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„Wir sind zu einer Erhöhung des Drucks auf Moskau bereit“

22.07.2014 - Interview

Außenminister Steinmeier sprach mit der polnischen Zeitung Rzesczpospolita (22.07.) über die Entwicklung in der Ukraine und das Verhältnis der EU zu Russland.

Außenminister Steinmeier sprach mit der polnischen Zeitung Rzesczpospolita (22.07.) über die Entwicklung in der Ukraine und das Verhältnis der EU zu Russland.

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Kann die Tragödie des Malaysia Airlines Flugs einen Durchbruch bei der Lösung der Ukraine-Krise bringen, unabhängig davon, wer für den Abschuss verantwortlich ist?

Der sinnlose Tod so vieler Unschuldiger ist einfach entsetzlich, der Umgang mit den sterblichen Überresten der Opfer durch die Separatisten empörend. Wann, wenn nicht jetzt, müssen wir alle Kräfte bündeln, um eine weitere Eskalation zu stoppen? Ich sage ganz klar: Wenn der Weg in eine politische Lösung noch gegangen werden kann, darf es so nicht weitergehen. Radek Sikorski und ich haben gemeinsam mit unserem französischen Außenministerkollegen Laurent Fabius mit allem Nachdruck zu einer sofortigen beidseitigen Waffenruhe aufgerufen. Und wir brauchen eine effektive Kontrolle der Grenze zu Russland.

Macht es in der neuen Situation Sinn, die Sanktionen gegen Russland zu verschärfen?

Die Lage hat sich durch den Abschuss des Flugs MH 17 grundlegend verändert. Wir brauchen eine seriöse und unabhängige Aufklärung des Verbrechens, die Täter und ihre Hintermänner dürfen nicht davonkommen. Alle Außenminister, die heute zu den EU-Beratungen nach Brüssel reisen, wissen, dass es unserer gemeinsamen Reaktion bedarf. Sanktionen sind kein Selbstzweck und kein Allheilmittel, aber zweifellos hat die russische Führung in den letzten Wochen nicht genug getan, um die Separatisten abzuhalten. Deshalb gilt unsere Vereinbarung: Wir sind zu einer Erhöhung des Drucks auf Moskau bereit, um Russland dazu zu drängen, sein Verhalten zu ändern und an einer Deeskalation mitzuwirken.

Sie befürworten nicht eine dauerhafte Stationierung von NATO-Kräften in Polen und den an Russland grenzenden Staaten. Um Russland nicht zu provozieren?

Wir nehmen die Sorgen unserer östlichen NATO-Partner sehr ernst. Die Menschen in Polen und in den baltischen Staaten sind tief beunruhigt, das ist für uns in der gegenwärtigen Lage vollkommen nachvollziehbar, die Sorgen teilen wir. Deshalb beteiligen wir uns mit eigenen Mitteln an Reassurance-Maßnahmen der NATO, zu denen unter anderem verstärkte AWACS-Aufklärungsflüge über Osteuropa gehören. Außerdem wollen wir zusammen mit Warschau und Kopenhagen die Einsatzbereitschaft des multinationalen Korps in Stettin erhöhen. Wir führen mit einem deutschen Schiff einen Minenabwehrverband der NATO in der Ostsee und tragen zum verstärkten Air-Policing über dem Baltikum bei. Zudem bereiten wir für den NATO-Gipfel im Herbst Entscheidungen vor, wie eine NATO-Präsenz in Polen und den baltischen Staaten erhöht werden kann. Die Menschen in Polen können gewiss sein: Unsere Bündnissolidarität steht außer Frage, die Menschen in Polen können sich auf Deutschland verlassen.

Sie haben mehrere Pläne einer Annäherung mit Russland verfasst, deren Ziel es war, dass Russland westliche Standards der internationalen Politik übernehme. Haben die Ereignisse in der Ukraine nicht gezeigt, dass derartige Konzepte einer Zivilisierung Russlands falsch waren?

Das völkerrechtswidrige Vorgehen Russland auf der Krim hat grundlegende Regeln des friedlichen Zusammenlebens in Europa infrage gestellt. Wenn Russland sieben Jahrzehnte nach Ende des Zweiten Weltkriegs bestehende Grenzen in Frage stellt, dann ist das inakzeptabel, und niemand geht einfach zur Tagesordnung über. Gleichzeitig ist und bleibt Russland ein Teil Europas und der größte Nachbar der EU. Wir können uns nicht einfach einen anderen herbeiwünschen. Was das für die Zukunft bedeutet, kann ich noch nicht erahnen. Wie unser Verhältnis zu Russland zukünftig aussehen wird, hängt ganz wesentlich vom Verhalten Russlands in den kommenden Wochen ab.

Während der letzten Verhandlungen zur Ukraine-Krise in Berlin der Außenminister Russlands, der Ukraine, Deutschlands und Frankreichs fehlte Minister Sikorski. Anscheinend wollte Moskau dies so?

Das ist Unsinn. Das Treffen in Berlin war die Folge des Treffens der Staats- und Regierungschefs am Rande der Feierlichkeiten in der Normandie. Wir arbeiten engstens zusammen. Radek war stets im Bilde über alle unsere Initiativen. Nach der entsetzlichen Flugzeugkatastrophe haben Radek Sikorski und ich gleich gemeinsam mit Laurent Fabius die Initiative ergriffen. Im Februar haben wir Seite an Seite in Kiew vermittelt, um einen Bürgerkrieg und weiteres Blutvergießen in der Ukraine zu verhindern. Wir telefonieren regelmäßig miteinander und sehen uns so häufig, dass ich aufgehört habe, unsere Begegnungen zu zählen. Polen ist für Deutschland einer der wichtigsten Partner überhaupt. Das gilt in der Ukraine-Krise genauso wie bei anderen drängenden Fragen unserer Zeit, besonders wenn es um die Zukunft Europas geht.

Sollte Europa alles tun, um die Abhängigkeit von russischen Energieträgern zu reduzieren, was der Plan Donald Tusks beabsichtigt?

Wir sind gut beraten, jede Form von Abhängigkeit zu verringern. Viele Staaten, besonders im Osten, sind auf Energieimporte aus Russland angewiesen. Wir sind uns mit der polnischen Regierung deshalb vollkommen einig, dass wir in der EU noch engagierter auf eine sichere, bezahlbare und nachhaltige Energieversorgung hinarbeiten müssen. Viele Schritte führen in diese Richtung. Dazu gehören die Vollendung des Energie-Binnenmarkts, die Diversifizierung von Energieträgern und Energielieferanten und eine verbesserte Energie-Effizienz. Polen, Frankreich und Deutschland ziehen an einem Strang, wenn es um das Ziel geht, bis Oktober dieses Jahres einen europäischen Rahmen für die Energie- und Klimastrategie der EU bis 2030 zu schaffen.

Wird die Wahrung des geografischen Gleichgewichts bei den EU-Spitzenposten dazu führen, dass einer der Posten mit einer Person aus Polen oder einem anderen Mitgliedstaat unserer Region besetzt wird?

Wir wollen gemeinsam eine Mannschaft aufstellen, die aus den besten Köpfen besteht und Europa in all seiner Vielfalt widerspiegelt. Das ist eine anspruchsvolle Aufgabe, die wir mit großem Verantwortungsgefühl angehen müssen. Osteuropa muss dabei repräsentiert sein. Es braucht ein Gesamtpaket mit einem Gleichgewicht aus regionalen, parteipolitischen Aspekten bis hin zur ausreichenden Berücksichtigung von Frauen. Und für alle muss gelten: Die persönliche Qualifikation ist unabdingbar.

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