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„Wir sind in einer europäischen Dreifachkrise“

18.04.2016 - Interview

Interview mit Frank-Walter Steinmeier, erschienen auf www.jetzt.de am 16.04.2016.

Interview mit Frank-Walter Steinmeier, erschienen auf www.jetzt.de am 16.04.2016.

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Die Veranstaltung heute stand im Zeichen von auswärtiger Bildungs- und Kulturpolitik, „Krisenprävention“ war ein wichtiges Stichwort. Aber inwiefern hilft das den Menschen, die gerade in Idomeni an der Grenze zu Mazedonien stehen?

Ich finde die Frage nicht gerechtfertigt. Investitionen in auswärtige Kultur und Bildungspolitik können nicht jedes Unglück verhindern und können auch nicht unfriedliche Zustände von heute auf morgen in friedliche verwandeln.

Es geht ja im Gegenteil in der Außenpolitik häufig darum, dass wir wegkommen vom kurzatmigen Aktivismus, hin zu langfristigen Lösungen und Strukturen. Und dabei wiederum spielt die auswärtige Kultur- und Bildungspolitik eine wichtige Rolle.

Inwiefern?

Zuerst einmal müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass es nicht nur eine Wahrheit, sondern unterschiedliche Wahrnehmungen ein und derselben Realität gibt. Im Gespräch darüber müssen wir verhindern, dass aus den Unterschieden Missverständnisse, aus den Missverständnissen Konflikte und aus den Konflikten Kriege werden. Ich bin da ganz bescheiden: Es gibt keine Garantie und keine unmittelbare Kausalität zwischen der Investition in Kultur und Bildung und friedlichen Verhältnissen. Aber ich glaube, wir können den Weg zu friedlichen Verhältnissen zumindest begünstigen, indem wir die Menschen zusammenbringen und die Zivilgesellschaft miteinander ins Gespräch bringen.

Bei auswärtiger Politik geht es ja auch viel um Dialog. Viele junge Menschen haben allerdings in letzter Zeit das Gefühl, dass dieser ins Stocken geraten ist. Dass Selbstverständliches, wie zum Beispiel die EU, auf einmal bröckelt. Was denken Sie darüber?

Ich glaube Menschen, die wie ich bereits etwas älter sind, spüren das noch mehr. Weil ich in einer Zeit großgeworden bin, in der in Europa Schlagbäume abgerissen, eine gemeinsame Währung eingeführt und Grenzen irgendwann gar nicht mehr wahrnehmbar waren. Dieses Europa haben wir über vier, fünf Jahrzehnte als einen Prozess des wachsenden Miteinanders erlebt, in dem das Trennende immer unwichtiger wurde und man die Unterschiede aneinander geschätzt hat.

Und jetzt ist das anders?

Jetzt sind wir in einer Zeit der europäischen Dreifachkrise. Einer Finanz- und Wirtschaftskrise, die häufig genug unter dem Titel „Griechenland“ gelaufen und nicht überwunden ist, einer Brexit- Diskussion und einer Flüchtlingsdebatte, die dieses Europa wirklich unter Stress setzt. Noch ist nicht sicher, ob wir diese Herausforderungen bestehen. Ich kann nur sagen: Wir müssen uns mit aller Kraft darum bemühen, dass Europa nicht scheitert. Dafür sind wir gegenüber den Menschen, gerade auch den jungen, verantwortlich.

Von deutscher Kultur war in letzter Zeit im Ausland ja viel die Rede – allerdings im Rahmen des Schmähgedichts von Jan Böhmermann. Was sagen Sie zu der heute verkündeten Entscheidung, dass die Bundesregierung die Strafverfolgung von Jan Böhmermann in Deutschland zulässt?

Dazu ist nicht mehr zu sagen als das, was ich vor einigen Minuten gegenüber der Öffentlichkeit in meinem Statement gesagt habe: Es gab dazu verschiedene Haltungen in der Bundesregierung. Ich gehöre zu denjenigen, die die Weiterleitung nicht richtig fanden. Die anderen hatten Gründe für die gegenteilige Entscheidung. Am Ende hat die Mehrheit entschieden und die lag auf der Seite der Union.

Interview: Charlotte Haunhorst. www.sueddeutsche.de

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