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„Die politische Zukunft Europas und die Bedeutung der EU für die Landwirtschaft in Deutschland“ - Rede von Europa-Staatsminister Michael Roth bei der Eröffnung der Landwirtschaftlichen Woche Nordhessen in Baunatal

09.01.2017 - Rede

-- es gilt das gesprochene Wort--

Sehr geehrte Damen und Herren,

Landwirtschaft und Zukunft – für viele wollen diese Begriffe irgendwie nicht so recht zusammen passen. Wie schön, dass Sie heute die vielen Skeptiker da draußen einmal Lügen strafen wollen. Ziemlich häufig werde ich derzeit eingeladen, zu Themen wie „Europa in der Krise“ oder – noch dramatischer – „Europa vor dem Abgrund“ zu sprechen.

Umso mehr freue ich mich, dass wir heute hier in Baunatal mal wieder über die Zukunft Europas sprechen wollen. Das heißt, den Blick nach vorne richten, und weniger über das „ob“, sondern wieder mehr über das „wie“ unserer gemeinsamen Zukunft nachdenken. Und dabei geht es natürlich auch um die Frage, wie die Zukunftsperspektiven für die Gemeinsame Agrarpolitik der EU aussehen können.

Ich könnte es aber auch viel konkreter formulieren: Wie sieht Ihre Zukunft, liebe Landwirtinnen und Landwirte, in der EU aus? Und – noch viel wichtiger – wie wollen wir, dass sie aussieht? Als Kind vom Lande weiß ich um ihre Sorgen. Groß geworden bin ich in einer Familie, zu der zwei Kühe und zwei Schweine, ein großer Nutzgarten, mehrere Wiesen, ein paar Äcker für Getreide, Kartoffeln und Rüben gehörten. Das liegt weit mehr als 30 Jahre zurück. Geblieben ist davon nichts.

Und von meinen Besuchen von landwirtschaftlichen Betrieben und Betriebspraktika bei Milchbauern weiß ich um Ihren Ärger mit der überbordenden Bürokratie, vermeintlich weltfremden Vorschriften und die Sorgen um die Nachfolge auf Ihren Höfen. Ich weiß aber auch, dass Sie mit ganzem Herzen dabei sind, viel Zeit, Kraft und Geld in einen Beruf investieren, der Berufung ist und die ganze Familie fordert. Und das 365 Tage im Jahr.

Entscheidungen der EU betreffen Sie direkt und unmittelbar. In Brüssel spielt für Sie ganz maßgeblich die Musik. Derzeit ist die EU aber in keinem guten Zustand. Oder sollte ich vielleicht besser sagen, da wir ja hier auf einer Landwirtschaftsmesse sind: Der Karren steckt derzeit ziemlich tief im Dreck!

Ohne Zweifel: Europa steht vor gewaltigen Bewährungsproben – ich nenne nur das Thema Flucht und Migration, die unzähligen Krisen und Konflikte in unserer Nachbarschaft, den islamistischen Terror im Herzen Europas, die wirtschaftlichen und sozialen Verwerfungen vor allem im Süden unseres Kontinents und der drohende Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU.

Was nun, Europa? Verfallen wir jetzt alle in kollektive Depression? Überbieten wir uns gegenseitig in Horrorszenarien zum bevorstehenden Zusammenbruch der EU?

Im Gegenteil! Wie wir am besten mit diesen geballten Bewährungsproben umgehen, dabei können wir Politiker tatsächlich etwas ganz Entscheidendes von Landwirtinnen und Landwirten wie Ihnen lernen – nämlich Zusammenhalt und Solidarität.

Jeder Landwirt und jede Landwirtin weiß: Wenn der Karren erstmal ganz tief im Dreck steckt, dann kommt man alleine nicht allzu weit. Dann heißt es: Unterhaken, Anpacken und mit vereinten Kräften die Räder wieder zum Laufen bringen. Und diesen Teamgeist, der in der Landwirtschaft so prächtig funktioniert, brauchen wir in den aktuellen Krisenzeiten auch in der Europapolitik!

