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„Das Assoziierungsabkommen Georgiens mit der EU ist ein Meilenstein“

30.06.2016 - Interview

Interview Außenminister Frank-Walter Steinmeiers mit dem georgischen Online-Magazin „Netgazeti“ anlässlich seines Georgien-Besuches am 1. Juli (erschienen am 30.06.2016).

Interview Außenminister Frank-Walter Steinmeiers mit dem georgischen Online-Magazin „Netgazeti“ anlässlich seines Georgien-Besuches am 1. Juli (erschienen am 30.06.2016).

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In Deutschland gibt es eine Debatte über die Visaliberalisierung für Georgien. Einige Politiker sagen, weil georgische Diebesbanden in Deutschland ihr Unwesen treiben, solle die Visaliberalisierung zumindest verschoben werden. Georgische Politiker wie der Parlamentsvorsitzende David Usupaschwili argumentieren jedoch, deswegen dürften nicht alle Georgier bestraft werden. Es müssten andere Maßnahmen gegen die Kriminalität ergriffen werden. Die Bedingungen für die Visaliberalisierung wiederum habe Georgien längst erfüllt. Sollten Ihrer Meinung nach diese beiden Themen verknüpft werden und gibt es eine Chance, dass die Visaliberalisierung noch vor der Parlamentswahl in Georgien am 8. Oktober kommt?

Georgien hat alle wichtigen Reformschritte vollzogen, um die notwendigen Voraussetzungen für die Visaliberalisierung zu schaffen – deshalb wird auch die EU zu ihrer Zusage stehen. Die Frage lautet also nicht, ob, sondern vielmehr, wann Georgien endlich die Visafreiheit erhält, die die Menschen nach den großen Reformanstrengungen zu Recht erwarten. Wir müssen aber auch die Sorgen in der EU ernst nehmen. Deshalb brauchen wir einen Mechanismus, der im Notfall ein kurzfristiges Aussetzen der Visumfreiheit ermöglicht – nicht für Georgien, sondern für alle Visaliberalisierungs-Regime, die Europa derzeit aushandelt. Der Rat der EU hat sich sehr schnell auf einen solchen Mechanismus geeinigt. Ich hoffe, dass nun auch im Europäischen Parlament rasch eine Entscheidung getroffen wird, die den Weg für die Visaliberalisierung frei macht.

Georgien sieht sich als Teil Europas, langfristiges Ziel ist eine Mitgliedschaft in der EU. Das Assoziierungsabkommen wird als ein Schritt in diese Richtung gesehen. Wie ist die Position Deutschlands dazu und wie bewerten Sie die Aussichten Georgiens auch in Bezug auf die Entwicklung innerhalb der EU?

Das Assoziierungsabkommen Georgiens mit der EU, das nach langen und intensiven Vorbereitungen morgen in Kraft tritt, ist ein Meilenstein: Mit seiner Umsetzung werden unsere Beziehungen so eng wie nie zuvor. Um dieses Potential voll auszuschöpfen, muss das Assoziierungsabkommen aber auch konsequent umgesetzt werden. Dies verlangt eine Vielzahl tiefgreifender und auch schwieriger Reformen: Das betrifft die Angleichung von Standards, die Unabhängigkeit der Justiz, eine konsequente Korruptionsbekämpfung, Reformen in der öffentlichen Verwaltung und die Modernisierung der Wirtschaft, um nur einige der Aufgabengebiete zu nennen. Dass sich konsequente Reformen lohnen, zeigen übrigens die jüngsten Wirtschaftszahlen: seit der vorläufigen Anwendung des Freihandelsabkommens im September 2014 sind die georgischen Exporte in die EU um 12% gewachsen.

Vor dem Krieg 2008 haben Sie einen Plan für die Lösung der Konflikte um die abtrünnigen Regionen Abchasien und Südossetien vorgelegt. Wie ist es heute? Hat die Bundesrepublik eine Strategie für die Staaten, die wie Georgien zwischen Russland und NATO bzw. EU liegen und von denen einige von Territorialkonflikten betroffen sind, in die Russland involviert ist?

