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„Die Anstrengungen haben sich gelohnt“

18.03.2015 - Interview

Im Interview mit dem Magazin „Stern“ sprach Außenminister Steinmeier über die Herausforderungen seines Amtes, die deutsch-griechischen Beziehungen sowie die Krise in der Ukraine. Dort sei der Zustand fragil, aber es seien Fortschritte zu beobachten. „Ob ein Neuanfang gelingt, hängt vor allem von Russland ab“, erklärt der Minister.

Herr Steinmeier, wir treffen Sie auf dem Weg in USA, im Luftwaffen-Airbus „Konrad Adenauer“, quasi an Ihrem zweiten Wohnsitz...

Ja, da ist was dran. Aber was soll ich machen? Das bringt die Arbeit und insbesondere die Lage in der Welt nun mal so mit sich.

Dieses Amt prägt einen mehr, als man selbst das Amt prägen kann - das hat einer Ihrer Vorgänger, Joschka Fischer, gesagt. Haben Sie sich mal dabei ertappt, dass Sie daheim am Küchentisch in diplomatische Floskeln verfallen sind?

Die Versuchung mag groß sein. Wenn es je so war, hat meine Familie mir das schnell ausgetrieben.

Sie betreiben „Politik total“. Eigentlich sind Sie immer unterwegs. Welchen Preis zahlen Sie?

Ich beklage mich nicht, ich hab’s mir ja so ausgesucht. Aber wenn mir nichts fehlen würde, dann wäre ich ein armer Tropf. Es geht einem viel ab, zuallererst natürlich Zeit für die Familie. Immerhin habe ich es vergangene Woche zu Max Raabe in den Admiralspalast geschafft, sogar gemeinsam mit meiner Frau. Aber das ist eine seltene Ausnahme. Im Kino war ich monatelang nicht mehr.

Können Sie all die Krisenherde überhaupt hinter sich lassen, wenn Sie mal zuhause sind? Schließlich ist die Welt doch aus den Fugen geraten, sagen Sie.

Die Zeiten nehmen einen schon mehr mit, als ich das von meiner ersten Amtszeit in Erinnerung habe. Das Krisenmanagement hat noch einen Nebeneffekt: Vieles, was auch zur Arbeit eines Außenministers gehört, wie die ganz normale Pflege bilateraler Beziehungen, findet jetzt notgedrungen am Wochenende statt. Sonst ist es nicht zu schaffen.

Nehmen all' die Großen dieser Welt denn überhaupt keine Rücksicht auf Ihr Freizeitbedürfnis? Ist zumindest der Sonntagmorgen tabu?

Naja, schon deshalb nicht, weil der Sonntag in Israel und der arabischen Welt ein normaler Arbeitstag ist. Aber auch sonst kann ich das anderen nicht vorwerfen, weil ich ja selber oft am Sonntagmorgen versuchen muss, Kollegen zu sprechen. Wegen der unterschiedlichen Zeitzonen kann das auch mal in aller Herrgottsfrühe sein. Die meisten, jedenfalls die, die wichtig sind, sind aus ähnlichem Holz geschnitzt. Es hat sich jedenfalls noch keiner über einen Anruf von mir beschwert.

Wie hält man das körperlich durch, die ständigen Flüge, nächtelange Verhandlungen, den Druck?

Erstens habe ich Glück, ich leide nicht unter Jetlag. Das ist viel wert. Den Rest führe ich auf meine westfälische Grundausstattung zurück: Das Aufgeregte und die Neigung zur Hektik ist uns bekanntermaßen ja eher fremd. Das hilft, mit den Kraftreserven ökonomisch umzugehen. Und vielleicht hat das jahrelange Fußballspielen für die notwendige Kondition gesorgt, die ich heute weniger beim Fußball als bergauf in den Dolomiten pflege.

Die Kanzlerin sagt, sie könne auf Vorrat schlafen, wie ein Kamel.

Auf Vorrat schlafen kann ich nicht. Aber nach Tagen ohne oder mit wenig Schlaf reicht mir eine Nacht mit einer guten Mütze Schlaf, um wieder einigermaßen fit zu sein.

Ihr Körper sagt nie: Jetzt ist genug?

Der Körper nicht, der Geist manchmal schon. Natürlich ist es enttäuschend, wenn man trotz nächtelangen Verhandlungen nicht zu einem Ergebnis gekommen ist. Es gibt diese Situationen: Man hat viel Arbeit in eine wichtige Sache hineingesteckt, schwierige Partner in Einzelgesprächen massiert – und dann macht es plopp. Und alles scheint vergebens.

Und dann?

Dann werden Verhandlungen unfreundlich, manchmal laut!

Nicht die feine diplomatische Art.