Ich gebe es offen zu: Die Frage nach der Zukunft Europa ist derzeit eine echte Eine-Million-Euro-Frage. Denn Europa steht am Scheideweg: Zwischen einem Kontinent, auf dem nationale Egoismen wieder Einzug halten. Oder einem Kontinent, der solidarisch zusammenhält und politisch an einem Strang zieht.

Und ich kann es Ihnen leider nicht ersparen: Es gibt keinen Automatismus, welchen Weg Europa in den kommenden Jahren gehen wird – weder in die eine noch in die andere Richtung. Jetzt liegt es in unserer aller Hand, Europa wieder in die Spur zu bringen!

Ja, und auch Sie können tatkräftig dabei mithelfen, den europäischen Karren wieder aus dem Dreck zu ziehen. Denn insbesondere die deutsche Landwirtschaft ist ja in einem besonderen Maße angewiesen auf eine stabile und handlungsfähige Europäische Union, von der sie in den vergangenen Jahrzehnten so sehr profitiert hat. Es liegt also auch maßgeblich in Ihrem Interesse, dass die EU schnell wieder Tritt fasst.

Einen Fehler sollten wir allerdings in diesen Krisenzeiten nicht machen: Nur weil die aktuellen Aufgaben so gewaltig sind, dürfen wir doch jetzt nicht alle Errungenschaften der europäischen Integration in Frage stellen.

Denn Tatsache bleibt: Die Europäische Union hat uns in den vergangenen Jahrzehnten Frieden, Freiheit und Wohlstand beschert. Sie ist der Rahmen für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit auf unserem Kontinent. Das ist keine pure Selbstverständlichkeit in einer Welt, in der es aktuell 40 bewaffnete Konflikte gibt, die Jahr für Jahr mehr als 170.000 Menschen das Leben kosten.

Dabei dürfen wir niemals vergessen: Unser geeintes Europa war und ist die logische Antwort auf die „Katastrophe des Nationalismus“, von der Francois Mitterrand einmal gesprochen hat. Und jetzt soll die Rückkehr ins nationale Schneckenhaus plötzlich wieder die Lösung für alle Probleme sein? Ich halte das für einen fatalen Trugschluss.

Denn die Saat der europäischen Gründerväter ist doch aufgegangen: Die Europäische Union hat in ihrer Geschichte vieles erreicht, was für vergangene Generationen kaum vorstellbar war – einige von Ihnen werden sich vielleicht noch an andere Zeiten erinnern. Wir alle profitieren Tag für Tag von den Vorzügen der europäischen Integration – und zwar häufig, ohne es uns bewusst zu machen: Durch den freien Waren- und Dienstleistungsverkehr, durch unsere gemeinsame Währung, durch die Möglichkeit, im EU-Ausland zu arbeiten oder zu studieren – ja und in Ihrem konkreten Fall auch durch die Agrarhilfen aus dem EU-Haushalt.

Doch trotz dieser unbestreitbaren Errungenschaften der europäischen Integration stellen viele Bürgerinnen und Bürger, aber eben auch Politikerinnen und Politiker, das Projekt Europa ernsthaft in Frage, sie zweifeln am Sinn und Wert Europas.

Warum ist das so? Ich weiß nicht, wie Sie das empfinden. Aber eine wachsende Zahl von Menschen in unserer immer stärker globalisierten Welt scheint sich zunehmend heimatlos zu fühlen. Viele Menschen haben den Eindruck, dass alles, was ihr Leben lange Jahre ausgemacht hat, nicht mehr gilt oder infrage gestellt wird. Gerade auch in ländlichen Räumen haben viele Menschen angesichts von rascher Globalisierung und Digitalisierung Angst davor, vom rasenden Fortschritt abgehängt zu werden. Andere fürchten, dass es ihren Kindern und Enkeln in einigen Jahren nicht besser, sondern schlechter als heute gehen wird.

