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„Der Dialog der Kulturen: eine Herausforderung für die deutsche Außenpolitik“ - Rede von Bundesaußenminister Steinmeierauf Einladung der EKD, 21.11.2006

21.11.2006 - Rede

Auf Einladung des EKD-Vorsitzenden, Bischof Huber, nahm der Bundesaußenminister an einem der traditionellen Bischofs-Dinner teil.

-- es gilt das gesprochene Wort --

Sehr geehrter Bischof Huber,
sehr geehrte Damen und Herren,

sieht man in die Zeitungen dieser Tage, so kommt es dem unbefangenen Betrachter fast schon so vor, als ob wir nicht nur börsennotierte Unternehmen, sondern auch eine umfragenotierte Politik mit Jahres-und Quartalsberichten hätten: unter dem Gebot des kurzfristigen Erfolgs und der tagesaktuellen Bewertung leidet der Blick auf langfristige Entwicklungen.
Um so mehr freue ich mich, dass Sie darum gebeten haben, heute ein Thema in den Vordergrund zu rücken, das sich kaum für Jahresbilanzen eignet.

Wenn wir uns in der Welt umschauen - und viele hier, keineswegs nur der Außenminister, tun dies auch aus beruflichen Gründen - dann ist die Frage nicht abwegig: Was eigentlich kann diese Welt mit ihren gewaltigen Konfliktpotentialen und ihren zahlreichen gewaltsamen Auseinandersetzungen auf Dauer noch zusammenhalten? In nicht wenigen Konflikten drohen Kompromissmöglichkeiten in kulturell, religiös oder ethnisch aufgeladenen Hasswellen dauerhaft zu versinken. Die Frage nach Formen des Zusammenhalts ist also gar nicht so weit hergeholt. Könnten die handfesten Konflikte um knapper werdende Energieressourcen und andere wichtige Rohstoffe vor diesem Hintergrund nicht den Rahmen von lösbaren Interessensunterschieden vollends sprengen?

Vor dem Hintergrund solcher Fragen erscheint der Dialog der Kulturen als große Herausforderung und großes Versprechen. Und es ist kein Wunder, dass auf allen Podien diese Frage hoch und runter diskutiert wird. Doch nicht erst auf Grund der Erfahrungen im so genannten Karikaturenstreit und dann wieder in den Auseinandersetzungen um die Papstrede in Regensburg bin ich bei diesem ganzen Dialogreigen ein ganz klein wenig skeptisch geworden. Skeptisch, nicht im Prinzip!

Sicher bleibt das Grundprinzip unserer Diplomatie der Dialog. Ich fürchte nur, wir würden seinen Sinn verfehlen, wenn wir ihn in erster Linie als Dialog der Kulturen verstehen würden. Wenn ich in Zentralasien mit Regierungsvertretern rede oder in Afghanistan mit einer Lehrerin an einer von der EU finanzierten Mädchenschule, dann führe ich keinen Dialog mit dem Islam, auch wenn meine kulturelle Prägung eine andere sein wird als die der Leute, mit denen ich spreche.
Wir haben schon etwas gemeinsam, bevor wir unser Gespräch beginnen, sei es die Regierungsverantwortung in unserem Staat, sei es das Interesse an Bildung und Ausbildung. Verantwortung und Interesse führen uns zusammen und sie bestimmen auch das Thema. Wir wollen auf etwas hinaus, ja im gar nicht so seltenen Fall: sogar gemeinsam etwas erreichen.

Reden wir also soviel wie möglich und möglich mehr als notwendig mit Muslimen hier in Deutschland und in Ländern, die wir besuchen, aber vermeiden wir doch auch die Gespräche mit zu viel Anspruch zu überladen. Gegenüber Buddhisten, Hindus oder Konfuzianern tun wir das ja auch nicht. Ich behaupte hier nicht zum ersten Mal, dass es in Spannungssituationen wie dem Karikaturenstreit nicht genügt, den Dialog der Kulturen auszurufen.

Aufgabe ist: Man muss versuchen, zu einer Kultur des Dialogs zurückzukehren. Ich will versuchen, diese Überlegung etwas zu verdeutlichen.
Die Aufgabe unserer Außenpolitik ist es, nach Wegen zu suchen, die selbst in heftigen Konflikten auf einen gemeinsamen Boden zurückführen. Diesen gemeinsamen Boden bilden zunächst einmal die wechselseitigen Abhängigkeiten in einer globalisierten, aber gefährdeten Welt. Sie können gestört, aber nicht auf Dauer negiert werden.
Außenpolitik muss den Dialog auf dem Boden der Tatsachen suchen.

