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Westerwelle und Rassoul: Afghanistan hat Zukunft

02.12.2011 - Interview

In einem gemeinsamen Beitrag fordern der afghanische und der deutsche Außenminister, die Welt dürfe die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen und müsse sich auch nach dem Abzug der ISAF-Truppen zu einem klaren und verlässlichen Engagement in Afghanistan verpflichten. Das sei das Ziel der internationalen Afghanistan-Konferenz am 5. Dezember in Bonn.

Von Zalmai Rassoul, Außenminister Afghanistans, und Bundesaußenminister Guido Westerwelle. Erschienen in der Welt vom 02.12.2011

Westerwelle mit dem afghanischen Außenminister Rassoul, November 2011
Westerwelle mit dem afghanischen Außenminister Rassoul, November 2011© dpa / picture alliance

Zehn Jahre nach der Konferenz auf dem Petersberg 2001 trifft Afghanistan am 5. Dezember 2011 erneut seine internationalen Partner in Bonn. 2001 kamen Vertreter Afghanistans unter der Ägide der Vereinten Nationen zusammen, um den Grundstein für ein politisches System nach dem Ende der Taliban zu legen. In diesem Dezember geht es darum, unter afghanischem Vorsitz und mit Deutschland als Gastgeber einem unabhängigen, souveränen und stolzen Afghanistan den Weg in eine selbstbewusste, sichere und wirtschaftlich erfolgreiche Zukunft zu ebnen. Schon jetzt befindet sich das internationale Engagement in Afghanistan im Wandel. Mehr und mehr rücken langfristige politische, wirtschaftliche und Sicherheitspartnerschaften an die Stelle der laufenden militärischen Stabilisierung.

Seit diesem Sommer übernehmen afghanische Polizisten und Soldaten Distrikt für Distrikt, Stadt für Stadt und Provinz für Provinz die Sicherheitsverantwortung für ihr Land. Zugleich hat der schrittweise Abbau der internationalen Truppen begonnen. Wir haben uns darauf geeinigt, den Abzug der internationalen Kampftruppen bis Ende 2014 abzuschließen. Dies ist der Wunsch der Afghanen ebenso wie der ISAF-Staaten. Es entspricht unserem gemeinsamen Verständnis, dass internationale Truppen nur so lange in Afghanistan bleiben sollen, wie sie dort nötig sind. Ab 2015 wird ein souveränes Afghanistan selbst die volle Verantwortung für seine Sicherheit tragen. Denn Sicherheit in Afghanistan ist vor allem eine afghanische Verantwortung. Dafür schaffen wir jetzt gemeinsam die Voraussetzungen.

Wir dürfen aber nicht vergessen: Aus der Erfahrung ihrer Vergangenheit haben viele Afghanen heute Angst vor der Zeit nach dem Abzug von ISAF. Sie fragen: Wird die internationale Gemeinschaft uns wieder im Stich lassen, so wie in der Vergangenheit geschehen?

Das dürfen wir nicht zulassen. Die Welt darf die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen. Auch nach dem Abzug von ISAF müssen wir weiter gemeinsam daran arbeiten, die zusammen erreichten Fortschritte zu bewahren und auszubauen. Deshalb braucht Afghanistan eine klare und verlässliche Verpflichtung zu einem langfristigen Engagement über 2014 hinaus. Das ist unser Ziel für die Internationale Afghanistan-Konferenz am 5. Dezember.

In Bonn erwarten wir Vertreter von fast 100 Ländern und internationalen Organisationen sowie der afghanischen Zivilgesellschaft, darunter auch afghanische Frauen. Drei große Themen werden dort zu diskutieren sein.

