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Rede von Außenminister Frank-Walter Steinmeier bei der AHK Weltkonferenz im Haus der Deutschen Wirtschaft in Berlin

10.05.2016 - Rede

Lieber Herr Schweitzer,
Lieber Herr Wansleben,
Liebe Kolleginnen und Kollegen aus dem deutschen Bundestag und den Ressorts,
Liebe Preisträgerinnen und Preisträger des IHK-Auslandsschulwettbewerbs,
Verehrte Gäste!

Ihnen, lieber Herr Schweitzer, zunächst vielen Dank für Ihre freundlichen Worte und die Einladung zu diesem festlichen Abend! Diese Veranstaltung kommt mir als Außenminister nicht ganz unbekannt vor. Denn was für Sie aus dem Kreise der Auslandshandelskammern die heutige Weltkonferenz ist, das ist für uns im Auswärtigen Amt die sogenannte Botschafterkonferenz, bei der einmal im Jahr die Leiterinnen und Leiter der deutschen Auslandsvertretungen in der Berliner Zentrale zusammenkommen. Beide Anlässe sind –wenn Sie mir einen Vergleich erlauben, der beim ein oder andern wohlmöglich ein paar schräge Erinnerungen auslöst– so eine Art Familientreffen: Aus aller Herren Länder kommt der ganze Klan einmal im Jahr zusammen – nicht nur, um den neusten Klatsch und Tratsch auszutauschen – das natürlich auch und dafür wird, wie ich sehe, draußen schon die Bar aufgebaut. Sondern vor allem, um über die wichtigsten Entwicklungen der zurückliegenden Jahre zu diskutieren und die weitere Arbeit zu planen.

Und da ergibt sich – ich glaube, das sehen wir in der Außenpolitik ähnlich wie Sie in der Außenwirtschaft – ein relativ diffuses, ein unübersichtliches Bild. Scherzhaft ist das in einer ganz schönen Anekdote zusammengefasst. Die Anekdote handelt eigentlich von einem deutschen Botschafter, der in der Berliner Zentrale mir, dem Außenminister, Bericht ablegen soll über die Lage in dem Land, in dem er stationiert ist. Aber sie könnte ebenso gut von der Leiterin oder dem Leiter einer Außenhandelskammer handeln, der hier in Ihrem Hause dem Präsidenten Eric Schweitzer Bericht erstattet. Herr Schweitzer hat wenig Zeit und sagt: „Wenn Sie die Lage in Ihrem Land in einem Wort zusammenfassen, wie wäre das?“

Der AHK-Leiter überlegt gründlich und sagt: „Gut.“ Das ist Herrn Schweitzer dann doch etwas zu unpräzise und er hakt nach: „Naja, und wenn Sie zwei Worte hätten?“ Der AHK-Leiter grübelt noch mehr und sagt schließlich: „Nicht gut.“

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Worauf will ich hinaus? Wir haben es aus meiner Sicht im internationalen Umfeld in diesen Zeiten mit zwei gegenläufigen Tendenzen zu tun.

Auf der einen Seite geht der Prozess der Vernetzung und des Zusammenwachsens unaufhörlich weiter – natürlich zuvorderst technologisch getrieben durch Digitalisierung und wachsende transnationale Datenströme. Deutschland ist weiterhin gewissermaßen die „Spinne im Netz“. Wir sind das am engsten mit der Welt vernetzte Land – vor allem durch Handelsströme und den starken Export, und das ist nicht zuletzt Ihrer Arbeit an den AHKs zu verdanken. Aber auch –das zeigt eine aktuelle Studie– beim Thema Migration ist Deutschland vorne, und zwar vor der großen Flüchtlingsbewegung seit letzten Sommer. Hätten Sie zum Beispiel gewusst, dass der Anteil der im Ausland geborenen Bevölkerung in Deutschland höher ist als im Einwanderungsland schlechthin, den USA?

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Auch außenpolitisch haben wir in den letzten Jahren Erfolge des Zusammenwachsens gesehen. Wir haben Brücken gebaut, sogar über tiefe Gräben hinweg.

Ich nenne das Beispiel Iran: Im jahrzehntelangen gefährlichen Konflikt um das iranische Atomprogramm haben wir nach über 10 Jahren Verhandlungen im letzten Sommer einen historischen Durchbruch erzielt.

Nicht minder historisch ist die Annäherung zwischen Kuba, den USA und der westlichen Staatengemeinschaft. Gerade heute habe ich den kubanischen Außenminister in meinem Büro empfangen.

