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Laudatio von Staatsminister Gernot Erler auf Dr. Christian Schwarz-Schilling anlässlich der Verleihung des Hessischen Friedenspreises, Wiesbaden, 20.11.2007

22.11.2007 - Rede

Staatsminister Gernot Erler hat Bundesminister a.D. Christian Schwarz-Schilling für seinen Einsatz für den Frieden und die Menschen auf dem Balkan gewürdigt. In seiner Laudatio anlässlich der Verleihung des Hessischen Friedenspreises erinnerte er auch an einen „in der deutschen Geschichte wohl einmaligen Vorgang“. Postminister Schwarz-Schilling legte nämlich 1992 wegen seiner Differenzen mit dem damaligen Bundeskabinett über die deutsche Balkanpolitik sein Ministeramt nieder.

Laudatio auf Dr. Christian Schwarz-Schilling anlässlich der Verleihung des Hessischen Friedenspreises, Wiesbaden, 20. November 2007

- Es gilt das gesprochene Wort -

Verehrte Frau Schwarz-Schilling,

sehr geehrter Herr Dr. Schwarz-Schilling,

sehr geehrter Herr Präsident des Hessischen Landtags,

sehr geehrter Herr Ministerpräsident,

Exzellenzen,

sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

meine Damen und Herren,

Es ist mir eine große Ehre, heute anlässlich der Verleihung des Hessischen Friedenspreises die Laudatio auf Dr. Christian Schwarz-Schilling halten zu dürfen: Einen Mann, der sich wie kein anderer in der deutschen Politik mit hohem persönlichen Einsatz und getragen vom Mut der Überzeugung unermüdlich für den Frieden und die Menschen auf dem Balkan eingesetzt hat.

Diese Aufgabe habe ich sehr gerne übernommen: als Vertreter des Auswärtigen Amtes und der Bundesregierung, aber auch in meiner Eigenschaft als Präsident der Südosteuropagesellschaft.

Aber zunächst möchte ich Ihnen, Herr Dr. Schwarz-Schilling, noch einmal ganz herzlich zu Ihrem gestrigen, 77. Geburtstag gratulieren!

Krieg und Frieden gehören zu den großen Lebensthemen von Christian Schwarz-Schilling.

Am 19. November 1930 als Sohn des Komponisten und Dirigenten Reinhard Schwarz-Schilling und der Konzertpianistin Dusza von Hakried in Innsbruck geboren, wuchs er in Berlin auf. Erfahrungen und Einsichten seiner Kindheit und Jugend in der NS-Zeit prägten sein Leben entscheidend. Seine ganze Familie war dem Regime suspekt: Die polnische Mutter hatte Auftrittsverbot, die Eltern wurden mehrfach verhört, die ältere Schwester über mehrere Monate von der Gestapo festgehalten – das Kriegsende wurde von der ganzen Familie als Befreiung empfunden. Christian Schwarz-Schillings kompromissloses Engagement für Demokratie, Freiheit und Menschenrechte hat hier seine Wurzeln.

Nach dem Abitur in Berlin entdeckte er seine Liebe zur chinesischen Kultur und Sprache. Das Studium der Sinologie und Geschichte in München schloss er 1956 mit einer Dissertation zum Thema „Frieden von Shan Yüan“ zwischen dem chinesischen Reich und dem Liao-Reich der Kitan im Jahre 1005 n. Chr. ab. Es geht dabei um einen stabilen Friedensschluss nach langen kriegerischen Auseinandersetzungen durch großmütigen Ausgleich der Interessen und ausdrücklichen Verzicht des chinesischen Reiches auf Machtdurchsetzung mit militärischen Mitteln. Also um eine Erkenntnis, die grundlegend für Christian Schwarz-Schillings späteres Wirken als Friedensstifter im Konfliktherd auf dem Balkan wurde.

Er selbst sagt, dass er sich sein Leben heute nicht vorstellen könnte, wenn er nicht in jungen Jahren von der chinesischen Philosophie geprägt worden wäre, er nicht Konfuzius und Laotse im Urtext gelesen hätte. Ohne Zweifel war die klassische asiatische Weltsicht mit ihrer Betonung von Geduld, Weisheit und Gelassenheit immer wieder entscheidender Wegweiser bei seinen schwierigen Vermittlungen. Das konfuzianische Wort „Wohin Du auch gehst, geh mit Deinem ganzen Herzen“ könnte man als ein Lebensmotto Christian Schwarz-Schillings ausmachen.

