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Rede von Bundesaußenminister Steinmeier in der Haushaltsdebatte des Deutschen Bundestages, 28.11.2007

28.11.2007 - Rede

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten!

Ich hoffe, man sieht es nicht; aber ich bin erst vor wenigen Stunden aus Annapolis zurückgekommen. Ich will Sie wahrhaftig nicht mit einem Ergebnisrapport behelligen, zumal Sie das meiste schon über die Medien zur Kenntnis genommen haben. Weil aber die Vorberichterstattung so überaus skeptisch war, gehe ich davon aus, dass Sie vielleicht an einigen ergänzenden Einschätzungen von jemandem interessiert sind, der das Geschehen vor Ort verfolgt hat.

Ich will einleitend sagen: Ja, es stimmt, bisher sind alle Bemühungen um Frieden und Stabilität im Nahen Osten gescheitert. Das ist richtig. Deshalb sind wir gut beraten, wenn wir mit Realismus und Augenmaß an die Bewertung der zukünftigen Prozesse nach der Annapolis-Konferenz herangehen. Das alles ist richtig.

Dennoch sage ich jenseits aller professionellen Routine, die wir gerade auch in der Außenpolitik brauchen: Wer während der Konferenz einmal einen Blick in das große Rund der 45 teilnehmenden Staaten werfen konnte, wer gesehen hat, wie viele Vertreter von Staaten, die untereinander nicht einmal diplomatische Beziehungen haben, die ihren Kriegszustand nicht beendet haben, beieinandersaßen, wer sich klarmacht, dass aus den gleichen Gründen, wie eben referiert, viele Vertreter der israelischen Delegation, die zahlreich angetreten war, ihre arabischen Gesprächspartner überhaupt nicht kannten, keine Direktgespräche mit diesen geführt hatten und natürlich erst recht kein Beziehungsnetzwerk zu den arabischen Kollegen hatten, wer die wirklich bewegenden Reden von Präsident Abbas und Ministerpräsident Olmert hat hören können, der weiß: Diese Konferenz war alles in allem ein Ereignis jenseits von außenpolitischer Alltagsroutine. Das war gerade nicht diplomatischer Alltag. Bei aller Abgeklärtheit und aller Unübersichtlichkeit der internationalen Konfliktlage, die nicht zu leugnen ist – auf einige Stichworte komme ich zurück –, sollten wir die Außergewöhnlichkeit dieses Ereignisses, Herr Paech, am Ende dennoch wahrnehmen.

„Wahrnehmen“ heißt ja nicht, schon jetzt daranzugehen, das Ereignis selbst zu verklären. Es bleibt natürlich dabei: Es gibt auch nach der Konferenz von Annapolis keine Garantie für das Gelingen – so wenig wie bei früheren Versuchen. Aber – das ist entscheidend – in den nahöstlichen Friedensprozess ist wieder Bewegung gekommen. Schon das ist gut.

Was den jetzt begonnenen Friedensversuch im Nahen Osten von früheren Versuchen unterscheidet, sind aus meiner Sicht fünf Dinge:

Erstens: die Ernsthaftigkeit der Bemühungen beider Konfliktpartner in Palästina und in Israel. Wenn Sie in den letzten Wochen genau darauf geachtet haben, konnten Sie feststellen: Die Konfliktpartner haben im Unterschied zu früheren Situationen nicht eine Konferenz durch Dritte vorbereiten lassen, sondern selbst aktiv durch Eigeninitiative an der Vorbereitung dieser Konferenz mitgewirkt.

Zweitens: Wer auch immer in Palästina Verantwortung trug, war mit seinen Friedensbemühungen regelmäßig in der Arabischen Liga isoliert. Schauen Sie einmal genau auf die Teilnehmerzahl: Zum ersten Mal haben wir bei einem solchen Versuch Unterstützung von der ganz großen Mehrzahl der arabischen Staaten. Auch das ist eine Sonderentwicklung.

Drittens – auch das bitte ich festzuhalten –: Die Großen übernehmen hier wirklich Verantwortung. Wenn ich „die Großen“ sage, dann meine ich zuallererst die USA, die mit hohem Risiko – und Respekt von unserer Seite – zu einem Zeitpunkt, als man nicht ahnen konnte, wer an dieser Konferenz teilnehmen wird, an die Vorbereitung gegangen sind und, was vielleicht noch schwieriger ist, jetzt in dem Follow-up-Prozess eine Art Mittlerrolle, Moderatorenfunktion bei den Einzelverhandlungen zwischen den Palästinensern und den Israelis übernehmen wollen.

