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Für ein stärkeres Europa kämpfen

23.03.2017 - Interview

Beitrag von Außenminister Sigmar Gabriel zum 60. Jahrestag der Unterzeichnung der Römischen Verträge. Erschienen in der Rheinischen Post (23.03.2017).

Beitrag von Außenminister Sigmar Gabriel zum 60. Jahrestag der Unterzeichnung der Römischen Verträge. Erschienen in der Rheinischen Post (23.03.2017).

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Europa, Du hast Geburtstag! Am 25. März 1957, vor 60 Jahren, unterzeichneten die Gründerstaaten die „Römischen Verträge“. Das Datum ist eine einschneidende Wegmarke des erfolgreichsten Projekts für Freiheit, Frieden und Wohlstand, das die Welt je gesehen hat! Das ist ein Grund zur Freude.

Nach 60 Jahren Europa stehen wir allerdings auch an einer Wegscheide. Die Finanzkrise und der Umgang mit den Flüchtlingsströmen haben die Schwächen des europäischen Einigungsprojekts schonungslos offengelegt. In wenigen Tagen wird Großbritannien seinen Austrittswunsch aus der Europäischen Union erklären. Das ist ein Weckruf. Wir müssen uns einig werden, was Europa uns bedeutet, wo wir mit unserem Europa hinwollen und was wir dafür zu investieren bereit sind.

Darin liegt die eigentliche Bedeutung dieses Jahrestags von Rom. Das europäische Einigungsprojekt wird heute angefeindet wie selten zuvor, von innen und von außen, von Populisten, die einfache Lösungen vorgaukeln, von Autokraten, denen unsere Werte zuwider sind. Sie alle wollen Europa zurückbauen oder sogar kaputt machen.

Für mich ist klar: Der Weg der europäischen Einigung ist der richtige und der einzige. Machen wir uns nichts vor: In dieser krisengeschüttelten Welt, in der so viele Gewissheiten abhandengekommen sind, können die Staaten Europas ihre Interessen und Werte nur erfolgreich verteidigen, wenn sie mit einer Stimme sprechen. Kein Land Europas, auch nicht Deutschland, kann das mehr alleine. Wir sind zusammen ungleich mehr und ungleich stärker als die Summe aller einzelnen Staaten. Dafür müssen wir enger zusammenrücken.

Der 60. Jahrestag muss deshalb ein Fanal der Hoffnung sein, ein Aufruf, für Europa zu kämpfen. Wir dürfen nicht stumm bleiben, wenn auf das Ende der europäischen Einigung gesetzt wird.

Für Europa kämpfen heißt, unsere gemeinsamen, das heißt: die europäischen Werte zu verteidigen. Wir wollen das Europa zukunftsfähig machen, das uns über Jahrzehnte Freiheit und Stabilität gesichert hat.

Rechtsstaatlichkeit und Demokratie, Solidarität miteinander und Vielfalt untereinander sind die Bausteine des europäischen Projekts. Dafür müssen wir nach außen und genauso nach innen einstehen.

Für Europa kämpfen bedeutet auch, für das Erreichte einzustehen. Ein Rückbau unserer Integration bringt uns nicht weiter. Wir haben gemeinsam die Staatsschuldenkrise überwunden. Wir arbeiten daran, dass alle in der Euro-Zone mit Zuversicht nach vorne schauen können, dass überall neues Wachstum einkehrt und mit mehr Arbeitsplätzen auch neue Perspektiven entstehen. Dafür werden wir die Wirtschafts- und Währungsunion weiter vertiefen müssen. Nicht um uns abzugrenzen, sondern weil wir durch eine gemeinsame Währung wie nie zuvor auf das Engste miteinander verbunden sind.

Wir müssen aber weiter gehen: Die historische Aufgabe, vor der wir jetzt stehen, ist, ein besseres, ein stärkeres Europa zu schaffen. Wir müssen gemeinsam in die Europäische Union investieren und das wichtigste Friedens- und Wohlstandsprojekt unserer Zeit für die Zukunft fit machen. Erstens in der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik: Es ist Zeit, sich von der Vorstellung zu verabschieden, dass wir in Europa nicht selbst die Verantwortung für unsere Sicherheit tragen. Der Satz ist richtig, dass Europa endlich erwachsen werden muss. Die Partnerschaft mit den USA und die Nato sind die Grundpfeiler der transatlantischen Gemeinschaft. Aber die Europäische Union muss in der Lage sein, Krisen und Konflikte in ihrer Nachbarschaft eigenständig zu bewältigen. Erste Schritte sind getan, weitere müssen folgen.

Zweitens brauchen wir einen Schutz europäischer Außengrenzen, der diesen Namen wirklich verdient. Innerhalb Europas haben Grenzen viel von ihrer Bedeutung verloren. Das ist eine großartige Errungenschaft.

Aber starke Außengrenzen sind es auch. Wir sehen, inmitten der Krisen in unserer Nachbarschaft und der Flüchtlingsströme, wie wichtig ein effektiver Schutz unserer Grenzen ist. Wem Schengen lieb ist, dem muss der Schutz der Außengrenzen teuer sein. Manches ist auf den Weg gebracht, aber wir müssen mehr tun. Das ist eine europäische Aufgabe, die alle angeht, nicht nur die am meisten Betroffenen unter uns.

Drittens: Europa muss bei der inneren Sicherheit besser werden. Der Kampf gegen den Terrorismus ist eine gemeinsame Anstrengung. Hier können, hier müssen wir besser werden, durch bessere Zusammenarbeit und mehr Austausch. Die Menschen in Europa sollen keine Angst haben müssen. Sei es in Brüssel, Paris, Berlin oder anderswo - Freiheit und Sicherheit gehen Hand in Hand.

Wir müssen uns viertens viel stärker darauf zurückbesinnen, dass die europäische Verheißung immer auch ein Wohlstandsversprechen war. Der Binnenmarkt hat den meisten Wohlstand beschert, über lange Zeit. Zu viele Menschen in Europa haben aber das Gefühl, dass sie von dem gemeinsamen Europa nicht mehr profitieren, sondern zurückgelassen wurden. Das müssen wir verstehen und gegensteuern. Für Europa kämpfen heißt für mich deshalb, den Binnenmarkt zu stärken und die soziale Dimension des europäischen Projekts ernst zu nehmen. Wir brauchen neue Rahmenbedingungen für Wachstum und Wohlstand.

Dazu gehören europäische Investitionen, in digitale Infrastruktur und in Bildung und Forschung. Wir sind nicht Nettozahler und Nettoempfänger, sondern alle Nettogewinner Europas, wenn es uns gelingt, die Mittel besser zu verwenden. Und gleichzeitig alle bereit sind, die notwendigen Reformen zur Erhaltung ihrer Wettbewerbsfähigkeit anzugehen.

Wir wollen zusammenstehen, damit von Rom das Signal ausgeht: Wir Europäer packen an, wir treten für Europa ein, wir wollen es besser machen! Gelingen wird uns das, wenn wir uns nicht bange machen lassen, wir mutig und selbstbewusst den europäischen Geist wiederbeleben, alle mitnehmen und auch manche nationale Befindlichkeit infrage stellen.

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