Seine Politikerlaufbahn begann Christian Schwarz-Schilling in der hessischen Lokal- und Landespolitik. Nach Eintritt in die CDU wurde er 1964 zunächst Mitglied des Kreistages in Büdingen und zog 1966 in den Hessischen Landtag ein, dem er zehn Jahre lang angehörte. Über drei Jahrzehnte, bis 1999, prägte er die hessische CDU, unter anderem als deren langjähriger Generalsekretär und stellvertretender Landesvorsitzender. 1976 wurde Christian Schwarz-Schilling Mitglied des Deutschen Bundestages, dem er über ein Vierteljahrhundert, bis 2002, angehörte.

1982 trat er dann in das Kabinett von Helmut Kohl ein und wurde mit zehnjähriger Amtszeit zum längstgedienten Postminister der Bundesrepublik – auch bekannt als der „Christian von der Post“.

In seine Amtszeit fallen unter anderem die Umwandlung der Behörde Post in ein modernes Dienstleistungsunternehmen, der Aus- und Neuaufbau des Telefonnetzes in den neuen Bundesländern sowie die Einführung von Kabelfernsehen und Mobilfunk - wahre Herkulesaufgaben, die Christian Schwarz-Schilling mit dem für ihn charakteristischen Beharrungsvermögen erfolgreich meisterte und damit Deutschland den Weg ins Informationszeitalter ebnete.

Es waren indes nicht die neuen Technologien, sondern die dramatischen Folgen des politischen Umbruchs in Südosteuropa, die den weiteren Weg von Christian Schwarz-Schilling bestimmen sollten. Die ihn dazu brachten, sich der Außenpolitik zuzuwenden und sich bis heute unermüdlich und hartnäckig für Frieden und Menschenrechte einzusetzen.

Anfang der 90er Jahre, als Deutschland und Europa ganz von den Herausforderungen der Wiedervereinigung und dem ersten Golfkrieg beansprucht waren, begann der Zerfall Jugoslawiens. Die damaligen Anfänge von Krieg und Bürgerkrieg, Flucht und Vertreibung – fast beschönigend „ethnische Säuberungen“ genannt – entwickelten sich rasch zum schwersten und blutigsten Konflikt in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg. Es kam in unvorstellbarem Maße zu Mord und Totschlag, Vergewaltigung und Vertreibung unter Nachbarn und Volksgruppen, die zuvor – vor allem in Bosnien und Herzegowina – friedlich zusammengelebt hatten.

Der Krieg in Bosnien wütete noch nicht lange, als Christian Schwarz-Schilling einen Augenzeugenbericht aus einem serbischen Hungerlager in Bosnien las. Heute sagt er selbst über diesen Moment, dass sich damals in seine Fassungslosigkeit über die schiere Möglichkeit dieser Verbrechen kaum eine Flugstunde von Wien entfernt, Erinnerungen an den von sowjetischen Panzern niedergewalzten Kampf der Ungarn 1956 mischten. Und die Not der Menschen in Bosnien ließ ihn nicht mehr los. Zu sehr erschütterten die Exzesse dort sein moralisches Empfinden und sein Mitgefühl.

Fortan setzte sich Christian Schwarz-Schilling energisch und unablässig für ein entschlossenes Eingreifen der Deutschen und der Europäer in Bosnien ein. Er war überzeugt, dass nur so eine Eskalation der Krise wirkungsvoll verhindert werden könnte.
Stets war er der Auffassung, dass ein Minister im Bundeskabinett nicht nur Verantwortung für sein Ressort trägt, sondern auch eine Gesamtverantwortung für Entscheidungen der Regierung hat. So appellierte er im Sommer 1992 etwa an den damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl:

