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„Die Türkei ist ein wichtiger NATO-Partner - und das muss auch so bleiben“

09.08.2016 - Interview

Interview mit Außenminister Frank-Walter Steinmeier; erschienen auf www.bild.de (09.08.2016).

Interview mit Außenminister Frank-Walter Steinmeier; erschienen auf www.bild.de (09.08.2016).

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Syrien-Krieg, Türkei-Putsch, Terrorattacken - eine Krise jagt die nächste. Können Sie im Urlaub überhaupt abschalten?

Bei dem Wüten der Welt funktioniert das Abschalten auf Knopfdruck nicht. Trotzdem lohnt der Versuch rauszukommen! Auch dieses Jahr werde ich Bergsteigen. Das hilft, um Abstand zu gewinnen und ein wenig Kraft zu tanken. Denn hier ist im Kopf einige Stunden lang für nichts anderes Platz als für die nächsten zehn Schritte, die nächsten Griffe…

Wie in der Politik – vorsichtig vorwärts, immer am Abgrund...?

Am Berg geht man immerhin gesichert.

Politiker reden und verhandeln - und in Syrien sterben Menschen in einem grauenhaften Krieg. Ist Politik wirklich so machtlos?

Nicht machtlos, aber wir können nicht das Ende der Kämpfe anordnen! Wäre es so, wäre der Bürgerkrieg nicht schon im 5. Jahr. Das, was in Syrien passiert, ist eine Tragödie. Die Bilder aus Aleppo sind an Grausamkeit kaum zu überbieten. Seit nunmehr fünf Jahren wird auf dem Rücken der Menschen ein brutales Spiel um Macht in der Region gespielt. Und einige der Akteure haben derzeit keinerlei Interesse, den Konflikt zu beenden.

Sie meinen Diktator Assad, Russland und den Iran?

Und andere. Das gilt leider aber auch für viele andere Seiten dieses Konflikts...

Also schaut die Welt wieder tatenlos zu?

Da kennen Sie meinen Kalender schlecht und auch den von US-Außenminister Kerry und anderer Kollegen! Was machen wir denn Tag und Nacht? Wir suchen ununterbrochen nach Wegen, die Kriegsparteien zu Verhandlungen zu bewegen. Das ist unendlich mühselig, aber eine andere Lösung ist nicht in Sicht. Schauen Sie sich die Lage von ISIS im Irak heute an und vergleichen sie mit dem Sommer 2014: damals sah es so aus, als würden die Terrorbanden in nur wenigen Tagen das ganze Land beherrschen und alles Nicht-IS-Leben auslöschen. Aber heute gibt es auch Fortschritte: Die Hälfte des vor einem Jahr noch besetzten Gebietes hat ISIS verloren. Städte wie Ramadi und Tikrit sind befreit und Menschen kehren zurück.

Aber bevor dieses Krebsgeschwür besiegt ist, schickt es seine Metastasen in Form von Terroristen in alle Welt...

Tatsache ist: ISIS beansprucht Gewalttaten von Einzeltätern, die mal mehr, mal weniger mit der Organisation zu tun haben. Aber ich glaube, dass ihre Anziehungskraft und ihr Rekrutierungspotential für junge Menschen aus Europa heute nicht mehr so stark sind wie noch im vergangenen Jahr. Die Zahl derer, die in den Dschihad ziehen, ist jedenfalls massiv runtergegangen.

...und am Ende ist Diktator Assad dann der große Sieger in Syrien?

Das halte ich für ausgeschlossen. Für eine Übergangszeit werden Assad-Parteigänger noch eine Rolle in Syrien spielen. Aber die politische Zukunft des Landes wird und muss ohne Assad stattfinden.

Warum macht der Westen nicht mehr Druck auf Moskau, seine Unterstützung des Assad-Regimes einzustellen?

Wir machen uns keine Illusion über Russlands Rolle in Syrien. Eine Lösung des Bürgerkriegs in Syrien wird es ohne Moskau aber nicht geben, genauso wenig wie ohne Iran, Saudi-Arabien oder die Türkei...

Wie groß ist die Gefahr, dass die Türkei gemeinsam mit Russland eine neue militärische Achse bildet?

Es ist gut, dass es nach dem Abschuss eines russischen Kampfflugzeugs durch die Türkei im vergangenen Jahr wieder eine Annäherung gibt. Gleichzeitig glaube ich nicht, dass das Verhältnis zwischen beiden Ländern so eng wird, dass Russland der Türkei eine Alternative zur Sicherheitspartnerschaft der NATO bieten kann. Die Türkei ist ein wichtiger Nato-Partner – und das muss auch so bleiben.

Und darum müssen wird den türkischen Präsidenten Erdogan weiter freundlich behandeln – auch wenn er sich zum Diktator entwickelt?

Das ist doch Quatsch! Wir haben von Anfang an klar gemacht, was wir von Verhaftungen von Lehrern, Richtern und Journalisten halten und das werden wir weiterhin tun! Aber bei aller berechtigter Kritik an den Maßnahmen in der Türkei: Wir müssen erkennen – und das geht in der deutschen Debatte unter –, dass diejenigen, die den Putsch durchgeführt haben, mit größter Brutalität vorgegangen sind, gegen Zivilisten, gegen das Parlament. Das sehen auch jene Türken so, die keine AKP-Anhänger sind. Deshalb ist es so wichtig zu sagen: Wir haben den Putschversuch klar verurteilt, und es muss eine politische und strafrechtliche Aufarbeitung geben – aber auf rechtsstaatlicher Basis!

Also doch Visum-freiheit für Türken, die in die EU einreisen wollen?

Die Visa-Befreiung gibt es dann, wenn die damit verknüpften Bedingungen erfüllt sind. Das ist derzeit noch nicht der Fall.

Ein Blick in die USA: Fürchten Sie einen Präsidenten Trump?

Donald Trumps Berater und Parteifreunde verbringen gerade viel Zeit damit, jedes Mal seine Ausfälle gegen Latinos, Frauen, Muslime und Soldatenfamilien wieder halbwegs einzufangen. Ich habe jedenfalls den Eindruck, Trump weiß oft selbst nicht, was genau er will: Er sagt, er will Amerika stärker machen, möchte sich aber gleichzeitig aus der Welt zurückziehen. Wie beides zusammenpasst, will sich mir nicht erschließen. Fakt ist: Die Welt ist wahnsinnig kompliziert. Sie braucht Staatslenker, die sich ihrer Verantwortung bewusst sind; die helfen, die Welt zu verbessern. Wir brauchen keine Politiker, die unsere Welt noch gefährlicher machen.

Zur Bundestagswahl 2017 werden Sie acht Jahre als Außenminister auf dem Buckel haben. Würden Sie, bei passendem Ergebnis, den Job nochmal vier Jahre machen?

Ich mache Außenpolitik mit viel Leidenschaft und glaube daran, dass wir mit Beharrlichkeit und Vernunft Dinge zum Besseren wenden können. Aber jetzt habe ich ein weiteres langes Jahr vor mir, dass vermutlich auch nicht einfach wird. Alles, was danach kommt, entscheidet der Wähler.

Interview: Rolf Kleine und Hans-Jörg Vehlewald

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