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„Wir spüren, dass nichts unumkehrbar ist“

27.01.2017 - Interview

Der scheidende Außenminister Frank-Walter Steinmeier im Interview mit der Süddeutschen Zeitung (27.01.2017).

Der scheidende Außenminister Frank-Walter Steinmeier im Interview mit der Süddeutschen Zeitung (27.01.2017).

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Herr Minister, in den USA ist ein Mann Präsident, den Sie einen Hassprediger genannt haben. Musste das mal raus?

Ich war – trotz langer Jahre in der Politik und Erfahrung aus vielen Wahlkämpfen – entsetzt über diesen amerikanischen Wahlkampf. Und ich scheine nicht der Einzige gewesen zu sein: Der Präsident eines afrikanischen Staates fragte mit Blick auf das Wahlkampfgeschehen ganz offen: Herr Steinmeier, ist das Ihre Vorstellung von Demokratie, von der Sie uns überzeugen wollen? Und in der Tat: Nie haben wir eine solche Polarisierung in der amerikanischen Innenpolitik erlebt, und niemand, nicht mal er selbst, wird bestreiten können, dass der damalige Wahlkämpfer Donald Trump daran einigen Anteil hatte. Wir müssen darauf setzen, dass die Haltung des Präsidenten eine andere ist als die des Wahlkämpfers. Immerhin geht es nicht um Kleinigkeiten, sondern um Grundfragen unseres Selbstverständnisses, wie bei der Haltung zur Folter.

Darauf können Sie nicht vertrauen.

Der Amtsantritt liegt erst wenige Tage hinter uns. Die Antrittsrede hat die erhoffte Orientierung noch nicht ergeben. Die erste Pressekonferenz zeigt, dass der Wahlkampfmodus noch nicht abgelegt ist. Die Auseinandersetzung mit den Medien kann andauern. Die ersten Äußerungen der designierten Minister hören sich dagegen durchaus konstruktiv an. All das lässt noch keine Annahmen zu, welche der angekündigten Veränderungen kommen und was sie für Deutschland bedeuten. Sicher ist nur, dass wir in eine Phase vieler Ungewissheiten geraten. Ich hoffe, dass wir auf der anderen Seite des Atlantiks Zuhörer finden, die wie wir der Überzeugung sind, dass das transatlantische Verhältnis das Fundament des Westens ist. Dieses Fundament ist nur stark, wenn es von beiden Seiten getragen und gepflegt wird.

Aber die Rede ist eine erste harsche Botschaft. Macht Ihnen die nicht Angst?

Wäre ich ohne Sorge, würde ich mich öffentlich dazu ja nicht äußern. Beunruhigung gibt es ja nicht nur bei uns, sondern auch in den USA. Dennoch bin ich gegen Alarmismus: „America First“ ist wohl zunächst ein Signal an die eigenen Wähler. Wir warten noch auf Zeichen, dass Trump das Land insgesamt hinter sich vereinen will. „America First“ bedeutet hoffentlich nicht, dass sich die USA aus der internationalen Verantwortung zurückziehen werden. Ich hoffe, dass bei Trump und seinem Umfeld die Einsicht wächst, dass auch ein großes Land wie die USA Partner und Freunde in der Welt braucht.

Der Trend zur Nationalisierung und der Leugnung von Komplexität ist überall zu beobachten. Die Botschaft: Alleine geht es besser. Wie wollen Sie dagegen bestehen?

Indem Politik wieder viel mehr erklärt. Wir leben doch in einem Paradoxon: Die Welt rückt näher zusammen. Die Armut konnte reduziert, Bildung und Gesundheitsversorgung verbessert und das Lebensniveau erhöht werden, und das weltweit. Aber all das wird scheinbar widerlegt durch die Bilder von Not, Elend und Krieg, die uns tagtäglich gezeigt werden. Beides ist Teil einer komplexen Wahrheit. Unverbunden miteinander strömen dies und Nachrichten von Krisen und Katastrophen in immer größerer Atemlosigkeit auf die Menschen ein. Das überfordert viele Menschen. Das Tempo, mit dem alte Gewissheiten verschwinden, ohne durch neue Sicherheiten ersetzt zu werden, führt zu Verlustängsten und Identitätssorgen. So entsteht ein Humus für populistische Bewegungen.

Die Analyse hilft gegen Vereinfacher und Nationalisten noch nicht weiter.

