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Griechenland: „Jetzt ist Mut zur Wahrheit gefragt“

04.02.2015 - Interview

Außenminister Frank-Walter Steinmeier zu den Gesprächen mit der neuen griechischen Regierung über den Umgang mit der Staatsverschuldung des Landes und zur Debatte um Waffenlieferungen an die Ukraine. Erschienen in den Nürnberger Nachrichten (04.02.2015).

Außenminister Frank-Walter Steinmeier zu den Gesprächen mit der neuen griechischen Regierung über den Umgang mit der Staatsverschuldung des Landes und zur Debatte um Waffenlieferungen an die Ukraine. Erschienen in den Nürnberger Nachrichten (04.02.2015).

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Herr Steinmeier, die USA erwägen angeblich, doch letale Waffen an die Ukraine zu liefern. Halten Sie das für hilfreich?

Seit über einem Jahr kämpfe ich gemeinsam mit unseren Partnern Tag für Tag, oft nächtelang, dafür, den Konflikt in der Ostukraine zu entschärfen. Nach all den Erfahrungen, die wir in dieser Zeit gemacht haben, bin ich mir sicher: Eine militärische Lösung kann es in diesem Konflikt nicht geben – jedenfalls nicht, wenn man die territoriale Einheit der Ukraine erhalten will. Niemand leugnet doch, dass wir in unserem Ringen um Deeskalation immer wieder Rückschläge haben hinnehmen müssen. Auch jetzt ist die Lage erneut brandgefährlich. Aber zu hoffen, dass mehr Waffen zur Entschärfung des Konfliktes beitragen, geht weit an der Realität in der Ostukraine vorbei! Im schlimmsten Falle würden sie den ohnehin schon so blutigen Konflikt noch weiter verlängern. Diese Meinung wird im Übrigen auch in den USA von vielen geteilt.

Halten Sie das Abkommen von Minsk überhaupt noch für rettbar?

Es gibt keinen Grund von den Verpflichtungen, die alle Konfliktparteien – nicht nur die Ukraine und Russland, sondern auch die Separatisten – schwarz auf weiß unterschrieben haben, Abstand zu nehmen. Einen Ankerpunkt zu haben, auf den sich beide Seiten beziehen können, ist gerade in solch komplizierten Konflikten wie in der Ostukraine unglaublich wichtig, um nicht im luftleeren Raum zu agieren. Aus meiner Sicht wäre es fahrlässig, das Vereinbarte jetzt leichtfertig über Bord zu werfen, bloß weil die Umsetzung nicht so vorangeht, wie wir uns das vorstellen.

Schlittert Europa in einen neuen, großen Krieg?

Mit dem Konflikt um die Ostukraine ist in der Tat die Frage von Krieg und Frieden auf den europäischen Kontinent zurückgekehrt. Die Menschen haben Angst, und diese Angst ist angesichts der Bilder, die uns täglich aus der Ostukraine erreichen, auch nachvollziehbar. Gerade deshalb müssen wir mit Vernunft agieren und bei unserem Handeln über den Tag hinausdenken. Ich sehe es als unsere Verantwortung alles in unserer Macht stehende zu tun, damit dieser Konflikt nicht vollkommen außer Kontrolle gerät. Nur so gibt es eine Chance auf eine diplomatische Lösung des Ukraine-Konflikts, die sich vor allem die Menschen im Donbass so sehnlich wünschen.

Der neue griechische Finanzminister Varoufakis hat das Bild von Griechenland als einem Drogenabhängigen verwendet, der auf immer neue Drogen - sprich Kredite - gewartet habe. Damit müsse jetzt Schluss sein. Trauen Sie dieser Ankündigung?

Griechenland hat gewählt, der Ministerpräsident und die neue Regierung haben eine Mehrheit im Parlament, das sollten wir als Demokraten zu allererst respektieren. Wenn die Anhäufung neuer Schuldenberge durch die neue Regierung vermieden werden soll, dann steht das zunächst einmal nicht in Widerspruch zu den europäischen Erwartungen. Aber der Wahlkampf ist jetzt vorbei, jetzt zählen nicht mehr knackige Ankündigungen oder Formeln. Jetzt ist Mut zur Wahrheit gefragt und Bereitschaft zu seriösen, belastbaren Vorschlägen, die Hand und Fuß haben. Ich sehe mich auch außerstande, jeden Tag neue Vorschläge einzelner Repräsentanten der neuen Mehrheit zu kommentieren. Jetzt kommt´s darauf an, dass wir einen Vorschlag bekommen, den die ganze Regierung trägt und der sagt, wie es weitergehen soll. Dann kann die ernsthafte Auseinandersetzung beginnen.

