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Syrien: „Für die Perspektive auf Frieden braucht es mehr“

02.01.2017 - Interview

Außenminister Frank-Walter Steinmeier im Interview mit der Rheinischen Post (02.01.2017). Themen: Entwicklung in Syrien, israelische Siedlungspolitik, Neuausrichtung der deutschen Außenpolitik, deutscher G20-Vorsitz, Ukraine.

Außenminister Frank-Walter Steinmeier im Interview mit der Rheinischen Post (02.01.2017). Themen: Entwicklung in Syrien, israelische Siedlungspolitik, Neuausrichtung der deutschen Außenpolitik, deutscher G20-Vorsitz, Ukraine.

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Herr Steinmeier, die Krise ist in der Außenpolitik der Normalfall geworden, das gilt besonders für ihre Amtszeit. Machen Sie uns Mut. Warum gibt es 2017 Anlass zu Optimismus?

Es stimmt, wir leben in unruhigen Zeiten. Als Außenpolitiker befindet man sich seit mindestens drei Jahren im dauerhaften Krisenmodus. Krise scheint eher der Normalzustand zu sein. Aber wir sollten nicht vergessen: Es gibt auch Lichtblicke! Schauen Sie zum Beispiel nach Kolumbien. Da gibt es nach einem blutigen Bürgerkrieg, der Millionen Menschen aus ihrer Heimat vertrieben hat, jetzt endlich eine echte Chance auf Frieden.

In Irak, Syrien und Libyen sind die IS-Terrorbanden dank umfassender Anstrengungen der lokalen, regionalen und internationalen Akteure auf dem Rückzug. Und natürlich hoffe ich, dass der Waffenstillstand zwischen dem Regime in Damaskus und den Oppositionsgruppen in Syrien hält und der Einstieg in politische Gespräche über eine Friedenslösung gelingen kann. Die Menschen in Syrien haben nach sechs Jahren eines brutalen Bürgerkriegs eine Perspektive für eine friedliche Zukunft ihres Landes verdient.

Welche Chance geben Sie der neuen Waffenruhe in Syrien?

Dass die Waffenruhe mehr oder weniger hält, ist ein vorsichtiges Hoffnungszeichen für die Menschen in Syrien. Aber erst die nächsten Tage und Wochen werden zeigen, ob es gelingt, die Waffenpause zu stabilisieren. Wenn wir etwas aus den gescheiterten Waffenruhen der letzten Monat gelernt haben, dann doch dieses: Für die Perspektive auf Frieden braucht es mehr als die Abwesenheit militärischer Konfrontation. Ohne echte politische Verhandlungen und ohne Beteiligung aller relevanten Akteure wird es nicht gelingen, die Kämpfe nachhaltig zu beenden.

Staffan de Mistura, der Syrienbeauftragte der Vereinten Nationen, engagiert sich mit unserer Unterstützung in diesem Sinne. Jetzt bleibt es wichtig - und ich kann das gar nicht oft genug betonen - dass die Konfliktparteien nun rasch humanitäre Zugänge zu allen belagerten Orten möglich machen und den Helfern keine Steine mehr in den Weg legen– das ist gerade im Winter dringlicher denn je! Unsere humanitäre Hilfe steht bereit und für die Menschen in Aleppo und anderen lange belagerten und umkämpften Orten geht es ums nackte Überleben.

Niemals darf die Tür der Diplomatie zugehen, sagen Sie. Durch das Nichteingreifen der westlichen Allianz konnte das Morden der russisch-syrischen Truppen in Aleppo weitergehen. Ist Diplomatie auch naiv?

Diplomatie ist vieles, aber sicher nicht naiv. Im Gegenteil: Es wäre naiv, zu glauben, dass man mit militärischen Mitteln die tiefgreifenden Probleme Syriens wirklich lösen kann. Auch Russland weiß das. Das ist sicher einer der Gründe für die jüngsten Verhandlungen mit der Türkei über einen Waffenstillstand. Und was Ihre Frage nach westlichen Militärinterventionen angeht, so kann man vieles fordern, wenn man nicht die Konsequenzen tragen muss. Zumindest sollte man sich aber vorher fragen, ob das militärische Eingreifen in der jüngsten Vergangenheit, etwa im Irak oder in Libyen zu mehr Stabilität und Sicherheit geführt hat.

Und hat es?

Im Irak jedenfalls sorgen wir uns nach Jahren eines blutigen Bürgerkriegs immer noch um die Zukunft des Landes. In Libyen arbeiten wir immer noch daran, so etwas wie staatliche Ordnung wieder herzustellen, die nach der Intervention 2011 zerfallen war. Nicht nur in Libyen, in der gesamten Region sind die Folgen bis heute spürbar: Nicht zuletzt libysche Waffen haben den Konflikt in Mali befeuert, den wir jetzt mühsam zu lösen suchen und wo zur Unterstützung dieses Prozesses heute deutsche Soldatinnen und Soldaten im Einsatz sind.

Im Nahen Osten ist die Lage nach dem UN-Beschluss eskaliert. Gefährdet der Siedlungsneubau die Zwei-Staaten-Lösung?