Viertens: Was wir für die USA sagen können, gilt im Augenblick erstaunlicherweise auch für Russland, das jedenfalls bei diesem Prozess nicht im Abseits stehen will. Damit meine ich gar nicht so sehr den russischen Vorschlag, einen Followup- Prozess zu organisieren und in regelmäßigen Zeitabständen immer wieder zu untersuchen, ob der Friedensprozess tatsächlich Fortschritte macht. Das ist ein Vorschlag, den viele andere, auch wir Europäer, ebenfalls gemacht haben. Aber neu ist, dass die Russen in der Nahostkonferenz in Annapolis den Vorschlag gemacht haben, selbst Verantwortung in diesem Monitoringprozess zu übernehmen und für die nächste Veranstaltung, die wohl im Frühjahr stattfinden wird, nach Moskau einzuladen.

Fünftens und letztens ist wichtig, dass es zwar nicht gelungen ist, in dem gemeinsamen Statement von Palästinensern und Israelis einen Zeithorizont zu vereinbaren, aber am Ende der Konferenz alle Beteiligten signalisiert haben, dass sie mit dem Verständnis auseinandergehen, die Lösung – das heißt die Klärung der offenen Fragen, die der Zweistaatenlösung entgegenstehen – bis Ende 2008 unter Dach und Fach zu bringen.

Nochmals: Das alles ist noch keine Garantie für das Gelingen unseres gemeinsamen Bemühens. Aber ich finde, wir sind weit gekommen, und daran sind viele beteiligt. Ich bin wirklich der Letzte, der so tut, als sei das an allen Stellen und entscheidend deutscher Einfluss gewesen. Ich sehe unsere Möglichkeiten als europäische Mittelmacht dort sehr realistisch. Aber von großer Bedeutung ist die Frage: Haben wir die Möglichkeiten wenigstens genutzt? Ich meine, wir haben sie außerordentlich gut genutzt, gerade in Verbindung mit unserer Präsidentschaft in der EU und in der G 8.

Wir haben trotz der tiefen Depression nach der Auseinandersetzung zwischen Israel und der Hisbollah im letzten Jahr dafür geworben, dass man einen neuen Versuch unternimmt. Wir haben uns in den Monaten vor Beginn der Ratspräsidentschaft gemeinsam darum bemüht, dass das Denken über die Revitalisierung des Nahostquartettes wieder möglich wird. Zu Beginn unserer Präsidentschaft in der EU, noch im Januar, hat die erste Sitzung des Quartettes stattgefunden, und wir haben mit unseren durch die Präsidentschaft vorhandenen Möglichkeiten dafür gesorgt, eine – lassen Sie mich es so sagen – vernünftige Choreografie zu gestalten. Es gab viele – erinnern Sie sich auch an die Diskussionen hier im Hause –, die den Außenminister oder die Kanzlerin gedrängt haben, mal eben eine Nahostkonferenz zu veranstalten. Es gab viele, die das befürwortet haben. Ich habe auch den europäischen Kollegen immer wieder sagen müssen: Ich bin nicht gegen eine Nahostkonferenz; aber sie ist nur dann sinnvoll, wenn wir die Israelis und die Amerikaner mit im Boot haben. Sonst ist das Ganze eine Veranstaltung zur Gewissensberuhigung der Europäer, aber nichts, was den Menschen vor Ort hilft.

Insofern war die Zeitplanung durchaus richtig.

Wir haben die Zeit seit Januar genutzt, um wahrhaft schwierige und schwierig bleibende Partner zu überzeugen, bei diesem Prozess nicht dauerhaft vor der Tür stehen zu bleiben. Ich meine natürlich Syrien. Ich meine immer noch, dass es zwei Gründe für dieses Werben gab: Erstens. Ich glaube, dass nachhaltiger Frieden im Nahen Osten nur dann erreicht werden kann – das ist eine alte Weisheit –, wenn wir die zentralen Konflikte in eine endgültige Regelung einbeziehen. Der zweite Grund kommt einem aus anderen Verhandlungssituationen bekannt vor: Wenn man eine Konfliktregelung haben will, dann muss man die Zahl der möglichen Spoiler, der möglichen Störer von außen, möglichst gering halten. Deshalb habe ich immer gesagt: So schwierig Syrien ist, so wichtig ist es, Syrien an den Tisch zu holen und dann zu prüfen, ob es in der Lage ist, sich konstruktiv zu verhalten.

