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„Pegida hat im Ausland viel Schaden angerichtet“

25.01.2015 - Interview

Außenminister Frank-Walter Steinmeier im Interview zu Deutschlands Beziehungen zu Israel, zur Lage im Nahen Osten und zu ‚Pegida‘, erschienen in der „Bild am Sonntag“ vom 25. Januar 2015.

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Können sich Juden in Deutschland 70 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz sicher fühlen?

Ja, das können sie, und es ist unsere Verpflichtung, genau das zu gewährleisten. Niemals wieder dürfen wir zulassen, dass Angehörige jüdischen Glaubens bei uns gefährdet sind.

In Deutschland haben während des Gaza-Konflikts arabisch stämmige Demonstranten „Juden ins Gas“ skandiert. Hat die offene Anti-Israel-Hetze auf deutschen Straßen unser Verhältnis zu Israel belastet?

Das Vertrauensverhältnis zwischen Deutschland und Israel ist über die letzten Jahrzehnte gewachsen. Die Deutschen haben gelernt, dass das monströse Verbrechen der Shoa für immer die Beziehung unserer beiden Staaten prägen wird. Ich bin dankbar, dass der Austausch zwischen Deutschen und Israelis stetig wächst. Für viele junge Deutsche ist die faszinierende Metropole Tel Aviv ein beliebtes Reiseziel. Und Tausende Israelis kommen jährlich nach Deutschland. In Berlin leben immer mehr junge Israelis und beleben unsere Hauptstadt. Einige wählen Deutschland sogar als ihre – vielleicht auch nur vorübergehende - Heimat. Wer hätte das nach unserer schrecklichen Geschichte für möglich gehalten?

Der Vorsitzende des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, stellt eine wachsende Verunsicherung unter den Juden fest. Was muss der deutsche Staat tun?

Kurzfristig müssen wir Antisemitismus mit konsequentem Einsatz aller rechtsstaatlichen Mittel in die Schranken weisen. Wir Politiker tragen vor allem die Verantwortung dafür, dass die jüngeren Generationen den millionenfachen Mord an Juden nicht vergessen. Langfristig, und das ist die viel schwierigere Aufgabe, müssen wir verhindern, dass sich Antisemitismus in den Köpfen junger Menschen einnistet. Dem können wir entgegentreten durch das Wachhalten der Erinnerung und durch Bildung, und vor allem durch Möglichkeiten zur Begegnung.

Wie haben Sie Ihrer Tochter das besondere Verhältnis zu Israel erklärt?

Meine Tochter ist zum Glück frühzeitig im Schulunterricht mit der Verantwortung konfrontiert worden, die wir für die Verbrechen von Nazi-Deutschland tragen. Es bleibt die Pflicht der Eltern, ihren Kindern zu vermitteln, dass es keinen Schlussstrich geben kann. Wir können uns glücklich schätzen, dass wir nach den Untaten des Dritten Reiches, nach 70 Millionen Toten im Zweiten Weltkrieg und sechs Millionen ermordeten Juden im Kreis der Völkergemeinschaft wieder aufgenommen worden sind, auch heute noch.

Und jetzt demonstrieren bei Pegida Zehntausende gegen Zuwanderung und für Ausgrenzung von Menschen...

Mich nervt diese Attitüde von Pegida, die behauptet, man dürfe in Deutschland nicht alles sagen oder niemand würde einem zuhören. Das ist schlicht nicht wahr. Das dient doch letztlich nur als Vorwand, um mit unsinnigen Forderungen Ängste zu schüren. Dazu gehört leider auch Hetze gegen Ausländer und Muslime.

Welche Wirkung haben die Demonstrationen im Ausland?

Bei uns wird unterschätzt, welchen Schaden die fremdenfeindlichen und rassistischen Sprüche und Plakate der Pegida schon jetzt angerichtet haben. Ob wir das wollen oder nicht: Gerade bei diesen Fragen blickt die Welt mit großer Aufmerksamkeit nach Deutschland. Wir werden immer wieder klar machen, dass Pegida eben nicht die schweigende Mehrheit ist und Deutschland ein weltoffenes Land ist und bleibt, das Anteil nimmt und nicht wegschaut, wenn Millionen Menschen zur Flucht gezwungen werden.

Sie werden bei Ihren Auslandsreisen auf Pegida angesprochen?