Im Jahr 2008 ging es darum, einen drohenden Krieg zu verhindern. Leider ist es bis heute nicht gelungen, die dahinter liegenden Konflikte zu überwinden. Bis heute wird im Rahmen der Genfer Gespräche um eine Erklärung zum Gewaltverzicht gerungen. Als OSZE-Vorsitz haben wir uns deshalb vorgenommen, mit einer Politik vieler kleiner Schritte ein Mindestmaß an Vertrauen zwischen den Parteien wiederherzustellen. Zum einen setzen wir uns dafür ein, politische Gesprächskanäle zwischen den Seiten zu intensivieren und Verhandlungsformate wiederzubeleben, um Fortschritte bei der Lösung der genannten Konflikte zu erreichen. Zum anderen wissen wir Deutsche aus unserer eigenen Geschichte, wie wichtig auch der direkte Kontakt zwischen den Menschen für den Abbau von vorurteilsbeladenen Gegensätzen und für die Vertrauensbildung ist. Deshalb unterstützen wir über verschiedene Projekte – zum Beispiel durch die von der deutschen Berghof-Stiftung organisierten „Biographischen Salons“ – den Austausch zwischen Menschen auf beiden Seiten der Verwaltungslinie. Dabei geht es darum, der anderen Seite zuzuhören und den eigenen Blick auf die Vergangenheit zu weiten, um einen gemeinsamen Blick in die Zukunft zu ermöglichen.

Viele Georgier beobachten die Lage in der Ostukraine mit Sorge, auch weil russische Sicherheitskräfte gerade einmal 50 Kilometer entfernt von Tiflis in Südossetien stehen. Die Wirtschaftssanktionen gegen Russland haben bislang wenig Veränderung in der Ostukraine bewirkt. Warum kommt keine militärische Unterstützung für die Ukraine in Frage?

Für den Konflikt in der Ostukraine kann es nur eine politische Lösung geben. Gemeinsam mit unseren französischen Partnern haben wir uns deshalb von Anfang an um eine friedliche Beilegung des Konflikts auf Grundlage der Minsker Vereinbarungen bemüht. So ist es uns gelungen, eine weitere Eskalation der Lage verhindern. Richtig ist, dass wir mit der Umsetzung von Minsk noch nicht so weit sind, wie wir das gern wären – aber wir haben die Knackpunkte identifiziert und konkrete Lösungsvorschläge ausgearbeitet. Nun kommt es auf die Kompromissbereitschaft beider Seiten an, um diese Vorschläge auch umzusetzen. Die Sanktionen sollen dem Ziel dienen, Anreize für ein politisches Verhalten zu schaffen, das an dieser Umsetzung orientiert ist.

Zur Unterstützung der NATO-Mission Resolute Support sind in Afghanistan etwa 870 georgische Soldaten stationiert, 2015 war Georgien noch vor der Bundeswehr der zweitgrößte Truppensteller dort. Die georgischen Soldaten sind eingesetzt zur Bewachung der Militärbasen, unter anderem auf der deutschen Basis in Masar-i-Sharif. Sie tragen damit zu einer Entlastung der Bundeswehr bei. Wie unterstützt Deutschland im Gegenzug Georgien?

Für die Unterstützung der NATO-Mission durch georgische Soldaten im Norden Afghanistans sind wir dankbar und haben großen Respekt vor dem Einsatzwillen der georgischen Soldaten. Wir leisten seit 1995 militärische Ausbildungshilfe für die georgischen Streitkräfte: die deutsche Bundeswehr hat in 20 Jahren über 2000 georgische Soldaten ausgebildet, darunter 23 Generäle. Auch den georgischen Einsatz in Afghanistan unterstützt Deutschland ganz substanziell: unter anderem durch deutsche Fahrzeuge, die den Soldaten den größtmöglichen Schutz bieten, und durch die Übernahme der medizinischen Versorgung der Soldaten. Das ist eine wirklich vorbildliche Zusammenarbeit.

Georgien wurde die NATO-Mitgliedschaft nicht nur beim Gipfel der Allianz 2008 in Bukarest versprochen. Bundeskanzlerin Merkel wiederholte die Aussage auch bei einem Besuch in Tiflis im August 2008. Wie steht die Bundesregierung zu diesem Versprechen? Inwieweit ist das „substantielle Paket“ der NATO eine Alternative zur baldigen Aufnahme Georgiens in die NATO?

Wir stehen zu den Beschlüssen von Bukarest. Zur Heranführung Georgiens an die NATO haben wir uns auf das „Substantielle NATO-Georgien-Paket“ geeinigt: es enthält spezielle, für Georgien maßgeschneiderte Projekte und Maßnahmen, die die georgische Verteidigungsfähigkeit und die Zusammenarbeit mit der NATO verbessern sollen. Deutschland hat das Konzept entwickelt und beteiligt sich umfangreich an seiner Umsetzung: Wir stellen beispielsweise den Leiter des „NATO Core Teams“ und den Projektleiter der Schule für „Defence Institution Building“ in Tiflis, die Fortbildungskurse für den staatlichen Sicherheitssektor anbieten wird. Beim Gipfel in Warschau am 8. und 9. Juli werden wir die Bereitschaft zu einer engeren Kooperation zwischen Georgien und der NATO noch einmal bekräftigen.

Interview: Silvia Stöber

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