtregierungsorganisationen zum Thema „Ein Jahr nach dem Maidan – Perspektiven der zwischengesellschaftlichen Zusammenarbeit mit der Ukraine und Russland“

06.02.2015 - Rede

Sehr geehrte Damen und Herren,

Später als geplant, aber umso herzlicher begrüße ich herzlich im Auswärtigen Amt. Wir haben gerade von großartigen Projekten gehört, mit denen Sie und Ihre Partner versuchen, Deutsche, Ukrainer und Russen zusammenzubringen. Sowieso, aber gerade jetzt: während der Krise, während uns täglich neue Bilder von Gewalt und Leid erreichen aus der Ostukraine.

Seit letztem April sind dort, soweit wir das nachvollziehen können, fast 5.400 Menschen ums Leben gekommen. Und jeder Tote, den diese Krise fordert, offenbart nicht nur furchtbares Leid. Jeder Tote, jeder weitere Tag der Gewalt, bringt auch mehr Entfremdung zwischen den Völkern auf beiden Seiten des Konflikts. Ich sehe die Gefahr, dass der Konflikt nicht nur noch weiter eskaliert in eine nächste Phase noch größerer Gewalt. Sondern ich sehe auch die Gefahr, dass dieser Prozess der Entfremdung zwischen den Völkern in Ost und West zu irgendeinem Zeitpunkt kaum noch umkehrbar ist.

Wie immer in Zeiten der Krise werden Klischees, Vorurteile und Reflexe aus längst vergangener Zeit rasend schnell wieder lebendig – und ich rede hier nicht über das Handeln der Regierungen, sondern über Vorurteile über die Nachbarvölker, mit denen man über Jahre und Jahrzehnte Seite an Seite gelebt hat. Das ist gefährlich und das dürfen wir nicht zulassen! Und dafür, dass es hoffentlich nicht so kommt, ist Ihre Arbeit, meine Damen und Herren, gerade in der jetzigen Situation so unendlich wichtig.

Ihr konsequentes Engagement dafür, dass junge Ukrainer und Russen weiter im Gespräch miteinander sind, dass sie sich kennen und hoffentlich trotz der Krise ein wenig verstehen lernen, das ist für mich eine ermutigende Botschaft!

Ermutigend auch deswegen, weil ich genau diesen Wunsch nach Austausch und Verständigung nicht nur hier im Saal von Ihnen höre, sondern auch auf meinen Reisen, von jungen Menschen in der Region: Ob in Kiew und Donezk oder in Odessa, oder in Moskau, oder zuletzt in Jekaterinburg. Studenten in Jekaterinburg haben mir im Dezember bei einem Vortrag, den ich dort gehalten habe, eindrücklich geschildert, was sie in der derzeitigen Krise umtreibt: Nämlich die Frage: Was denkt ihr Menschen in Deutschland eigentlich über uns Russen, wie sprecht ihr eigentlich über uns? Und sie meinen damit nicht Putin und die Regierung, sondern die Menschen in Russland. Wo seht ihr den Grund für die derzeitige Konfrontation? Auch das war eine der vielen Frage, zu der die Antwort nicht gleich mitgeliefert wurde. Und: Wie kommen wir wieder zusammen? Dies war bei den jungen Menschen die am häufigsten gestellte Frage.

Es sind Fragen, auf die junge Menschen Antworten suchen. Menschen, die hier wie dort nicht einverstanden sind mit den Entwicklungen, die wir politisch beklagen und gegen deren Konsequenzen wir versuchen anzurennen mit immer wieder neuen Versuchen, die Entwicklungen zu immer noch mehr Gewalt zum Halten zu bringen. Manchmal werden wir dabei nicht verstanden und manchmal auch verspottet von denjenigen, die in militärischer Auseinandersetzung den besseren Beitrag sehen. Aber ich finde, wenn junge Menschen diesen Wunsch nach Verstehen äußern, dann sollte man nicht nur hinhören, sondern dies auch als Auftrag verstehen!

Ralf Dahrendorf hat vor vielen Jahren gefordert, wir müssten von einer Außenpolitik der Staaten zu einer Außenpolitik der Gesellschaften kommen. Selten war das wichtiger als heute. Ich bin überzeugt: Nur der Dialog der Gesellschaften miteinander wird es möglich machen, dass wir uns wenigstens zu verstehen versuchen, ohne Verständnis für jede einzelne Entscheidung zu haben.