Ich glaube, diese Beharrlichkeit hat sich gelohnt, weil sie nachhaltig wirkt. Sie darf aber jetzt noch kein Ende finden. Wir alle haben nicht nur die Verpflichtung, dafür zu sorgen, dass die Verhandlungsprozesse weitergeführt werden, sondern wir alle haben auch die Pflicht – hier sehe ich vor allem Europa und insbesondere Deutschland in der Verantwortung –, den Menschen in Palästina zu zeigen, dass Frieden sich lohnt.

Ich hatte mir vorgenommen, am Schluss dieser Bemerkungen zu Nahost einige Ausführungen als Nachbetrachtung zur deutschen EU-Ratspräsidentschaft zu machen. Das erspare ich mir jetzt. Ich glaube, wir müssen keinen großen Rückblick gestalten. In diesem Hause ist das Thema vielfach besprochen worden. Abschließend will ich dazu nur sagen: Was das europäische Verfassungswerk angeht, wären wir alle gerne weitergekommen. Ich bin aber mit all denen einig, die sagen: Keiner hätte erwartet, dass wir nach einem halben Jahr deutscher Ratspräsidentschaft so weit sind. Zwar heißt das Konstrukt nicht Verfassung, immerhin sind aber mehr als 90 Prozent des Verfassungstextes Bestandteil der Reformverträge. Zwar heißt der europäische Außenminister nicht Außenminister, sondern weiterhin Hoher Repräsentant, aber er hat gemäß den Verträgen all die Funktionen, die ihm auch von der Verfassung zugedacht waren.

Ich mache diese Bemerkung an dieser Stelle, um Ihnen zu danken, meine Damen und Herren. Ich weiß natürlich, dass all dies in Europa nicht gelungen wäre, wenn wir uns nicht jederzeit der Unterstützung des Deutschen Bundestages gewiss gewesen wären. Am Ende unserer Verhandlungen über den Haushalt sehe ich, dass sich diese Unterstützung nicht auf die Arbeit der Kanzlerin und des Außenministers im europäischen Gewerbe beschränkt. Diese Unterstützung zeigt sich auch in den Zahlen des Haushaltes 2008. Ich glaube in der Tat, dass die finanzielle Grundlage unserer Arbeit im nächsten Jahr wesentlich besser sein wird. Dafür ganz herzlichen Dank!

Ich freue mich insbesondere darüber, dass der Haushaltsansatz für die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik um etwa 15 Prozent steigt. Ich freue mich darüber, dass bei den Mitteln für politische Aufgaben, zu denen der Stabilitätspakt Afghanistan, der Stabilitätspakt für Südosteuropa, die humanitäre Hilfe und die Krisenprävention zählen, eine Steigerung um 20 Prozent möglich ist. All das ist notwendig.

Mit Blick auf Südosteuropa nenne ich das Stichwort „Kosovo“. Es ist hier schon gefallen, zuletzt in dem Beitrag von Frau Beck. Das ist ein Feld mit großen Herausforderungen. Das wird es auch in Zukunft bleiben. In den Tagen um Weihnachten herum werden die Herausforderungen noch größer werden. Ich habe mir sehr gewünscht, dass die Troika – Europa, Russland und Amerika – zu einem abschließenden Ergebnis gekommen wäre. Etwas Substanzielles ist aber nicht gelungen. Das mussten wir nach den dreitägigen Verhandlungen gestern in Österreich feststellen. Die Hoffnung bleibt, dass sich die Troika vielleicht auf einen Verfahrensvorschlag verständigt, der nicht nur uns hier in Deutschland bei den weiteren Entscheidungen hilft, sondern auch die eben angemahnte Einheit in Europa bewahren hilft.

Wir können und müssen an dieser Stelle noch einmal an die Serben und Kosovo- Albaner appellieren – die Bundeskanzlerin hat es heute Morgen schon getan –: Erinnert euch an das Blutvergießen in den 90er- Jahren. Die Menschen auf dem Balkan dürfen nicht wieder Opfer tragischer politischer Fehlentscheidungen und Unverantwortlichkeit werden.