Ja, ich werde ständig darauf angesprochen. In vielen Ländern wird das, was sich auf unseren Straßen abspielt, sehr genau verfolgt. Umso wichtiger ist es, dass wir klar und deutlich sagen: Pegida spricht nicht für Deutschland.

Wie soll sich die deutsche Politik verhalten - mit Pegida reden oder ignorieren?

Ich rede mit Menschen, die enttäuscht sind, Sorgen haben und sich benachteiligt fühlen, so wie das viele andere Politiker auch tun. Aber ich habe keine Lust, mit den selbst ernannten Funktionären zu sprechen. Es gibt Verunsicherung bei den Bürgern. Aber warum ziehen die Pegida-Organisatoren ausgerechnet mit dem Thema „Asyl“ in den Kampf? Es ist eben einfacher mit dem Schlagwort „Asyl“ verunsicherte Menschen zu mobilisieren als mit komplizierten Themen wie fehlender Infrastruktur oder alternder Gesellschaft.

Am Dienstag wird zum 70. Mal der Befreiung von Auschwitz durch die Rote Armee gedacht. Russlands Präsident Wladimir Putin ist nicht dabei. Ist das wegen des Ukraine-Konflikts richtig?

Auschwitz ist von der Roten Armee befreit worden. Ich bin mir sicher, dass dieser Tag für Russland von großer Bedeutung ist. Aber wer für welchen Staat an den Feierlichkeiten teilnimmt, müssen wir nicht kommentieren. Ich bin mir sicher, dass das nichts mit dem aktuellen Konflikt in der Ukraine zu tun hat. Der 27. Januar ist für Deutschland ein Tag der Schande. Deutschland bekennt sich zu seiner historischen Verantwortung für den Holocaust und die Verbrechen der Nazis an Millionen von Menschen in Polen, in der ehemaligen Sowjetunion und anders wo.

Die Sicherheit Israels sei Teil der deutschen Staatsräson, hat die Kanzlerin 2008 erklärt. Heißt das, Deutschland müsste auch Soldaten schicken, wenn Israel angegriffen wird?

Deutschland steht vor dem Hintergrund seiner Geschichte in einer einzigartigen Beziehung zu Israel und trägt besondere Verantwortung für die Existenz und Sicherheit des jüdischen Staates. Das ist Kern unseres Selbstverständnisses und stets die Grundlage unserer Beziehungen mit Israel und unserer Politik in der Region. Und ich denke, Israel weiß, dass Deutschland immer zu seiner Verantwortung stehen wird.

Eine Lösung im Nahostkonflikt ist nicht in Sicht. Was muss passieren?

Wir brauchen nach den Wahlen in Israel einen neuen Anlauf für Friedensgespräche zwischen Israelis und Palästinensern. Es ist eine trügerische Hoffnung, dass die Wahrung des Status Quo auf Dauer Sicherheit für Israel bieten kann. Wenn sich nichts ändert, wird der vierte Gaza-Krieg sicher nicht der letzte gewesen sein. Wir brauchen einen dauerhaften Waffenstillstand zwischen Israel und Gaza, der den Weg bahnt für einen Wiedereinstieg in ernsthafte Gespräche über die Zwei-Staaten-Lösung. Ich hoffe sehr, dass die Amerikaner einen neuen Anlauf starten. Dabei können sie auf die volle Unterstützung Europas setzen.

Im Nahen Osten ist die Terrormiliz ISIS auf dem Vormarsch. Wie gefährlich ist das für Israel?

ISIS ist eine Terrorbande, die Barbarei und Sklaverei in den Nahen und Mittleren Osten zurückgebracht hat. Ganze Dörfer wurden dem Erdboden gleich gemacht, Frauen vergewaltigt, Geiseln geköpft. ISIS will die Vorherrschaft in der islamischen Welt und die Errichtung eines Kalifatstaates. Bedroht sind vor allem die islamischen Staaten selbst. Doch auch wenn Israel gegenwärtig nicht im Fokus der ISIS-Gewalt steht, sind die Entwicklungen in der Region mit Bürgerkrieg und Chaos langfristig auch eine Gefahr für Israel. Auch deshalb müssen wir die Ausbreitung von ISIS stoppen.

Interview: Angelika Hellemann und Miriam Hollstein. Übernahme mit freundlicher Genehmigung der Bild am Sonntag.

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