Was erwarten Sie? Wir reden ja nicht über Kaffee und Kuchen. Es geht um viel – da liegen die Nerven der Verhandlungspartner auch mal blank. Nehmen Sie die Ukraine-Krise: Da geht es für Kiew um Sein oder Nicht-Sein. Für Gelassenheit ist da kein Platz! Und bevor Minsk möglich wurde, sind wir ja mehr als einmal nicht vorangekommen. Man darf trotzdem nicht aufgeben, nicht nachlassen, muss immer wieder neu ansetzen. Verhandeln heißt eben auch, die roten Linien der anderen zu erspüren und auszutesten. Die Kunst ist, dann immer wieder genügend große Schnittmengen ausfindig zu machen.

Sie haben sich in solchen Momenten, wenn es also „plopp“ macht, noch nie die Sinnfrage gestellt?

Nein. Gerade in dem Ukraine-Konflikt nicht. Es steht ja sehr viel auf dem Spiel: die Einheit der Ukraine, die Unverletzlichkeit von Grenzen, die europäische Friedensordnung, auch die Zukunft unserer Beziehungen zu Russland. Da lohnen sich auch weite Wege.

Sie meinen die Umsetzung der zweiten Minsker Vereinbarung, brüchiges Ergebnis eines 17-Stunden-Verhandlungsmarathons?

Ja, der Zustand ist immer noch fragil, jederzeit kann wieder Gewalt ausbrechen. Trotzdem: Die Anstrengungen haben sich gelohnt. Es gibt keine flächendeckende militärische Konfrontation mehr. Der Waffenstillstand wird ganz überwiegend eingehalten. Die OSZE-Beobachter bestätigen den Abzug von schweren Waffen. Vor allem sterben nicht mehr jeden Tag Dutzende Menschen. Damit darf man nicht zufrieden sein, aber es ist ein Fortschritt.

Muss es Sie nicht enttäuschen, dass Wladimir Putin mit seiner „Eskalationsdominanz“ nun faktisch einen Teil der Ukraine kontrolliert, trotz Ihrer Bemühungen?

In der Ukraine hat Russland internationales Recht verletzt, mehr als 5800 Menschen haben ihr Leben verloren. Da gibt es nichts schön zu reden. Aber allein mit dramatischen öffentlichen Appellen wird man einen unfriedlichen Zustand nicht in einen friedlichen verwandeln.

Sie umschreiben gerade wortreich, dass Putin faktisch Krieg in der Ukraine führt...

Eine militärische Konfrontation – ohne Zweifel. Aber die unerträglichen Bilder und Nachrichten, die uns von den Kämpfen erreichen, dürfen uns nicht zu der Annahme verleiten, der schlimmstmögliche Zustand sei schon erreicht. Was wir verhindern wollten, war die Eskalation in einen offenen Krieg zwischen russischen und ukrainischen Truppen. Ich bin ja nicht weniger besorgt als Sie, auch wenn ich mit dem Begriff Krieg etwas zurückhaltender umgehe.

Wir versuchen, die Realität möglichst exakt zu beschreiben.

Ich auch! Und deshalb bin ich ungern Stichwortlieferant. Sie mögen es „Krieg“ nennen. Ich vermeide den Begriff - die Welt ist nun mal nicht nur schwarz und weiß. Und meine Aufgabe ist es, die Graustufen zu beschreiben.

Zumutungen gehören zu Ihrem Alltag – als Außenminister muss man die aushalten können?

Ja, das muss man, wenn man die Welt nicht so lassen will, wie sie ist. Dazu braucht man einen gut justierten inneren Kompass, Geduld und Beharrlichkeit. Ein bisschen Erfahrung kommt auch dazu. Mir hilft, dass ich einige der Beteiligten schon lange kenne, John Kerry und Sergej Lawrow, auch den ukrainischen Außenminister Pawlo Klimkin.

Man sollte als Außenminister also über ein gewisses Alter verfügen?

Nicht immer und überall wird aus Alter auch Klugheit, wirklich nicht. Graue Haare machen noch keine gute Außenpolitik. Aber Erfahrung hilft. Vielleicht auch, weil man von denen ernst genommen wird, die anderer Meinung sind.

Muss ein Außenminister eigentlich trinkfest sein?

Früher war das so, und nicht nur in der Außenpolitik! Rituale, nicht enden wollende Abendessen, in Russland auch mit Wodka. Heute ist alles ungleich schneller und – in jeder Hinsicht – nüchterner geworden. Die Schlagzahl ist höher, die Mobilität gewachsen. Und nicht zu vergessen: Die Medien sind allgegenwärtig. Es kann sich keiner mehr leisten, in den Seilen zu hängen.