„Ich halte die Haltung Europas in Sachen Jugoslawien für beschämend. Alle unsere Ideale werden mit Füßen getreten: Menschenrechte, Völkerrecht, feierliche Deklarationen (...) der KSZE, der UN. (...) Ich weiß, dass unsere Hände im Moment weitgehend gebunden sind, nicht aber unser politisches Wollen, unsere Grundeinstellung - und unsere europäische Verantwortung schon gar nicht! Deswegen müssen wir wenigstens in unserer Haltung sehr klar sein - und nicht aus der Begrenzung unserer deutschen Möglichkeiten auch noch international die falschen Ratschläge geben!“

Im Dezember 1992 zog Christian Schwarz-Schilling seine persönliche Konsequenz und trat als Minister für Post und Telekommunikation zurück. Dies nicht zuletzt wegen seiner Enttäuschung über „das Nichtstun“ des Kabinetts, die praktische Folgenlosigkeit der damaligen deutschen Balkanpolitik für die unter dem Bürgerkrieg leidenden Menschen. Und um ein deutliches Zeichen des Protests zu setzen! Ein in der deutschen Geschichte wohl einmaliger Vorgang, dass ein Minister wegen Unvereinbarkeit von Ansichten über ein Thema, das gar nicht sein Ressort betraf, freiwillig aus seinem Amt scheidet.

Wohl nicht zu Unrecht wird Christian Schwarz-Schilling von Freunden, Kollegen und Mitstreitern beschrieben als „unbequemer Mahner, der (…) den Finger auf die Wunden legte, die nicht heilen wollten“, als „Querkopf“, gradlinig, streitbar und aufrecht.

Meine Damen und Herren!

Den eingeschlagenen Weg des leidenschaftlichen und prinzipienfesten Menschenrechtlers ging Christian Schwarz-Schilling seither konsequent weiter. Nach der Bundestagswahl 1994 wurde er Mitglied des Auswärtigen Ausschusses und von 1995 bis 1998 war er Vorsitzender des Unterausschusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe, dem er bis zu seinem Ausscheiden aus dem Bundestag 2002 angehörte.

Immer wieder rief er in den folgenden Jahren zur Tat, wo immer auf der Welt die Menschenrechte besonders bedroht waren. So war regelmäßig die Lage in Tibet sein Thema. In zahlreichen Debatten erhob er das Wort für die Menschenrechte im Lande, organisierte 1995 die große Tibet-Anhörung des Deutschen Bundestags, forderte konsequente Parteilichkeit zugunsten der Tibeter. Diese klaren, kompromisslosen Grundaussagen fanden meist über alle Parteigrenzen hinweg Beifall. Dabei konnte sich Christian Schwarz-Schilling um der Sache willen durchaus auch als scharfer Angreifer zeigen. Wie 2002, als er in einer Bundestagsdebatte der Regierung „Feigheit“, „Angst“, „Leisetreterei“ und „Drückebergerei“ vor China vorwarf, dessen Wirtschaftskraft mehr Wert zubemessen würde als den Menschenrechten.

Das Eintreten für Menschenrechte auf der politischen Bühne wurde stets begleitet durch das Engagement des Privatmannes Schwarz-Schilling. So gründete er beispielsweise zusammen mit Thomas Mann und Dr. Rupert Neudeck eine nach ihm benannte Stiftung, die sich zum Ziel gesetzt hat, die internationale Gesinnung und den Völkerverständigungsgedanken zu fördern und sich für politisch, rassisch oder religiös Verfolgte sowie für Flüchtlinge und Vertriebene einzusetzen.

Schwerpunkt seines politischen Wirkens war und blieb jedoch Bosnien.

Erst Ende 1995 waren die Kriegsparteien dort unter massivem internationalem Druck, insbesondere durch die USA, bereit, ernsthafte Verhandlungen über eine Beendigung des Krieges zu führen. Mit der robusten Durchsetzung des Dayton-Friedensabkommens, das am 14. Dezember 1995 in Kraft trat, konnte letztlich ein Ende der Kämpfe, der Vertreibungen und des Mordens in Bosnien erzwungen und dem Friedensprozess auf dem westlichen Balkan eine Chance gegeben werden. Der Bosnienkrieg hatte insgesamt etwa 100.000 Tote gefordert, darunter 17.000 Kinder.