Aufgabe der Politik ist es zu erklären, dass die Antworten nicht leichter werden können, wenn die Probleme immer komplexer werden. Das setzt Vertrauen in die demokratischen Institutionen voraus. Diese Institutionen können wir nur stark halten, wenn wir uns nicht in eine Fantasiewelt begeben, in der die Unterscheidung zwischen Wahrheit und Lüge schleichend aufgehoben wird. Die Demokratie ist das Fundament, auf dem wir unsere Kontroversen austragen. Wir sollten über Wege und Lösungen streiten – aber mit Respekt voreinander, und ohne das Gift der Lüge, der Diffamierung und der Delegitimierung. Wir sollten dabei nicht verzagen: Wann und wo hat der Populismus tatsächlich erfolgreich regiert und Ergebnisse vorzeigen können?

Trump zeigt größte Skepsis gegenüber der EU. Wie wollen Sie das abwehren?

Wir müssen vor allem klären, woran sich die Kritik des neuen US-Präsidenten an Europa entzündet. Ich habe nicht die naive Hoffnung, ihm das Wachsen und Werden der Europäischen Union aus den Trümmern des Zweiten Weltkriegs im Detail erklären zu können. Aber: dass die USA nichts davon haben, wenn Europa geschwächt wird, das sollte einleuchten. Die USA können kein Interesse daran haben, dass andere Mitglieder der EU dem Beispiel Großbritanniens folgen.

Der US-Präsident benennt Defizite, darunter den mangelnden Beitrag der Europäer zu ihrer Sicherheit. Hat er Recht?

Der Ruf nach einem höheren Beitrag Europas zur internationalen Sicherheit ist nicht neu. Europa hat das nicht ignoriert, sondern längst reagiert. Der Warschauer Nato-Gipfel dokumentiert dies, die Trendwende ist geschafft, auch bei uns. Im Übrigen ist Sicherheitspolitik mehr als Militärausgaben. Konfliktverhütung, Entschärfung von Konflikten gehören dazu wie aktive Vermittlung oder Teilnahme an Friedensbemühungen. Ich kann mich an keine Zeit erinnern, in der Deutschland mehr zur Überwindung von Krisen und Konflikten getan hätte.

Dennoch schaut Europa ohnmächtig zu.

Wäre das Atomabkommen mit dem Iran ohne Europa zustande gekommen? Sicher nicht! Und ohne das Abkommen wäre die Region auf einen Krieg mit dem Iran zugesteuert. Aber in der Interpunktion der Außenpolitik gibt es eben keinen Punkt, immer nur ein Komma. Eine Lösung ist nur selten eine abschließende Lösung. Noch muss der Iran zeigen, dass er nicht nur bereit ist, auf die Entwicklung von Atomwaffen zu verzichten, sondern auch eine konstruktive Rolle in der konfliktbeladenen Gesamtregion zu spielen. Dazu gehört auch die Entspannung des Verhältnisses zu Saudi-Arabien, das sich vom Hegemonialstreben des Iran bedroht fühlt. Auch da kann und muss Europa helfen.

Ausgerechnet das Atom-Abkommen wird Trump, wenn er Wort hält, aufkündigen. Wie gefährlich ist das?

Die Aufkündigung des Abkommens würde den Iran aus seinen Verpflichtungen entlassen. Mir will nicht einleuchten, wie das im amerikanischen oder israelischen Interesse liegen soll. Die Sorgen Israels um den gewachsenen Einfluss des Iran in der Region verstehe ich gut. Aber die Ängste werden doch nicht kleiner dadurch, dass der Iran wieder an der Entwicklung von Atomwaffen arbeitet.

Noch Schlimmeres verhindern: Das passt auch zum zweiten Großkonflikt Ihrer Amtszeit, dem Krieg in der Ukraine. Warum ist nicht mehr möglich?

Es steht außer Frage, wer den Ukraine-Konflikt zu verantworten hat. Die völkerrechtswidrige Annexion der Krim, die Destabilisierung der Ostukraine gehen auf das Konto Russlands. Aber wir haben nicht tatenlos zugesehen. Wir haben verhindert, dass aus den Unruhen im Osten der Ukraine ein militärischer Flächenbrand im ganzen Land und in der Region wurde – mit gefährlichen Folgen für ganz Europa. Der Konflikt ist nicht überwunden, aber mit dem Minsker Abkommen ist eine Eindämmung gelungen. Das Tempo seiner Umsetzung ist oft frustrierend langsam. Dennoch kann ich nicht raten, aus Enttäuschung und Verärgerung aufzugeben. Der blutige Konflikt kann schneller zurückkommen, als wir uns das heute denken.

