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Rede von Außenminister Frank-Walter Steinmeier vor dem Deutschen Bundestag zum Thema „60 Jahre Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“

05.12.2008 - Rede

- es gilt das gesprochene Wort -

Die Verabschiedung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vor sechzig Jahren war ein Signal der Hoffnung. Signal der Hoffnung für eine Welt, die nach dem Zweiten Weltkrieg in Trümmern lag, deren Zukunft ungewiss war im Zeichen des Kalten Krieges.

Heute leben wir in einer anderen Welt. Nicht nur Europa ist politisch geeint, friedlich wie nie zuvor. Auch viele Länder, die 1948 noch unter kolonialer Herrschaft standen, die von Armut und Unterentwicklung gezeichnet waren, haben einen Zeitsprung in die Moderne gemacht. Besonders in Asien haben Hunderte Millionen Menschen Zugang zu Wohlstand – größtenteils auf bescheidenem Niveau – gefunden. Wissen ist heute verfügbar, jederzeit und fast überall. Das garantiert dem Einzelnen noch keinen Schutz seiner Rechte, aber es verändert die Gesellschaften. Denn auch wo Zensur und Unterdrückung nicht verschwunden sind, leben die Menschen im Bewusstsein ihrer Möglichkeiten und klagen an, dass ihnen Rechte verweigert werden. Mobilität, Information und politische Aktion sind kein Privileg von Europäern und Nordamerikanern mehr. Das ist die Veränderung, die ich meine.

Nicht nur die Märkte der Welt wachsen zusammen. Das soziale Schicksal der Menschen wächst zusammen. Vieles bedrängt uns, was vor 60 Jahren noch jenseits unseres Wahrnehmungshorizonts lag. Regionale Krisen finden globale Aufmerksamkeit. Und das, weil wir wissen, die Risiken kennen kaum noch Grenzen und treffen uns alle. Die Konsequenz ist klar: Auf die Globalisierung der Märkte muss die politische Globalisierung folgen – unter Einschluss der Durchsetzung der Menschenrechte. Wir sind gefordert wie nie zuvor, diese zweite Globalisierung zu gestalten.

Die internationalen Institutionen erfüllen noch nicht die Anforderungen dieser Aufgabe. Das gilt insbesondere auch für den neu geschaffenen Menschenrechtsrat. Es gibt einige hoffnungsvolle Ansätze. Die am vergangenen Dienstag verabschiedete Resolution des Menschenrechtsrates zu Ostkongo zeigt, dass der Rat in der Lage ist, auf tagesaktuelle Situationen – wie in diesem Fall die schweren Menschenrechtsverletzungen im wieder ausgebrochenen Konflikt im Kivu – schnell zu reagieren.

Wir brauchen Grundnormen, die uns für unsere Arbeit an der globalen Verantwortungspartnerschaft Orientierung geben. Wir brauchen einen normativen Kompass. Und die universellen Menschenrechte sind ein solcher Kompass.

Er gibt uns die Richtung an. Aber er erspart uns nicht die politischen Anstrengungen, dem Ziel gleicher Rechte Schritt für Schritt näher zu kommen. Nicht die Deklaration der Ansprüche ist unsere schwierigste Aufgabe, sondern die Arbeit daran, die Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit zu schließen.

Die Erfahrung lehrt uns: Bürgerrechte sind die härtere Währung der Menschenrechte. Der demokratische Rechtsstaat ist unentbehrlich, damit die Menschenrechte nicht nur Postulat sind, sondern unmittelbar einklagbares Recht.

Deshalb will ich hier auch daran erinnern: Fünf Monate nach der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte erhoben die Mütter und Väter unserer Verfassung den Schutz der Grundrechte zum Auftrag staatlichen Handelns. Wenn wir bald den 60. Geburtstag des Grundgesetzes begehen, sollten wir nicht nur Geschichte feiern, sondern an die Gegenwart denken: Wir brauchen den handlungsfähigen Staat, um gleiche Rechte durchzusetzen.

Soziale Spaltung bedroht die Geltung von Menschenrechten. Die bürgerlichen Freiheitsrechte sind nur dann für alle gleich erreichbar, wenn soziale Teilhaberechte hinzutreten. Das ist unser gemeinsamer Auftrag in Europa. Europa darf nicht nur Markt sein. Es muss auch ein soziales Europa sein, um seinen Bürgerinnen und Bürgern gerecht zu werden.

Respekt vor jedem einzelnen Menschen, Schutz seiner unveräußerlichen Rechte – das ist ein elementarer Pfeiler deutscher Politik.

In den vergangenen zehn Jahren haben wir gemeinsam den Menschenrechtsschutz in diesem Lande gestärkt. Wir haben die Vertretung menschenrechtlicher Prinzipien in Deutschland gestärkt: mit dem Beauftragten der Bundesregierung für Menschenrechte, mit dem Institut für Menschenrechte, mit der Vorlage eines Nationalen Aktionsplans für Menschenrechte.

Wir haben die Europäische Grundrechte-Charta auf den Weg gebracht. Und wir waren für den Europäischen Verfassungsvertrag, der die Charta enthält. Auch wenn wir darüber keine Einigkeit in der EU erreichen konnten: Die Charta behält ihre Bedeutung. Wir stehen zu ihr. Sie formuliert die politischen und sozialen Rechte, die Teil der Identität Europas geworden sind.

Mit unseren Partnern in der EU treten wir für die weltweite Abschaffung der Todesstrafe ein. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang Usbekistan nennen. Natürlich gibt es dort noch unendlich viel zu tun, was die Menschenrechte angeht. Doch es gibt auch positive Schritte zu verzeichnen. Ich habe mich persönlich für die Abschaffung der Todesstrafe in Usbekistan eingesetzt. Seit zwei Jahren wird sie nicht mehr vollstreckt, in diesem Jahr wurde sie formaljuristisch abgeschafft. Wir haben Benchmarks geschaffen. So haben wir uns erfolgreich dafür eingesetzt, dass das IKRK endlich wieder Zugang zu usbekischen Gefängnissen hat. Ich bitte um mehr Verständnis für die EU-Politik gegenüber Zentralasien.

Erstmals haben die Vereinten Nationen zu einem Hinrichtungsmoratorium aufgerufen. Das ist der Erfolg einer starken gemeinsamen europäischen Stimme.

Natürlich gilt es auch, den politischen Druck zur Anerkennung und Durchsetzung von Frauen- und Kinderrechten zu erhöhen.

Die Rücknahme des deutschen Vorbehalts gegen die UN-Kinderrechtskonvention ist überfällig. Ich appelliere an alle, die im Bundesrat die Möglichkeit dazu haben, ihre Stimme zu erheben. Der 60. Jahrestag der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte ist ein guter Anlass, diesen Schritt zu tun.

Ich danke Ihnen.

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