2,2 Millionen Menschen waren geflohen oder vertrieben worden. Wirtschaftlich war das Land am Boden. Die Arbeitslosenquote lag bei über 70%, mehr als die Hälfte der Gebäude, darunter zahlreiche Moscheen, Kirchen und Kulturgüter, waren zerstört.

Mit dem Dayton-Vertrag wurde Bosnien-Herzegowina unter der Formel „Drei Völker, zwei Entitäten, ein Staat“ in die „Republika Srpska“ und die „Bosnisch-Kroatische Föderation“ geteilt. Die NATO übernahm mit ihrer Schutztruppe die Kontrolle im Land.

Auf Betreiben der Internationalen Staatengemeinschaft war Christian Schwarz-Schilling im April 1995 in das Amt des Internationalen Streitschlichters in Bosnien berufen worden – eine Aufgabe, die ihn noch enger mit den leidgeprüften Menschen dieses Landes verbinden sollte. Und eine Aufgabe, die von vornherein eigentlich unmöglich zu erfüllen schien: nämlich die Aussöhnung und den Frieden in diesem von brutalem Bürgerkrieg und tiefem Hass geprägten Land voranzubringen. Dieses Amt sollte Christian Schwarz-Schilling zehn Jahre lang, bis 2005, innehaben.

Aber er war ohne Zweifel der richtige Mann für diese Herausforderung, der er sich – wieder einmal – mit ganzem Herzen widmete. Hier waren dringend seine Stärken gefragt: Geduld, Beharrungsvermögen, Kommunikationsfähigkeit. Und nicht zuletzt: eine mittlerweile große Liebe zu Land und Leuten. Unermüdlich reiste er durch das Land und brachte die ehemaligen Kriegsgegner auf lokaler Ebene immer wieder zusammen an den Verhandlungstisch. Er verstand es, in dieser schwierigen Atmosphäre Missverständnisse zu beseitigen und war bereit, Klartext zu reden, um pragmatische Lösungen auf den Weg zu bringen. Manches Mal scheute er auch nicht vor dem Griff in die Trickkiste zurück, um sein Ziel zu erreichen: noch heute wird erzählt, wie er Nonstop Marathon-Verhandlungen leitete in eiskalten Räumen, um die gegnerischen Parteien nachgiebig zu machen. Gespräche von bis zu 17 Stunden waren keine Seltenheit. Mit einem zwinkernden Auge wird auch berichtet, wie er sich zwischendurch erholte, indem er bei endlosen Streitereien scheinbar ein Nickerchen einlegte, um dann jedoch punktgenau seine Mediation einzubringen.

So brachte der Streitschlichter Schwarz-Schilling gut 100 Verträge in über 50 Städten unter Dach und Fach, was erheblich dazu beitrug, das Leben der Bosnier – Bosniaken, Kroaten und Serben – zu normalisieren. Innerhalb kurzer Zeit erwarb er sich nicht nur bei den Bosniaken, sondern auch bei Kroaten und Serben hohes Ansehen. Kaum ein anderer kennt Bosnien und die Sorgen und Nöte seiner Einwohner so wie Christian Schwarz-Schilling.

Ich möchte an dieser Stelle einen weiteren Aspekt seines Engagements für Bosnien hervorheben, der weniger bekannt ist. Christian Schwarz-Schilling setzte sich öffentlich und mit Nachdruck dafür ein, dass Bürgerkriegsflüchtlinge – der weitaus größte Teil stammte aus dem früheren Jugoslawien - Deutschland nicht sofort nach Kriegsende verlassen mussten. Unmittelbar nach Beendigung der Kampfhandlungen in Bosnien hatte man in deutschen Amtsstuben messerscharf geschlossen, dass allein durch den Friedensschluss die Voraussetzung für eine Rückkehr in die Heimat gegeben wäre.

Heimat? Ist ein Ort noch Heimat, wo Nachbarn auf Nachbarn geschossen haben? Kehrt man in seine Heimat zurück, wenn das Wohneigentum, das man Hals über Kopf verlassen musste, um das eigene Leben zu retten, von anderen Menschen bewohnt wird? Ist es Heimat, wenn das alltägliche Leben überwiegend von Misstrauen und Benachteiligung geprägt ist?