Erstens: Die zivilen Aspekte der schrittweisen Übernahme der Sicherheitsverantwortung durch die afghanischen Sicherheitskräfte, die bis Ende 2014 abgeschlossen wird. Dieser Transitionsprozess ist im Gang. Er dient nicht nur der Vorbereitung des militärischen Abzugs, sondern trägt auch zur Konsolidierung der afghanischen Regierungsführung bei. Damit dieser Aspekt der Transition bei der Bevölkerung spürbar ankommt, müssen wir uns auf kritische Aufgaben wie den Verwaltungsaufbau, rechtstaatliche Reformen und die Bekämpfung der Korruption konzentrieren. Auch die Bewältigung der wirtschaftlichen Folgen des militärischen Abzugs spielt eine wichtige Rolle. In Bonn werden wir die Lehren aus den Erfahrungen der ersten sechs Monate des Übergabeprozesses der Sicherheitsverantwortung ziehen.

Zweitens: Das langfristige internationale Engagement nach 2014 muss klar definiert werden. Dafür schlagen wir drei Säulen vor: die Fortsetzung des zivilen Aufbaus, eine zuverlässige Finanzierungs- und Ausbildungshilfe für die afghanische Sicherheitskräfte, so weit und so lange das noch erforderlich sein wird, und die Unterstützung Afghanistans bei der Erschließung seines enormen wirtschaftlichen Potentials. In diesem Zusammenhang haben wir am 22. September in New York gemeinsam mit der US-Außenministerin Hillary Clinton ein Konzept vorgestellt, die Rolle Afghanistans als Drehscheibe für Wirtschaft und Handel in der Region zu stärken – zum Wohl der Afghanen und ihrer Nachbarn.

Drittens: Die internationale Unterstützung des nationalen Versöhnungsprozesses muss weitergehen. Die afghanische Regierung hat einen klaren und umfassenden Friedensprozess skizziert. So schwierig er ist, und ungeachtet schwerer Rückschläge wie der Ermordung des ehemaligen Präsidenten und Vorsitzenden des Hohen Friedensrates, Prof. Burhanuddin Rabbani, bleibt der Versöhnungsprozess letztlich der sicherste Weg zu einem dauerhaften, würdigen und inklusiven Frieden in Afghanistan.

Aber: Niemand will einen Frieden, der keiner ist. Gewaltverzicht, der Bruch mit dem internationalen Terrorismus und die Achtung der afghanischen Verfassung und grundlegender Menschenrechte, einschließlich der Frauenrechte, sind unverzichtbare und nicht verhandelbare Elemente einer jeden Einigung im afghanischen Friedensprozess. Afghanistan muss sich außerdem auf den Respekt und die Unterstützung seiner Nachbarn in der Region für seinen Friedensprozess verlassen können, denn Stabilität und Sicherheit in Afghanistan hängen eng mit Stabilität und Sicherheit in der Region zusammen. Die Regionalkonferenz auf türkisch-afghanische Einladung am 2. November in Istanbul hat mit dem Istanbul-Prozess die Grundlage für eine neue Dynamik vertiefter regionaler Zusammenarbeit geschaffen. Deutschland und die internationale Gemeinschaft unterstützen diesen von Afghanistan eingeschlagenen Weg. In Bonn und danach werden wir auf diesen Ergebnissen aufbauen.

Die letzten zehn Jahre haben den Afghanen, aber auch der internationalen Gemeinschaft große Opfer abverlangt. Durch die gemeinsamen Mühen und Opfer haben wir viel erreicht, sowohl für die internationale Sicherheit als auch für die Entwicklung Afghanistans. Nie zuvor hatten die Menschen in Afghanistan - Frauen wie Männer, Mädchen wie Jungen - vergleichbaren Zugang zu Bildung, Infrastruktur und Gesundheitsversorgung. Gleichwohl kann uns das heute Erreichte nicht genügen. Afghanistan muss ein stabiles Gemeinwesen werden, von dem keine Gefahr mehr für den Frieden ausgeht. Auf diesem Weg brauchen die Afghanen auch künftig die Hilfe der internationalen Gemeinschaft, auch nach dem vereinbarten Abzug der internationalen Truppen. In Bonn wollen wir den Grundstein für ein starkes und verlässliches Engagement über 2014 hinaus legen – ein Engagement, das vor allem ein ziviles Gesicht tragen wird.

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