Die Gefahr eines Krieges im Osten Europas haben wir effektiv eingedämmt. Auch wenn der Minsker Prozess alles andere als perfekt ist, so ist er doch der einzig effektive Weg für eine politische Lösung in der Ostukraine. Militärische Optionen gibt es aus meiner Sicht nicht. Am Minsker Weg halten wir fest, und Russland weiß, dass Sanktionen für uns kein Selbstzweck sind, sondern dass die Zukunft von Sanktionen an Fortschritte bei der Umsetzung der Minsker Kriterien gebunden ist. Morgen empfange ich die Außenminister-Kollegen des Normandie-Formats erneut in der Villa Borsig.

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Das ist die eine Seite – „gut“ könnte man sagen, um in der Anekdote zu bleiben.

Doch dann gibt es die gegenläufige Tendenz: Wir sehen neue und gefährliche Fliehkräfte am Werk. Wir sehen neue Gräben aufbrechen. Wir sehen internationale Krisen und Konflikte – Syrien, Ukraine, Libyen, Irak – wie ich sie in dieser Dichte und Komplexität in meiner politischen Laufbahn noch nie erlebt habe.

Und in Reaktion auf all das sehen wir – leider Gottes auch hier in Deutschland – eine Reaktion der Abschottung. „Lasst uns dicht machen! Soll die Welt mit ihren Problemen draußen bleiben!“ – das sind die Parolen von denen mit den ganz einfachen Antworten. Aber, meine Damen und Herren: Dicht-Machen und Abschotten ist die falsche Antwort für Deutschland – und erst recht für diese starke deutsche Außenwirtschaft – und das müssen wir, das müssen Sie gelegentlich noch deutlicher sagen!

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Auch in Ihrem täglichen Geschäft erleben Sie die Rückkopplungen von geopolitischen Fliehkräften in der Weltwirtschaft.

Genau wie Sie beschäftigen uns die derzeit extrem niedrigen Rohstoffpreise. Sie werden auch weiterhin in einigen Staaten zu deutlichen Wachstumseinbußen führen. Der Ölpreis ist seit Juli 2014 um fast 60% gefallen – er wird absehbar auf niedrigem Niveau bleiben. Das derzeitige Wachstumsmodell vieler Schwellenländer stößt damit an seine Grenzen und kann nur durch weitreichende strukturelle Reformen überwunden werden. Leicht gesagt – denn gerade die angespannte wirtschaftliche Lage macht eben diese Reformen umso spannungsreicher, siehe ganz aktuell Brasilien. Gleichzeitig müssen wir damit rechnen, dass ein gebremstes Wachstum nicht nur den innenpolitischen Spielraum, sondern leider auch den außenpolitischen Spielraum dieser Staaten begrenzt.

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Wir brauchen also -das sage ich gerade mit Blick auf den Krisenbogen von Libyen, Mali über Syrien in den Irak- in der Außenpolitik genau wie in der Außenwirtschaft einen langen Atem!

Weitsicht und Beharrlichkeit – das ist die Einstellung, mit der die AHK-Familie gemeinsam mit der deutschen Außenpolitik schon vieles auf den Weg gebracht hat – auch in jüngster Zeit. In Kuba und Vietnam laufen die Gespräche etwas zäher als erhofft, aber wir lassen uns den Ehrgeiz nicht nehmen und ich bin guter Hoffnung, dass wir dort bald Vertretungen eröffnen können. Den kubanischen Außenminister habe ich darauf heute angesprochen und die Zusage bekommen, dass wir gleich nach seiner Rückkehr eine Antwort auf unsere Vorschläge erhalten sollen. In Serbien und den Philippinen sind uns Fortschritte bereits gelungen. Und besonders möchte ich mich bei Ihnen, Herr Schweitzer, für das Engagement Ihres Hauses im Kontext Russland – Ukraine bedanken. Hier im Haus der Deutschen Wirtschaft fand vor einigen Monaten die Konferenz zur Ukraine statt, bei der wir auch eine Auslandshandelskammer aus der Taufe gehoben haben. Das war ein wichtiger Schritt zur wirtschaftlichen Stabilisierung der Ukraine und ich hoffe, dass wir die AHK noch in diesem Herbst eröffnen können.

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Bei dieser Gelegenheit möchte ich stellvertretend für viele andere fleißige und erfolgreiche AHKs den Vertreterinnen und Vertretern der Auslandshandelskammer Teheran für ihren unermüdlichen Einsatz in den letzten Jahren danken. Iran war wohl das außenpolitisch dickste Brett, an dem ich mitbohren durfte – und wenn ich ehrlich bin: manches Mal über die 12 Jahre Verhandlungen hatte ich Sorge, dass selbst ein guter deutscher Schlagbohrer an diesem Brett noch scheitern würde. Wie Sie wissen war Deutschland als einziges Land ohne permanenten Sitz im VN-Sicherheitsrat an diesen Verhandlungen zentral beteiligt. 2015 gelang der historische Durchbruch und nach dem sog.Implementation Day“ im Januar dieses Jahres kann auch die Absicherung von Exportgeschäften durch Bundesbürgschaften wieder grundsätzlich möglich werden. Das rege Interesse deutscher Unternehmen an Iran hält an – und damit knüpfen sie an das alte Band der traditionell engen Handelsbeziehungen zwischen Deutschland und Iran neu an. Der Präsident und der Vize-Präsident der AHK Teheran haben an dieses Band auch in den schwierigen Sanktionsjahren geglaubt. Sie haben durchgehalten und helfen nun tatkräftig mit, die Chancen der deutschen Wirtschaft im Iran zu erschließen! Ich wünsche auf diesem Weg viel Erfolg, auch im Sinne einer Öffnung und Modernisierung der iranischen Gesellschaft, und vor allem danke ich Ihnen, den Vertretern aus Teheran, herzlich für Ihren unermüdlichen Einsatz!