Wir haben nicht nur während unserer Präsidentschaft in der Europäischen Union, sondern auch davor und danach dem westlichen Balkan unsere Hand immer wieder ausgesteckt. Sie bleibt ausgestreckt. Aber das setzt voraus, dass Entscheidungen in der Region mit Vernunft gefällt werden.

Ich freue mich sehr, dass auch das Verhältnis zu Polen hier Erwähnung gefunden hat. Ich glaube, dass wir jetzt in der Tat Möglichkeiten und Voraussetzungen haben, dieses zuletzt nicht beste Verhältnis zwischen den beiden Ländern durchweg zu erneuern. Ich habe meinen neuen polnischen Kollegen inzwischen zweimal gesprochen. Ich sehe politisch und persönlich gute Voraussetzungen dafür, dass sich das Verhältnis sehr ordentlich entwickeln wird. Ich glaube, dass wir die Chance, die sich jetzt bietet, nicht verspielen dürfen; dazu muss ich dieses Haus und uns selbst nicht ermahnen. Die Chance ist die, dass wir das Verhältnis zwischen Deutschland und Polen wieder auf die Stufe stellen, die wir bereits in den 90er-Jahren erreicht hatten.

Zu Afghanistan ist nach den vielen Debatten, die wir in den letzten Wochen und Monaten hier im Hohen Haus hinter uns haben, nicht mehr viel zu sagen. Es wird eine der großen Herausforderungen bleiben, ebenso wie der westliche Balkan und leider auch Regionalkonflikte in Afrika, zu denen wir uns verhalten müssen, was nicht heißt, Auslandseinsätzen zuzustimmen. All das wird vor unserer Tür liegen.

Ich freue mich – lassen Sie mich das zum Abschluss noch sagen –, dass in diesem Hause sehr sensibel beobachtet wird, dass sich unsere Stellung in der Welt verändert. Ich glaube, es war Herr Westerwelle, der heute Morgen in seiner Rede darauf hingewiesen hat, dass die chinesische Volkswirtschaft die deutsche Volkswirtschaft überholen wird. Er hat es ein bisschen kritisch unterlegt und gesagt: Macht etwas dagegen.

Angesichts des Wachstums der chinesischen Bevölkerung haben Sie, glaube ich, Verständnis dafür, dass von deutscher Seite aus nur beschränkte Möglichkeiten bestehen, die Dynamik der chinesischen Volkswirtschaft hinter die unsere zurückzuwerfen.

Wir haben davon auszugehen, dass die Wachstumsregionen – ob Indien oder China – wachsendes ökonomisches Gewicht haben und damit den Anspruch verbinden, wachsendes politisches Gewicht geltend zu machen. Darauf reagieren einige mit Panik. Ich finde, dazu gibt es wenig Anlass. Das ist auch nicht geeignet, die Dinge zu verändern. Wir müssen uns in der Welt, wie ich immer sage, besser verständlich machen. Dazu gehören auch die Möglichkeiten der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik. Ich will mich herzlich dafür bedanken, dass hier zum einen für die Goethe-Institute, zum anderen aber auch für wissenschaftliche Austauschprogramme, für Auslandsschulen und für ein Sonderprogramm in Afrika viele neue Möglichkeiten gegeben sind.

Ich habe die Konflikte, die vor uns stehen, genannt: Afghanistan, Iran, Balkan, Kosovo und Regionalkonflikte in Afrika. Das ist viel für die Außenpolitik, auch für die deutsche Außenpolitik. Ich weiß, dass das alles nur gemeinsam gelingen wird. Genau das haben wir in der Großen Koalition in den letzten zwei Jahren bewiesen, auch während der EU-Ratspräsidentschaft. Diese Gemeinsamkeit wird auch die Haltung der Außenpolitik der Großen Koalition in den nächsten zwei Jahren kennzeichnen.

Sie sollten sich gar nicht erst so sehr auf den Fall China einschießen. Die aktuellen Unebenheiten im deutsch-chinesischen Verhältnis, die es zweifellos gibt, müssen wir beseitigen. Das ist unsere gemeinsame Aufgabe. Ich werde mich daran beteiligen, und zwar ohne dass Menschenrechte und nationale deutsche Interessen gegeneinander ausgespielt werden.

Herzlichen Dank.

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