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„Eine Chance, die es so noch nicht gegeben hat“

10.03.2016 - Interview

Interview mit Außenminister Frank-Walter Steinmeier, erschienen in der Rhein-Neckar-Zeitung (10.03.17). Themen: Syrien und das EU-Türkei-Treffen.

Interview mit Außenminister Frank-Walter Steinmeier, erschienen in der Rhein-Neckar-Zeitung (10.03.17). Themen: Syrien und das EU-Türkei-Treffen.

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Neue Runde der Friedensgespräche für Syrien in den kommenden Tagen. Herr Steinmeier, überwiegt bei Ihnen eher Optimismus oder Pessimismus?

Nach fünf Jahren Krieg, nach hunderttausenden Toten und Millionen Flüchtlingen kann man gar nicht optimistisch sein. Trotzdem eröffnet die seit über zehn Tagen in großen Teilen bestehende Waffenruhe vielleicht eine Chance, die es so noch nicht gegeben hat, jetzt auch Fortschritte hin zu einer politischen Lösung für Syrien und einem Ende des blutigen Bürgerkriegs zu erreichen. Allen Seiten muss inzwischen klar sein, dass dieser Konflikt nicht militärisch zu gewinnen ist, für niemanden.

Was müssen die nächsten substanziellen Schritte sein?

Der Waffenstillstand hält auf Dauer nur, wenn wir auch bei der politischen Lösung des Konflikts vorankommen. Der Weg dorthin ist ehrgeizig: die Bildung einer Übergangsregierung, eine Verfassungsreform und Neuwahlen, all das innerhalb von 18 Monaten. Klar ist: Nach so vielen Jahren Terror, Gewalt und tiefstem Misstrauen kann es von heute auf morgen keine Einigung geben. Deshalb ist es wichtig, dass es gleichzeitig konkrete Schritte gibt, die wieder Vertrauen schaffen können: die Freilassung von Gefangenen etwa, und eine weitere Verbesserung des humanitären Zugangs - vor allem die medizinische Versorgung wird immer noch an vielen Orten blockiert.

Welchen politischen Beitrag erwarten Sie von den arabischen Staaten?

Die Erfahrungen haben gezeigt: Fortschritte gibt es in Syrien nur dann, wenn alle, die USA und Russland und gerade auch die Nachbarstaaten an Bord sind und gemeinsam den Druck auf die Konfliktparteien aufrechterhalten. Saudi-Arabien spielt eine positive Rolle dabei, die Opposition zusammenzubringen und zusammenzuhalten. Das ist gut und wichtig. Es kommt jetzt darauf an, dass alle Seiten der Versuchung widerstehen, sich wieder einseitig mit Waffengewalt kurzlebige Vorteile erkämpfen zu wollen.

Braucht es einen „Marschall-Plan“ für den Nahen Osten? Was werden hier die EU und die USA leisten müssen?

Ganz klar: Es darf nie wieder passieren, dass Essensrationen gestrichen werden und Menschen hungern, weil den Hilfsorganisationen vor Jahresende das Geld ausgeht. Immerhin können wir inzwischen feststellen, dass die Weltgemeinschaft aufgewacht ist. Deutschland hat dabei eine Führungsrolle übernommen. Sei es bei der Geberkonferenz in New York im vergangenen Jahr oder bei der Konferenz in London, wo über 10 Milliarden Euro für die Versorgung der Flüchtlinge in der Region zur Verfügung gestellt wurden. Davon hat Deutschland mit 2,3 Milliarden Euro die größte Zusage gemacht.

Die Position von Diktator Assad hat sich in den vergangenen Wochen gestärkt. Geht in Syrien auch in Zukunft doch nichts ohne ihn?

Nach all dem Hass, dem Morden und der Zerstörung, nach hunderttausenden Toten ist Assad sicher nicht der Mann, der Syrien wieder zusammenführen kann. Ich glaube, das ist auch den Staaten bewusst, auf die sich sein Regime abstützt. Wie viele Wochen oder Tage könnte sich Assad wohl ohne die Unterstützung von Außen an der Macht halten? Wenn es tatsächlich eine Verständigung zwischen Regime und Opposition und Einigkeit unter den regionalen und internationalen Akteuren über die politische Zukunft des Landes gibt, wird auch die Personalie Assad nicht unlösbar sein.

Erdogan schlägt vor, in Nordsyrien Flüchtlingsstädte für Rückkehrer zu bauen. Was halten Sie von der Idee? Ist das ein Versuch der Türkei, ihre Einfluss-Sphäre über die türkisch-syrische Grenze hinweg auszudehnen?

Die Türkei hat über 2,5 Millionen syrische Flüchtlinge aufgenommen, eine enorme humanitäre Leistung. Wenn es gelingt, die Waffenruhe in Syrien zu verfestigen und zumindest in Teilen des Landes die nötige Sicherheit herzustellen, damit ein Wiederaufbau beginnen kann und Flüchtlinge zurückkehren können, wäre das nicht nur für die Türkei eine große Entlastung. Es wäre auch das, was sich die Mehrheit der Flüchtlinge am sehnlichsten wünscht. Niemand möchte freiwillig sein eigenes Land verlassen.

Merkel hält den zurückliegenden EU-Türkei-Gipfel für einen Durchbruch. Ist das nicht sehr optimistisch angesichts der mageren Ergebnisse?

Viele Partner in Europa und nicht zuletzt mancher Quertreiber in Deutschland haben in den vergangenen Monaten gesagt: eine europäische Lösung ist illusorisch, das wird nicht funktionieren. Die Ergebnisse des gestrigen Gipfels zeigen aber doch: Eine europäische Lösung ist machbar. Wir reduzieren die illegale Migration, wir helfen Griechenland, statt es auszugrenzen, und wir gehen voran bei der Entwicklung eines europäischen Asylsystems, so wie die SPD es seit letztem Sommer einfordert.

Es zeigt sich immer deutlicher, dass die Türkei der EU die Bedingungen diktieren kann, am längeren Hebel sitzt. Ist es strategisch klug, sich vom Wohlwollen Erdogans abhängig zu machen?

Wenn ich als Außenpolitiker nur mit Partnern zusammenarbeiten würde, mit denen wir null Differenzen haben, dann hätte ich wohl mehr Zeit, unsere hervorragenden Beziehungen zu Luxemburg zu pflegen. Aber die Welt ist komplizierter und leider weniger schön, als wir uns das wünschen. Fakt ist doch: Wenn wir die gefährlichen Migrationsrouten nach Europa eindämmen wollen, müssen wir mit der Türkei zusammenarbeiten. Das heißt übrigens nicht, dass wir nach dem Motto „Augen zu und durch“ fahren - Defizite bei Pressefreiheit und Menschenrechten sprechen wir offen an. Mit der Türkei führen wir immer schon einen kritischen Dialog.

Gerade hier tut sich Erdogan mit westlichen Standards doch aber schwer. Warum sollte die EU die Hand auch noch für weitere Beitrittsverhandlungen reichen?

Über das Verständnis von Freiheitsrechten müssen wir uns mit der Türkei offen unterhalten, wie wir das auch jetzt schon tun. Gerade die Eröffnung neuer Verhandlungskapitel bietet doch die Chance, mit der Türkei zu Fragen von Rechtsstaatlichkeit und Justizverfassung intensiv ins Gespräch zu kommen.

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Interview: Alexander R. Wenisch.

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