Athen hat die Troika zumindest verbal aus dem Land geworfen, heute trifft sich Ministerpräsident Tsipras in Brüssel mit EU-Kommissionschef Juncker. Was erwarten Sie sich von dem Gespräch?

Alle in Europa sind seit Jahren bemüht, Griechenland aus dem Sumpf zu ziehen. Ein früher Besuch in Brüssel scheint mir daher eine Möglichkeit für Alexis Tsipras, seine scharfe Rhetorik zu beenden und zu einer konstruktiven Arbeit zu kommen. Alles andere schadet nicht nur den Griechen selbst, sondern auch dem europäischen Projekt. Und es gibt viele gute Gründe, dass Griechenland fest in der Mitte der Europäischen Union verankert ist. Das bleibt auch mein Ziel. Ich selbst habe schon letzte Woche ein persönliches Gespräch mit meinem neuen Amtskollegen aus Athen geführt. Eine geschlossene Haltung Europas ist in außenpolitischen Fragen und nicht nur in der Ukraine-Krise wichtig.

Varoufakis hat die bemerkenswerte Aussage gemacht, dass Griechenland bis Mai keine Kredite mehr braucht. Werten Sie das als Entspannungssignal oder als naiv Fehlinterpretation der Lage?

Ich bin gespannt, ob es seriöse Ideen gibt, wie sich diese Aussage in die Tat umsetzen lässt. Eine Fehleinschätzung der Handlungsspielräume ist gefährlich für das wesentliche Ziel, das uns alle eint: Die Euro-Zone mit all ihren Mitglieder zusammen zu halten und zu stärken.

Das heißt die griechische Kernforderung eines Schuldenschnitts ist für Sie unrealistisch?

So richtig scheint sich die griechische Regierung selbst nicht einig zu sein, in dem was sie fordert. Und ich bin mir auch nicht sicher, ob sich die griechische Wirtschaft der Folgen eines Schuldenschnitts bewusst ist. Und ich würde mich auch nicht wundern, wenn wir noch einige Nachbesserungen und Korrekturen der griechischen Erwartungen erleben.

Aber braucht Griechenland nicht dennoch dringend neue und mehr Wachstumsimpulse, um aus der Schuldenfalle herauszukommen?

Ja, tragfähige Haushalte sind das eine, Wachstum durch Reformen und sinnvolle Investitionen sind aber genauso wichtig. Die neue Europäische Kommission hat diese Aufgabe angepackt. Von dem sogenannte Juncker-Progamm, dass Investitionen im Wert von über 300 Milliarden möglich machen soll, kann und muss auch die griechische Regierung Gebrauch machen. Zugleich gehört der Kampf gegen Korruption, die Verwaltungseffizenz, ein Steuersystem, das alle erfasst, auch die Reichen, ganz oben auf die Tagesordnung der griechischen Regierung. Solche Reformen sind nicht nur Voraussetzung für Auslandinvestitionen, sie sind auch absolut notwendig, um die soziale Schieflage zu bekämpfen.

Haben Sie Angst, wenn man den Griechen zu weit entgegenkommt, dass ein Flächenbrand entstehen könnte?

Das darf man nicht über einen Kamm scheren. Und es wird an Griechenland auch kein Exempel statuiert. Von dem Zustand Griechenlands ist man woanders doch weit entfernt: Portugal ist weit vorangekommen. In Italien nimmt die Reform des Arbeitsmarktes gerade die letzten parlamentarischen Hürden. Spanien hat seinen Bankensektor stabilisiert und erlebt wieder Wachstum. Die Verbesserungen müssen bei den Menschen ankommen. Europas Wirtschaft ist noch nicht über den Berg, aber wir sollten nicht so tuen, als stünde ganz Südeuropa für Reformverweigerung.

Interview: Katharina Tontsch und Armin Jelenik. Übernahme mit freundlicher

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