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„Ein Iran, der in Frieden und Vertrauen mit seinen Nachbarn zusammenlebt, hätte der Region viel Positives zu bieten“

30.06.2015 - Interview

Aus Anlass der derzeit in Wien stattfindenden Verhandlungen über das iranische Atomprogramm sprach Außenminister Frank-Walter Steinmeier mit der amtlichen iranischen Nachrichtenagentur IRNA (30.06.2015).

Aus Anlass der derzeit in Wien stattfindenden Verhandlungen über das iranische Atomprogramm sprach Außenminister Frank-Walter Steinmeier mit der amtlichen iranischen Nachrichtenagentur IRNA (30.06.2015).

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Was kann Europa (sowohl auf Mitgliedsstaaten- als auch auf EU-Ebene) tun, um den weiteren Verlauf der Nuklearverhandlungen bis zum JCPOA (Joint Comprehensive Plan of Action) zu stärken?

Wir haben in Lausanne eine historische Eckpunktevereinbarung erreicht. Wir haben damit bereits bewiesen, was viele bezweifelt haben: Dass eine Einigung möglich ist, die dem Iran eine technologisch und wirtschaftlich stimmige, friedliche Nutzung der Kernenergie ermöglicht und ein Ende der Sanktionen bringt und gleichzeitig der internationalen Gemeinschaft dauerhaft und nachprüfbar garantiert, dass der Iran nicht nach Atomwaffen greift.

Die Prinzipien einer umfassenden Vereinbarung stehen also. Ich hoffe, dass niemand mehr diese Prinzipien in Frage stellt. Jetzt geht es darum, die gegenseitigen Verpflichtungen so detailliert festzuschreiben, dass beide Seiten die Sicherheit haben können, dass der Text auch wasserdicht ist und es keinen Streit über Interpretationen mehr gibt.

Welches sind aus Ihrer Sicht die schwierigsten Fragen, die noch zu lösen sind?

Für uns ist Transparenz ein entscheidendes Kriterium. Dazu gehört, dass die IAEO in der Lage sein muss, die Einhaltung der Vereinbarungen überall im Land auch im vollen Umfang zu kontrollieren. Ich weiß, dass es darüber im Iran eine kontroverse Debatte gibt. Ich glaube aber, dass diese Frage lösbar sein muss, auch weil Deutschland wie alle anderen Staaten, die das Zusatzprotokoll zum Nichtverbreitungsvertrag ratifiziert haben, der IAEO bereits heute entsprechenden uneingeschränkten Zugang gewähren. Es geht hier also nicht um das Ausspähen von militärischen Anlagen.

Darüber hinaus gibt es eine Reihe komplexer technischer Fragen, die noch zu lösen sind, etwa im Bereich der Zentrifugenentwicklung, aber auch bei den Mechanismen zur Aufhebung der Sanktionen. Trotzdem glaube ich auch hier: Wenn der politische Wille besteht, können wir Lösungen finden.

Stichwort Aufhebung der Sanktionen: Warum sollte der Iran einem finalen Nuklearabkommen zustimmen, wenn am Ende nicht alle Sanktionen gegen Teheran auf einmal aufgehoben werden? Sind die jüngsten Sanktionen gegen einige iranische Banken und Firmen überhaupt vereinbar mit dem Geist des Genfer Abkommens und der Lausanne Erklärung? Wie kann überhaupt wieder Vertrauen aufgebaut werden?

Wir haben angeboten, bereits in der ersten Phase alle Wirtschafts- und Finanzsanktionen außer Kraft zu setzen. Das wird für die Iraner sehr schnell spürbare Verbesserungen bringen, vor allem bei der Zahlungsbilanz und beim Wechselkurs. Experten schätzen, dass eine Aufhebung der Sanktionen zu einem Wirtschaftswachstum von fünf bis sieben Prozent und einem Rückgang der Arbeitslosigkeit um etwa drei Prozent führen wird. Das entspräche etwa einer Million zusätzlichen Arbeitsplätzen.