Und dann gibt es eben auch ganz konkrete Probleme: Die sozialen Verwerfungen in der EU haben zugenommen. Der Wirtschafts- und Finanzmarktkrise ist eine schwere soziale Krise gefolgt. Nicht nur in Griechenland und Spanien ist die Arbeitslosigkeit junger Leute erschreckend hoch.

Die EU wird heute von vielen leider nicht mehr als Garant für Freiheit und Wohlstand, sondern als Wurzel aller Probleme wahrgenommen. Heute sehen viele in der EU ein intransparentes und übermächtiges Gebilde, das nur noch Krisen produziert und millionenschwere Subventionen verteilt, aber keine konkreten Ergebnisse und Lösungen mehr anzubieten hat.

Sie merken schon: Die EU steht derzeit unter einem gewaltigen öffentlichen Rechtsfertigungsdruck, endlich zu liefern. Und dieser Druck macht – wie Sie alle nur zu gut wissen – auch nicht vor der Gemeinsamen Agrarpolitik Halt. Die Landwirtschaftspolitik war zwar der erste vollständig vergemeinschaftete Politikbereich.

Aber die Anforderungen an eine zukunftsfähige Landwirtschaftspolitik sind doch inzwischen ganz andere als noch in ihrer Gründungszeit in den 1950er und 1960er Jahren.

Nach wie vor ist die Bedeutung der Landwirtschaft in den 28 Mitgliedstaaten ganz unterschiedlich ausgeprägt. In einigen europäischen Ländern und Regionen ist die Landwirtschaft ein nicht unerheblicher Wirtschaftsfaktor und Arbeitgeber, in anderen Teilen Europas spielt sie dagegen ökonomisch faktisch kaum eine Rolle. Das macht es umso schwerer, innerhalb der EU einen gemeinsamen Nenner zu finden. Und Uneinigkeit ist immer noch die größte Reformbremse.

Zudem halten viele Kritiker die derzeitige Agrarpolitik für viel zu kompliziert, ineffizient und wenig nachhaltig – und die breite Bevölkerung versteht schon lange nicht mehr, was da überhaupt geschieht.

In Zeiten knapper Kassen fragen sich immer mehr Menschen: Worin liegt denn eigentlich der konkrete Mehrwert für die Allgemeinheit, wenn rund 40 Prozent der EU-Haushaltsmittel – das entspricht etwa 56 Mrd. Euro pro Jahr – in den Agrarbereich fließen?

Und das obwohl auf die Landwirtschaft doch nur rund fünf Prozent der Wirtschaftsleistung und sieben Prozent der Arbeitsplätze in der EU entfallen. Gleichzeitig fehlt das Geld in anderen Bereichen an allen Ecken und Enden.

Ich habe durchaus Verständnis für diese kritischen Fragen – und auch Sie sollten sie nicht einfach so vom Tisch wischen. Denn diesem öffentlichen Rechtfertigungsdruck müssen sich die Politik und ja, auch Sie als betroffene Landwirtinnen und Landwirte – wohl oder übel stellen. Jede Politik braucht ihre öffentliche Akzeptanz, um eine sichere Perspektive für die Zukunft zu haben – das gilt auch für die Gemeinsame Agrarpolitik.

Die EU hat über die Jahre immer mehr Aufgaben übernommen – gerade in den vergangenen Jahren haben sich die politischen Prioritäten zunehmend auf die wichtigen Bereiche Flucht und Migration, Wachstum und Beschäftigung sowie innere und äußere Sicherheit verschoben.

Europa muss all diese Aufgaben entschlossen angehen. Da stehen in erster Linie die Mitgliedstaaten in der Pflicht, aber eben auch die Europäische Union. Doch dafür müssen diese Aufgaben im Mehrjährigen Finanzrahmen der EU auch entsprechend finanziell unterlegt sein. Das ist derzeit nicht der Fall.