Sie haben immer wieder erklärt, es gäbe in Syrien keine militärische Lösung. Im Moment sieht es so aus, als seien Sie widerlegt. Was ist passiert?

Dass es eine militärische Lösung für Syrien gibt, glaubt nicht einmal Russland. Mein Eindruck ist: In Moskau ist man sich der Fragilität des Waffenstillstands und seiner mangelnden Reichweite bewusst.

Trotzdem hat Russland den Sieg auf dem Schlachtfeld fast errungen.

Der Militäreinsatz Russlands hat natürlich zum Fall Aleppos und zur Stützung des Assad-Regimes beigetragen. Aber die Lösung für Syrien ist das noch lange nicht. Auch Russland und die Türkei wissen, dass die Lösung des Konflikts nur unter Beteiligung derjenigen Akteure gelingen kann, die immer ihre Hand im syrischen Krieg hatten. Das türkisch-russische Bemühen in Astana wird nur ein Zwischenschritt bleiben. Beide werden das Interesse haben, die Verantwortung für die politische Lösung auf mehrere Schultern zu verteilen, also unter das Dach der UN zurückzugeben.

Sie bleiben Zweckoptimist. In Wahrheit hat der Westen in Syrien nichts erreicht. Was bedeutet das für die Welt?

Ich will nichts beschönigen. Syrien ist vor allem ein Beispiel für die Handlungsunfähigkeit des Sicherheitsrats. Die Frage ist, wo und wann das Scheitern begonnen hat. Ich halte die Syrien-Krise für eine Chronologie verpasster Chancen. Von Anfang an.

Welche Chancen?

Die ersten Chancen wurden verpasst, lange bevor der Bürgerkrieg losbrach. Ich war wahrlich kein Sympathisant Assads, aber fand es notwendig, dem jungen Präsidenten Assad Wege der Zusammenarbeit mit dem Westen aufzuzeigen und bin deshalb auch in Damaskus gewesen. In Washington, übrigens auch in Paris, traf das auf heftige Kritik. Man zog es vor, Syrien zum Teil einer imaginären Achse des Bösen zu machen. Kofi Annan hat dann nach Ausbruch des Bürgerkriegs Vorschläge gemacht, die viele schon deshalb für unannehmbar hielten, weil sie nicht das sofortige Ende von Assad vorsahen. Mit etwas mehr Realismus hätten die ersten beiden Syrien-Konferenzen nicht scheitern müssen.

Müssen Sie nicht konstatieren, dass Putin die Welt bekommen hat, die er haben wollte? Soldaten, Waffen, Armeen sind wieder zentrale Währungen.

Russlands hoher Einsatz in Syrien war sicher auch davon getrieben, die provozierende Einordnung als Regionalmacht durch die USA zu widerlegen. Mindestens aus russischer Perspektive scheint das gelungen, Russland wird militärisch und als politischer Akteur ernst genommen. Das mag viele in Russland kurzfristig zufriedenstellen. Dennoch: Russland sollte sich nicht täuschen. Es wird keinen Weg zurück in die alte Welt von Jalta geben.

Warum nicht?

Russland kann Partner nicht nur aufgrund wiedergewonnener militärischer Stärke finden. Das politische Werben um Partner wird auch für Moskau unverzichtbar bleiben, will es in der internationalen Gemeinschaft eine Rolle mit Einfluss spielen.

Russland, aber auch China, Türkei, USA – warum ist die weltoffene, liberale Demokratie für viele zurzeit so wenig attraktiv?

Ich hoffe, dass Sie sich täuschen, mindestens mittelfristig. Es gibt offenbar derzeit den verbreiteten naiven Glauben, dass in einer immer komplexeren Welt autoritäre Führer schneller und besser entscheiden. Wir Demokraten müssen immer wieder unter Beweis stellen, dass das schlicht falsch ist. Unser Land ist dafür doch ein gutes Beispiel. Wir haben in Deutschland sicher nicht immer alles richtig gemacht. Aber in Zeiten großer ökonomischer Herausforderungen haben wir die Kraft gefunden, uns zu erneuern. Ohne Schuld und Verantwortung bei anderen zu suchen.

