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Rede von Staatsminister Erler beim Symposium zum 10-jährigen Bestehen des Ottawa-Abkommens zum Verbot von Antipersonenminen, Berlin, 29. November 2007

30.11.2007 - Rede

- es gilt das gesprochene Wort -

Sehr geehrte Organisatoren, Anne Jung und Thomas Gebauer von Medico International,
als weitgereiste Gäste Bianca Jagger und Tun Channareth,
sehr geehrte Mitglieder des Deutschen Bundestages, Angelika Beer und Winfried Nachtwei,
meine Damen und Herren,

ich begrüße Sie ganz herzlich zu unserem heutigen Symposium zur Landminenproblematik und zur Bedeutung des „Ottawa-Prozesses“.

Ganz besonders begrüße ich Herrn Dr. Cornelio Sommaruga. Wir alle schätzen uns glücklich, dass wir dieses wichtige und spannende Thema heute mit Ihnen erörtern können. Sie haben den Ottawa-Prozess als Präsident einer der einflussreichsten Nichtregierungsorganisationen aktiv mitbegleitet und maßgeblich mitbestimmt.

Das Ottawa-Übereinkommen von 1997, das den Einsatz, die Herstellung, die Lagerung und den Handel von Anti-Personenminen untersagt, gehört zu den erfolgreichsten Instrumenten der weltweiten Rüstungskontrolle überhaupt. Mit seinem umfassenden Verbotsansatz und den bindenden Vorschriften zur Minenräumung und Opferfürsorge setzt Ottawa aus abrüstungspolitischer wie auch aus Sicht des humanitären Völkerrechts neue Maßstäbe.

In wenigen Tagen, am 3. Dezember, jährt sich seine Unterzeichnung zum zehnten Mal. Dieses Jubiläum bietet, wie ich meine, einen guten Anlaß, das Abkommen nicht nur als einzigartige abrüstungspolitische Erfolgsgeschichte zu würdigen, sondern auch darüber nachzudenken, ob der Prozess als Modell weiterer rüstungskontrollpolitischer Vereinbarungen dienen kann.

Das Ottawa-Übereinkommen hat innerhalb der letzten zehn Jahre praktisch zur Ächtung einer ganzen Waffenkategorie geführt:

· Wir sehen heute Licht am Ende des Tunnels. Die Vereinten Nationen glauben, dass das Landminenproblem eher in Jahren als Jahrzehnten einer akzeptablen Lösung zugeführt werden kann. Das hätte vor einigen Jahren noch niemand für möglich gehalten.

· Wer hätte Mitte der neunziger Jahre gedacht, dass die Anti- Personenmine zehn Jahre später als Waffe stigmatisiert sein würde und es sich faktisch kein Staat vor der Weltöffentlichkeit mehr erlauben kann, sie einzusetzen?

· Der Handel mit Anti-Personenminen ist nahezu vollständig zum Erliegen gekommen, und folglich besteht kaum mehr die Gefahr, dass sie künftig in großem Stile eingesetzt werden können.

· 156 Länder haben mittlerweile das Ottawa-Abkommen ratifiziert, und obwohl wichtige Staaten, insbesondere die USA, China und Russland, sich nach wie vor weigern beizutreten, sind die positiven Auswirkungen der Konvention weltweit spürbar.

· Am bedeutendsten ist aber der stetige Rückgang der Opferzahlen. Zwar sind immer noch ca. 5.000 Opfer pro Jahr weltweit zu beklagen, allerdings ist zu erwarten, dass sich der positive Trend mit den sinkenden Opferzahlen weiter fortsetzen wird. Eine Welt ohne Landminenopfer ist in greifbare Nähe gerückt.

Dieser Rückgang ist ermutigend, allerdings sollten wir uns immer vergegenwärtigen, dass sich hinter den nüchternen Zahlen immer tragische Einzelschicksale verbergen. Ein Beispiel dafür ist Herr Tun Channareth, der bei einer Minenexplosion verstümmelt wurde und heute als langjähriger Aktivist an unserer Diskussion teilnehmen wird.