Die Erfahrung zeigt: Es fällt uns in der EU in der Regel leicht, uns auf politische Schwerpunkte zu verständigen. Viel schwieriger ist es aber, Einigkeit darüber herzustellen, welche Bereiche stattdessen stärker in den Hintergrund treten sollen. Auch die EU war bislang nicht sonderlich gut darin, bestehende Ausgaben in Frage zu stellen.

Der Brexit zwingt uns nun allerdings zu diesem notwendigen Schritt. Denn mit dem Austritt des Vereinigten Königreichs – aktuell der zweitgrößte Nettozahler in der EU – werden im EU-Haushalt auf einen Schlag rund 13 Milliarden Euro pro Jahr fehlen, die – wie Sie sich vorstellen können – natürlich kein anderer Mitgliedstaat einfach so übernehmen will.

Fakt ist also: Das alles so bleibt wie es ist, wird nicht funktionieren. Das bedeutet zwangsläufig harte Verteilungskämpfe: Wir müssen nicht nur entscheiden, wo wir zukünftig unsere politischen Schwerpunkte setzen wollen. Wir müssen auch zwingend klären, in welchen Bereichen wir dann weniger ausgeben wollen.

Eines kann ich Ihnen schon jetzt voraussagen:

Nach dem Brexit, spätestens aber bei den nächsten Verhandlungen über den nächsten Mehrjährigen Finanzrahmen der EU für die Zeit nach 2020 werden alle Ausgaben knallhart auf den Prüfstand gestellt werden – und davon wird selbstverständlich auch die Gemeinsame Agrarpolitik nicht verschont bleiben.

Und die Fragen werden dann sehr bohrend werden: Wie können die Mittel aus dem EU-Haushalt künftig noch zielgerichteter verwendet werden, damit sie konkrete Ergebnisse zum Vorteil aller Bürgerinnen und Bürger liefern? Wie können wir sicherstellen, dass die EU künftig noch viel stärker nachhaltige Investitionen in die Zukunft Europas tätigt als nur die Vergangenheit zu subventionieren? Bedarf es gegebenenfalls einer Kofinanzierung der Agrarpolitik durch die Mitgliedstaaten? Und was hieße das im föderalen Deutschland für den Bund und die Länder?

Auf diese schwierigen Debatten muss die europäische Landwirtschaft vorbereitet sein: mit überzeugenden Argumenten, aber auch mit einer ordentlichen Portion Reform- und Innovationsbereitschaft. Selbstverständlich weiß ich: Nicht wenige von Ihnen sind der ständigen Reformen müde. Aber das schlimmste wäre, wenn sie sich jetzt enttäuscht oder gar verärgert zurückzögen. Diese Debatte findet statt. Garantiert. Ich will sie aber mit Ihnen, nicht gegen Sie führen.

Zunächst einmal müssen wir der breiten Bevölkerung viel deutlicher machen, worin der konkrete Mehrwert einer modernen, nachhaltigen Landwirtschaftspolitik liegt. Und die Grundstimmung ist dafür doch eigentlich recht positiv:

Viele Verbraucherinnen und Verbraucher haben inzwischen ein gesteigertes Bewusstsein für Nachhaltigkeit. Bio- und regionale Produkte liegen voll im Trend – übrigens auch in meinem Kühlschrank!

Genau da müssen wir ansetzen: Denn es geht dabei doch um die Lebensbedingungen vor unserer Haustür und unsere Lebensmittel. Und das betrifft jeden von uns! Eine Ihnen sicher alle bekannte Bauernweisheit besagt: „Was der Bauer nicht kennt, das (fr)isst er nicht.“ Und immer mehr Verbraucherinnen und Verbraucher sehen das inzwischen erfreulicherweise genauso.

Und dabei geht es doch nicht um die absurde Phantomdebatte, ob das vegane Schnitzel nun noch Schnitzel heißen darf oder nicht. Da habe ich mich über unseren Bundeslandwirtschaftsminister schon sehr gewundert. Im Kern geht es um etwas anderes:

Heute wollen immer mehr Verbraucherinnen und Verbraucher genau wissen, woher ihre Lebensmittel kommen und welche Inhaltsstoffe sie enthalten. Aber sind sie auch bereit, dafür etwas mehr zu zahlen?