Deswegen arbeiten unsere Fachleute seit der Einigung von Lausanne mit Hochdruck daran, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass wir am Tag X unseren Teil der Vereinbarung pünktlich und ohne Abstriche erfüllen können.

Wie besorgt sind Sie über das Problem Ausländerfeindlichkeit und Islamphobie in Deutschland? Für wie gefährlich halten Sie die Pegida Bewegung?

Ich glaube, dass die Zeit längst über Pegida hinweggegangen ist. Das war ein destruktives Phänomen, das nicht nur unserem Ansehen im Ausland, sondern auch unserem demokratischen Zusammenleben in Deutschland geschadet hat. Ich bin froh, dass überall dort, wo Pegida aufgetaucht ist, viel mehr Menschen spontan zu Gegendemonstrationen gegangen sind und klargemacht haben: Deutschland bleibt ein weltoffenes, tolerantes Land. Wir lassen uns weder von Islamhassern noch von Terroristen auseinanderdividieren.

Auf welchen Gebieten sollten Ihrer Einschätzung nach deutsch-iranische Beziehungen im Besonderen gefördert werden? Nehmen Sie hierbei in Deutschland ein ähnlich großes Interesse wahr, wie man es auf iranischer Seite tut? Kann Deutschland wieder Irans Handelspartner Nummer 1 im Mittleren Osten werden? Wie können sich die kulturellen Beziehungen zwischen Deutschland und Iran entwickeln?

In der Tat: Vor dem Atomstreit war Deutschland nicht nur Irans wichtigster Handelspartner. Deutschland hat 1,5 Mio. Tonnen Rohöl im Jahr aus Iran importiert, es wurden deutsche Lastwagen, Motoren und Maschinen im Iran produziert. Wenn es uns endlich gelingt, das Nukleardossier zu lösen, sehe ich alle Chancen, dass wir dort wieder anknüpfen könnten. Iran und Deutschland haben einander viel zu bieten – übrigens auch im Kulturbereich. Da ist nicht nur die jahrhundertealte gegenseitige Faszination unserer Dichter und Künstler. Vor dem Atomstreit war zum Beispiel die deutsche Schule in Teheran die größte deutsche Auslandsschule. Viele Tausend iranische Studenten und Wissenschaftler studieren und arbeiten an den besten deutschen Universitäten. Der deutsch-iranische Schriftsteller und Islamwissenschaftler Navid Kermani hat gerade den bekanntesten deutschen Literaturpreis zugesprochen bekommen. Das lässt erahnen, wie groß das Potenzial für einen lebendigen Austausch sein wird, wenn wir die Hindernisse aus dem Weg räumen.

Mehrere europäische Außenminister haben den Iran in den letzten 18 Monaten besucht. Gibt es irgendwelche konkrete Reisepläne Ihrerseits für einen Besuch in den Iran?

Dass der Iran ein faszinierendes Reiseziel ist, hat sich auch in Deutschland herumgesprochen. Aber für einen Außenminister ist etwas anderes ausschlaggebend: Ich bin überzeugt: Wenn wir in Wien zu einer Einigung kommen, wäre das auch eine Chance, unsere Beziehungen in anderen Bereichen weiterzuentwickeln. Bilateral gibt es ein großes Potenzial für stärkeren Austausch zwischen Deutschland und Iran. Aber auch bei der Entschärfung der drängenden Konflikte in der Region lohnt es sich ausloten, wo es Möglichkeiten für mehr Zusammenarbeit gibt. Genug Gesprächsstoff für einen Besuch in Teheran gibt es also – wenn uns in Wien endlich die Lösung des Nukleardossiers gelingt.

Die iranische Selbstwahrnehmung besagt, man sei ein unverzichtbarer Partner für die Befriedung der Region des Nahen und Mittleren Osten. Die westliche Einschätzung hierzu scheint weiterhin stark zu divergieren. Könnte sich das mit einem möglichen Nuklearabkommen ändern und Iran verstärkt als Partner wahrgenommen werden?