Meine Damen und Herren,

Um zu verstehen, warum sich das Ottawa-Abkommen zu einer einzigartigen Erfolgsgeschichte mit möglicherweise weit reichenden Konsequenzen für künftige abrüstungspolitische Initiativen entwickelt hat, muss man einen Blick auf die besonderen Umstände seines Zustandekommens werfen:

Bis weit in die neunziger Jahre hinein wurden Antipersonenminen von den Streitkräften, auch in demokratischen Ländern, als unverzichtbares Kampfmittel angesehen. Bis dahin gab es kaum einen Staat, der sie nicht als legitime Waffe zur Landesverteidigung in seinen Arsenalen hatte. Und unter dem Eindruck des Kalten Krieges zogen die breite Öffentlichkeit und die Politik die Legitimität dieser Waffe nicht in Zweifel. Der Handel blühte uneingeschränkt, und viele staatliche und nichtstaatliche Akteure machten bei zumeist innerstaatlichen Konflikten ungehemmt Gebrauch von Landminen, ohne die humanitären Folgen in Betracht zu ziehen.

Obwohl damals bereits in Ländern wie Afghanistan, Kambodscha, Mozambique oder Angola tausende von Menschen durch Antipersonenminen getötet oder verstümmelt wurden, nahm in den westlichen Gesellschaften kaum jemand davon Notiz. Das Thema war noch nicht ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gedrungen. Militärische und kommerzielle Interessen wurden höher bewertet als das menschliche Leid.

Das Problembewusstsein begann sich in vielen demokratischen Ländern zunehmend zu ändern, als im November 1991 die Vietnam Veterans of America Foundation, zusammen mit der deutschen Nichtregierungsorganisation medico international eine Kampagne gegen Landminen zu organisieren begann. Das ambitionierte Ziel war es, ein weltweites Verbot von Landminen zu erreichen. Im Jahr 1997 hatten sich weltweit bereits rund 1000 Nichtregierungsorganisationen der Bewegung angeschlossen. Bürger, Medien und Politiker wurden zunehmend auf das Problem aufmerksam.

In den neunziger Jahren setzten sich in zunehmenden Maße international aktive, politisch agierende Nichtregierungsorganisationen öffentlichkeitswirksam für bisher unterrepräsentierte Anliegen der Zivilgesellschaft ein und machten Entscheidungsprozesse öffentlicher und transparenter. Dadurch entwickelten sich neue Wege des Handelns, sowohl innerhalb als auch außerhalb bestehender internationaler Strukturen.

So war es auch mit der „Kampagne gegen Landminen“. Nachdem die Abrüstungsverhandlungen im Rahmen der Vereinten Nationen bis 1996 nicht zu einem Verbot von Anti-Personenminen geführt hatten und ein Erfolg auf diesem Wege in absehbarer Zeit unerreichbar schien, machte die Kampagne in vielen Staaten zunehmend Druck auf die Politik. Man erreichte, dass außerhalb der regulären Strukturen über ein Verbot von Anti-Personenminen verhandelt wurde. Zu diesem Zeitpunkt war das Interesse der Öffentlichkeit an der Thematik bereits erwacht. Die Unterstützung durch die Medien sowie durch herausragende Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens entfachte in vielen Ländern eine bis dahin kaum gekannte Entschlossenheit, ein gravierendes humanitäres Problem kompromisslos anzupacken.

Diese Aufbruchstimmung übertrug sich in vielen Ländern auf die Politik. Deutschland sprach unilateral 1996 ein Verbot von Anti-Personenminen aus und hat so dem Prozess auf internationaler Ebene weitere Dynamik verliehen. Seither hat Deutschland die Weiterverbreitung des Abkommens nachhaltig auf politischer Ebene gefördert und gehört weltweit zu den größten Geldgebern. Bislang hat die Bundesregierung Projekte der humanitären Minen- und Kampfmittelräumung mit mehr als 150 Mio. € gefördert.

