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„Es zerren starke Fliehkräfte an Europas Fundamenten.“

06.07.2015 - Interview

Interview mit Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier. Themen: Griechenland, das iranische Atomprogramm sowie angebliche NSA-Aktivitäten in Deutschland. Erschienen im Tagesspiegel am Sonntag (05.07.2015).

Herr Steinmeier, haben Sie in diesen Tagen Angst um Europa?

Ich kenne niemanden, der nicht mindestens spürt, dass wir uns in einer außergewöhnlichen Lage befinden. Alles schien über Jahrzehnte so selbstverständlich in Europa und jetzt gehen viele Errungenschaften, die wir so mühsam aufgebaut haben, durch eine schwere Bewährungsprobe. Vieles kommt zusammen: die Griechenlandkrise, das ungelöste Problem von Flucht und Migration und auch die schwierigen Diskussionen mit Großbritannien, das um sein Verhältnis zur EU ringt. Es zerren starke Fliehkräfte an Europas Fundamenten.

Ist Europa in einer existenziellen Krise?

So weit möchte ich nicht gehen. Aber es hilft auch nichts, die Lage schönzureden mit den bekannten Standardformeln, Europa ist noch aus jeder Krise gestärkt hervorgegangen. Damit gewinnen wir kein Vertrauen für Europa. Wir müssen ehrlich sagen, wo Europa seine Stärken hat, zugleich können wir die Defizite nicht ignorieren. Ansonsten überlassen wir das Feld den Populisten von links und rechts, die das europäische Friedensprojekt gleich ganz einstampfen und das als Fortschritt verkaufen wollen.

Ist es nicht ein Armutszeugnis, dass sich die EU in der Flüchtlingsfrage nicht zu einer fairen Lastenteilung durchringen kann?

Auch an der Bewältigung der Flüchtlingskrise beweist sich, ob wir es ernst meinen mit den europäischen Werten. Ohne Solidarität kann keine Gesellschaft und kann Europa nicht funktionieren. Die EU Kommission sieht die Notwendigkeit gerechter Verteilung in Europa und hat dazu einen Verteilungsschlüssel vorgeschlagen. Die Verteilung und verbindliche Quoten waren im Europäischen Rat nicht durchzusetzen. Immerhin haben wir einen Einstieg geschafft, wenn nun 40.000 Flüchtlinge auf freiwilliger Basis innerhalb der EU verteilt werden.

Tut Deutschland genug?

Die Zahlen sprechen eine klare Sprache. Vier EU-Länder nehmen zwei Drittel aller Flüchtlinge auf, das ist neben Italien, Österreich und Schweden eben vor allem auch Deutschland. Kein Land in Europa hat mehr Menschen aus Syrien aufgenommen als wir. Dennoch ist klar: Allein werden wir der Flüchtlingskrise nicht Herr. Und auch in Deutschland können Staat und Politik nicht alles lösen. Umso dankbarer bin ich, dass so viele Menschen durch ehrenamtliche Arbeit so viel Hilfsbereitschaft zeigen, um den Flüchtlingen bei der Eingewöhnung in der für sie fremden Welt zu helfen.

Wie gefährlich sind die Griechenland-Krise und ein möglicher Ausstieg des Landes aus der Euro-Zone für das europäische Projekt?

Es sind an erster Stelle die Menschen in Griechenland selbst, die die größten Opfer zu tragen hätten. Keine Frage, dass die Folgen für Europa und das europäische Selbstbewusstsein ebenfalls spürbar werden, wenn es nicht gelingt, die Krise zu lösen. Deshalb waren wir immer dafür, alle Möglichkeiten zum Kompromiss auszuloten. Wir wussten: Wer das Ausscheiden Griechenlands aus der Euro-Zone als Lösung aller Probleme propagiert, greift zu kurz. Denn selbst wenn wir eine solche Entwicklung finanz- und währungspolitisch bewältigen können, wäre das Signal eines Grexits an die Länder außerhalb der EU verheerend. China, Indien und die USA beobachten genau, ob wir diese Krise meistern oder an der Herausforderung scheitern. Europa würde in Teilen der Welt an Ansehen verlieren und Glaubwürdigkeit einbüßen.