Unser Ziel muss es also sein, eine nachhaltige, regional ausgerichtete und ressourcenschonende Landwirtschaft zu fördern. Nur so kann die Herstellung von Lebensmitteln den Anforderungen einer gesunden, ausgewogenen und qualitativ hochwertigen Ernährung standhalten. Dabei geht es um artgerechte Tierhaltung, um den Schutz der Böden, Gewässer und den Erhalt der Artenvielfalt. Das ist gut im doppelten Sinne: Gut für die landwirtschaftlichen Betriebe, aber auch gut für Mensch und Natur.

Welche Rolle kann die EU dabei spielen? Als eine der führenden Wohlstandsregionen der Welt sollte die EU den Anspruch haben, auch im Bereich der Landwirtschafts- und Ernährungspolitik eine globale Vorreiterrolle einzunehmen.‎ In den Bereichen Nachhaltigkeit, Klima-, Umwelt- und Tierschutz sowie gesunde Ernährung müssen wir noch viel konsequenter voranschreiten. So können wir neue Maßstäbe setzen, die auch anderswo in der Welt Beachtung – und mittelfristig hoffentlich auch Nachahmer – finden.

Freihandelsabkommen eröffnen uns die Chance, globale Standards zu definieren, die sich maßgeblich an europäischen Prinzipien und Werten orientieren. Solche Abkommen sind daher Instrumente, mit denen wir die Globalisierung aktiv mitgestalten können. Diese Chance sollten wir im Agrarbereich nicht verstreichen lassen!

Aber Freihandelsabkommen stehen auch in der öffentlichen Kritik. Das erleben wir bei TTIP und CETA. Für viele Bürgerinnen und Bürger ist nur ein fairer Handel auch ein freier Handel. Die Handelsabkommen mit afrikanischen Staaten sind in den Augen vieler Expertinnen und Experten aber unfair.

Europäische Produkte, auch Lebensmittel, überfluten die afrikanischen Märkte und drohen dort den Aufbau einer eigenständigen und wettbewerbsfähigen Landwirtschaft zu gefährden. Angesichts von 65 Millionen Flüchtlingen weltweit brauchen Menschen aber in ihren Heimatländern wirtschaftliche und soziale Perspektiven. Das ist auch in unserem Interesse, denn wir alle wollen doch die Ursachen von Flucht, nicht aber Flüchtlinge bekämpfen.

Wir befinden uns gerade mitten in einer Zeit der großen Strukturumbrüche – und dabei kann auch die Landwirtschaft nicht außen vor bleiben. Nachhaltigkeit braucht eben auch Wandel.

Ohne die Bereitschaft, festgefahrene Positionen zu überdenken und die Landwirtschaft auf eine neue Grundlage zu stellen, wird es schwer werden, bei den politischen Debatten und Entscheidungen der kommenden Jahre nicht unter die Räder zu kommen und von der massiven Kritik überrollt zu werden.

Das Jahr 2017 gibt den Startschuss für die weiteren Reformdebatten der kommenden Jahre. Im Sommer 2017 wird die EU-Kommission voraussichtlich ihre Pläne für eine Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik vorlegen. Spätestens bis zu den Verhandlungen über den nächsten EU-Finanzrahmen ab 2020 wird dann klar sein, wohin die Reise gehen soll.

Lassen Sie mich drei Punkte benennen, bei denen ich einen besonderen Reformbedarf sehe:

Erstens müssen wir das komplizierte Förderrecht im Agrarbereich deutlich vereinfachen. Im Rahmen der Halbzeitüberprüfung des Mehrjährigen Finanzrahmens wird derzeit auf EU-Ebene darüber beraten, wie die vier der Gemeinsamen Agrarpolitik zugrundeliegenden Basisrechtverordnungen sowie die ergänzenden Fachverordnungen entsprechend überarbeitet werden können.

