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Deutschland und Polen: „Gemeinsam den Weg der letzten 25 Jahre fortsetzen“

21.01.2016 - Interview

Aus Anlass seiner heutigen Reise nach Warschau sprach Außenminister Frank-Walter Steinmeier mit der polnischen Zeitung Gazeta Wyborcza (21.01.2016).

Aus Anlass seiner heutigen Reise nach Warschau sprach Außenminister Frank-Walter Steinmeier mit der polnischen Zeitung Gazeta Wyborcza (21.01.2016).

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Sie kommen nach Warschau knapp eine Woche nach der Entscheidung der EU-Kommission, die Lage des Rechtsstaats in Polen zu überprüfen. Was erwarten Sie von ihrem Besuch?

Ich werde in Warschau zu Gast sein bei Freunden, guten Nachbarn und engen europäischen Partnern, mit denen es ganz viel zu besprechen gibt. Und ich bringe das Vertrauen und die Hoffnung mit, dass wir gemeinsam den Weg fortsetzen, den wir in den letzten 25 Jahren nach dem Fall des Eisernen Vorhangs Hand in Hand miteinander gegangen sind. Gesprächsthemen gibt es wahrlich genug, allein wenn ich an unsere gemeinsame Verantwortung für Europa denke. Es ist jetzt wichtig, sich auf unsere Gemeinsamkeiten zu konzentrieren und alles dafür zu tun, das europäische Haus zu sichern.

Ist die Bundesregierung beunruhigt durch das, was in Polen nach der Regierungsübernahme durch die PiS geschieht?

Wir Deutsche fühlen uns unseren polnischen Nachbarn sehr verbunden. Das gilt für die Politik, für Wirtschaft und Handel, und ganz besonders für unsere Gesellschaften und den kulturellen Austausch. Das gilt im übrigen auch für die Medien: Es gibt großes und weiter wachsendes Interesse bei uns in Deutschland an allem, was in Polen geschieht. Wie nie zuvor gibt es in Polen ein dichtes Netzwerk an deutschen Korrespondenten, die täglich berichten, und das nicht nur aus Warschau. Wir brauchen auch zukünftig eine enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit Polen, gerade in Europa. Vor diesem Hintergrund ist es doch selbstverständlich, dass wir Deutsche auch die polnische Innenpolitik sehr aufmerksam verfolgen.

In den deutschen Medien kann man viele Stimmen lesen, die meinen, dass nach der Regierungsübernahme durch die PiS die Demokratie in Polen gefährdet sei. Teilen Sie diese Ansicht?

Wir verfügen glücklicherweise in Deutschland, übrigens genauso wie in Polen, über eine sehr lebhafte und vielfältige Medienlandschaft. Bestimmt haben Sie deshalb auch die Meinungen und Kommentare gelesen, die genau in die andere Richtung zeigen. Wichtige Vertreter Ihres Landes, nicht zuletzt Präsident Duda und Außenminister Waszczykowski, haben Gastbeiträge in deutschen Medien geschrieben und Interviews gegeben. Das ist Ausdruck des Interesses aneinander und nur ein gutes Zeichen für den Stand unserer Beziehungen. Jetzt gibt es einen strukturierten Dialog zwischen der Europäischen Kommission und der polnischen Regierung zu ganz konkreten legislativen Maßnahmen. Man sollte kein oberflächliches Urteil fällen, sondern tief in die Sache einsteigen. Ich habe den Eindruck, dass der Wille dazu auf beiden Seiten da ist. Und ich meine, dass die Diskussion über diese Themen auf europäischer Ebene und bei der Kommission gut aufgehoben ist.

Ihr Parteifreund Martin Schulz hat zuletzt die PiS-Regierung mit dem Russland Putins verglichen. Teilen Sie diese Ansicht?

Viele haben sich in den letzten Tagen und Wochen geäußert und manche haben auch nach Parallelen gesucht. Ich bin mit Vergleichen zwischen anderen Ländern immer sehr vorsichtig. Jahrhunderte einer immer wieder tragischen Geschichte Europas und besonders Polens haben bei allen verständlicherweise große Sensibilitäten entstehen lassen. Wir haben größten Respekt vor dem geschichtsmächtigen unbändigen Wille der Polen zu Freiheit und Souveränität, Selbstbestimmung und Demokratie!

Auf der anderen Seite hat der polnische Vizepremier Gliński jüngst gesagt, dass Deutsche, aufgrund der während des Kriegs verübten Verbrechen, kein Recht hätten, Polen zu belehren. Hat er Recht? Vielleicht sollten Sie lieber in Berlin bleiben?

