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Grußwort von Europa-Staatsminister Michael Roth zur Besichtigung der Wartburg

09.07.2015 - Rede

--es gilt das gesprochene Wort--

Sehr geehrte Damen und Herren,

herzlich Willkommen auf der Wartburg! Gemeinsam wollen wir hier heute auf den Spuren von Martin Luther wandeln, der an diesem Ort vor fast 500 Jahren ein gutes Jahr seines Lebens und Schaffens verbracht hat. Und kaum ein Ort in Deutschland eignet sich wohl besser, um einen Ausblick auf das 2017 anstehende Reformationsjubiläum zu wagen, als Eisenach. Schließlich trägt die Stadt seit März 2015 den offiziellen Titel „Reformationsstadt Europas“ – als eine von 36 Städten in acht europäischen Ländern.

Sie sind heute aus freien Stücken meiner Einladung gefolgt – wie schön! Luthers Aufenthalt auf der Wartburg 1521/22 war dagegen nicht ganz freiwillig. Kurfürst Friedrich der Weise hatte Luther damals auf die Wartburg bringen lassen, um ihn vor seinen Gegnern zu schützen. Denn Luther hatte sich mit seinen revolutionären Ideen nicht nur Freunde, sondern eben auch Feinde gemacht. Hier auf der Wartburg lebte und arbeitete Luther inkognito als „Junker Jörg“ in einer spartanisch eingerichteten kleinen Stube. Die erzwungene Rast nutze er für eine echte Meisterleistung: In nur elf Wochen übersetzte er hier das Neue Testament aus dem Griechischen ins Deutsche!

Nun mögen Sie sich fragen: Warum lädt der Europa-Staatsminister Michael Roth eine Reihe von Botschaftern und Abgeordneten auf die Wartburg ein? Was haben Luther und die Reformation mit der heutigen Politik und der Arbeit des Auswärtigen Amts zu tun?

Zum einen war mir diese Einladung ein persönliches Herzensanliegen: Als gläubiger Christ engagiere ich mich seit vielen Jahren in der evangelischen Kirche. Und natürlich gebe ich, wenn ich morgens in mein Büro komme, meinen Glauben nicht einfach so an der Garderobe ab. Das heißt nun nicht, dass wir im Auswärtigen Amt stets mit der Bibel in der Hand Außenpolitik machen. Aber natürlich gibt uns der Glaube manchmal auch im politischen Leben etwas mehr Orientierung. Und auch Luther war ja nicht nur ein Mönch, sondern eben auch ein politischer Mensch!

Nicht nur deshalb bin ich – unabhängig von persönlichen Glaubensfragen – fest davon überzeugt: Das Wirken Luthers und die Reformation vor fast 500 Jahren hat nicht zuletzt auch eine bedeutende politische und eine kulturelle Dimension. Das wird schon daran deutlich, dass wir die 500 Jahre Reformation nicht bloß einmal feiern. Wir feiern dieses Jubiläum seit 2008 gleich in einer ganzen Luther-Dekade, die ins Jubiläumsjahr 2017 mündet.

Ja, und lassen Sie uns nicht vergessen: Die Reformation hat vor allem auch eine europäische Dimension! Denn die Reformation ist keineswegs ein rein deutsches Phänomen. Sie ist eine europaweite Bewegung, die weit über die Grenzen Deutschlands hinausgestrahlt hat. Als Martin Luther seine 95 Thesen an die Tür der Schlosskirche zu Wittenberg schlug, brachte er damit einen Stein ins Rollen. Schon bald breitete sich die Reformation – mitgeprägt auch durch weitere Köpfe und Strömungen – über den europäischen Kontinent und später über die ganze Welt aus. Und deshalb freue ich mich umso mehr, dass heute so viele Botschafter aus Staaten in ganz Europa meiner Einladung auf die Wartburg gefolgt sind. Wie schön, dass Sie da sind!

500 Jahre Reformation sind für mehr als 440 Millionen Protestantinnen und Protestanten auf der ganzen Welt ein Ereignis, das einen ganz konkreten Bezug zu ihrem persönlichen Leben hat. Das Reformationsjubiläum verbindet also Menschen weltweit – und deshalb sollte es auch weltweit gefeiert werden. Über unsere Auslandsvertretungen wollen wir als Auswärtiges Amt den Gedanken der Reformation hinaus in die Welt tragen – von Kopenhagen und Warschau bis nach Guatemala, Australien und die USA. Mein Haus begleitet die vielfältigen Aktivitäten im Rahmen der Lutherdekade bereits seit einigen Jahren mit zahlreichen Projekten – von Konferenzen über Ausstellungen bis hin zu Konzerten in unseren Botschaften. Ich selbst freue mich, am diesjährigen Reformationstag gemeinsam mit meinem französischen Amtskollegen Harlem Désir an dem großen Festakt zur Eröffnung des Themenjahrs 2016 in Straßburg teilzunehmen.