Im Zuge des Ottawa Prozesses hat die Zivilgesellschaft mit ihrem begründeten humanitären Anliegen einen Platz am Tisch der Entscheidungsträger eingefordert und ihn auch erhalten. Fortan wurde die Mitarbeit, Expertise und Lobbyarbeit der Nichtregierungsorganisationen in den Foren der internationalen Politik nahezu selbstverständlich. Man kooperierte als Partner auf Augenhöhe. Jede Gruppe brachte ihre Stärken und besonderen Fähigkeiten ein, und man kam gemeinsam zu Ergebnissen, die keiner für sich hätte erreichen können.

Die Anti-Personenminenkampagne war erfolgreich, weil sie viele wichtige Akteure zusammengebracht hat: die Zivilgesellschaft, primär vertreten durch die Nichtregierungsorganisationen, die internationalen Organisationen, die minenproduzierenden Länder sowie Staaten, die unter den verlegten Minen litten und nicht zuletzt auch die überlebenden Opfer. Sie alle wuchsen in diesem dynamischen Prozess zu einer moralischen Gemeinschaft zusammen, geeint darin, die humanitären Auswirkungen von Landminen endgültig zu überwinden. Diese Konstellation muss als einzigartig bewertet werden.

Einen ersten Hinweis darauf, ob der Erfolg des Ottawa-Abkommens wiederholbar ist und die unvergleichliche Dynamik des Prozesses nochmals entfacht werden kann, werden uns die Verhandlungen über ein Verbot von Streumunition geben. Die Bundesregierung hat sich schon seit langem für eine strikte Regulierung von Streumunition zur Minimierung der Auswirkungen für die Zivilbevölkerung eingesetzt und national bereits umgesetzt, bestärkt durch den Beschluss des Deutschen Bundestages vom 28. September diesen Jahres „Gefährliche Streumunition verbieten – Das humanitäre Völkerrecht weiterentwickeln“ (BT-Drucksache 16/1995). Wir begrüßen die Einigung der Vertragsstaaten des VN-Waffenübereinkommens in Genf vom 13.11.2007 auf Verhandlungen zum Thema Streumunition Dass nun erstmals alle Vertragsstaaten des Waffenübereinkommens der Vereinten Nationen in Verhandlungen eingebunden werden, ist ein wichtiger Schritt vorwärts, wenngleich das vereinbarte Mandat leider hinter dem von der EU eingebrachten Mandatsvorschlag in Hinsicht auf das Verhandlungsziel eines verbindlichen Völkerrechtsinstruments und die Dringlichkeit der Verhandlungsabschlusses („bis Ende 2008“) zurückbleibt. Daher ist und bleibt der von Norwegen initiierte „Oslo-Prozess“, ohne den die im VN-Rahmen nun erzielten Fortschritte kaum vorstellbar wären, wichtig und weiterhin impulsgebend. Deutschland betrachtet den VN-Prozess und den Oslo-Prozess zu Streumunition als sich gegenseitig ergänzende und stärkende Foren.Unser Ziel ist es, bis zum Ende 2008 ein rechtlich verbindliches Instrument zu schaffen, mit dem in einem ausgewogenen Ansatz der Schutz der Zivilbevölkerung vor gefährlicher Streumunition nachhaltig erhöht wird, ohne dass dadurch notwendige militärische Fähigkeiten ausgeschlossen werden. Dies ist gewiss nicht leicht, aber wir werden uns von den zu erwartenden Schwierigkeiten auf dem Wege dorthin nicht beirren lassen.

Die Zukunft wird zeigen, ob der Erfolg des Ottawa-Prozesses, der unter besonders günstigen Rahmenbedingungen zustande kam, wiederholbar ist. Jedenfalls hat er neue Impulse und Maßstäbe für weiteres dynamisches Zusammenwirken von Zivilgesellschaft und Politik gesetzt.

Ich bedanke mich für ihre Aufmerksamkeit und freue mich auf eine angeregte Diskussion.

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