Wir Deutschen wissen um die gemeinsame tragische Geschichte, die uns verbindet, und die historische Verantwortung, die für Deutschland daraus entsteht. Wir müssen beide ein Interesse daran haben, dass diese Geschichte für aktuelle Politik nicht instrumentalisiert wird, von wem auch immer. Ich empfinde große Demut, wenn ich an das Geschenk der polnischen Freundschaft für die Deutschen denke. Es gibt Momente unserer gemeinsamen Geschichte, die sich mir ganz besonders eingebrannt haben. Ein solcher ist für mich der Kniefall Willy Brandts in Warschau. Es ist doch ein schier unfassbares Glück, dass wir heute so eng in Europa verbunden sind. Das ist viel zu wertvoll, als dass wir es für die Tagespolitik auf das Spiel setzen dürfen. Wichtig ist doch: Wir wollen uns in der EU mit Respekt und auf Augenhöhe begegnen. Wir dürfen um keinen Preis zurückfallen in Entfremdung und Abneigung.

Wie informieren Sie sich über Polen? Ich frage, weil einige unserer Medien behaupten, westliche Politiker würden ihr Wissen über Polen aus unwahren Informationen beziehen.

Als Außenminister habe ich das Privileg, dass ich häufig und gerne direkt mit polnischen Kollegen sprechen kann. Es gibt in Berlin auch viele polnische Gesprächspartner. Witold Waszczykowski war gleich nach seinem Amtsantritt bei mir zu Gast, und wir haben ein langes Gespräch geführt. Auch meine Mitarbeiter sind mit ihren polnischen Partnern in ständigem Kontakt. Interessanter ist doch die Frage, wie unsere Mitbürger zueinander stehen. Da ist in den letzten Jahrzehnten mit viel Leidenschaft und Herzblut ein dichtes Beziehungsnetz von Initiativen und Austausch entstanden. Ein Paradebeispiel ist wohl die Europa-Universität Viadrina, die über beide Seiten der Oder reicht. Wer zusammen studiert hat, sieht in dem anderen einen Freund und Partner, und keinen Gegner. Das schließt natürlich nicht aus, dass man auch streitbar miteinander diskutieren kann und will.

Bei uns gibt es auch Stimmen, die meinen, die Entscheidung der EU-Kommission sei der Versuch einer Einmischung in innere Angelegenheiten und hinterfrage Entscheidungen eines demokratisch gewählten Parlaments. Hat die Kommission nicht etwas zu scharf reagiert?

Vergessen wir nicht, dass es die Mitgliedstaaten der Europäischen Union waren, die vor Jahren der Kommission einen solchen Umgang mit Fragen der Rechtsstaatlichkeit nahegelegt haben. Im übrigen hat die Kommission ja betont, dass sie das jetzt in einem engen Dialog mit Polen zu tun beabsichtigt. Darauf sollten wir vertrauen.

Können Sie sich vorstellen, dass Polen das Stimmrecht in der EU entzogen wird?

Ich mag mir das nicht vorstellen. Jetzt sollten wir in aller Ruhe abwarten, wie Polen und die EU-Kommission sich über die offenen Fragen verständigen.

Wenn ich Sie vor einigen Monaten gefragt hätte, in welchem Zustand die deutsch-polnischen Beziehungen sind, hätten Sie mir bestimmt geantwortet, sie sind die besten, die wir jemals hatten. Wie sieht das heute aus? Und was wird in den nächsten Monaten passieren?

Das weiß man in der Politik nie ganz genau. Ich bin jedenfalls gewillt, alles dafür zu tun, dass die in Jahrzehnten gewachsene Freundschaft nie wieder in Frage gestellt wird. Daneben gibt es einen großen Aufgabenberg, den wir in Europa in diesem Jahr gemeinsam erklimmen müssen. Und wir haben mit der neuen polnischen Regierung den schönen Anlass, das Silberjubiläum unserer nachbarschaftlichen Beziehungen und partnerschaftlichen Zusammenarbeit miteinander feiern zu dürfen. Wir haben uns in dieser Hinsicht viel vorgenommen. Mit Witold Waszczykowski werde ich mich heute über unsere gemeinsamen Pläne unterhalten. Auch ein gemeinsames Logo haben wir vor einigen Tagen in Warschau vorgestellt. Ich glaube, wir haben allen Grund, uns darauf in den nächsten Monaten zu freuen.

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