Das Existenzrecht Israels, wie die Sicherheit seiner Bürger, gehören zu den unumstößlichen Grundpfeilern unserer Außenpolitik. Auch die meisten meiner Gesprächspartner in Israel sagen mir, dass sich der Nahostkonflikt auf Dauer nur im Rahmen einer zwischen den Parteien verhandelten Zwei-Staaten-Lösung lösen lassen wird. Dabei gefährdet die Fortsetzung des Siedlungsbaus in den besetzten Gebieten die Grundlagen der Zwei-Staaten-Lösung. Gleichzeitig muss selbstverständlich auch die palästinensische Seite ihren Beitrag leisten und konsequent gegen Gewalt und Terror vorgehen. Nur wenn beide Seiten konkrete Schritte unternehmen, kann überhaupt wieder ein politischer Horizont entstehen, der die Wiederaufnahme von Verhandlungen ermöglicht. Leider sind die Chancen hierfür in jüngster Zeit nicht gewachsen

Mit ihrem „Review“-Programm haben Sie einen Dialog über die neue Außenpolitik begonnen, eine diplomatische Kreativität jenseits von „reden“ oder „schießen“ gefordert. Was hat der Prozess konkret in den Krisen gebracht?

Wenn die Welt sich verändert, muss auch die Diplomatie sich verändern. Dieser Gedanke hat mich bewegt, als ich 2013 ins Auswärtige Amt zurückgekehrt bin und den Review-Prozess angestoßen habe. Wir haben unsere Arbeit auf den Prüfstand gestellt und praktisch jeden Stein im Auswärtigen Dienst umgedreht. Und das war erfolgreich. Insgesamt sind wir heute für die Bewältigung komplexer Krisen besser aufgestellt als vor drei Jahren. Dank des Review-Prozesses haben wir jetzt einige neue Werkzeuge in unserem außenpolitischen Instrumentenkasten.

Das hilft uns ganz konkret, zum Beispiel im Irak, wo wir – auch mit neuen Ansätzen – dafür sorgen konnten, dass vom IS befreite Gebiete wieder stabilisiert wurden. So konnten in die Stadt Tikrit, die bis vor einem dreiviertel Jahr noch von ISIS beherrscht wurde, auch aufgrund unserer Hilfe, mittlerweile 90 Prozent der geflüchteten Bevölkerung zurückkehren. Wir haben mit einfachen und schnellen Sofortmaßnahmen – wie Reparatur von Strom- und Wasserleitungen dazu beigetragen, dass die Menschen in ihrer Heimatstadt Bedingungen vorfinden, in denen sie wieder leben und den Wiederaufbau mit eigenen Kräften unterstützen können.

Deutschland ist in diesem Jahr G-20-Gastgeber. Welche Botschaft soll von dem Treffen ausgehen?

Wir wollen die Globalisierung nicht einfach über uns hereinbrechen lassen. Wir wollen sie aktiv gestalten und in die richtigen Bahnen lenken. Dafür übernehmen wir mit der G-20-Präsidentschaft Verantwortung und setzen dabei drei Schwerpunkte: „Stabilität sichern“, „Zukunftsfähigkeit verbessern“ und „Verantwortung übernehmen“. Außenpolitik muss mehr sein als Krisenmanagement. Wir müssen auch an den langen Linien unserer Politik arbeiten und mit anderen Staaten Strategien darüber erarbeiten, wie wir diese Welt in Zukunft entwickeln wollen. Damit setzen wir ein Zeichen: Gegen den Rückzug in nationale Wagenburgen, gegen Abschottung – für internationale Zusammenarbeit, für Dialog und für Offenheit.

Wenn Sie auf Ihre Bilanz als Außenminister schauen: Worauf sind Sie stolz?

Leider ist das Jahresende als Außenminister nicht wie in der Fußball-Bundesliga, wo man in der Winterpause auf die Tabelle schaut, Bilanz zieht und stolz seine Punkte zählt. In der Diplomatie sind die Fortschritte oft weniger offensichtlich. Ich bin auf jeden Fall froh über einige Entwicklungen, die wir in den letzten Jahren angestoßen haben. Mit dem Iran haben wir nach jahrelangen zähen Verhandlungen einen Vertrag abgeschlossen und den Griff Teherans nach der Atombombe verhindert. In Kolumbien haben wir ein wenig helfen können. Die EU haben wir nach dem Brexit-Beben zusammengehalten und vor noch größerem Schaden bewahrt.

Und in der Ukraine-Krise...

...haben wir verhindert, dass der Krieg sich auf die ganze Ukraine und möglicherweise darüber hinaus ausbreitet - oft in schwierigen Marathon-Verhandlungen ohne Schlaf, mit Rückschlägen und immer wieder mit Frust, wenn die Umsetzung des Minsker Abkommens nur millimeterweise vorangeht. Und nach einem Jahr als Präsidentschaft der OSZE dürfen wir zufrieden sein, dass wir diese in Zeiten des Konflikts so wichtige Organisation wieder zum Forum zwischen Ost und West gemacht haben. Dass wir mit Unterstützung vieler OSZE-Staaten dazu noch eine neue Abrüstungsinitiative anschieben konnten, ist ein wichtiger Kontrapunkt gegen beunruhigende Aufrüstungstendenzen in Ost und West. Wenn ich auf die fast acht Jahre als Außenminister zurückblicke, dann stelle ich fest, dass deutsche Diplomatie zunehmend gefragt und geschätzt wurde.

Sie stellen sich im Februar zur Wahl als neuer Bundespräsident. Muss heute auch das deutsche Staatsoberhaupt internationaler denken?

Zunächst einmal haben die Delegierten der Bundesversammlung am 12. Februar das Wort. Für mich ist es eine große Ehre, für diese Wahl nominiert zu sein und ich freue mich über die große Unterstützung aus allen Bereichen der Bevölkerung. Und dass ein Bundespräsident international denken muss, ist Teil seiner Verantwortung und nicht neu, aber der Stellenwert wird möglicherweise größer in Zeiten von internationalen Krisen und Konflikten.

Interview: Michael Bröcker.

www.rp-online.de

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