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„Dramatische humanitäre Krise in der Tschadseeregion“

27.02.2017 - Interview

Im Interview mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) äußert sich Außenminister Gabriel zur humanitären Krise in der Tschadseeregion und zum deutschen Engagement in der Region. Gabriel war am 24.02.2017 Co-Gastgeber der Tschadsee-Konferenz in Oslo.

Wie schätzen Sie die momentane Lage in der Tschadseeregion ein? Wer ist mit am stärksten betroffen derzeit?

In der Tschadsee-Region spielt sich derzeit eine der schwersten humanitären Krisen unserer Zeit ab - und das vor den Augen der ganzen Welt. In der Region kommt derzeit vieles auf wirklich schreckliche Weise zusammen: Terror, Flucht, Dürre, Nahrungsmittelknappheit. Ganz besonders leiden darunter Frauen, Jugendliche und Kinder. Es geht buchstäblich um das nackte Überleben von Millionen von Menschen! Die Menschen brauchen unsere Hilfe - und zwar jetzt.

Deshalb habe ich für Deutschland hier in Oslo heute 120 Millionen Euro für humanitäre Hilfe sowie für Stabilisierungsmaßnahmen zugesagt, verteilt über die nächsten drei Jahre.

Wir dürfen nicht aus dem Blick verlieren, dass in Somalia oder Südsudan ebenfalls Millionen von Menschen dringend Hilfe benötigen. Auch dort ist die Not nur schwer erträglich. Ich habe heute entschieden, noch einmal zusätzlich 40 Millionen Euro für humanitäre Hilfe in Südsudan bereitzustellen, um unseren Beitrag zur Bewältigung der humanitären Krise dort noch einmal zu verstärken. Dies kommt zusätzlich zu den Geldern, die die EU kurzfristig für das Horn von Afrika zur Verfügung gestellt hat. Ich hoffe sehr, dass andere Geber unserem Beispiel folgen!

Mit Blick auf die Notlage in der Tschadseeregion und die anhaltende Bedrohung durch Boko Haram: Was muss die Weltgemeinschaft tun?

Zunächst einmal das, wozu wir heute gemeinsam mit Nigeria, Norwegen und den Vereinten Nationen hier über 40 internationale Partner zu einer Geberkonferenz eingeladen haben: Gemeinsam Gelder für die Bewältigung der dramatischen humanitären Krise in der Tschadseeregion bereitstellen, um Menschen vor dem Verhungern zu retten! Der humanitäre Bedarf bleibt größer denn je und die Hilfsorganisationen brauchen Planbarkeit, damit sie ihrer Arbeit effektiv nachgehen können.

Damit allein ist es aber nicht getan. Wir müssen stärker als bisher auch krisenvorbeugend und stabilisierend wirken, um dem grausamen Terror den Nährboden zu entziehen. Gleichzeitig stellen wir auch in der Region eine wachsende Bereitschaft fest, Eigenverantwortung für die Lösung von Krisen zu übernehmen.

Deshalb brauchen wir eine enge Partnerschaft mit diesen Ländern und den afrikanischen Regionalorganisationen. Zusammen mit Norwegen, Nigeria und den Vereinten Nationen haben wir heute eine Konsultativgruppe ins Leben gerufen, in der wir mit den Ländern der Region konkrete Schritte verabreden wollen, um im Kampf gegen Terror, Vertreibung und Armut voranzukommen und um den politischen Dialog der beteiligten Länder zu unterstützen.

Warum ist ein Engagement der Bundesregierung in der Region wichtig? Wie kann dies langfristig aussehen? Was halten Sie beispielsweise von der Idee eines „Compact mit der Tschadseeregion“?

Der Tschadseeregion hat traditionell eine wichtige Drehscheibenfunktion für Handel und Wirtschaft in den angrenzenden Ländern Nigeria, Niger, Tschad und Kamerun gespielt. Der grausame Terror von Boko Haram ist Gift für diesen wirtschaftlichen und kulturellen Austausch, vernichtet Lebensgrundlagen und hat Entwicklungsdefizite verstärkt. Stabilität ist daher wichtig, damit die Region auf die Beine kommt.

Von den 120 Millionen Euro, die wir heute für die Tschadsee-Region zugesagt haben, stellen wir deshalb 20 Millionen Euro bereit, um Deradikalisierungsprogramme anzuschieben, Versöhnungsprozesse zu unterstützen oder die lokalen Verwaltungen zu stärken.

Wir teilen mit vielen humanitären Akteuren den Willen zu langfristig greifenden Veränderungen. Wir stimmen uns daher nicht nur mit unseren europäischen und internationalen Partner eng ab, sondern suchen auch den Dialog mit der Zivilgesellschaft. Es war deshalb richtig, dass der Konferenz heute ein Dialogforum mit 200 zivilgesellschaftlichen Organisationen vorgeschaltet war, in dem gemeinsam über Maßnahmen zur Verbesserung der Lage in der Region beraten wurde.



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