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„Europa ist unsere Zukunft“

09.12.2016 - Interview

Der gebürtige Bremer Martin Schäfer ist der Pressesprecher von Außenminister Frank-Walter Steinmeier. Im Interview mit dem Weser-Kurier spricht er über Europa und seine Reisen mit dem Außenminister. Erschienen am 09.12.2016.

Der gebürtige Bremer Martin Schäfer ist der Pressesprecher von Außenminister Frank-Walter Steinmeier. Im Interview mit dem Weser-Kurier spricht er über Europa und seine Reisen mit dem Außenminister. Erschienen am 09.12.2016.

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Herr Schäfer, Großbritannien hat den Brexit gewählt, Donald Trump möchte als kommender US-Präsident Freihandelsabkommen am liebsten sofort streichen. Gleich mal ganz böse gefragt: warum sollte Deutschland weiter in der EU bleiben?

Europa ist unsere Zukunft, eine andere haben wir nicht, hat vor Jahrzehnten einmal ein deutscher Außenminister gesagt. Das ist es. Kein anderes Land profitiert von der Einheit Europas so sehr wie Deutschland: (Zualler)erst als wir nach dem Krieg mit offenen Armen von denen aufgenommen wurden, die Hitler-Deutschland mit einem brutalen Angriffskrieg überzogen hatte. Dann seitdem unser Wirtschaftswunder und unsere Exportindustrie nach immer neuen Absatzmärkte dürsten, und heute auch als eine Schicksalsgemeinschaft in einer aus den Fugen geratenen Welt, gemeinsam mit Freunden und Partnern, die unsere Werte und Interessen teilen.

Hat der europäische Gedanke ausgedient?

Wir haben Europa unendlich viel zu verdanken. Ohne Europa gäbe es weder Frieden noch Freiheit und Wohlstand in Deutschland. Aber es hilft ja nicht, nur die Errungenschaften der Vergangenheit zu feiern. Deutschland mag in Europa groß erscheinen, aber ist doch in der Welt eher klein. Wenn unsere Stimme in einer unruhigen Welt und in stürmischen Zeiten Gewicht haben soll, wenn wir unseren freiheitlichen und toleranten „European way of life“ bewahren wollen, dann geht das nur gemeinsam mit unseren europäischen Partnern.

Sie sind im Auftrag des Außenministeriums unterwegs, um Werbung für Europa und die EU zu machen. Ist es wirklich wieder so weit, dass man den Deutschen erklären muss, was sie an Europa haben?

Das europäische Einigungswerk steht unter Beschuss und in Gefahr, mehr als seit Jahrzehnten, von innen und außen zugleich. Von denen mit den allzu einfachen Antworten, die Europa als Last, ja als Ballast sehen, und nicht als Zukunftschance. Und durch die Krisen und Konflikte, die in den letzten Jahren an unseren Grenzen herangerückt sind, in Syrien, in Libyen, in der Ukraine. Wozu Nationalismus und Abschottung, Hass und Fremdenfeindlichkeit auch in Europa führen können, lässt sich in unseren historischen Museen besichtigen.

Fühlen Sie sich als Deutscher oder Europäer?

Beides zugleich, und Bremer und Norddeutscher gleich mit. Ich glaube, das schließt sich gar nicht aus, sondern geht ganz gut miteinander.

Herr Schäfer, Sie sind in Bremen geboren, haben in Achim Abitur gemacht. Wie wird man dann Sprecher des Außenministers?

Es ist wohl eine längere Kette von glücklichen Umständen und richtigen Entscheidungen, die mich in Schulzeit und Studium nach Amerika, in die Schweiz und nach Frankreich, danach im Auswärtigen Amt quer durch die ganze Welt und nun seit fast 6 Jahren zurück nach Berlin geführt haben.

Kein Politiker ist so viel unterwegs wie der Außenminister Frank-Walter Steinmeier. Und Sie sind eigentlich fast immer dabei. Gibt es ein Land in Europa, das Sie auf einer Dienstreise nicht besucht haben?

Noch einige, San Marino und Gibraltar, der Vatikan und Andorra gehören dazu. In Liechtenstein und Luxemburg war ich dagegen schon, in Brüssel, Paris, Wien, Kiew, Warschau und Moskau ungezählte Male.

Erzählen Sie doch mal, wie eine normale Woche als Sprecher von Steinmeier ausschaut?

Vielleicht einfach die letzte Zeit: Vor zehn Tagen in Minsk, für Verhandlungen zur Ukraine-Krise, vor acht Tagen in Beirut und in einem Lager syrischer Flüchtlinge im Libanon, am Sonntag in Thessaloniki, am Montag morgens in Athen, abends in Berlin beim Besuch von US-Außenminister Kerry, bis heute Nachmittag in Hamburg beim OSZE-Gipfel, abends in Bremen, zwischendurch die Bundespressekonferenz. Zum Glück ist nicht jede Woche so randvoll.

Sie waren auch schon der Sprecher vor dem Amtsantritt von Frank-Walter Steinmeier. Haben Sie mal ausgerechnet, wie viele Flugkilometer Sie in den letzten Jahren zurückgelegt haben?

Es dürften deutlich mehr als eine Million sein, mit Herrn Steinmeier schätzungsweise an die 300.000 Kilometer im Jahr.