Aber es gibt noch einen weiteren guten Grund, warum sich das Auswärtige Amt mit dem Verhältnis von Religion und Politik beschäftigt. Denn derzeit erleben wir eine merkwürdige Gleichzeitigkeit von zwei Phänomenen, die widersprüchlicher nicht sein könnten: Während in Deutschland und in vielen anderen westlichen Demokratien der religiöse Analphabetismus zu- und die Wirkmächtigkeit des Glaubens der Mehrheitsgesellschaft politisch und gesellschaftlich dramatisch abnimmt, wachsen in anderen Teilen der Welt religiöser und gewaltbereiter Fanatismus. Vielen Menschen scheint Religion immer gleichgültiger zu werden, bei einigen wenigen ist sie dagegen so präsent, dass sie sogar bereit sind, dafür zu töten.

Erst vor einigen Monaten haben wir bei den furchtbaren Anschlägen in Paris und Kopenhagen erlebt, wohin religiös motivierter Fanatismus und Hass Menschen treiben kann. Der Terror hat uns in Erinnerung gerufen: Religion ist eben nicht per se eine allein dem Frieden dienende spirituelle Weltanschauung. Manchmal wird der Glaube – gleich an welchen Gott – auch zum Irrglauben, der direkt in brutale, menschenverachtende Radikalität führt.

Nicht nur hier bei uns in Europa, sondern in vielen Krisen und Konflikten überall auf der Welt: Im Nahen Osten erleben wir seit Jahrzehnten einen Kampf der Religionen. Im Irak und in Syrien wüten islamistische Terroristen, die den Islam als Alibi missbrauchen, um barbarische Gräueltaten und Menschenrechtsverletzungen zu begehen. Beim Blick auf die aktuellen Schlagzeilen möchte man fast schon fragen: Ist denn die Religion an allem schuld?

In einer Welt, in der die Menschen scheinbar orientierungslos zwischen Ungläubigkeit und Irrglauben taumeln, tut wir gut daran, uns wieder auf die Kernbotschaften der Religion zu besinnen. Und dabei kann uns die Erinnerung an Luther und sein Wirken als Reformator helfen. Denn die Reformation war ja auch ein Wendepunkt für das Verhältnis von Christen und der Welt. Martin Luther bezog Position und vertrat diese vor Autoritäten. Und er hatte eine klare Botschaft an uns alle: Mischt Euch ein! Schaut nicht weg! Nehmt Eure Verantwortung vor Gott und der Welt ernst!

Und das ist es, was mich bis heute anspricht und nichts an Aktualität eingebüßt hat: Die Aufforderung an jeden Einzelnen, im Hier und Jetzt für Liebe statt Hass, für Versöhnung statt Krieg, für Solidarität statt Egoismus einzutreten. Auch wenn es anstrengend ist, auch wenn es Rückschläge gibt, die wir alle aus unserem Alltag kennen und die wir gerade in der Außen- und Europapolitik derzeit immer wieder aufs Neue erfahren – sei es in Griechenland oder in der Ukraine-Krise. Aber gerade dann muss Politik hartnäckig sein. Aufgeben vor der Eskalation oder untätiges Selbstmitleid darf niemals eine Option sein!

Und noch etwas bleibt auch nach fast 500 Jahren immer noch aktuell: Die Reformation hat politische, kulturelle und gesellschaftliche Veränderungen ausgelöst, die bis heute spürbar sind. Das war nicht zuletzt möglich, weil der verbindende Gedanke der Reformation eng verknüpft war mit der Forderung nach Gewissens- und Glaubensfreiheit und dem Wunsch nach einem friedlichen Zusammenleben von Menschen verschiedener Konfessionen. Kurzum: Das ist die Forderung nach gegenseitiger Toleranz, die auf Verständigung setzt, aber auch andere Meinungen aushalten kann, ja ertragen muss..

Auch Luther lehnte Gewalt ab, denn er war überzeugt, dass Gewalt letztlich nur den Gegner stärke. Dieser Gedanke ist in die „Confessio Augustana“, so etwas wie das Grundgesetz der Protestantinnen und Protestanten, eingeflossen mit der Formel „sine vi, sed verbo“: „nicht mit Gewalt, aber durch das Wort“. Fast liest sich das wie eine Definition für „Diplomatie“, finden Sie nicht auch? Worte stehen in der Tat nicht zu Unrecht im Zentrum der Diplomatie, sondern auch des reformatorischen Denkens. Selbst lesen können, die Heilige Schrift studieren: Verstehen, Nachdenken, sich eine Meinung bilden, Fragen dürfen – das war und das ist revolutionär. Religion funktioniert eben nicht nach dem Motto: Nicht fragen, bloß glauben! Gerade Martin Luther hat die Menschen aller Schichten immer wieder zu umfassender Bildung ermutigt. Bildung ist ein tragendes Fundament der Reformation!

Und so schließt sich der Kreis, liebe Gäste, denn wir sind damit heute ganz im Sinne der Reformation unterwegs. Auch wir unternehmen ja heute gemeinsam so etwas wie eine „Bildungsreise“, um mehr zu erfahren über das Wirken Luthers und das Reformationsjubiläum. Ich freue mich, dass Sie da sind! Noch einmal ein herzliches Willkommen!

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