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Meine Damen und Herren,

in dieser stürmischen, unübersichtlichen Zeit wollen wir politisch wie wirtschaftlich die Tendenzen des Zusammenwachsens stärken und die Tendenzen der Fliehkräfte eindämmen. Ein zentrales Instrument hierfür ist die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, die OSZE, deren Vorsitz Deutschland 2016 innehat.

Der OSZE-Raum ist ein gigantischer Raum zwischen Atlantik und Pazifik – er ist damit in erster Linie der zentrale Bezugsrahmen für Frieden und Sicherheit in Europa. Aber er vereint auch über die Hälfte des gesamten Welthandels auf sich; zusammen mit den OSZE-Partnerstaaten und China im eurasischen Raum sogar weit über 70%. Das Potential tieferer wirtschaftlicher Vernetzung und Integration ist heute, davon bin ich überzeugt, für jeden Ort im OSZE-Raum größer als je zuvor. Nächste Woche wollen wir mit einer erstmaligen Wirtschaftskonferenz zum Thema „Konnektivität“ den Dialog im eurasischen Wirtschaftsraum stärken. Wir freuen uns auf den Austausch mit Regierungs- und Wirtschaftsdelegationen aus über 60 Staaten.

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Meine Damen und Herren,

das Stichwort Verständigung bringt mich zum Schluss zum IHK-Auslandsschulwettbewerb. „Verständigung“ ist Dreh- und Angelpunkt der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik, in der die Auslandsschulen eine zentrale Rolle spielen. Deutsche Auslandsschulen leben weltweit vor, was Deutschland für ein Land ist, welche Fragen es sich stellt, was seine dunklen und hellen Seiten sind. Und sie sind das Fundament vieler Bildungsbiographien, in denen Absolventen oft ein Leben lang mit unserem Land verbunden bleiben. Wie oft begegne ich auf meinen Reisen dem Chef eines Unternehmens, einer Ministerin oder –gerade kürzlich- einem Opernsänger, der mir von seiner Zeit an der Deutschen Schule vorschwärmt. Jeder dieser Menschen hat zeitlebens eine besondere Bindung an Deutschland, denn Sie wissen ja aus eigener Erinnerung: Partnerschaften, die bis zur Schulzeit zurückreichen, sind oft die tiefsten!

In Zeiten, in denen wir in Deutschland intensiv, manchmal geradezu überhitzt, über die Integration von Flüchtlingen sprechen, merken wir aber, dass die gelebte Verständigung an den deutschen Auslandsschulen vielleicht auch ein paar ganz hilfreiche Lehren für unsere innerdeutschen Debatten bereithält!

Ich nenne beispielhaft das „Deutsche Sprachdiplom Inland“, das sich als Weiterentwicklung der Deutschprüfungen im Ausland zu einem wertvollen Instrument auch im Inland entwickelt hat – gerade jetzt, wo es um die schulische Integration der Kinder geht, die als Flüchtlinge gekommen sind. Und natürlich ist das auch eine Maßnahme, mit wir die Menschen auf den Arbeitsmarkt in Deutschland vorbereiten.

Leider muss ich heute Abend schon früher als geplant aufbrechen und werde die Preisverleihung nicht selbst miterleben – deswegen sage ich schon an dieser Stelle zum einen den IHK meinen herzlichen Dank für die Auslobung und langjährige Unterstützung dieses wichtigen Preises und zum anderen meinen herzlichen Glückwunsch an alle Preisträgerinnen und Preisträger!

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Meine Damen und Herren,

es bleibt mir, Ihnen weiterhin viel Erfolg für Ihre wichtige weltweite Arbeit zu wünschen – und natürlich viel Freude beim verbleibenden „Familientreffen“ in Berlin! Ich freue mich, dass Sie uns, das Auswärtige Amt, als gewissermaßen „verschwägerten Klan“ heute Abend eingeladen haben – und vor allem weiß ich uns gemeinsam draußen in der Welt weiterhin Seite an Seite! Vielen Dank.

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