Vielleicht auch, weil die Welt näher herangerückt ist?

Jedenfalls gibt es heute keine Krise mehr, die uns fern ist. Jeden Abend sehen wir in den Nachrichten unerträgliche Bilder von den Krisenherden der Welt. Und die Bürger erwarten, dass Politiker diesen Zustand möglichst schnell verändern. Aber in der Außenpolitik muss man leider mit der bitteren Erfahrung leben, dass sich in fünf Tagen ein Krieg lostreten lässt – es aber viele Jahre brauchen kann, den Konflikt zu überwinden. Dieser Unterschied zerrt schon an den Nerven.

Herr Steinmeier, wenn Sie im Ausland auftreten dann sind Sie – Deutschland. Wie deutsch sind Sie eigentlich?

Das kann ich selber nur schwer beantworten. Einige meiner europäischen Kollegen würden vielleicht sagen: Der ist durch und durch deutsch, zu ernsthaft und zu diszipliniert! In diesen Zeiten erledigt sich eben nichts von selbst durch heftiges Abwarten.

Seit langer Zeit wird Deutschland auf außenpolitischer Bühne mal wieder an seine Geschichte erinnert. Griechenlands Premierminister Alexis Tsipras ist der Ansicht, Deutschland sei moralisch verpflichtet, Wiedergutmachung für Zerstörungen und Leid zu leisten, die Hitlers Wehrmacht in Griechenland anrichteten.

Wir sind uns unserer Verantwortung für das, was damals im deutschen Namen an Untaten begangen wurde, sehr bewusst. Der Bundespräsident hat das vor einigen Monaten in Griechenland eindrucksvoll zum Ausdruck gebracht. Mal ganz davon abgesehen, dass die Frage von Reparationen rechtlich und politisch abgeschlossen ist: Ich halte es für politisch gefährlich, das Thema gerade jetzt hochzuziehen.

Warum?

Ich glaube, dass wir, und allen voran die Regierung in Athen, all‘ unsere politische Kraft darauf konzentrieren sollten, Griechenland im Euro-Raum zu halten. Es gibt wahrlich viel zu tun, viel Zeit ist für die dafür erforderlichen Reformschritte nicht mehr. Es bringt doch nichts, gerade jetzt einen bilateralen Konflikt zwischen Athen und Berlin vom Zaun zu brechen. Wir dürfen mit der Währungsunion nicht scheitern. Ich möchte, dass Griechenland in der Eurozone bleibt. Wer behauptet, der Grexit, also der Ausstieg Griechenlands aus dem Euro, sei verkraftbar, der vergisst, wie das in der Welt wahrgenommen würde. Europa will auf Augenhöhe mit den Großen der Welt sein, mit den USA und mit China. Und dieses Europa kann ein Problem nicht lösen, das weniger als drei Prozent der europäischen Volkswirtschaft ausmacht? Das wirkt hilflos.

Plötzlich ist der „hässliche Deutsche“ wieder eine populäre Figur in Griechenland.

Syriza hat die Wahlen gewonnen. Der Wahlkampf ist vorbei, es stehen große Herausforderungen an, die angepackt werden müssen. Das gelingt nicht mit einer Debatte um Reparationen. Wir müssen aufpassen, dass Europa und die deutsch-griechischen Beziehungen keinen dauerhaften Schaden nehmen.

Also keine Wiedergutmachung?

Die Frage von Reparationen ist nicht mehr offen, sie ist politisch und juristisch geklärt. Es ist gegenüber der griechischen Bevölkerung nicht fair, Hoffnungen zu wecken, die nicht erfüllbar sind. Wir müssen endlich zur Sache kommen und nicht Ablenkungsdebatten führen.

Deutschland ist jetzt vor allem bei der Lösung der Ukraine-Krise gefragt. Was kommt da auf uns zu?

Der Finanzbedarf der Ukraine wird auch uns Europäer auf Jahre belasten. Um den wirtschaftlichen Kollaps der Ukraine zu verhindern und das Land zu stabilisieren, braucht es große Anstrengungen und, ja, auch Geld der internationalen Gemeinschaft.

Der Internationale Währungsfonds hat 17,5 Milliarden Dollar Kredithilfen gebilligt. Braucht die Ukraine einen Marshallplan?

Ein Hilfsprogramm für die Ukraine hätte die Dimension eines Marshallplans. Die Milliarden, die im Moment zur Verfügung stehen, können den wirtschaftlichen Kollaps vielleicht verhindern. Mehr nicht. Es geht nicht nur um Geld, sondern um eine Veränderung der Strukturen. Die Beendigung der militärischen Konfrontation ist nur der erste Schritt. Dann kommt der wirtschaftliche Reformprozess, strukturelle Reformen wie Bekämpfung der Korruption, die Stärkung der Rechtsstaatlichkeit. Ob die ukrainische Gesellschaft nach über 5800 Toten wieder zueinander finden kann, ist eine offene Frage.

