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Verleihung des Preises des Westfälischen Friedens an Daniel Barenboim und an die jungen Musiker des West-Eastern Divan-Orchesters, Münster

30.10.2010 - Rede

-- Es gilt das gesprochene Wort --

Lieber Daniel Barenboim,
liebe Musikerinnen und Musiker des „West-Eastern Divan-Orchestra“,
meine sehr geehrten Damen und Herren,

ich freue mich, Sie alle heute hier in Münster begrüßen zu dürfen. Münster ist nicht nur eine lebendige Universitätsstadt. Münster ist nicht nur eine wirtschaftlich prosperierende Stadt. Münster ist Friedensstadt.

Mit dem Westfälischen Frieden gelang es 1648, Jahrzehnte der kriegerischen Auseinandersetzung und der Verwüstung in Deutschland und Europa zu beenden. Zum ersten Mal in der Geschichte Europas wurde damals ein Friede auf dem Verhandlungsweg erreicht. Die Städte Münster und Osnabrück stehen für Frieden und Aussöhnung.

Der Westfälische Frieden beendete den 30jährigen Krieg. Wir alle wissen: Das aber war keineswegs der letzte Krieg auf unserem Kontinent.

In Münster wie in vielen anderen europäischen Städten sind die Folgen der Konfrontation, die über Jahrzehnte unseren Kontinent zerrissen und unendliches Leid über die Menschen gebracht hat, immer noch sichtbar.

Es gehört zu den historischen Leistungen derer, die vor uns Verantwortung getragen haben, dass wir in Europa das Modell der Konfrontation durch das europäische Kooperationsmodell ersetzen konnten. Kooperation kann anstrengend sein. Sie braucht auch viel Geduld und gute Nerven, das kann ich inzwischen nach so manchem Sitzungsmarathon in Brüssel aus eigener Erfahrung feststellen. Wer aber die Folgen von Konfrontation kennt, der weiß, dass Kooperation jede Mühe wert ist.

Einige reden heute leichtfertig über Europa. Ich meine, wir können Europa gar nicht hoch genug schätzen. Denn Europa ist ein großes Friedens- und Freiheitsprojekt. Wenn Europa uns nicht mehr gebracht hätte als Frieden über Jahrzehnte, es hätte sich schon gelohnt.

Wir Europäer können niemandem in der Welt vorschreiben, wie er zum Frieden findet. Wir können aber eines tun: Wir können das erfolgreiche europäische Kooperationsmodell tagtäglich vorleben. Kooperation statt Konfrontation. Das ist die Lehre aus unserer Geschichte.

Lieber Daniel Barenboim,

mir wird heute die besondere Ehre zuteil, mit Ihnen einen weltberühmten Künstler, einen herausragenden Pianisten und Dirigenten, einen wahren Weltbürger und jemanden würdigen zu dürfen, der selbst konsequent auf Kooperation setzt.

Gemeinsam mit dem verstorbenen palästinensischen Literaturwissenschaftler Edward Said haben Sie das „West-Eastern Divan-Orchestra“ ins Leben gerufen.

Ein Orchester an sich ist Ausdruck des Kooperationsgedankens. In einem Orchester gibt es keine wichtigen oder unwichtigen Instrumente. Jedes Instrument ist einzigartig. Die Erste Geige unterscheidet sich von der Zweiten Geige allein durch ihre Klangfarbe. Nur wenn jeder Ton zur Geltung kommt, entfaltet das Orchester seinen optimalen Klang.

Das „West-Eastern Divan-Orchestra“ erfüllt den Kooperationsgedanken zusätzlich in ganz besonderer Weise mit Leben: Junge, hochbegabte Musiker aus Jordanien und Syrien, aus dem Libanon und Ägypten, aus Israel und Palästina spielen gemeinsam unter Ihrer Leitung Werke großer Komponisten. Das Orchester ist ein wahrhaft grenzenloses Ensemble.

Junge Menschen, deren Eltern sich unversöhnlich gegenüber stehen, greifen unter Ihrer Leitung gemeinsam zum Instrument. Sie setzen Musik der Sprachlosigkeit entgegen.

Sie selbst haben das „West-Eastern Divan-Orchestra“ als eine „unabhängige Republik“ bezeichnet. In dieser unabhängigen Republik treffen Menschen aufeinander, die sich ohne das Orchester wahrscheinlich nie begegnet wären. Junge Menschen aus unterschiedlichen Staaten und Kulturen lernen voneinander Sichtweisen kennen, mit denen sie vorher keine Berührung hatten. Das kann schmerzvoll sein, wenn dadurch die eigene bisherige Wahrnehmung in Frage gestellt wird. Das kann auch erleichternd sein, wenn man überraschend unerwartete Ähnlichkeiten entdeckt. In jedem Fall stärkt es das Verständnis füreinander, selbst wenn man am Ende unterschiedlicher Meinung bleibt. Dieses gegenseitige Verständnis ist die Grundlage für Kompromisse. Kompromisse sind die Grundlage für Frieden.

Das „West-Eastern Divan-Orchestra“ lebt das Ideal einer friedlichen Gesellschaft des Miteinanders, die geprägt ist von gegenseitigem Respekt und Toleranz.

