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„Wir müssen daran arbeiten, dass weniger Flüchtlinge zu uns kommen“

16.10.2015 - Interview

Außenminister Frank-Walter Steinmeier im Interview mit der Bild (16.10.2015) zu seiner bevorstehenden Reise nach Iran, Saudi-Arabien und Jordanien.

Außenminister Frank-Walter Steinmeier im Interview mit der Bild (16.10.2015) zu seiner bevorstehenden Reise nach Iran, Saudi-Arabien und Jordanien.

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Kanzlerin Merkel hat kürzlich gesagt: „Wir müssen uns stärker einmischen. Außen- und Innenpolitik verschwimmen immer mehr.“ Warum mischt sich Deutschland nicht stärker ein?

Gut, dass Sie so herum fragen. Das tun wir - im Rahmen unserer Möglichkeiten, und bei ganz wichtigen Fragen auch ganz vorne: Wir vermitteln im Ukraine-Konflikt, haben das Atom-Abkommens mit dem Iran mitverhandelt ...

... aber in Syrien schaut der Westen dem Gemetzel seit vier Jahren zu. Kann es sein, dass wir uns dafür eines Tages schämen werden, so wie für unser Nichtstun bei den Massakern in Ruanda und Srebrenica?

Es ist mein Verständnis von Außenpolitik, dass man einen Versuch unternimmt, einen Konflikt zu entschärfen - und wenn der scheitert, dann noch einen. Und noch einen... Da sind wir derzeit. Die Lage ist brandgefährlich und äußerst kompliziert. Und dennoch engagieren wir uns im Kampf gegen ISIS – auch mit der Ausrüstung kurdischer Peschmerga-Kämpfer im Irak, übrigens mit gutem Erfolg.

... und gleichzeitig bombt Russlands Präsident Putin in Syrien weiter an der Seite des syrischen Diktators und Massenmörders Assad ...

Das Eingreifen Russlands in Syrien hat die Situation ungleich komplizierter gemacht. Das ändert aber nichts an der Einsicht, dass eine Lösung ohne Russland nicht möglich ist - und gegen Russland schon gar nicht! Deswegen bleibt es dabei: Wir müssen weiter auch mit Moskau reden - sonst sehe ich keine Chance auf Frieden.

Für Sie ist Putin also Teil einer Lösung - tatsächlich aber bombardiert er die moderaten Rebellen. Sind Sie auf ihn hereingefallen?

Wir sind nicht naiv. Russland verfolgt eigene Interessen. Allerdings glaube ich nicht, dass dieser Kurs Moskaus auf Dauer erfolgreich sein kann. Sich die arabisch-sunnitischen Massen und Mächte zu Gegnern zu machen, sich in Syrien militärisch so zu exponieren, das alles scheint mir hochriskant.

Assad setzt Fassbomben und Giftgas gegen Zivilisten ein. Wie gehen Sie mit diesem Grauen um?

Keine Frage: Das ist unerträglich. Aber es macht keinen Sinn, jetzt den Eindruck zu erwecken, wir könnten diese furchtbare Tragödie rasch beenden. Egal was wir tun: Wenn wir die Verantwortlichen der am Konflikt Beteiligten, in Syrien und aus der Region, nicht ins Boot kriegen, dann funktioniert es nicht.

Heißt?

... dass wir die USA und Russland, aber auch die Türkei, Saudi-Arabien und Iran mit an einen Tisch bekommen müssen, um eine Roadmap zur Beendigung des Krieges zu vereinbaren.

Und am Ende mordet sich Assad wieder mit an den Verhandlungstisch. Könnten Sie sich wirklich vorstellen, dem Diktator aus Damaskus am Ende wieder die Hand zu geben?

Das wird nicht nötig sein. Aber Realpolitik bedeutet, nicht nur nach Gut und Böse zu urteilen, sondern das Machbare zu tun und zwischen Sein und Sollen unterscheiden zu können. Assad ist ein Machtfaktor, solange er Unterstützung aus Moskau und Teheran erhält. Deshalb spricht der UNO-Sondergesandte de Mistura im Namen der Weltgemeinschaft mit Assads Regierung und auch mit ihm persönlich.

Warum ist es nicht möglich, eine Flugverbot-Zone über Syrien einzurichten, um Zivilisten zu schützen?

Die Türkei hat ein Recht auf sichere Grenzen. Aber eine Flugverbot-Zone müsste am Boden tatsächlich durchsetzbar sein und vom Weltsicherheitsrat beschlossen werden. Ich kann nicht erkennen, dass Russland jetzt einem solchen Schritt zustimmt.

Die Kanzlerin reist am Wochenende in die Türkei, Sie nach Teheran und Riad – Erdogan, Saudis und Mullahs: Haben wir wirklich die richtigen Freunde?

Außenpolitik heißt nicht, in der Kuschelzone zu verharren und sich mit Bündnispartnern einig zu sein über das, was richtig wäre. Es geht auch gar nicht darum, wen wir mögen und wen nicht. Sondern darum, wer einen Beitrag dazu leisten kann, einen Konflikt zu entschärfen. Ob wir das wollen oder nicht: Da sitzen wichtige Akteure nun mal in Ankara, Riad und Teheran.

In Saudi-Arabien und im Iran werden Menschen für geringe Vergehen ausgepeitscht, geköpft und gekreuzigt. Kann uns das wirklich egal sein?

Wem wäre das egal? Mir ganz gewiss nicht! Ich spreche diese Fragen bei jedem Besuch offen an. Aber auch hier gilt: Wir können uns nicht immer aussuchen, mit wem wir reden. Eine Verweigerung jeden Dialogs würde nichts besser machen. Sicher auch die Lage der Menschenrechte nicht.

Keine schnelle Lösung im Syrien-Konflikt - das heißt auch, dass weitere Flüchtlingsströme zu uns kommen. Wie lange halten wir das aus?

Auch wenn in diesem Jahr vielleicht eine Million Flüchtlinge zu uns kommen sollten, werden wir das hinbekommen. Über mehrere Jahre wird das aber nicht gehen. Auch deswegen müssen wir daran arbeiten, dass weniger kommen.

Die Flüchtlingsfrage spaltet die Koalition und die Union. Ist das Thema für Kanzlerin Merkel das, was die Agenda 2010 damals für Kanzler Schröder war?

Es gibt für jede Regierung Situationen, die vorher nicht planbar sind - und dann alles überlagern. 2003 und 2004 war das die hohe Arbeitslosigkeit und das geringe Wirtschaftswachstum, auf die wir damals mit der Agenda 2010 reagiert haben ...

... und für die Gerhard Schröder sein Amt riskiert - und verloren hat. Geht Angela Merkel dieses Risiko auch ein?

Ich glaube, jedem in der Regierung ist klar, dass wir daran gemessen werden, dieses Problem in den Griff zu bekommen.

Interview: B. Anda, R. Kleine und J. Reichelt. Übernahme mit freundlicher Genehmigung der Bild.

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