Unser Ziel muss es sein, die rechtlichen Grundlagen der Gemeinsamen Agrarpolitik so auszugestalten, dass sie effizienter und praktikabler sind und der Verwaltungsaufwand für die Landwirte und nationalen Behörden möglichst gering bleibt. Bei all dem soll am Ende das Leitbild eines modernen, transparenten und nachhaltigen Förderrahmens stehen, der das Leben der Landwirte erleichtert und unnötige Bürokratie abbaut.

Zweitens werbe ich dafür, dass wir die Gemeinsame Agrarpolitik Schritt für Schritt zu einer Gemeinsamen Nachhaltigkeitspolitik für Landwirtschaft und Ernährung weiterentwickeln.

Klar ist: Ein Finanzierungssystem nach dem altbewährten Prinzip „Förderung nach Hektar“ ist heute nicht mehr zeitgemäß und durchsetzbar. Momentan wird der Großteil der Direktzahlungen noch ohne besondere Auflagen direkt an die Landwirte ausgezahlt. Nur etwa 30 Prozent der Agrarhilfen sind dagegen an die Erfüllung konkreter Umwelt- und Klimaauflagen geknüpft.

Diesen Einstieg in das so genannte „Greening“ müssen wir aus meiner Sicht konsequent weitergehen und die Agrarhilfen künftig noch viel strenger an Auflagen zum Klima- und Umweltschutz sowie Tierwohl binden.

Für ein solches reformiertes Finanzierungskonzept nach dem Prinzip „Öffentliches Geld nur für öffentliche Aufgaben“ wird sich auch viel leichter gesellschaftliche Akzeptanz finden lassen, da so der konkrete Mehrwert der Agrarhilfen für alle Bürgerinnen und Bürger klarer ersichtlich wäre.

Drittens: Eine weitere Überlegung wäre es, wenn die EU-Fonds im Bereich der ländlichen Entwicklung in einem gemeinsamen Förderprogramm zusammengefasst würden. Wer kann denn außer den Fachleuten da draußen noch den Unterschied zwischen den beiden Fonds EFRE und den ELER erklären? Wäre es nicht sinnvoller, wenn sich die GAP künftig ausschließlich um den Agrarsektor kümmerte und alles Weitere in einem gesonderten „Regionenprogramm“ gebündelt würde? Diese Frage stelle ich hier einfach mal so in den Raum.

Mir ist bewusst, dass ich Ihnen mit meiner heutigen Rede einiges zugemutet habe. Ich weiß um das schwierige wirtschaftliche Umfeld, in dem sich die deutsche Landwirtschaft weiterhin befindet.

Und ich weiß ebenso, dass Reformen in den landwirtschaftlichen Betrieben immer auch mit kostspieligen Investitionen und finanziellen Einbußen verbunden sind.

Vielleicht bin ich ja ein Berufsoptimist. Aber ich glaube immer noch an das Wohlstandsversprechen der EU, auch wenn es zuletzt einige Risse bekommen hat. Und ich glaube auch daran, dass es in der Zukunft einen gesicherten Platz für die europäische Landwirtschaft gibt. Aber ein Selbstläufer wird das eben nicht – das wird nur durch Ihr tatkräftiges Zutun gelingen.

Mich würde freuen, wenn mir heute eines gelungen ist:

Nämlich Ihnen zu zeigen, dass die Gemeinsame Agrarpolitik zwar einer der ältesten vergemeinschafteten Politikbereiche ist, dass sie aber trotzdem immer noch ein Zukunftsprojekt für die EU sein kann – wenn Sie denn bereit sind, neue Wege zu gehen und auf die Fragen vieler Bürgerinnen und Bürger überzeugende Antworten finden.

Lassen Sie uns gemeinsam unter Beweis stellen: Landwirtschaft und Zukunft – das kann eben doch zusammenpassen.

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