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„Die Megafon-Politik muss ein Ende finden.“

04.06.2017 - Interview

Außenminister Gabriel im Interview mit der „Bild am Sonntag“. Erschienen am 04.06.2017.

BILD am SONNTAG: Herr Minister, Anfang der Woche fliegen Sie nach Ankara, um dort darüber zu verhandeln, dass die deutschen Abgeordneten die in Incirlik stationierten Bundeswehrsoldaten besuchen dürfen. Was muss die Türkei versprechen, damit die Tornado-Soldaten dort bleiben können?

SIGMAR GABRIEL: Die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee. Daher müssen auch die deutschen Bundestagsabgeordneten die deutschen Soldaten in dem Land besuchen können - und zwar nicht nur einmal, sondern jederzeit. Das sieht unsere Verfassung vor. Die Türkei muss ein Besuchsrecht zweifelsfrei zusichern. Ich bin sehr froh darüber, dass die Türkei dieses Möglichkeit am NATO-Standort Konya für die Bundestagsabgeordneten nicht in Zweifel zieht, sondern zusichert. Wenn die Türkei das in Incirlik aus Gründen der Innenpolitik nicht kann oder will, sollten wir versuchen, uns ohne Streit und partnerschaftlich auf eine Beendigung der Truppenstationierung zu verständigen.

Wäre Jordanien wirklich der bessere Standort für unsere Soldaten - das Land ist schließlich mehr Polizeistaat als Vorzeigedemokratie?

Jordanien ist seit Jahrzehnten einer der wenigen Stabilitätsanker der Region. Nicht nur wir, sondern viele westliche Länder arbeiten eng mit Jordanien zusammen. Wenn wir dort Soldaten stationieren, hätte ich überhaupt keine Sorge.

Welche Folgen hätte ein Abzug aus Incirlik für unser Verhältnis zur Türkei?

Die Stationierung der Bundeswehr in Incirlik ist ja nicht das einzige derzeit schwierige Thema im deutsch-türkischen Verhältnis. Ganz unabhängig davon, ob die Bundeswehr in Incirlik bleibt oder abzieht, müssten wir neue Anknüpfungspunkte suchen . Die Megafon-Politik muss ein Ende finden.

Wo sehen Sie solche Anknüpfungspunkte?

Die Türken erwarten von uns, dass wir härter gegen die kurdische PKK vorgehen. Die PKK ist auch bei uns eine verbotene Organisation, weil sie in Waffen- und Drogenhandel und Schutzgelderpressung tief verwickelt ist. Es ist also durchaus auch in unserem Interesse, deren Finanzströme trocken zu legen und ihre auf deutschem Boden keine Spielräume zu lassen. Das ist ein Punkt, den die Türkei zurecht anspricht.

Was ist mit dem Flüchtlingsabkommen?

Dieses Abkommen ist im Interesse der Türkei und der EU. Die Türkei hat weitaus mehr Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen als Deutschland und Europa. Das Abkommen soll ja mit Hilfe der Flüchtlingsorganisation der Vereinten Nationen die Lage dieser Flüchtlinge verbessern und zugleich eine gesteuerte und legale Flüchtlingsaufnahme in Europa sicherstellen. Ohne Schlepper und Menschenhändler. Ein Abzug der Bundeswehr aus Incirlik hätte darauf keine Auswirkungen.

Seit dem Putschversuch vor einem Jahr sind in der Türkei zehntausende Menschen verhaftet worden darunter auch viele Journalisten wie der deutsch-türkische „Welt“-Korrespondent Deniz Yücel. Werden Sie seinen Fall bei Ihrem Besuch ansprechen?

Natürlich. Deniz Yücel sitzt aus unserer Sicht ohne Grund in Haft. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte will bald in einem schnellen Verfahren über seinen Fall entscheiden. Und ich denke, dass auch die Türkei ein Interesse haben muss, die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zu akzeptieren und umzusetzen.

Ist das Amerika Donald Trumps noch unser Freund?

Wir haben Konflikte mit der amerikanischen Regierung, aber nicht mit ganz Amerika. Und trotz vieler Unterschiede und mancher durchaus harter Konflikte, gibt es keine Region der Welt, die uns so nahe steht wie die Vereinigten Staaten. Kulturell, politisch, wirtschaftlich. Wir sind selbstbewusst und klar bei der Vertretung unserer Meinung und unserer Interessen, aber unsere Hand bleibt immer freundschaftlich ausgestreckt.

Die USA steigen aus dem Klimaschutzabkommen aus. Was bedeutet das?