Für Christian Schwarz-Schilling waren dies nicht die Bedingungen, die eine massenweise Flüchtlingsrückkehr nach Bosnien zuließen. Und er sagte dies auch laut, ließ es dabei auf einen öffentlichen Krach mit dem damaligen Bundesinnenminister Kanther ankommen – und setzte sich durch.

Hier möchte ich von dem tiefen Eindruck berichten, den der Mensch Schwarz-Schilling bei einer jungen Kollegin aus dem Auswärtigen Amt hinterlassen hat:

Diese Kollegin war vor ein paar Jahren an der deutschen Botschaft in Sarajewo eingesetzt. Ihre Nachbarin Nevinka berichtete ihr unter Tränen, dass sie und ihre Familie fortan in der Garage nebenan wohnen würden: laut Beschluss der Verwaltung müssten sie die illegal besetzte Wohnung in Sarajewo verlassen, so wolle es das Gesetz. In ihre alte Wohnung in der Republika Srpska konnten sie nicht zurück – dort wohnte jetzt eine andere Familie, die ebenfalls Opfer des Krieges geworden war. Weit weg von Sarajewo wurde die Klärung von Eigentumsfragen nicht so schnell betrieben wie dort, wo die internationale Gemeinschaft permanent ein Auge auf die zu lösenden Fragen warf. Konsequenz: die Flüchtlingsfamilie würde obdachlos werden. Gesetz ist Gesetz!
Die Kollegin des Auswärtigen Amtes empfand dies als schreiende Ungerechtigkeit und wandte sich mit der Bitte um Hilfe an „CSS“, wie Christian Schwarz-Schilling amtsintern gerne genannt wurde. Dieser setzte sich umgehend persönlich dafür ein, dass die miteinander verbundenen Eigentumsfragen auch parallel und nahezu zeitgleich gelöst wurden. Nevinka und ihrer Familie wurde die Obdachlosigkeit erspart, die sie als Flüchtlinge so oft schon hatten erleben müssen. Sie dankten dem unbürokratischen Vermittler mit einer Einladung zu einem bosnischen Abendessen.

Meine Damen und Herren!

Seine profunden Kenntnisse von Land und Leuten und nicht zuletzt der große Respekt, den ihm Bosniaken, Serben wie Kroaten entgegenbrachten, waren die Voraussetzungen für die Berufung von Christian Schwarz-Schilling in die höchste internationale Position in Bosnien: Anfang 2006 trat er seine Arbeit als Hoher Repräsentant der Internationalen Staatengemeinschaft und Sonderbeauftragter der Europäischen Union für Bosnien an.

Mit den so genannten „Bonn Powers“ ausgestattet, hat der Hohe Repräsentant in Bosnien die Kompetenz, direkt in Entscheidungen der Regierungen des Gesamtstaates sowie der beiden Teilrepubliken einzugreifen, Gesetze zu revidieren und Politiker abzusetzen – und ist somit faktisch der mächtigste Mann im Lande.

Christian Schwarz-Schilling war jedoch entschlossen, von diesen Kompetenzen keinen bzw. nur sehr begrenzt Gebrauch zu machen. Ziel seiner Amtsführung war es vielmehr von Anfang an, den Bosniern mehr Eigenverantwortung, mehr „Ownership“ zu geben. Die Politiker sollten selbst die notwendigen Kompromisse und Entscheidungen treffen und auch die Verantwortung dafür übernehmen - eine klare Abkehr von der bisherigen Praxis, wonach nahezu sämtliche Entscheidungen von der Internationalen Gemeinschaft getroffen wurden und es für die einheimischen Politiker ein Leichtes war, diese für unpopuläre Maßnahmen und Gesetze verantwortlich zu machen. Christian Schwarz-Schilling plante im Grunde, was er bereits als Postminister mit dem deutschen Postministerium gemacht hatte: sein Amt und die zuständige Behörde, also den Hohen Repräsentanten, überflüssig zu machen. Die Internationale Gemeinschaft stimmte mit seinem Ziel überein, das Amt und seine umfassenden Befugnisse zum Juli 2007 an einen EU-Sonderbeauftragten zu übergeben.

Diese ursprüngliche Planung konnte angesichts der schwierigen innenpolitischen Lage in Bosnien-Herzegowina nicht umgesetzt werden.