Und vielleicht ist dies der einzige Schutz davor, dass Staaten nicht zurück fallen in geostrategische Feindbilder, hegemoniale Machtphantasien oder Bedrohungsszenarien.

Aktive Außenpolitik, von der ich heute Morgen im Parlament gesprochen habe im Zusammenhang mit ziviler Krisenprävention, und eine Außenpolitik der Gesellschaften --- in meinen Augen braucht es im Moment beides. Das heißt auch zwischen den Gesellschaften, zwischen denen es Konflikte gibt. Wir stecken ohne Zweifel in der schwersten außenpolitischen Krise in Europa seit dem Ende des Kalten Krieges. Mit der Annexion der Krim hat Russland die europäische Friedensordnung in Frage gestellt. Der Versuch, sieben Jahrzehnte nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa Grenzen zu korrigieren: das können und dürfen wir nicht ignorieren. So dürfen wir in Europa nicht miteinander umgehen. Darauf brauchen wir Antworten. Die Frage ist nur: Wie weiter?

Gernot Erler hat darauf hingewiesen: Wir sehen im Moment nicht nur Gewalt und steigende Gewalt, sondern wir haben gerade mit Blick auf die vielfältigen Versuche, den Konflikt zu entschärfen und möglichst zu beenden, auch eine Reihe von Enttäuschungen hinter uns. Es ist keine Selbstverständlichkeit, dass man nach solchen Enttäuschungen wieder hingeht und versucht einen neuen Anfang zu finden. Aber seien Sie versichert: Wir bleiben auf der Linie!

Wir werden nicht aufhören, an die Unterzeichnung der jüngsten Vereinbarungen und auch der Berliner Erklärung zu erinnern, und darauf zu setzen, dass das Vereinbarte endlich umgesetzt wird. Ich bleibe dabei: Was immer im Detail zu regeln sein wird, es wird nur geregelt werden können, wenn wir endlich damit anfangen, eine Waffenruhe umzusetzen, die hält. Und mit der dann auch der Rückzug schwerer Waffen beginnt. Und sie wird nur dann halten, wenn die Konfliktparteien sich einverstanden erklären, mit der Umsetzung einer Waffenstillstandsvereinbarung auch eine internationale Beobachtung zuzulassen. Wir haben darauf hingewirkt, ein fast vergessen geglaubtes Institut der europäischen Friedensordnung, nämlich die OSZE, wieder zu ertüchtigen. Viele haben gedacht, die OSZE habe sich eigentlich erledigt, weil Krieg und Konflikt in Europa dieser Tage nicht vorstellbar waren. Wir sind froh, dass wir die OSZE haben und hoffen, sie sogar weiter zu ertüchtigen. Das war auch einer der Gründe, warum wir uns bereit erklärt haben, den OSZE-Vorsitz im nächsten Jahr zu übernehmen.

Wir werden mit OSZE und der Überprüfung einer Waffenstillstandsvereinbarung noch nicht ans Ziel kommen. Während wir hier sprechen, gehen die Bemühungen weiter. Gestern in Kiew hat die Bundeskanzlerin lange mit Präsident Poroschenko gesprochen, heute trifft sie Präsident Putin zu Gesprächen in Moskau. Es ist der Versuch, auch Russland zu überzeugen, dass von der Verstetigung des Konflikts niemand – auch nicht Russland --- einen Vorteil haben wird, sondern alle einen Nachteil: nicht nur in Fragen der Sicherheit, sondern auch in Fragen der Wirtschaft und insbesondere, was das Zusammenkommen der Menschen betrifft.

Ich versichere Ihnen, dass wir alle uns zur Verfügung stehenden Instrumente nutzen werden, um an Lösungen zu arbeiten. Aber ich bin mir sehr bewusst, dass vor allem Sie es sind, die dafür sorgen, dass der Austausch zwischen den Menschen nicht abreißt. Ob in Jugendaustauschprogrammen oder in gemeinsamen Forschungsprojekten: Nur Sie können eine „Außenpolitik der Gesellschaften“ voranbringen. Ich sehe sehr wohl: Die Zusammenarbeit mit Ihren Partnerorganisationen ist nicht erst seit Beginn der Krise schwieriger geworden. Von Ihren russischen Partnern kennen Sie die verheerenden Auswirkungen, die mit dem Vorwurf einhergehen, zivilgesellschaftliche Organisationen würden ihre Arbeit durch ausländische Zuwendungen finanzieren.