Wenn es dabei bliebe, wäre das ein Rückschlag für den internationalen Kampf gegen den Klimawandel. Denn die USA sind der größte Treibhausgasemittent pro Kopf der Bevölkerung. Und natürlich besteht dann immer die Gefahr, dass andere dann sagen: „wenn die größten Umweltverschmutzer nicht mitmachen, dann tun wir das auch nicht.“ Aber wir sind heute aufgrund der guten deutschen Erfahrungen Gott sei Dank weiter als noch vor 10 Jahren. Denn die allermeisten Staaten wissen inzwischen, dass Klimaschutz sogar gut für ihre Wirtschaft ist. Denn Energieeinsparung und neue Technologien schaffen ja Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätze. In Deutschland inzwischen mehr als 400.000.

Trump hat das Klimaschutzabkommen aufgekündigt, die NATO-Partner angeherrscht, den G7-Gipfel gesprengt. Bedeuten der US-Präsident und seine Devise 'America First' das Ende von solchen multinationalen Formaten?

Es geht nicht um Amerika, es geht um die Welt. Wenn die USA sich aus den internationalen Abkommen verabschieden, werden andere versuchen in diese Lücke zu stoßen. Das sieht man z.B. bei China. Damit aber wird es noch schwieriger im Handel auch westliche Standards wie Schutz der Arbeitnehmerrechte, Schutz der Umwelt und der Verbraucher durchzusetzen und auch Menschenrechte zum Gegenstand der Wirtschaftspolitik zu machen.

Angela Merkel hat Trump in einem bayerischen Bierzelt scharf gerügt.

Frau Merkel ist im Wahlkampf, Donald Trump befindet sich in einer Art Dauerwahlkampf. Und ich finde es auch richtig, dass die deutsche Bundeskanzlerin selbstbewusst unsere deutschen und europäischen Interessen vertritt. Aber auf Dauer darf sich das deutsch-amerikanische Verhältnis nicht zwischen Bierzelt und Twitter entwickeln. Dafür steht zu viel auf dem Spiel. Denn wenn die USA sich wie auf dem G 7 Gipfel von ihren westlichen Partnern distanzieren, wird die Idee des Westens kleiner. Und das ist ja keine geografische, sondern eine universelle Idee von Freiheit, Demokratie und der Stärke des Rechts statt des Rechts des Stärkeren. Wir werden für uns und unsere Idee aber auch um die USA als Partner kämpfen müssen.

Und gerade jetzt ist Europa in einem desolaten Zustand. Brexit, Flüchtlingsstreit, Jugendarbeitslosigkeit...

Ich muss hier mal heftig widersprechen: Europa hat natürlich Schwierigkeiten. Keine Frage. Aber es ist wahrlich nicht in einem desolaten Zustand. Anders als in vielen anderen Regionen der Welt herrscht bei uns Frieden. Die Wirtschaft wächst wieder, die Arbeitslosigkeit sinkt, wenn auch zu langsam. Es gibt keine Region der Welt, in der man so friedlich, so sicher und so demokratisch leben kann wie in Europa. Die meisten Menschen auf der ganzen Welt würden sich wünschen, nur unsere Probleme zu haben.

Also leben wir im besten Europa, das es je gegeben hat.

Ja, eindeutig. Vor 60 Jahren waren die Wunden des Krieges noch überall sichtbar und spürbar. Vor 40 Jahren war nicht nur Deutschland, sondern ganz Europa durch einen eisernen Vorhang geteilt und wir standen uns in feindlichen Militärbündnissen gegenüber. Vor 25 Jahren gab es Krieg und Bürgerkrieg in Südost-Europa. Und vor knapp 10 Jahren steckten wir tief in einer verheerenden Finanz- und Wirtschaftskrise. Das alles haben wir überwunden. Ich gehöre nun wirklich nicht zu denen, die Europa schönreden, und es gibt genug zu tun. Aber wir müssen mal Schluss machen mit unserer Verzagtheit! Europa ist weit davon entfernt, perfekt zu sein. Aber wir erleben das beste Europa aller Zeiten. Und wir werden es besser machen, so wie wir es immer geschafft haben, besser zu werden. Fragen Sie mal die Menschen in Bulgarien, Polen oder Kroatien, ob es ihnen heute schlechter geht als vor 30 Jahren. Früher ging es in Europa um Leben und Tod, wir streiten heute meist nur über Geld. Was für ein Glück!

Müssen die Deutschen bereit sein, mehr Geld für Europa auszugeben?

