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Flüchtlinge: „Deutschland übernimmt Verantwortung“

30.07.2015 - Interview

Interview mit Außenminister Frank-Walter Steinmeier zur Einigung über das iranische Atomprogramm, zum türkisch-kurdischen Friedensprozess, zur Lage in Syrien und Irak sowie zur Situation von Flüchtlingen in Deutschland und zur europäischen Flüchtlingspolitik. Erschienen in der Südwest Presse am 30.07.2015.

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Haben Sie die israelische Regierung inzwischen überzeugen können, dass das Atom-Abkommen mit dem Iran sinnvoll und effektiv ist?

Ich bin fest davon überzeugt, dass die Wiener Vereinbarung weitreichender und besser ist, als viele Experten erwartet hatten, weil sie wirklich Schlupflöcher beseitigt und einen iranischen Griff zur Atombombe ausschließt. Wie real und ernst die Bedrohung durch eine iranische Bombe wäre, hat Ministerpräsident Netanjahu vor drei Jahren bei den Vereinten Nationen selbst sehr anschaulich gemacht. Nur mit der Wiener Vereinbarung kann der Weg zur Atomwaffe versperrt werden, ohne sie würde er mit großer Wahrscheinlichkeit weitergehen. Mein Eindruck ist, dass es bei der Sorge vieler Israelis gar nicht so sehr um die Atomfrage geht. Das Gefühl der Bedrohung wird vor allem dadurch genährt, dass immer wieder Hardliner in Teheran offen die Vernichtung Israels fordern, während gleichzeitig an Israels Nordgrenze die Raketen der Hisbollah stehen. Diese Probleme sind durch ein Atom-Abkommen nicht über Nacht zu lösen. Ich bin aber überzeugt: Die Umsetzung der Wiener Vereinbarung bietet die Chance, dass sich auch im Iran langfristig die Kräfte durchsetzen, die für friedliche Beziehungen mit den Nachbarn sind.

Die Lage in Syrien und im Irak ist besorgniserregend. Gerät jetzt der Friedensprozess zwischen Türken und Kurden unter die Räder?

Ohne Zweifel: Die Türkei befindet sich in einer schwierigen Lage. Nach dem Selbstmordanschlag in Suruc ist deutlich geworden, dass Isis auch eine Bedrohung für den türkischen Staat darstellt. Dass die Türkei dies nicht tatenlos dulden kann, verstehen wir. Offenbar gibt es auch in der PKK Kräfte, die Gewaltverzicht nie ganz akzeptiert haben und es jetzt auch in Kauf nehmen, dass der Friedensprozess komplett zum Erliegen kommt. Dennoch muss es im Interesse der türkischen Führung liegen, dass der innertürkische Aussöhnungsprozess nicht dauerhaft zum Erliegen kommt. Das verlangt Verhältnismäßigkeit in der Antwort auf die PKK-Aktivitäten.

Deutschland engagiert sich im Kampf gegen den Isis-Terror mit Waffenlieferungen an die Peschmerga und der Ausbildung von Sicherheitskräften im Irak. Stehen diese Maßnahmen durch die Entwicklung der letzten Tage und die militärische Antwort der Türkei zur Disposition?

Es gibt gar keinen Grund, die erfolgreiche Zusammenarbeit mit den Peschmerga infrage zu stellen. Wo vor einem Jahr Isis brutal vormarschiert ist, sind Teile des Nordirak heute befreit, an einigen Orten konnten Flüchtlinge bereits zurückkehren. Nirgendwo sonst im Irak und in Syrien ist es so umfassend gelungen, den Vormarsch von Isis zu stoppen. Klar ist aber auch: diese Fortschritte werden auf Dauer nur Bestand haben, wenn es gelingt, das Krebsgeschwür Isis auch anderswo zurückzudrängen und schließlich zu besiegen. Es ist wichtig, dass die Staaten der Region dabei eine Führungsrolle übernommen haben und zeigen: Es geht nicht um einen Konflikt des Westens mit dem Islam, sondern wir selbst stellen uns dem Terrorismus entgegen.

Welche Gefahr geht von der Situation für den Irak und seine Regierung aus? Droht ein Flächenbrand im Nahen und Mittleren Osten?

Unser gemeinsames Ziel ist, dass Isis sich nicht weiter in der Region ausbreitet. Nur dann gibt es auch die Chance auf eine friedliche Lösung in Syrien. Und nur so kann es auch gelingen, im Nahen und Mittleren Osten die immer stärker aufgeheizte Stimmung religiöser Konfrontation zu durchbrechen. Im Augenblick müssen wir feststellen, dass sich nicht nur in Syrien und im Irak, sondern auch am Golf bis hin zum Jemen die brandgefährliche Vorstellung verbreitet, dass wir es nicht mit politischen Konflikten zu tun haben, die politisch gelöst werden können, sondern um eine unversöhnliche Feindschaft zwischen Schiiten und Sunniten. Wir müssen Wege finden, wieder Vertrauen zu schaffen. Die Einigung im Atomstreit hat immerhin gezeigt, dass mit beharrlicher Diplomatie auch im Nahen und Mittleren Osten Kompromisse und friedliche Konfliktlösungen möglich sein können.

Die Übergriffe gegen Asylbewerber und Anschläge auf Flüchtlingsheime - auch in Baden-Württemberg - haben zuletzt eine neue Dimension erreicht. Kann Deutschland diesen Menschen keinen ausreichenden Schutz mehr gewähren?

Es ist nicht nur tragisch, sondern auch beschämend, wenn Menschen, die bei uns Schutz suchen, um ihr Leben fürchten müssen. Fremdenhass und Rassismus mit aller Entschiedenheit entgegenzutreten, ist eine Aufgabe, der wir uns alle stellen müssen. Das deutlichste Zeichen geben all die, die sich freiwillig und ehrenamtlich engagieren, um Flüchtlingen zu helfen, bei uns anzukommen.

Mit der Solidarität in Europa scheint es nicht weit her zu sein, wenn man sich den anhaltenden Streit in der EU um verbindliche Flüchtlingsquoten anschaut. Ist der deutsche Beitrag zu diesem Problem angemessen oder können wir mehr leisten?

Europa kann ohne Solidarität nicht funktionieren. Das gilt gerade in einer Situation, in der wir mit Flüchtlingsströmen konfrontiert werden, wie es sie zu unseren Lebzeiten noch nicht gegeben hat. Deutschland übernimmt Verantwortung. Wir haben 125 000 Flüchtlinge allein aus Syrien aufgenommen, mehr als jedes andere Land in Europa. Dennoch ist klar: Kein Mitgliedstaat kann die Flüchtlingskrise allein stemmen. Mit dem Einstieg in ein Quotensystem auf freiwilliger Basis ist zumindest ein erster Schritt gemacht. Dennoch: Wir können des Flüchtlingsproblems langfristig nur dann Herr werden, wenn wir die Ursachen von Flucht und Vertreibung angehen.

Interview: Gunther Hartwig. Übernahme mit freundlicher Genehmigung der Südwest Presse

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