Die Situation im Lande war geprägt von zum Teil polemischen Wahlkampf und schwieriger Regierungsbildung, von zunehmender nationalistischer Rhetorik und Stillstand bei der Durchführung grundlegender Reformen. Bereits im April 2006 verhinderte eine unheilige Allianz aus nationalistischen kroatischen und bosniakischen Politikern die dringend notwendige Verfassungsreform. Dabei wären diese und so viele andere Reformen unabdingbare Voraussetzung für eine Annäherung Bosniens an die Europäische Union gewesen.

Bei Christian Schwarz-Schilling wuchs die Einsicht, dass es die politische Kultur in Bosnien und Herzegowina noch nicht erlaubt, ohne Einwirkung von außen und weit reichende Kompetenzen der Internationalen Gemeinschaft die grundlegenden Weichen für ein stabiles, funktionierendes demokratisches Staatswesen zu stellen. Er konnte die Internationale Gemeinschaft davon überzeugen, dass der Oberste Repräsentant für Bosnien-Herzegowina nicht wie ursprünglich geplant am 30. Juni 2007 abgezogen werden sollte. Die Entscheidung über das Amt wurde um ein Jahr - also auf den 30. Juni 2008 - verschoben.

Trotz der schwierigen Rahmenbedingungen fallen in die Amtszeit von Christian Schwarz-Schilling als Hoher Repräsentant für Bosnien-Herzegowina wichtige Meilensteine des Landes auf seinem Weg in die euro-atlantische Integration:

So konnte Bosnien auf dem Gipfel in Riga im Dezember 2006 in die so genannte „Partnership for Peace“ der NATO aufgenommen werden, eine Verbindung zur militärischen Zusammenarbeit zwischen der Allianz und Staaten, die noch keine Mitglieder sind.

Die Verhandlungen über ein Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union konnten ebenfalls im Dezember 2006 abgeschlossen werden - ein bedeutender Schritt auf dem Weg hin zu einer möglichen späteren EU-Mitgliedschaft des Landes. Die Paraphierung des Abkommens wird allerdings erst dann möglich sein, wenn einige wichtige Reformvorbedingungen erfüllt sind.

2007 konnte Bosnien und Herzegowina einige weitere beachtenswerte außenpolitische Erfolge erreichen:

Am 1. Januar trat Bosniens der Freihandelszone CEFTA bei. Mit seiner Mitgliedschaft in diesem Freihandelsabkommen zwischen mehreren südost- und osteuropäischen Staaten hat Bosnien eine weitere wichtige Hürde auf dem Weg in Richtung Europäische Union genommen.

Darüber hinaus wurde das Land als ein Vertreter der Gruppe der osteuropäischen Staaten in den UNO-Menschenrechtsrat gewählt und Sarajewo zum Sitz des Sekretariats des aus dem „Stabilitätspakt für Südosteuropa“ hervorgehenden Regionalen Kooperationsrat ernannt.

Meine Damen und Herren,

Trotz dieser Fortschritte im außenpolitischen Bereich ist Bosnien-Herzegowina heute von gesellschaftlicher Normalität oder Stabilität leider noch weit entfernt. Auch Christian Schwarz-Schillings Nachfolger im Amt als Hoher Repräsentant und EU-Sonderbeauftragter seit Juli diesen Jahres, der Slowake Miroslav Lajčák, steht vor einer schwierigen Aufgabe. Seine Entscheidung, im Oktober auf die „Bonn Powers“ zurückzugreifen, um die Funktionalität der Regierungsorgane in Bosnien zu stärken und den derzeit paralysierten Gesamtstaat wieder handlungsfähig zu machen, stößt auf harten Widerstand insbesondere aus der serbischen Teilrepublik. Diese droht mit einer vollständigen Blockade der Regierungstätigkeit und stellt mit ihren Rufen nach Abschaffung der „Bonn Powers“ und Auflösung des Amts des Hohen Repräsentanten offen die Legitimität der internationalen Präsenz in Bosnien in Frage.

