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„Wir brauchen auch Russland“

08.03.2016 - Interview

Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier äußert sich im Interview mit dem Bonner Generalanzeiger (08.03.2016) über das Verhältnis Russlands zur NATO, den Konflikt in Syrien und die Flüchtlingssituation in Europa. Zum Jubliäum „20 Jahre UN-Standort Bonn“ würdigt Steinmeier die wachsende Bedeutung Bonns für die Vereinten Nationen.

Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier äußert sich im Interview mit dem Bonner Generalanzeiger (08.03.2016) über das Verhältnis Russlands zur NATO, den Konflikt in Syrien und die Flüchtlingssituation in Europa. Zum Jubliäum „20 Jahre UN-Standort Bonn“ würdigt Steinmeier die wachsende Bedeutung Bonns für die Vereinten Nationen.

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Herr Steinmeier, Sie sind im Januar 60 Jahre alt geworden. Ist mit dem Plus an Lebens- und Regierungserfahrung die Hoffnung geringer geworden, dass Regierungen tatsächlich Politik für ihre Bürger machen oder überwiegen Potentaten, die ihre Macht missbrauchen?

Überall in unserer Nachbarschaft sind neue Krisen und Konfliktlinien aufgebrochen. Die Welt scheint aus den Fugen geraten. Wir haben es in der Außenpolitik nicht mehr mit einer Handvoll vertrauter oder zumindest berechenbarer Staaten und Regierungen zu tun, sondern mit einer Vielzahl neuer Akteure, die sich nicht an alte Spielregeln und Gepflogenheiten halten. Damit müssen wir umgehen.

Dennoch ist es wichtig, trotz aller Rückschläge, trotz heftigen Gegenwinds mit Beharrlichkeit an Lösungen für eine bessere Welt zu arbeiten. Das ist anstrengend, weil es die schnelle und einfache Lösung nie gibt. Kleine und große Erfolge wie das Atomabkommen mit dem Iran zeigen immer wieder, dass sich die Mühe lohnt.

Ist Putin ein Spieler oder nehmen Sie ihn hoch rational wahr? Es heißt ja immer, Putin könnte im Baltikum an der Nato-Ostflanke eines Tages zündeln. Trauen Sie ihm das zu?

Wir haben in den letzten Jahren Russland in ganz unterschiedlichen Rollen erlebt: Bei den Atom-Verhandlungen hat sich Iran Russland anders als im Ukraine-Konflikt durchweg kooperativ und konstruktiv verhalten. Wieder anders ist das russische Auftreten in Syrien, wo es militärisch zugunsten von Assad eingreift und zugleich mit den USA an den Grundlagen für eine politische Lösung zusammen arbeitet.

Aber klar ist: Die Rhetorik der nuklearen Aufrüstung, die wir bisweilen aus dem Kreml vernehmen, trägt nicht unbedingt zu einem Mehr an Vertrauen bei. Gerade deshalb ist es so wichtig, dass wir uns innerhalb der NATO nicht nur auf das Verteidigungsbündnis berufen – nach dem Motto: Einer für alle, alle für einen – sondern auch Dialogbereitschaft und Engagement zeigen, um verloren gegangenes Vertrauen neu aufzubauen.

Ein neuer Kalter Krieg, von dem kürzlich der russische Premierminister Dimitri Medwedew bei der Münchner Sicherheitskonferenz gesprochen hatte, ist tatsächlich nur Wortgeklingel des Kreml?

Ich habe dieser These schon auf der Münchner Sicherheitskonferenz entschieden widersprochen: Während es im Kalten Krieg teilweise gar keinen Gesprächskontakt zwischen Ost und West mehr gab, haben wir heute eine Vielzahl von Foren, in denen wir uns austauschen. Und die brauchen wir auch, bei dieser weltweit kaum gekannten Krisendichte! Ob wir es wollen oder nicht. Realität ist: Ohne Russland kämen wir weder in den Verhandlungen über eine politische Lösung für Syrien, noch bei der Umsetzung der Minsker Vereinbarungen in der Ukraine weiter. Und ohne Russland hätte es auch das Nuklearabkommen mit Iran nicht gegeben. Das zeigt: Wenn wir Lösungen wollen, brauchen wir auch Russland.

Sie kommen gerade von einer Reise über einen Teil des arabischen Krisenbogens zurück. Ist Frieden für Syrien und Irak, zumindest ein Zustand von Nicht-Krieg, in zwei Staaten mit vielen Fronten und ethnischen Grenzverläufen wirklich noch machbar?

Mit dem Status Quo, mit Krieg und Chaos ohne Ende und ohne Zukunftsperspektive können und dürfen wir uns jedenfalls nicht abfinden – schon in unserem eigenen Interesse. Und alle meine Gespräche in der Region zeigen mir immer wieder: In beiden Ländern wünschen die Menschen sich nach wie vor nichts sehnlicher als ein Gemeinwesen, in dem alle Gruppen wieder friedlich zusammenleben können. Richtig ist: davon sind wir derzeit weit entfernt. Aber ethnische und religiöse Vielfalt ist in dieser Region seit Jahrhunderten eine vertraute Realität. Wenn es gelingt, die politischen Konflikte zu entschärfen, sind auch diese Trennlinien nicht unüberwindbar.

Vor vier Wochen haben Sie in München zusammen mit den USA, Russland, UN-Sonder-Vermittler Staffan de Mistura und anderen aus der Syrien-Kontaktgruppe über eine Feuerpause verhandelt, die jetzt begonnen hat. Glauben Sie wirklich, dass die Bürgerkriegsparteien in Syrien nach all den Jahren noch zu Frieden fähig sind?