Um im Libanonkrieg einen Waffenstillstand zustande zu bringen, müssen keine letzten Wahrheiten zwischen unterschiedlichen Kulturen und Religionen geklärt werden, sondern die bisherigen und weiter drohenden Zerstörungen und Verluste mit den Chancen abgewogen werden, die ein Waffenstillstand bietet. Dabei will ich keineswegs leugnen, dass im nüchternen Procedere internationaler Verhandlungsführung die kulturellen und religiösen Prägungen der Beteiligten eine wichtige Rolle spielen.
Aber in praktischen Entscheidungen müssen wir versuchen, uns zu verständigen, bevor wir uns über unsere kulturellen und religiösen Auffassungen verständigt haben.
So vernünftig also die Absicht ist, im Dialog Verständigung zu suchen, läuft der Dialog der Kulturen als politisches Konzept immer Gefahr, in Beschwörungsritualen zu enden, die mit dem Alltag unserer Konflikte wenig zu tun haben!

Mit guten Gründen wird versucht, dem von Huntington diagnostisierten „clash of civilisations“ zuvorzukommen beziehungsweise ihn zu entschärfen. Das ist auch unsere Aufgabe! Doch beginnt das Unglück schon mit der Übersetzung ins Deutsche. In „Kampf der Kulturen“ werden die kulturellen Prägungen von Gesellschaften und Individuen noch stärker als in der amerikanischen Version zum abgelösten Kollektivsubjekt stilisiert. Die Kulturen selbst scheinen sich als kämpfende Einheiten gegenüber zu treten.

Gesellschaften und Individuen werden auf den Ausdruck von Kulturen reduziert, statt als deren Träger, Gestalter und Veränderer wahrgenommen zu werden.

Der Dialog der Kulturen bleibt dieser Überhöhung der Kulturen zu den eigentlichen Helden unserer täglichen Auseinandersetzungen verhaftet. So werden wir aber dem aufgeblasenen „Kampf der Kulturen“ nicht die Luft ablassen können! Er wird nur politisch korrekt übertrumpft. Und als nachdenkliche Anmerkung nach dieser Selbstkritik: Ich frage mich im übrigen manchmal, ob wir mit dem fast als Parallelaktion zum „Krieg gegen den Terrorismus“ gestarteten Dialog mit dem Islam beziehungsweise mit der islamischen Welt nicht der Stellvertreter- und Avantgardestrategie der islamischen Fundis ein wenig auf den Leim gehen. Wir laufen Gefahr, als Einheit zu behandeln, was der terroristische Islamismus erst zu einer schmieden will.

Ich war vor drei Wochen in Zentralasien, letzte Woche habe ich den Maghreb bereist. Und was mich dabei besonders berührt hat, war die Unterschiedlichkeit dieser Länder, die ja alle irgendwie zur islamischen Welt gehören. Marokko ist ein fast europäisches Land. Welcher Kontrast mit Mauretanien! Und in Usbekistan erzählten mir Vertreter der Opposition stolz, wie nah ihnen allen Europa ist. Von klein auf haben sie europäische Geschichte gelernt. Sie wissen über uns viel mehr als über die gesamte islamische Welt - und sie wollen diese Nähe bewahren.

Der Ausgangspunkt von Huntingtons Analyse war die Frage, was die Weltpolitik nach Auflösung der Blockkonfrontation strukturiert. Und dabei verfiel er auf die Kultur als Ordnungsprinzip. Die Vorstellung eines Kampfes der Kulturen stützt sich auf die Vorstellung von abgeschlossenen Kulturkreisen. Doch keine der traditionellen Kulturen hat die Staatenwelt und die Weltwirtschaft hervor gebracht.
Es gibt viele kulturell geprägte Auseinandersetzungen und Konflikte rund um die Welt. Es gibt aber keinen Kampf und keinen Konflikt, in dem die traditionellen Kulturen unmittelbar aufeinander treffen. Vielmehr tun sie sich alle schwer, in und mit der globalisierten Welt zu Recht zu kommen.

Die Globalisierung schmilzt die traditionellen Kulturen ein und zerbricht sie teilweise. Aus den Splittern können sich Sekten und extremistische Bewegungen ihre hybriden Glaubensvorstellungen und Rituale zusammen suchen. Die traditionellen Kulturen haben gar nicht die Kraft sich als geschlossene Gemeinschaften einander gegenüber zu treten und ganze Gesellschaften und Staaten zu mobilisieren. Mag die Vorstellung von solchen Kulturkreisen vor Jahrzehnten der Wirklichkeit noch einigermaßen nahe gekommen sein, heute lösen sich durch Migration von Menschen und Ideen deren geographischen Umrisse immer mehr auf und nehmen ihre innere Dichte und Kompaktheit ab. Es mehren sich täglich die professionellen Begegnungen von Individuen unterschiedlichster Herkunft und ihre Kooperationen in konkreten wirtschaftlichen, politischen und nicht zuletzt auch kulturellen Projekten.