Es gibt viele Beispiele, was das für Folgen hat. Zuletzt hat mir die ehemalige Leiterin der Gulag-Gedenkstätte „Perm 36“ in Jekaterinburg geschildert, wie mit zunehmender Kontrolle durch regionale Behörden nicht nur das Engagement der Initiatoren und Experten der Gedenkstätte in den Hintergrund gerät, sondern auch eine als zu kritisch empfundene Sicht auf die sowjetische Vergangenheit.

Ich beobachte die Tendenz, unabhängige Stimmen aus dem öffentlichen Raum zu verdrängen, mit mehr als nur Sorge. Wenn Menschen befürchten müssen, bestraft zu werden, weil sie friedlich ihre Meinung äußern; wenn die Zusammenarbeit mit europäischen Partnern als verdächtig, ja sogar feindselig, stigmatisiert wird - dann frage ich mich, wohin dieser Weg führen soll.

Es kann kein Weg in eine bessere Zukunft sein. Nicht für die Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Russland, und erst recht nicht für die trilaterale Zusammenarbeit zwischen Deutschland, Russland und der Ukraine.

Zivilgesellschaft ist keine rein nationale Angelegenheit. Vielmehr wächst sie dort, wo sich Menschen für gemeinsame Ziele einsetzen: Das kann lokal sein. Das kann regional sein, aber das kann in einer zunehmend vernetzten Welt auch über Ländergrenzen hinweg passieren.

Und nur durch diese Vernetzung ist es überhaupt möglich, dass wir gemeinsam mit unseren Partnern bessere Lösungen entwickeln können. Nur dann nämlich, wenn wir wissen und würdigen, welche Träume und Traumata auf der anderen Seite bestehen, welche historischen Narrative das Denken bestimmen, welche religiösen Grundierungen es in den jeweiligen Auffassungen gibt, nur dann kann man sich wirklich näher kommen und verstehen.

Kulturelles Verständnis ist gerade in Krisenzeiten und Krisenregionen ein Schlüssel. Deswegen sind wir gut beraten, die soziale Kraft von Kultur zu stärken und zu fördern. Ich habe deshalb vor einem knappen Jahr im Deutschen Bundestag gesagt: Kulturpolitik meint nicht nur die Politik der Kultur. Sondern auch die Kultur der Politik.

Genau darauf haben wir im vergangenen Jahr gezielt. Mit Hilfe der Abgeordneten des Deutschen Bundestages haben wir ein Programm zur Stärkung der Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft aufgelegt. Gemeinsam mit ihnen haben wir rund 85 Projekte durchgeführt. Tausenden jungen Menschen von Batumi bis Lemberg wurde die Chance verschafft, in internationalen Foren die demokratische Lösung von gesellschaftlichen Konflikten einzuüben und zu diskutieren. Andere haben gemeinsam musiziert, Theater gespielt, oder zusammen geforscht.

Daran würde ich auch gerne für die Zukunft festhalten; nur die momentane Wirklichkeit ist ein Hindernis in der Fortsetzung dieser Zusammenarbeit.

Vor einigen Tagen hat der Hochkommissar der Vereinten Nationen für Menschenrechte, Zeid Ra’ad Al Hussein, die Lage um Donezk und Luhansk mit dramatischen Worten geschildert. In einigen Orten sind, sagte er, Bushaltestellen, Marktplätze und sogar Kindergärten und Schulen zu Kampfstätten geworden. Niemand will sich vorstellen, wie es den Kindern, Männern und Frauen ergeht, die dies erleben müssen.

Dass die Menschen auf beiden Seiten des Konflikts trotzdem nicht den Mut aufgeben, das ist auch eine unserer gemeinsamen Aufgaben. Sie, meine Damen und Herren, leisten dazu einen außerordentlichen Beitrag. Dazu, dass Vertrauen dort, wo es abhanden gekommen ist, wieder neu wachsen kann. Und dazu, dass sich trotz der derzeitigen Krise nicht noch weiter Gräben auftun zwischen den Völkern Menschen in Europa. Ich danke für Ihre Arbeit und verspreche Ihnen, dass wir daran arbeiten, dass es eine Zukunft jenseits des Konfliktes gibt.

Vielen Dank!

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