Dazu wird Ihre aktuelle Amtszeit nicht reichen.

Nein. Für die Ukraine ist das eine Generationenaufgabe. Hinzu kommt: Die Volkswirtschaften Russlands und der Ukraine sind eng miteinander verflochten. Zum wirtschaftlichen Überleben braucht die Ukraine auch russische Absatzmärkte.

In den USA fordern einflussreiche Senatoren trotzdem vehement Waffenlieferungen an die Ukraine.

Ich glaube nicht, dass man der Ukraine mit dieser Art Ermutigung wirklich helfen kann. Im Gegenteil: Es würde bei einem Wiederaufflammen der militärischen Konfrontation nur noch mehr Opfer fordern und den Konflikt auf eine neue Eskalationsstufe heben, vielleicht sogar bis an den Punkt, der eine Umkehr nicht mehr möglich machen würde und die Lage unwiderruflich außer Kontrolle geraten ließe.

Der US-Senator John McCain hat Ihre Haltung zu Russland mit der Appeasement-Politik des britischen Premiers Chamberlain gegenüber Hitler verglichen. Sie hätten jede Glaubwürdigkeit verloren, weil Sie sich weigerten, Putin zu stoppen, der Ukrainer abschlachte.

Die Aussagen von John McCain sprechen für sich. Ich überlasse es Ihnen, sie zu bewerten. Richtig ist: Ob ein Neuanfang gelingt, hängt vor allem von Russland ab. Auch davon, ob Russland an der Umsetzung der Minsker Vereinbarung aktiv mitwirkt.

Vielleicht hat Putin gar kein Interesse an einer stabilen Ukraine?

Ich weiß nicht, ob es in Moskau eine zu Ende gedachte Ukraine-Strategie gibt, und habe es aufgegeben, mich das jeden Tag neu zu fragen. Für mich bleibt nur die bittere Feststellung: Sehr viel Vertrauen ist verloren gegangen. Das geht schnell, es dauert Jahre, Vertrauen wiederherzustellen.

Ihr Parteifreund Peer Steinbrück wird nun offenbar für eine Beratertätigkeit mittelbar von ukrainischen Oligarchen bezahlt. Einem davon droht wegen Bestechungsvorwürfen die Auslieferung in die USA. Ist das eine gute Idee?

Wer immer mithilft, die notwendigen Reformen in der Ukraine ins Werk zu setzen, ist grundsätzlich willkommen. Die Bereitschaft zu Reformen muss auch in der Ukraine selbst gestärkt werden. Wenn Peer Steinbrück seinen Rat und seine Erfahrung zur Verfügung stellt, begrüße ich das.

Steinbrück hat gerade einen Fehler eingeräumt – damit allerdings seine Kanzlerkandidatur 2013 gemeint. Haben Sie sich diese Frage in Bezug auf Ihre eigene Kandidatur eigentlich auch gestellt?

Natürlich bleibt da eine Wunde. Aber mit wachsendem Abstand von den Ereignissen rückt anderes in den Vordergrund: die Chance gehabt zu haben, für dieses Land und meine 150 Jahre alte Partei in die Auseinandersetzung um die Zukunft Deutschlands zu ziehen, und die Erinnerung an die vielen, die geholfen haben. Das macht einen – trotz des Wahlergebnisses – auch stolz.

Das klingt ja versöhnlicher als bei Steinbrück.

Bei mir kam im Wahljahr 2009 vieles zusammen: Die SPD war schon elf lange Jahre in Regierungsverantwortung. Der Start in meine Kandidatur war holprig, und vielleicht hat auch der ein oder andere in der SPD mit einem Kandidaten gehadert, der für die Agenda-Reformen des Jahres 2004 stand und steht. Aber es ist nicht fair, die Schuld für das Ergebnis bei anderen zu suchen; der Kandidat war ich.

Herr Steinmeier, die Amtszeit von Bundespräsident Joachim Gauck endet in zwei Jahren. Das wär doch was für Sie?

Wir haben einen hervorragenden Bundespräsidenten, und ich wünsche mir, dass er unser Land für eine weitere Amtszeit vertritt.

Es reizt Sie gar nicht, erster Mann im Staat zu sein? Schon wird darüber spekuliert.

Ich habe noch nicht einmal darüber nachgedacht. Auch das kommt mit einer gewissen politischen Erfahrung. Man springt nicht mehr über jedes Stöckchen, das einem hingehalten wird.


Die Fragen stellten Katja Gloger und Axel Vornbäumer für den Stern.

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