Wird der Grexit unausweichlich, wenn die Griechen beim Referendum am Sonntag mit Nein stimmen?

Es ist das gute Recht der griechischen Regierung, die eigene Bevölkerung über eine Zukunftsfrage für das Land abstimmen zu lassen. Ich kann jedoch nicht erkennen, dass dieser Schritt zu diesem Zeitpunkt und unter diesen Umständen Gutes bewirkt. Über die Folgen einer Ablehnung will ich nicht spekulieren. Aber selbst wenn es ein klares Nein der Griechen geben sollte, ist Griechenland am Montag noch Mitglied der EU. Es wird durch ein „Nein“ aber keineswegs leichter, zu einem Kompromiss zu kommen. Im Gegenteil.

Deutschland hat Griechenland „humanitäre Hilfe“ für den Fall einer Zahlungsunfähigkeit versprochen. Welche Vorbereitungen dazu gibt es?

Ich will jetzt hier kein humanitäres Katastrophenszenario ausmalen. Uns geht es darum, dass wir die Tür zu zielführenden Verhandlungen offenhalten und Griechenland gemeinsam mit uns einen Weg aus der Misere sucht, der Europa und die Mitgliedsländer der Eurozone nicht überfordert.

Können Sie sich noch einen Reim darauf machen, was die griechische Regierung will?

Das fällt mir ehrlich gesagt schwer.

Sie haben also keine Vorstellung davon, wie es am Montag weitergehen soll?

Nach den letzten Erfahrungen wage ich nicht, das Verhalten der griechischen Regierung vorherzusagen. Manche vermuten hinter ihrem Verhalten einen Masterplan. Das sehe ich nicht so. Ich glaube, es ist eher eine Mischung von Unerfahrenheit, Ideologie und radikaler Rhetorik, mit der die griechische Regierung Verhandlungen in die Sackgasse getrieben hat. Dabei ist leider auf der Strecke geblieben, was dieser Kurs für die Menschen in Griechenland bedeutet.

Sehen Sie geopolitische Risiken der Entwicklung in Griechenland?

Wenn Sie darauf anspielen, dass die griechische Regierung die Beziehungen zu Moskau intensiviert, so bin ich gelassener als andere. Auch Russland schaut darauf, ob Kredite zurückgezahlt werden. Dass Griechenland jedoch in einer Zone der Unruhe am östlichen Mittelmeer liegt, die in der Migrationspolitik oder in Energiefragen eine wichtige Rolle spielen, liegt auf der Hand. Ich habe deshalb schon früh gesagt, dass wir die Zukunft Griechenlands nicht nur als Finanz- und Währungsfrage angehen dürfen.

Ist eine nachhaltige Lösung für Griechenland ohne einen Schuldenschnitt möglich?

Es wird in der Debatte immer vergessen, dass es schon einen Schuldenschnitt gegeben hat. Leider wurden damals die Reformen nicht entschieden genug angegangen. Das hat Glaubwürdigkeit gekostet. Aber ich zweifle ohnehin, ob es die eine Erfolg garantierende Maßnahme gegeben hätte. Wenn ich jetzt in den Zeitungen die vielen Urteile und Ratschläge von Analysten lese, die genau wissen, was man vor fünf Jahren hätte unternehmen sollen, um Griechenland zu sanieren, so fühle ich mich manchmal erinnert an ein Programm des Kabarettisten Horst Evers mit dem Titel „Hinterher hat man's meist vorher gewusst“.

Die Griechenland-Krise absorbiert viel Energie. Kommen andere Konflikte wie der um das iranische Atomprogramm deshalb zu kurz?

Das kann ich mit Blick auf meinen Terminkalender nicht wirklich bestätigen. Ich war in der letzten Woche dreimal bei den Atom-Verhandlungen in Wien, zuletzt am vergangenen Donnerstag und fliege heute zu der Schlussrunde für die nächsten Tage wieder nach Wien. Wir haben eine historische Chance, diesen gefährlichen Konflikt zu lösen. Die Lösung ist in greifbarer Nähe. Wir werden jetzt nicht nachlassen, jede Anstrengung unternehmen, auch wenn die letzten Schritte noch einmal einen großen Kraftakt verlangen.

