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„Schritt für Schritt Wege in Richtung Frieden suchen“

18.08.2014 - Interview

Im Interview mit der „Bild am Sonntag“ sprach Außenminister Steinmeier über die Lage in Irak, Syrien und in der Ukraine. Erschienen am 17.08.2014.

Herr Minister, im Irak und in Syrien breitet sich ein islamistisches Terrorregime aus, in der Ukraine stehen sich die Großmächte gegenüber wie einst im Kalten Krieg und im Gazastreifen tobte bis vor kurzem ein heißer Krieg. Verdammt gefährlich geworden unsere Welt, oder?

Ja, die Welt ist in Unordnung geraten wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Im Irak, in Syrien, in der Auseinandersetzung zwischen Israel und den Palästinensern, nun auch in unserer europäischen Nachbarschaft in der Ukraine sterben viel zu viele Menschen in kriegerischen Auseinandersetzungen. Ich kann verstehen, dass die Menschen darüber sehr beunruhigt und auch verunsichert sind. Ich teile ihre Sorgen.

Schaffen Sie es, den Überblick zu behalten und auch noch Lösungsvorschläge zu entwickeln oder fühlen Sie sich hilflos?

In dieser Lage darf man sich nicht in Larmoyanz oder Ohnmachtsgefühlen ergehen. Jeder dieser Krisen ist wie ein gordischer Knoten ein Knäuel an Problemen und kann eben nicht mit einem Schwerthieb durchgehauen werden. Wir müssen mit Geduld und Entschlossenheit an der Beendigung der Gewalt arbeiten, politische Lösungskonzepte entwickeln und Schritt für Schritt Wege in Richtung Frieden suchen.

In der Ukraine halte ich das weiter für möglich. Ich habe für heute Abend erneut die Außenminister Russlands, der Ukraine und Frankreichs nach Berlin eingeladen, um über Wege aus der Krise zu beraten. Ich hoffe, dass es endlich gelingt, ein Ende der gewaltsamen Auseinandersetzungen hinzubekommen und den von der Gewalt betroffenen Menschen in der Ostukraine dringend notwendige Hilfe zukommen zu lassen.

Aktuell am bedrohlichsten erscheint der Vormarsch der ISIS-Terroristen. Wie sehr muss die freie Welt diese Mörderbande fürchten, die sich auf den Islam beruft und in Teilen der islamischen Welt Gehör sowie Unterstützung erfährt?

Die ISIS-Terroristen gehen mit unvorstellbarer Brutalität vor. Menschen werden hingeschlachtet, wahllos erschossen, geköpft. Anschließend werden die Köpfe vorgezeigt und im Internet präsentiert, auch um die Menschen einzuschüchtern, die als nächstes Opfer dieser Barbarei werden könnten. Bereits jetzt hat ISIS Syrien und den Irak destabilisiert, sein Ziel ist die Errichtung eines Terrorstaats jenseits der bestehenden Grenzen im Mittleren Osten. ISIS würde zweifellos auch versuchen, den Terror in andere Regionen der Welt zu tragen, auch nach Europa. Auch deshalb ist es im Interesse Europas, dass dem ISIS-Vormarsch im Irak Einhalt geboten wird. Ich bin überzeugt, dass das gelingt, wenn die politisch Verantwortlichen in Bagdad und Erbil dafür alle Kräfte mobilisieren und von der internationalen Gemeinschaft unterstützt werden.

Die Kanzlerin, die Verteidigungsministerin und auch Sie selbst haben Waffenlieferungen in Aussicht gestellt, um die drückende Überlegenheit der ISIS-Verbände gegenüber den kurdischen Sicherheitskräften auszugleichen. Wann beginnen die Lieferungen?

Wir schließen nichts aus, schauen, was möglich ist, und tun, was nötig ist – so schnell wie das nur irgend möglich ist. Deutschland hat im übrigen zu europäischen Partnerstaaten keinen Rückstand aufzuholen. Es kommt jetzt darauf an, dass ein europäisches Unterstützungspaket zustande kommt, das denen wirklich hilft, die den Vertriebenen Schutz gewähren und die sich gegen die ISIS-Bedrohung zur Wehr setzen. Es wird erheblich mehr humanitäre Hilfe benötigt. Es werden Unterkünfte und Infrastruktur für die Flüchtlinge sowie Schutzausrüstungen für die irakischen Sicherheitskräfte, allen voran die kurdischen Peschmerga, gebraucht.

Was die Waffen angeht: Wir müssen erst einmal klären, was die kurdischen und irakischen Kräfte, die vor allem über Waffen aus dem ehemaligen Ostblock und den USA verfügen, wirklich brauchen und wirklich einsetzen können. Zeit für eine Ausbildung an anderen westlichen Waffensystemen haben sie sicher nicht.

Kann die europäische Führungsmacht Deutschland auf Dauer wirklich die „Drecksarbeit“ anderen überlassen, wie Ihr Ex-Ministerkollege Guttenberg Berlin vorwirft?

Herrn zu Guttenberg möchte ich nicht kommentieren. Er hatte alle Möglichkeiten, zu seiner Zeit an der Entwicklung einer kohärenten deutschen Verteidigungspolitik mitzuwirken. An wohlfeilen Kommentaren von der Außenlinie besteht ansonsten kein Mangel.

Den Kurden wurde vor fast 100 Jahren von den Siegern des Ersten Weltkriegs ein eigener Staat versprochen. Komme er jetzt zumindest im Nordirak zustande?

Ein unabhängiger Staat der Kurden würde die Region weiter destabilisieren und neue Spannungen hervorrufen, möglicherweise auch mit Nachbarstaaten des Irak. Deshalb hoffe ich, dass es gelingt, dass die staatliche Einheit des Irak erhalten bleibt. Die Bildung einer neuen Regierung in Bagdad unter Führung eines Ministerpräsidenten al-Abadi, in der sich alle Regionen und Religionen des Landes wiederfinden und die sich wirksam gegen den Angriff von ISIS zur Wehr setzt, ist vielleicht die letzte Chance für den Zusammenhalt des irakischen Staates.

Übernahme mit freundlicher Genehmigung des Axel Springer-Verlags. Die Fragen stellten M. Backhaus und B. Uhlenbroich.

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