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Rede von Außenminister Frank-Walter Steinmeier anlässlich des Jahrsempfangs des Deutschen Archäologischen Instituts

27.04.2016 - Rede

Exzellenzen,

liebe Kolleginnen und Kollegen aus dem Bundestag,

Mitarbeiter des Deutschen Archäologischen Instituts,

verehrte Damen und Herren und vor allem,

sehr geehrte Frau Präsidenten,

liebe Frau Fless,

es ist erst einige Tage her, da standen wir gemeinsam mit gut 1000 vor allem jungen Menschen in einer wunderbaren „location“, im ehemaligen Postbahnhof am Gleisdreieck. „Kultur und Außenpolitik live“ war die Veranstaltung überschrieben und Sie, liebe Frau Fless, hatten einen wunderbaren Workshop geleitet unter dem Stichwort „Die Welt im Kopf“. Sie haben in diesem Workshop die Grenzen offen gelegt, die sich in unseren Köpfen als eine „mental map“ niederschlagen. Und Sie haben uns die Augen geöffnet, welch wichtigen Beitrag die Methoden der Archäologie leisten können, diese zu überwinden.

Meine Damen und Herren,

„Kultur und Außenpolitik live“ und die vorgefasste „mental map“ erforschen und überwinden helfen - das sind Stichworte, die uns auf unseren mittlerweile fast zehn gemeinsamen Reisen begleitet haben, die unsere Arbeit, die Ihre und die meine, verbinden, und die den herausragenden Beitrag des DAI zur Außenpolitik wunderbar beschreiben!

Und wenn es dessen bedarf, dann füge ich noch hinzu, dass ich nicht der einzige bin, der das so sieht: „vorzüglicher Botschafter Deutschlands“ und „Glanzstück unseres Wissenschaftssystems“ – so hat der Wissenschaftsrat das Deutsche Archäologische Institut vor kurzem evaluiert.

Solches Lob hört man selten, aber umso lieber und auch dazu möchte ich Ihnen allen heute gratulieren!

Aber ich bin nicht nur gekommen, um Glückwünsche zu überbringen. Sondern ich möchte einige Worte sagen zu den gemeinsamen Aufgaben, die vor uns liegen und derer wir uns gemeinsam annehmen wollen.

Die furchtbaren Bilder, die uns aus den Krisengebieten des Mittleren Ostens und Nordafrikas erreichen, machen deutlich, was ich meine. Fast täglich erleben wir die gewaltsame Zerstörung von kulturellem Erbe in dieser Region. Und diese Zerstörung von kulturellem Erbe legt zugleich die Axt an die Wurzel einer kulturellen Zukunft!

Kulturelles Erbe ermöglicht uns, uns selbst und einander besser zu begreifen. Was genauso wichtig ist: Es zeigt, dass wir auf einem Boden stehen, den andere, ausdrücklich auch andere Kulturen bereitet haben. Und wer wie die Archäologen sich tiefer in die Tiefe dieser Schichten unserer Identität hinein gräbt, der bringt oft Erstaunliches zu Tage. Verbindungslinien, die heute erst mühsam wiederhergestellt werden müssen, Gemeinsamkeiten, die im wahrsten Sinne des Wortes verschüttet waren. Aber auch: Auseinandersetzungen und Traumata der Völker die ihre „mental map“ bis heute bestimmen.

Eine unerlässliche Arbeit - gerade in einer Welt, die der Schnelligkeit und leider oft auch vorschnellen Entschlüssen zu huldigen scheint. Eine unersetzliche Arbeit der Differenzierung - gerade in einer Welt, in der Konflikte viel zu oft überformt werden von totalitären Ideologien.

Dafür, meine Damen und Herren steht das vom DAI mit „Stunde Null“ überschriebene Projekt für Syrien, das wir gemeinsam mit zahlreichen Partnern heute starten wollen.

Es baut auf dem Archaeological Heritage Network auf, das Sie bereits vor einiger Zeit ins Leben gerufen haben. In diesem Netzwerk bündeln wir unsere hervorragende deutsche Expertise. Damit wir hier in Deutschland noch besser und breiter zusammenarbeiten. Und: Damit wir unsere Kompetenzen Partnern im Ausland, insbesondere im Rahmen der UNESCO, in noch effizienterer Weise zur Verfügung stellen können.

Neben Institutionen wie dem DAI, der Stiftung Preußischer Kulturbesitz oder der Deutschen UNESCO-Kommission gehören auch zahlreiche Landeseinrichtungen wie Hochschulen und Landesdenkmalpfleger diesem Netzwerk an. Es steht damit auf einer soliden, breiten Basis! Ich danke, Ihnen, Frau Präsidentin, für Ihren großen Einsatz für diese wichtige Initiative! Und ich gratuliere heute allen, die daran beteiligt sind!

***

Vor allem aber freue ich mich darüber, dass wir nun den nächsten Schritt gehen: wir führen diese Expertise zusammen mit Maßnahmen der Ausbildung, der kulturellen Zusammenarbeit und des Wiederaufbaus – vom einzelnen Restaurationsprojekt über Fortbildungsmaßnahmen bis hin zu städtebaulichen Konzepten.