Mit seiner Geographie, seiner reichen Kultur, seiner gut ausgebildeten Bevölkerung, seiner wirtschaftlichen Dynamik hat der Iran in der Region großes Gewicht. Ein Iran, der in Frieden und Vertrauen mit seinen Nachbarn zusammenlebt, hätte der Region viel Positives zu bieten. Dazu muss nach unserer Auffassung die Anerkennung des Existenzrechts Israels gehören.

Und es muss gelingen, in der Region die immer stärker aufgeheizte Stimmung konfessioneller Konfrontation zu durchbrechen. Meine Befürchtung ist, dass sich nicht nur in Syrien und im Irak, sondern auch an beiden Ufern des Golfs und sogar im Jemen die fatale Wahrnehmung ausbreitet, dass wir es nicht mit politischen Konflikten zu tun haben, die politisch gelöst werden können, sondern um eine unversöhnliche Feindschaft zwischen Schiiten und Sunniten. Wenn das jahrhundertealte friedliche Zusammenleben der verschiedenen Konfessionen in Frage gestellt ist, bedroht das alle Staaten der Region, nicht zuletzt Iran. Deswegen müssen wir dringend zu einem Prozess kommen, in dem wieder Vertrauen und Toleranz geschaffen werden können. Iran kommt dafür große Verantwortung zu. Ich hoffe in der Tat, dass sich nach einer Einigung im Atomdossier eine Chance eröffnet, über neue Formen der Zusammenarbeit nachzudenken.

Im Kampf gegen die Terrororganisation IS zeigt sich Iran resolut. Welche Rolle kann die Islamische Republik Ihrer Meinung nach bei der Bekämpfung des militanten Dschihadismus spielen?

Wir müssen vor allem die Fehler der Vergangenheit vermeiden, die überhaupt erst die Bedingungen für den Vormarsch von ISIS geschaffen haben. Mossul ist ISIS ja nicht in die Hände gefallen, weil es der irakischen Armee an Waffen oder Munition gefehlt hätte, sondern weil die Soldaten – und ein Teil der Bevölkerung – nicht bereit waren, für einen irakischen Staat zu kämpfen, von dem sie sich alleingelassen fühlten. Deshalb wird man dem Phänomen ISIS auch auf Dauer nicht allein mit militärischen Mitteln Herr werden, sondern es braucht vor allem politische Fortschritte.

Alle müssen dazu beitragen, die konfessionellen Gräben im Irak zu überwinden und der sunnitischen Bevölkerung wieder eine politische Perspektive im irakischen Staatswesen zu bieten. Das wird nur gelingen, wenn etwa in Ramadi oder Mossul die irakische Armee den Kampf gegen ISIS führt, und nicht konfessionelle Milizen, vor denen die lokale Bevölkerung Angst hat. Unterstützung des Iran dafür wäre langfristig wichtiger für den Kampf gegen ISIS als alle Raketen und Luftangriffe.

Zur Erlangung einer politischen Lösung in Syrien scheint kein Weg an Teheran vorbeizuführen. Sehen Sie in dieser Angelegenheit einen Paradigmenwechsel, auch auf westlicher Seite, dass Iran hier einbezogen werden muss? Welche Rolle Irans würden Sie hierbei begrüßen?

Wenn einem Großteil der syrischen Bevölkerung nur die Wahl zwischen Assads Fassbomben und den Schlächtern von ISIS bleibt, rücken alle Ansätze für eine politische Lösung in immer weitere Ferne. Je länger der Konflikt anhält, je mehr ausländische Extremisten und konfessionelle Milizen den Ton angeben, desto schwieriger wird es, die Grundlagen für ein friedliches Zusammenleben in Syrien zu erhalten. Kein anderes Land hat so großen Einfluss auf die syrische Regierung wie Iran. Ich würde mir wünschen, dass Iran diesen Einfluss nutzt, um die Regierung an den Verhandlungstisch zu bringen, solange es auf beiden Seiten noch Kräfte gibt, die Frieden wollen, und mit denen ein Gespräch möglich ist.

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