Der Iran ist bereit, sich einer internationalen Kontrolle seiner Atomindustrie zu unterwerfen, will aber militärische Anlagen davon ausnehmen. Darf er sich damit durchsetzen?

Nein. Wir werden mit größter Sorgfalt darauf achten, dass wir eine Vereinbarung erzielen, die tatsächlich die offene und heimliche Entwicklung von Atomwaffen durch den Iran ausschließt. Das tun wir aus eigenem Interesse, aber das sind wir auch den Nachbarn des Iran schuldig. Deshalb müssen die Inspektoren zu wirklich allen Anlagen Zugang haben, bei denen der Verdacht eines Umgangs mit nuklearem Material besteht.

Die israelische Regierung hat große Vorbehalte gegen eine Abmachung. Was halten Sie dem entgegen?

Wir streben keinen Abschluss um jeden Preis an. Der Vertrag soll nicht nur einen Konflikt auf dem Papier beenden, wir wollen die Sicherheit in der Region erhöhen. Solange es kein Abkommen gab, konnte der Iran seine nuklearen Fähigkeiten ausbauen, der Vorrat an spaltbarem Material ist immer schneller gewachsen. Erst mit dem Genfer Aktionsplan vom November 2013 konnte diese Entwicklung gestoppt werden. In Lausanne hat der Iran jetzt erstmals langfristige und weit reichende Beschränkungen akzeptiert. Wenn es uns gelingt, diese Eckpunkte in eine umfassende Vereinbarung zu gießen, dann bringt es auch den Nachbarn des Iran, auch Israel, auf Dauer ein Mehr an Sicherheit.

Aber die gesamte Region ist doch völlig instabil…

Eben deshalb ist eine Vereinbarung mit dem Iran so wichtig. Im Nahen und Mittleren Osten ist in den vergangenen Jahren eine ganze Reihe von Brandherden entfacht und fast nirgends ist es gelungen, Konflikte zu beenden. Nichtstun ist dennoch keine Option. Wie oft haben wir in den letzten Jahren gehört: Dieses ewige Verhandeln, immer wieder Rückschläge hinnehmen, Risiken eingehen, das bringt doch nichts. Aber ohne Beharrlichkeit geht es in der Außenpolitik nicht. Verantwortung für den Frieden zu übernehmen, ist immer anstrengend, immer von Zweifeln begleitet und nie von schnellen Erfolgen gekrönt.

Was meinen Sie konkret?

Meine Hoffnung ist, dass ein Erfolg der Atomverhandlungen einen Impuls für die Lösung anderer Konflikte in der Region liefert. Und dabei denke ich vor allem an den Bürgerkrieg in Syrien. Wir brauchen dringend einen neuen Anlauf, die entscheidenden Akteure dafür an einen Tisch zu bringen, um zumindest zu einer Eindämmung der Gewalt zu kommen, auf dem Weg zu einer Lösung vielleicht Zonen zu schaffen, in denen nicht gekämpft wird. Das wäre ein kleiner Hoffnungsfunken nach all dem Leid, das die Menschen in Syrien inzwischen im fünften Jahr erleben.

In den Verhandlungen mit dem Iran ziehen Deutschland und die USA an einem Strang. Nun sind neue Hinweise darüber aufgetaucht, dass der US-Geheimdienst NSA nicht nur die Bundeskanzlerin, sondern auch die Spitze von Bundesministerien abhört. Darf sich Deutschland das gefallen lassen?

Keine Frage: Wir brauchen jetzt eine schnellstmögliche Aufklärung und ich hoffe, dass die Amerikaner die Brisanz erkennen und ihren Beitrag dazu leisten. Ich denke, dass wir hier offen und ehrlich miteinander umgehen sollten. Mit Blick auf die vielen Krisen und Konflikte in der Welt sage ich aber auch, dass es eine Illusion ist anzunehmen, wir könnten auf eine Zusammenarbeit mit den Amerikanern verzichten. Ob Mittlerer oder Naher Osten, ob Syrien oder Libyen, ob ISIS oder Boko Haram - in einer von Krisen geschüttelten Welt brauchen wir einander mehr denn je.

Interview: Stephan Haselberger und Hans Monath. Übernahme mit freundlicher Genehmigung des Tagesspiegels.

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