Lassen Sie mich dabei eines klar vorweg sagen: Wir wissen, dass es im Fall von Syrien eine „Stunde Null“ im Sinne eines singulären Einschnitts nicht geben kann und wird – genauso wenig wie es einen solchen „sauberen Schnitt“ nach dem 8. Mai 1945 hier in Deutschland gegeben hat. Die Frage nach der Ausgestaltung eines Wiederaufbaus jedoch, die bleibt.

Als Deutsche können und wollen wir aufgrund unserer eigenen Geschichte wichtige Erfahrungen beisteuern. Gemeinsam wollen wir klügere Konzepte entwickeln helfen, als das Ausdrucken und Aufstellen von Repliken.

Unsere Kulturarbeit steht dabei nicht isoliert. Wir brüten nicht über der Rekonstruktion beschädigter Tempel, während in Syrien Tag für Tag Menschen sterben. Nein, unsere Kulturarbeit ist ein essenzieller Teil unseres umfassenden politischen Ansatzes für Syrien. Unser Engagement reicht von der akuten humanitären Hilfe über unsere Suche nach einer politischen Lösung des Konflikts bis hin zu einer Vielzahl von Einzelmaßnahmen, etwa zur Aus- oder Fortbildung junger syrischer Flüchtlinge.

All diese Maßnahmen haben eins gemeinsam: Sie sollen den Weg ebnen und den Menschen Mut machen, für eine sichere, eine friedliche Zukunft in ihrer Heimat. Die Initiative „Stunde Null“ ist dabei ein ganz wichtiger Baustein.

Klar ist aber: Wir werden mit all unseren Anstrengungen nur dann langfristig Erfolg haben, wenn sie getragen werden von den Menschen, die den Wiederaufbau in Syrien eines Tages leisten werden. Den Syrerinnen und Syrern. Deswegen steht die Zusammenarbeit mit den Partnern in und aus der Region im Vordergrund: Mit der Zivilgesellschaft, mit den Nachbarn Syriens, mit Antikenbehörden und staatlichen Organen.

Ein hervorragendes Beispiel für diese Zusammenarbeit ist das „Syrian Heritage Archive Project“ des DAI und des Berliner Museums für Islamische Kunst. Dabei wird erstmalig ein digitales Register archäologischer Stätten und historischer Monumente in Syrien erstellt – und zwar in Zusammenarbeit deutscher, syrischer und internationaler Kollegen! Mehr als 100.000 Datensätze haben sie bereits zusammengetragen. Bedrohte Kulturgüter werden hier katalogisiert. Damit sie auf illegalen Kunstmärkten identifiziert werden können. Aber auch, auch um eine spätere Restaurierung zu ermöglichen!

Die Initiative richtet den Blick auch auf die Nachbarstaaten der Region, auf die Länder, in denen Abertausende Menschen aus Syrien Zuflucht gefunden haben. In Kooperation mit dem DAAD werden wir bi-nationale Studiengänge einrichten und Stipendien für Flüchtlinge anbieten.

Unzählige Partner arbeiten bei diesen Projekten Hand in Hand. Stellvertretend möchte ich die Gerda Henkel Stiftung hervorheben. Im vergangenen Jahr haben wir einen strategischen Dialog mit Stiftungen zu außenpolitischen Fragen ins Leben gerufen. Die Gerda Henkel Stiftung ist einer unser aktivsten Partner. Für Syrien- Initiativen hat sie großzügige Unterstützung zugesagt. Dafür unseren herzlichen Dank!

***

Meine Damen und Herren,

die Projekte, die wir mit der Initiative „Stunde Null“ fördern, sind komplex und vielschichtig. So vielschichtig und komplex, mag manch einer sagen, wie die Herausforderungen, die mit dem Wiederaufbau Syriens einhergehen werden!

Es ist Ihre beeindruckende Arbeit, meine Damen und Herren, und Ihr außergewöhnlicher Einsatz, die uns dabei Vorbild sind!

Denn Ihre wissenschaftliche Arbeit ist getragen von einem zivilen, einem bürgerschaftlichen Engagement weit über die Wissenschaft hinaus.

Liebe Frau Professor Fless,

es geht, so habe ich mir sagen lassen, einher mit einer großen Expertise des Berliner Mietwohnungsmarktes, tiefer Kenntnis von Abläufen in Stadt- und Bezirksverwaltungen und den neuesten Bürgschaftsformularen Berliner Banken zugunsten der Kolleginnen und Kollegen aus Syrien, die hier Fuß fassen wollen.

Meine Damen und Herren,

Wissenschaft und Kultur, so habe ich das einmal formuliert, zielen auf die langen Linien. Politik muss dagegen viel öfter auf Aktualitäten, Krisen und Ereignisse reagieren. Genau deswegen ist es so wichtig, dass sie der Kultur und der Wissenschaft den notwendigen Freiraum verschafft, der Zusammenarbeit und gemeinsames Vorgehen ermöglicht.

Ich glaube, hierfür steht das Auswärtige Amt im besonderen Maße. Das beginnt bei Haushaltsfragen, das geht weiter über die tägliche Zusammenarbeit vor Ort und das endet noch lange nicht an Abenden wie diesen! Ich freue mich auf eine lange weitere Zusammenarbeit mit Ihnen, den „vorzüglichen Botschaftern Deutschlands“!

Vielen Dank.

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