Ich denke jedenfalls, dass den verschiedenen Gruppierungen über kurz oder lang gar keine andere Alternative bleibt: Nach fast fünf Jahren Bürgerkrieg muss allen klar sein, dass keine Seite den Konflikt militärisch für sich entscheiden, dass es nur eine politische Lösung geben kann. Die Feuerpause, die wir in München ausgehandelt haben und die seit gut einer Woche einigermaßen hält, ist eine lang ersehnte Atempause. Sie verschafft uns auch die Möglichkeit, endlich dringend benötigte Hilfsgüter in die belagerten Gebiete zu bringen.

Klar ist aber auch, dass Interessensgegensätze zwischen den verschiedenen Konfliktparteien nicht einfach so verschwinden. Wir brauchen auch weiter den Druck aller Parteien, die Einfluss haben, damit die Friedensgespräche zwischen Regime und Opposition in Genf in den nächsten Tagen wiederaufgenommen werden , auch und es dann auch Fortschritte auf dem Weg zu einem politischen Übergangsprozess geben kann

Die Kriege in Irak und Syrien bringen Millionen Menschen nach Europa, einen großen Teil auch nach Deutschland: wie können wir Flüchtlingsströme lenken? Und wenn Österreich mit acht Balkanstaaten sich bei einer Konferenz zur Grenzschließung verabredet, dann heißt das für die Solidarität um Europa was?

Erst einmal: die Menschen, die wirklich Schutz brauchen, werden wir Europäer auch in Zukunft aufnehmen müssen. Das sieht auch die Mehrheit der Deutschen so: Den Menschen, die vor Gewalt und Terror flüchten, bieten wir Schutz. Gleichzeitig ist aber auch ganz klar, dass wir den unkontrollierten Zustrom zu uns nach Europa und letztlich nach Deutschland stoppen müssen.

Nur: Das kann nicht gelingen, wenn jeder auf eigene Faust oder in Grüppchen ohne Rücksicht auf EU-Partner herumwerkelt, das haben die letzten Wochen uns überdeutlich gezeigt.

Deshalb haben wir immer auf eine Einigung mit allen europäischen Partnern am Tisch gesetzt: Schengen bewahren, den Zustrom von Flüchtlingen bremsen und gleichzeitig Griechenland unter die Arme greifen, damit es nicht weiter in eine humanitäre Notlage schlittert.

Die USA befindet sich mitten in den Vorwahlen zur Präsidentschaft. Wie sehr ist Ihnen um den Weltfrieden angst und bange, wenn Sie an Donald Trump als US-Präsident denken? Bei Hillary Clinton wären die Linien bekannt und die diplomatischen Kanäle verlässlich?

Natürlich entscheiden die Amerikaner, welchen Präsidenten – oder welche Präsidentin – sie im November wählen. Lassen Sie mich aber so viel sagen: In der von Krisen geprägten aktuellen Weltlage schätzen wir Lösungsansätze der derzeitigen US-Regierung, die auf Kooperation und nicht auf Konfrontation setzen, ganz besonders.

Gerade die krisengeschüttelte Weltlage mag einige dazu verleiten, einfache Lösungen zu suchen. In Deutschland und in Europa gibt es eine neue, gefährliche Dynamik, die ich auch bei meinem Besuch in New York und Washington letzte Woche gespürt habe: Es ist eine Politik, die auf Misstrauen, auf Angst und auf Ablehnung von allem setzt, was nicht in das eigene Weltbild passt! Auf beiden Seiten des Atlantiks gibt es Politiker, die meinen, wir könnten uns abschotten und die Welt draußen lassen. Das funktioniert nicht, damit lassen sich die aktuellen Krisen nicht lösen – ich hoffe, dass das auch die nächste US-Regierung erkennt.

Sie feiern heute 20 Jahre UN-Standort Bonn. Was bedeutet das für den deutschen Chef-Diplomaten?

Ich freue mich immer, auf den UN-Campus in Bonn zu kommen und zu sehen, wie die Bedeutung des Standortes für die Vereinten Nationen stetig zunimmt. Der UN-Standort Bonn hat sich in den letzten 20 Jahren ganz hervorragend entwickelt: Über tausend UN-Mitarbeiter arbeiten hier; die Kompetenz und Dichte von Institutionen in Bonn zu Themen wie beispielsweise Klima- und Umweltschutz und nachhaltige Entwicklung sind heute weltweit einzigartig. Die „Bonner Themen“ sind die Zukunftsthemen schlechthin. Das Klimaabkommen von Paris und der Beschluss der UN-Agenda 2030 für Nachhaltige Entwicklung stärken ganz unmittelbar den UN-Standort Bonn mit dem Klimasekretariat und den anderen Umweltsekretariaten. Hinzu kommt natürlich, dass es sich am Rhein gut leben lässt.

Wird sich die Bundesregierung engagieren, diesen Standort weiter auszubauen und welchen Zuwachs darf Bonn erwarten?

Wir engagieren uns schon seit Jahren für Bonn. Wir werben bei unseren Gesprächen mit den Vereinten Nationen regelmäßig für Bonn. Und mit Erfolg! In der Ansiedelung von UN-Institutionen stehen wir mit Bonn in einer weltweiten Konkurrenz. Faktoren wie Infrastruktur, Kosten, geographische Lage und Lebensqualität spielen hierbei natürlich eine wichtige Rolle. Bonn hat in diesen Bereichen sehr viel zu bieten und ich bin überzeugt, dass der Standort weiter wachsen wird.

Das Interview führte Holger Möhle.

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