Die Ernst-Reuter-Initiative, die ich gemeinsam mit meinem türkischen Kollegen Gül initiiert habe, stützt sich auf und verstärkt solche professionellen Kontakte. Sie fasst ganz konkrete Vorhaben ins Auge, zum Beispiel in der Journalistenausbildung, im Jugendaustausch und in Bezug auf eine deutsch - türkische Universität.
Ein gutes Beispiel, wie sich auf solchem professionellem Boden eine Kultur des Dialogs entwickeln kann, ist auch der Rechtstaatsdialog mit der Volksrepublik China, der ja nicht nur der Verbesserung des staatlichen Rechtswesens dient, sondern auch unabhängigen Rechtsanwälten zur Hilfe kommt.

Solche professionell verankerte Zusammenarbeit kann die elementare Basis unser auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik bilden, sei es in der Aidsbekämpfung oder in der Energie- und Klimapolitik.
Es soll also niemand denken, ich wolle das Hauptproblem, den Dialog mit dem Islam oder, etwas konkreter, mit der islamischen Welt meiden. Das Gegenteil ist der Fall. Ich möchte nur auf die vielen Formen hinweisen, in denen Muslime, Christen und Westler überhaupt im Alltag der Globalisierung bereits miteinander umgehen, ohne immer als erstes ihre kulturellen Prägungen in den Vordergrund zu stellen.

Ich habe deshalb viel Verständnis für eine Äußerung des dissidenten ägyptischen Theaterautors Ali Salem, auf die ich neulich im Tagesspiegel gestoßen bin. Der heute 70-jährige zieht als Fazit seiner Erfahrungen, dass die Liberalisierung der Wirtschaft und der Warenaustausch stärkere Abhängigkeiten und Gemeinsamkeiten schaffen, als alle Rhetoriker religiösen Selbstbewusstseins behaupten!
Das liegt daran, dass man sich in diesen Begegnungen nicht ausweichen kann und trotz unterschiedlicher, auch unterschiedlicher kultureller Ausgangspunkte sich schließlich doch verständigen muss.

Wie schnell der „Dialog mit dem Islam“ zu einem hochprofessionellen Gespräch unter Theologen und Religionsführern führt, zeigt sich in der spannenden Auseinandersetzung um das Verhältnis von Vernunft und Glauben, die durch die Rede des Papstes in Regensburg angestoßen wurde. Im Unterschied zum Karikaturenstreit hat diesmal auch die Antwort von islamischer Seite argumentatives Niveau. Der offene Brief von islamischen Gelehrten wurde in der FAZ dokumentiert. Was für ein Fortschritt, wenn der Streit unter Religionsvertretern, sich um das Verhältnis von Glauben und Vernunft dreht und alle das gute Verhältnis ihres Glaubens zur Philosophie herausstreichen!
Bischof Huber hat ja mit einer feinen Abhandlung in diese Auseinandersetzung eingegriffen. Für mich zeigte sich in seinem Beitrag, wie notwendig es bleibt, dass der Protestantismus in der Auseinandersetzung mit dem Islam nicht hinter dem Papst verschwindet.

Diese Auseinandersetzung unter Theologen und Religionsführern ist sicher von allgemeiner Bedeutung, sie sollte aber nicht zu einem Dialog der Kulturen hochstilisiert werden. Sie lebt ja gerade davon, dass von allen Beteiligten theologische Sachkompetenz mobilisiert wird. Insofern bewegt auch sie sich auf dem Boden, den ich für die Ausbildung und Sicherung einer Kultur des Dialogs in der globalisierten Welt für grundlegend halte: dem Boden konkreter Interessen, professioneller Argumentations- und praktischer Handlungszusammenhänge.

Ich glaube, es ist um sie sehr viel besser bestellt, als der leicht zum Ritual verkümmernde Dialog der Kulturen vermuten lässt. Bischof Huber verschweigt nicht, wie zäh sich Formen der Gewalt im Christentum festgesetzt und wie tief sich der Antijudaismus in die christlichen Glaubensvorstellungen gefressen hatten: „Das Verhältnis von Vernunft und Glaube schließt dunkle Kapitel ein.“ Daraus folgert er:
„Auch im Dialog mit dem Islam sind diese Kapitel nicht zu verschweigen. Wenn der Islam, der über weite Strecken eine Religion der Herrschaft ist, dem Frieden dienen soll, den sein Name enthält, dann muss das Christentum, das eine Religion der Liebe ist, auch von den Verschattungen dieser Liebe in seiner eigenen Geschichte sprechen.“ Das sollten wir ohne Zweifel tun.

Aber wir sollten historische Klärungen wie aktuelle Debatten manchmal - auch darüber sind wir uns, denke ich, einig - mit mehr Selbstbewusstsein führen; ein Selbstbewusstsein, das nicht nur säkularen Bürgern bei der Begegnung mit einer öffentlich in Erscheinung tretenden Religion wie dem Islam häufig fehlt. Damit der Satz der jungen türkischen Schriftstellerin Necla Kelek („Die fremde Braut“), „Die Deutschen machen es sich nicht leicht mit dem Islam“, auch als Anerkennung ehrlichen Ringens um unsere gemeinsame Zukunft verstanden werden kann.

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