Warum ist das wichtig?

Demokratie braucht solche Erfahrungen. Sie muss mit größeren, auch existenziellen Bedrohungen umgehen können. Und sie muss erklären, dass für manche Probleme nationalstaatliche Lösungen nicht mehr zur Verfügung stehen, gerade bei den großen Herausforderungen unserer Zeit, wie Armut und Ungleichheit, Wirtschaft und Handel, Klima und Umwelt. Allein lassen sich vielleicht Lösungen verhindern; wer aber Lösungen in diesen Fragen sucht, braucht Partner. An dem Befund kommen auch autoritäre Staatsführer nicht vorbei.

Die EU wird seit der Finanzkrise 2008 von immer mehr Menschen infrage gestellt – bis hin zum Brexit-Beschluss der Briten. Wie kann man diese Dynamik stoppen?

Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass sich Europa als Friedens-, Freiheits- und Wohlstandsprojekt nicht überlebt hat. Europa ist unsere Zukunft, und Europa hat eine Zukunft. Nirgendwo lässt sich besser zeigen, dass Partnerschaft und Zusammenarbeit keine Nullsummenspiele sind, sondern allen Vorteile bringen. Auf und aus den Trümmern eines Europa fast vernichtenden Krieges ist ein Raum wundervoller Vielfalt, ungekannter Toleranz und des friedlichen Miteinanders entstanden, auf den wir stolz sein können, der der Welt ein Beispiel gibt.

Die neuen Nationalisten predigen eine simplere Welt für Europa. Warum nicht eine große Freihandelszone für alle – aber nicht mehr? Mit Kanada klappt das auch.

Dass ein französischer und ein chinesischer Präsident ihrem neuen amerikanischen Kollegen die Vorteile einer offenen Welt und eines freien Welthandels öffentlich nahebringen müssen, hätte ich mir bis vor wenigen Tagen beim besten Willen nicht vorstellen können. Der europäische Binnenmarkt mit seinen 500 Millionen zahlungskräftigen und anspruchsvollen Konsumenten ist viel mehr als eine Freihandelszone. Er ist handelspolitisch das größte Pfund, mit dem wir international wuchern können. Es wäre geradezu grotesk, das in nun fast 60 Jahren Wachstum und Fortschritt in der EU Erreichte aufzugeben. Freihandelszonen mit anderen Staaten und Regionen sind gut und wichtig, lassen aber immer Raum für indirekte Handelshemmnisse und Dumping. Ein Rückbau wäre für Europa der falsche Weg.

Wie viel Nationalstaat verträgt die EU? Wie viel braucht sie, um zu überleben?

Identität wird immer auch in nationalen Räumen stattfinden, in der eigenen Sprache, der eigenen Kultur und Geschichte. Entscheidend ist doch, dass nationale Identitäten sinnstiftend nach innen und nicht abgrenzend nach außen genutzt werden. Wo Patriotismus zu Nationalismus wird, wird es ernst, und gefährlich. Wir spüren, dass nichts unumkehrbar ist und der Frieden auch in Europa immer wieder neu begründet und gewonnen werden muss.

Sie werden ins Schloss Bellevue eine perfektionierte Diplomatensprache mitbringen. Vermittelnd. Ausgewogen. Aber so hält man keine großen, aufrüttelnden Reden. Müssen Sie sich neu erfinden?

Begonnen haben Sie mit dem Vorwurf mangelnder Diplomatie, nur dass das nicht in Vergessenheit gerät! Aber im Ernst: Soll ich die rituelle Formulierung jedes Präsidentschaftskandidaten wiederholen, ich will unbequem sein? Das Potenzial für Unbequemlichkeit steckt in der verfassungsrechtlichen Rollenbeschreibung des Bundespräsidenten. Damit muss man nicht verschwenderisch, sondern klug umgehen, wenn man gehört werden will. Die öffentliche Rede ist nicht das einzige Instrument dazu. In Zeiten zwischen den Welten, in historischen Übergangsphasen, mit all den Krisen und Unsicherheiten, braucht es überlegte Einordnung, gemeinsames Nachdenken, Vergewisserung über das, was uns wichtig ist – und Orientierung.

Interview: Stefan Braun und Stefan Kornelius

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