Jeder Euro für Europa zahlt sich für uns Deutsche doppelt und dreifach aus. 60 Prozent unserer Waren und Dienstleistungen exportieren wir nach Europa und nicht etwa nach China oder in die USA. Nur wenn es unseren Nachbarn gut geht, kaufen die unsere Autos, unseren Maschinenbau, unseren Stahl oder unsere Elektrotechnik. Wenn es unseren Nachbarn schlecht geht, werden Millionen Deutsche arbeitslos. Deshalb ist jede Investition in Europa eine Investition in die Zukunft unseres eigenen Landes. Deutschland ist der große Gewinner der europäischen Einheit.

Das hat sich bei Ihnen schon mal anders angehört. Sie selbst haben als Wirtschaftsminister Griechenland angegriffen und gesagt: „Wir werden nicht die überzogenen Wahlversprechen einer zum Teil kommunistischen Regierung durch die deutschen Arbeitnehmer und ihre Familien bezahlen lassen.“

Genau! Die damalige neue griechische Regierung hatte sich nämlich geweigert, ein Reformprogramm durchzusetzen und wollte eigentlich nur Geld. Deshalb haben der damalige Vorsitzende des europäischen Parlaments und heutige SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz und ich gemeinsam gesagt: so geht das nicht! Griechenland musste seine eigenen Hausaufgaben machen. Nach zähen Verhandlungen ist aber genau das ab 2015 dann auch geschehen. Mehr noch: die Griechen haben sich ein Reformpaket zugemutet, gegen das unsere deutschen Sozialreformen ein lauer Sommerwind gewesen sind. Und ich finde, jetzt hat es Griechenland auch verdient, dass wir unseren Teil des Versprechens einhalten. Wir haben damals nämlich gesagt, dass wir mithelfen wollen, die Schulden Griechenlands zu erleichtern, wenn das Land selbst Reformanstrengungen unternimmt. Und genau an dem Punkt sind wir jetzt.

Wenn Europa mit Blick auf Trump stärker und unabhängiger von den USA werden soll, dann muss es doch auch sehr viel mehr Geld für sein Militär ausgeben, richtig?

Erst einmal muss Europa das Geld, was es für sein Militär ausgibt, besser einsetzen. Wir geben 45 Prozent des US-Militärbudgets aus, haben aber nur ganze 15 Prozent Effizienz. Wir brauchen gemeinsame Beschaffungsprogramme und eine viel stärkere Integration der europäischen Armeen.

Wie passt das zu Ihren Abrüstungsplänen?

Ehrlich gesagt würden wir in Europa doch sogar Geld sparen, wenn wir endlich besser zusammenarbeiten würden. Aber ich gehe sogar noch weiter: ich bin durchaus dafür, dass die Bundeswehr besser ausgestattet wird. Denn leider haben 12 Jahre Verantwortung von CDU/CSU Verteidigungsministern dazu geführt, dass es jetzt zu wenig Personal und unzureichende Ausstattung gibt. Begonnen hat das mit der völlig gescheiterten Bundeswehrreform des CSU-Verteidigungsministers zu Guttenberg. Der wollte acht Milliarden € pro Jahr bei der Bundeswehr einsparen. Seine Parteifreundin Ursula von der Leyen muss das heute ausbaden.

Sind Sie also doch für die Anhebung der Verteidigungsausgaben auf zwei Prozent der Wirtschaftsleistung wie es US-Präsident Trump fordert?

Die Bundeswehr besser auszustatten heißt aber nicht, den Verteidigungsetat mal gleich zu verdoppeln. Genau das fordert der US-Präsident. In Deutschland wären das dann mehr als 70 Milliarden € pro Jahr. Die Schulen verkommen aber wir geben derart gigantische Beträge für Waffen aus? Und wenn dann CDU-Politiker im Bundesfinanzministerium auch noch fordern, das durch Einsparungen im Sozialhaushalt zu finanzieren, wird es völlig verrückt.

Angesichts der russischen Aufrüstung müssen wir doch eigentlich wieder nachrüsten, oder nicht?

Leider haben Sie Recht: nicht nur Russland, sondern die ganze Welt rüstet auf. Auch die NATO. Und niemand redet mehr über Abrüstung und Rüstungskontrolle. Ich finde, dass der frühere SPD-Bundeskanzler Helmut Schmidt Recht hatte. Er ist immer für einen Doppelbeschluss eingetreten. Er wollte verteidigungsfähig sein und hat gleichzeitig über Abrüstung verhandelt. So ist damals der sogenannte INF Vertrag entstanden, der in Europa landgestützte atomare Mittelstreckenraketen verbietet. Genau dieser Erfolg der Abrüstungspolitik ist in akuter Gefahr. Wir stehen vor einer Welle der nuklearen und konventionellen Aufrüstung weltweit. Auch in Europa. Deshalb hat der SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz Recht, wenn er in der Tradition von Helmut Schmidt eine neue Abrüstungsinitiative starten will.