Die Bundesregierung unterstützt voll das Vorgehen des Hohen Repräsentanten Lajčák. Nach wie vor ist die starke Präsenz der Internationalen Gemeinschaft in Person des Hohen Repräsentanten für den Aufbau effektiver staatlicher Institutionen, die Konsolidierung des Friedens und die Eingliederung in die euro-atlantischen Strukturen unabdingbar.

Die überwältigende Mehrheit der bosnischen Bevölkerung sieht den Platz ihres Landes in der Europäischen Union. An der Zugehörigkeit des Balkans und damit auch Bosnien-Herzegowinas zu Europa bestehen in geographischer, historischer und kultureller Sicht keine Zweifel. Und die Thessaloniki-Agenda der EU hat dies auf den Punkt gebracht. Da heißt es: „Die Zukunft des westlichen Balkans liegt in der EU.“ Zu dieser Verpflichtung steht die Bundesregierung nach wie vor.

Meine Damen und Herren,

Auf diesem oft schwierigen Weg nach Europa hat Christian Schwarz-Schilling Bosnien-Herzegowina und seine Menschen viele Jahre lang begleitet. Er hat sich dabei in herausragender Weise um die Verständigung zwischen den Völkern des Landes verdient gemacht und damit ein großes menschliches Beispiel für unermüdlichen Einsatz und unerschütterlichen Glauben an friedliche Lösungen gegeben.

Eine Würdigung des Tun und Schaffens von Christian Schwarz-Schilling wäre jedoch unvollständig, würde man nicht auch den Beitrag seiner Familie erwähnen.

Ihr, insbesondere aber Ihnen, verehrte Frau Schwarz-Schilling, gehört diese Auszeichnung ebenfalls. Sie standen Ihrem Mann stets zur Seite und haben sich aktiv mit seinen Aufgaben und ihren komplexen Zusammenhängen auseinandergesetzt, ihm sprichwörtlich den Rücken freigehalten und seine Ideen voll mitgetragen – kurz: Sie sind, wie er selbst einmal sagte „(…) nicht nur Ehefrau, sondern Lebenskamerad“. Dafür gebührt Ihnen unser aller Dank!

Lieber Herr Schwarz-Schilling,

Heute erhalten Sie den Hessischen Friedenspreis als ein Mensch und Politiker, der sich mit festen Grundsätzen und ganzem Herzen unermüdlich für Frieden und Menschenrechte eingesetzt und sich deshalb im In- und Ausland hohes Ansehen erworben hat. Wie kaum ein anderer haben Sie es sich zur Aufgabe gemacht, mit großem persönlichen Einsatz insbesondere die friedliche Entwicklung im früheren Jugoslawien zu fördern und den Menschen in Bosnien-Herzegowina eine Perspektive zu geben.

Politik wird nicht allein durch Institutionen und Regeln bestimmt. Ihr Handeln zeigt, dass es durchaus auf den einzelnen Menschen ankommt, der mit Ausstrahlung, Durchsetzungskraft und Glaubwürdigkeit die Dinge zum Guten bewegen kann.

Der Hessische Friedenspreis 2007 ist Ausdruck des Dankes und der Anerkennung für Ihren großen Einsatz. Diesem Dank schließe ich mich auch ganz persönlich, im Namen der Bundesregierung sowie im Namen der Südosteuropagesellschaft an. Ich weiß, dass sich viele Menschen aus der Westbalkanszene sehr über diese Preisverleihung für Sie freuen werden.

Wenn ich jetzt am Ende sage, Sie haben sich diese renommierte Auszeichnung verdient, dann steht hinter diesem Wort „verdient“ sehr viel:

Viele tausend Stunden harter Arbeit.

Viel Kraft und Geduld mit schwierigen Partnern.

Der Verzicht auf den einfachen Weg, zu Erfolg und Anerkennung zu kommen oder beides zu genießen.

Viel Stehvermögen, um ungerechtfertigte Kritik zu ertragen.

Und die schlichte Weigerung, das Wort „unmöglich“ für die selbstgewählte Aufgabe zu akzeptieren.

Mit dieser kleinen Ergänzung zur offiziellen Preis-Begründung möchte ich schließen.

Ich gratuliere Ihnen, lieber Christian Schwarz-Schilling, zu Ihrer hohen Auszeichnung und wünsche Ihnen für Ihre Zukunft alles Gute.

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