Lieber Daniel Barenboim,

Sie erhalten heute den Preis des Westfälischen Friedens, weil Sie sich als Künstler und als Bürger um Aussöhnung im Nahen Osten bemühen. Sie werden geehrt, weil Sie und Ihr Orchester Trennendes überwinden und Gemeinsames schaffen. Sie werden heute ausgezeichnet, weil Sie ein Friedensaktivist im besten Sinne sind:

Sie sind für den Frieden aktiv, auch wenn Sie in den elf Jahren, in denen es das Orchester jetzt gibt, oft und von vielen Seiten kritisiert und angefeindet worden sind. Für manche ist das „West-Eastern Divan-Orchestra“ ein Tabubruch.

Erinnert sei an dieser Stelle an das legendäre Konzert Ihres Orchesters im Jahr 2005 in Ramallah. Aus nahe liegenden Gründen war das damals ein kühnes Unterfangen. Spanien und Deutschland haben im Vorfeld des Konzertes hervorragend zusammengearbeitet. Details kann und möchte ich hier heute nicht zum Besten geben. Nur so viel: Mit viel Phantasie, mit Mut, Beharrlichkeit und großer Leidenschaft konnte das Konzert schließlich unter größten Sicherheitsvorkehrungen stattfinden.

Für uns wie für viele andere Menschen auf der Welt ist das Orchester eine Sensation.

Das „West-Eastern Divan-Orchestra“ zieht die Menschen in den Bann nicht nur wegen der Musik, sondern weil es im vermeintlich Kleinen zeigt, was wir uns im Großen sehnlich wünschen: Frieden im Nahen Osten.

Ich werde in den nächsten Tagen zum dritten Mal nach Nahost reisen. Wir sollten uns nicht vormachen, dass wir den Schlüssel zu einer friedlichen Lösung in unserer Hand hielten. Aber wir wollen alles tun, um den fragilen Prozess hin zu einer Zweistaatenlösung zu befördern und zu stärken.

Israels Sicherheit ist für uns nicht verhandelbar. Nur eine Lösung, die Israel eine Existenz in gesicherten Grenzen garantiert und gleichzeitig die Gründung eines lebensfähigen palästinensischen Staates gewährleistet, kann dauerhaften Frieden bringen.

Deshalb müssen die direkten Verhandlungen zwischen Israel und den Palästinensern fortgeführt werden. Es gibt dazu keine vernünftige Alternative. Einseitige Schritte bringen uns einer nachhaltigen Friedenslösung nicht weiter. Sie kann nur erreicht werden, wenn beide Seiten Zugeständnisse machen und Kompromisse eingehen. Ich unterschätze nicht die Herausforderungen. Aber ich zähle darauf, dass alle Beteiligten die Weitsicht und den Mut aufbringen, die notwendigen Schritte zu tun. Deutschland steht in der Verantwortung, diesen Prozess mit ganzer Kraft zu unterstützen.

Lassen Sie mich Ihnen ein konkretes Beispiel nennen: Die Zweistaatenlösung bedarf neben den Verhandlungen einer zweiten Säule, nämlich des Aufbaus funktionierender staatlicher Strukturen in den palästinensischen Gebieten. Dies zu unterstützen, ist Deutschland ein besonderes Anliegen. Deshalb haben wir im Mai dieses Jahres als erstes europäisches Land einen deutsch-palästinensischen Lenkungsausschuss auf Ministerebene ins Leben gerufen. Vor zwei Tagen (28.10.) hat der Ausschuss in Ramallah zum zweiten Mal getagt.Der bilaterale Lenkungsausschuss zeigt: Wir meinen es ernst mit unserer Unterstützung künftiger palästinensischer Staatlichkeit. Ich freue mich, dass mittlerweile mehrere europäische Partner unserem Beispiel folgen.

Unser beharrliches Ringen um einen Frieden im Nahen Osten sollte niemand mit einem Mangel an Realismus verwechseln. Unsere Möglichkeiten sind begrenzt. Aber wir können unterstützen. Die wichtigste Voraussetzung für die Überwindung von Gewalt bleibt die Friedenssehnsucht und die Versöhnungsbereitschaft derer vor Ort.„

“Durch die Musik„, hat Daniel Barenboim einmal gesagt, “kann es Annäherungen und Freundschaften geben, die sonst undenkbar wären, und doch wird die Musik die Probleme des Nahen Ostens nicht lösen„.

Das mag eine realistische Einschätzung sein. Mit Ihrer Arbeit aber setzen Sie ein Signal der Versöhnung und beflügeln die Friedenssehnsucht all derer, die das “West-Eastern Divan-Orchestra„ erleben dürfen. Das ist ein Beitrag zum Friedensprozess im Nahen Osten.

Denn Frieden ohne Beteiligung der Bevölkerung ist nicht denkbar. Oft ist es gerade das zivilgesellschaftliche Engagement, das erste Brücken baut, das Nähe schafft, und damit Frieden erst möglich macht. Hinter der Versöhnung der Regierungen muss auch eine der Völker stehen. Nur so kann dauerhafter Frieden gelingen.

Liebe Musikerinnen und Musiker des “West-Eastern Divan-Orchestra„, lieber Daniel Barenboim,

Sie erhalten heute den Preis des Westfälischen Friedens für Ihre Verdienste in der Förderung des gegenseitigen Verständnisses von Israelis und Palästinensern. Sie helfen den Weg zu ebnen hin zu einer friedlichen und gerechten Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts und zu Frieden im Nahen Osten.

Ihr Engagement aber strahlt weiter über die Region hinaus. Gegenseitiges Verständnis, Respekt und Toleranz sind Werte, die Sie vorleben und die an jedem Ort der Welt das menschliche Miteinander ausmachen sollten.

Ich gratuliere Ihnen herzlich.

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