Welche Reise ist Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben?

Es gibt unzählige Erinnerungen. Wir haben ja auch heute noch so viel mit dem Konflikt in der Ostukraine zu tun. Deshalb muss ich immer wieder an die zwei Tage und eine Nacht in Kiew im Februar 2014 denken, als Außenminister Steinmeier in den Stunden nach Dutzenden Toten auf dem Maidan mit seinen französischen und polnischen Amtskollegen darum rang, einen offenen Bürgerkrieg in der Ukraine zu verhindern, und 30 Stunden am Stück pausenlos zwischen dem ukrainischen Präsidenten und der Opposition verhandelte.

Die Gin-Tonic-Runden von Steinmeier mit Mitarbeitern und Journalisten auf Rückreisen im Flugzeug sind berühmt.

Hmmmmh, Herr Steinmeier hat ja gerade darüber in seinem jüngsten Buch ‚Flugschreiber‘ berichtet. Eine anständige Malaria-Prophylaxe braucht es bekanntlich auf dem Weg gen Süden …

Es gibt also auch Spaß in Ihrem Job?

Ein deutscher Außenminister trägt in solch konfliktreichen und krisengeschwängerten Zeiten noch mehr Verantwortung als sonst schon. Da geht es ernsthaft und sehr konzentriert zu, auch auf den Flügen, die wir nutzen, um zu beraten und letzte Vorbereitungen zu treffen. Aber es gibt natürlich auch fröhliche Momente oder solche, wo der große Druck nach einer schwierigen Reise abfällt, auch skurrile Situationen, über die wir zusammen lachen können. Der Außenminister ist manchmal viele Tage am Stück unterwegs. Da gibt es dann auch mal Momente der Entspannung und Themen, die gar nichts mit Politik zu tun haben.

Im November hat Steinmeier von Angela Merkel offiziell die Unterstützung der Union für die Wahl zum Bundespräsidenten bekommen. Waren Sie dabei, als der Anruf kam?

Am Tag der Entscheidung der Parteivorsitzenden der Großen Koalition war Herr Steinmeier in Brüssel, beim EU-Außenministerrat. Da war ich mit.

Wenn man so oft wie Sie mit dem Außenminister auf Reisen ist, bekommt man dann auch ein persönliches Verhältnis?

Ohne tiefes Vertrauen und große Loyalität, Empathie und Sympathie geht es gar nicht, wenn man so eng zusammenarbeitet, auch unter großem Druck und mit viel Anspannung, und so viel Zeit miteinander verbringt. Ich habe größten Respekt für das bedingungslose Engagement, mit dem sich Außenminister Frank-Walter Steinmeier für unser Land, für die europäische Einigung und für friedliche Konfliktlösungen einsetzt, in Syrien genauso wie in Libyen oder in der Ostukraine, oftmals bis an die Grenze des physisch Machbaren.

Sie sind das Sprachrohr von Steinmeier. Wissen Sie mittlerweile ganz genau, wie er denkt und was Sie in der Bundespressekonferenz dann sagen müssen?

Naja, ich bin ja meistens dabei: bei Gesprächen mit Amtskollegen des Außenministers, bei internen Besprechungen im Auswärtigen Amt und öffentlichen Auftritten, auf Reisen. Da entsteht ein klares Bild von den politischen Zielen und Vorstellungen des deutschen Außenministers. Und mit mir arbeitet ein großartiges Team, mit meiner Vertreterin an der Spitze, das alles aufbereitet, wir sind ja auch in den sozialen Medien sehr aktiv unterwegs.

Politiker und politische Sprecher sind häufig Satire ausgesetzt. Sie waren auch schon in der ZDF-heute-Show zu sehen. Wie gehen Sie mit Häme in den Medien um?

In Berlin bekommt man für einen Lacher in der ‚heute show‘ eher Schulterklopfen, wenn es nicht allzu peinlich war. Wenn man hunderte Male in der Bundespressekonferenz Journalisten Rede und Antwort stehen muss, ohne Vorwarnung, Netz und doppelten Boden, geht eben auch mal etwas daneben. Das ist nicht schlimm, finde ich. Aber die Anonymität des Umgangs miteinander in den sozialen Medien verleitet viele doch zu hässlichen Entgleisungen. Ich versuche darüber zu lachen, aber manchmal bleibt auch ein beklemmendes Gefühl zurück, was manche Leute so alles sagen und denken können.

Sie leben schon länger nicht mehr im Norden. Was denken Sie über Bremen?

Bremen und umzu ist meine Heimat, und wird es immer bleiben. Meine Eltern leben in Achim, ich habe hier noch viele Freunde. Es ist immer schön, nach Hause zu kommen.

Hat das Konstrukt Stadtstaat noch Überlebenschancen?

Ich wüsste nicht, warum nicht. Bald vier Jahrhunderte Freiheit, Selbstbestimmung und Reichsunmittelbarkeit sollten wir Bremer jedenfalls nicht einfach so aufgeben.

Was fällt Ihnen spontan ein, wenn Sie an Bremen denken?

Leben und leben lassen. Deiche, die Weser und Werder. Freiheit, Toleranz, Weltoffenheit in der Stadt mit dem Schlüssel zur Welt.

Interview: Mathias Sonnenberg.

www.weser-kurier.de

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