Die Bundeswehr ist seit 15 Jahren im Anti-Terror-Einsatz in Afghanistan. Die Zahl der Anschläge steigt. Gerade wurde die deutsche Botschaft in Kabul attackiert. Ist die Mission gescheitert?

Nein. Die Afghanen sagen uns: Bitte zieht nicht ab, weil die Lage dann schlechter wird. Das zeigt, wie wichtig unser Engagement ist. Im Übrigen nicht nur militärisch, sondern auch politisch und in der Entwicklungsarbeit.

Afghanistan wird aber zum Dauereinsatz, dabei ist das Ziel einer erfolgreichen Mission doch, sie beenden zu können.

Richtig. Aber nirgendwo auf der Welt kann man eine Lage rein militärisch befrieden. Wir sind daran beteiligt, eine politische Lösung zwischen den verfeindeten Parteien in Afghanistan zu finden. Frieden schließt man nicht mit Freunden, sondern mit Feinden. Für einen Friedensschluss in Afghanistan muss auch mit den Taliban verhandelt werden.

Wann wird Deutschland wieder nach Afghanistan abschieben?

Wir bewerten die Sicherheitslage bis Mitte Juli neu. So lange werden nur Straftäter und Gefährder abgeschoben, aber keiner, der sich nichts hat zu Schulden kommen lassen.

Sie sind seit vier Monaten Außenminister, haben den SPD-Vorsitz an Martin Schulz abgegeben. Ex-SPD-Kanzlerkandidat Steinbrück behauptet, Sie wären darüber so erleichtert, dass Sie jeden Tag eine Kerze ins Fenster stellen. Stimmt's?

Das ist dummes Zeug. Ich frage mich, warum Menschen, die ihre ganze berufliche Karriere ihrer Partei zu verdanken haben, hinterher schlecht über die eigene Partei reden.

Was ist Ihre Erklärung?

Ich habe dafür keine Erklärung. Ich weiß nur, dass ich das bestimmt nie machen werde. Was hat Helmut Schmidt alles ertragen müssen. Oder auch Gerhard Schröder oder Helmut Kohl, Rainer Barzel und Angela Merkel in ihrer CDU. Keiner hat am Ende schlecht über seine Partei geredet. Das ist eine Haltungsfrage.

Parteivorsitzender Mann, Kanzlerkandidat Mann, Generalsekretär Mann, Fraktionsvorsitzender Mann, Vizekanzler Mann. Ist es ein Problem, dass alle Spitzenfunktionen der SPD von Männern besetzt werden?

Also fünf von sieben SPD-Mitgliedern in der Bundesregierung sind Frauen. Das gab es noch nie. Darauf kann die SPD richtig stolz sein.

Seit Martin Schulz mit 100 Prozent zu Ihrem Nachfolger gewählt wurde, geht es mit der SPD bergab: Drei verlorene Landtagswahlen, Umfrageabsturz. Kann Martin Schulz noch Kanzler werden?

Die Landtagswahlen waren eine herbe Schlappe für die SPD. Aber sie haben nun wirklich gar nichts mit Martin Schulz zu tun. Dessen Botschaft wird ankommen. Da bin ich mir sehr sicher. Er will sich eben nicht auf den Erfolgen der Vergangenheit ausruhen, sondern durch Investitionen in Bildung, Infrastruktur und Forschung dafür sorgen, dass Deutschland auch in 10 Jahren noch wirtschaftlich erfolgreich ist. Er will, dass mehr Menschen am Wohlstand unseres Landes teilhaben und es gerechter zugeht, auch in Europa. Dieser Dreiklang aus Zukunft, Gerechtigkeit und Europa ist genau das, worum es in Deutschland gehen muss. Dagegen steht die Gefahr der Wiederholung des schwarz-gelben Stillstands und des Lobbyismus von CDU und FDP. Diese Alternative ist klar und wäre lähmend für unser Land. Und deshalb hat die SPD alle Chancen, die Wahl zu gewinnen und mit Martin Schulz den Kanzler zu stellen.

Dann können Sie aber kein Außenminister bleiben, weil der Koalitionspartner das Auswärtige Amt beanspruchen wird...

Manchmal muss man im Leben Opfer bringen.

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