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Germany’s European Union Policy“. Rede von Staatsminister Michael Roth beim Journalistenseminar des Istituto Affari Internazionali und der Europäischen Akademie Berlin in Rom

28.07.2015 - Rede

-- es gilt das gesprochene Wort--

Caro Professor Feroci,
lieber Herr Professor Stratenschulte,
cara Laura,
Signore e Signori, cari colleghi, cari amici,

è per me un grande piacere essere di nuovo qui a Roma! Un invito a Roma per me è sempre una tentazione a cui non posso resistere. Ho visitato infinite volte la città eterna. Ma ogni volta la 'caput mundi' per me ha un nuovo fascino. Roma è per me un luogo dove mi sento a casa, perché mi considero un politico profondamente convinto dell’idea europea. E la capitale italiana è per me un forte simbolo dello spirito europeo. Non è un caso che i Trattati per la creazione delle Comunità Europee siano stati firmati sul Tevere.

Hoffentlich habe ich Ihren Ohren nicht zu viel zugemutet. Gestatten Sie mir, nun meine Gedanken in meiner Muttersprache mit Ihnen zu teilen!

Dieses Seminar kommt zur rechten Zeit. Es gibt uns – Italienern und Deutschen – nicht nur die Gelegenheit, mehr über- und miteinander zu lernen. Vielleicht gelingt es uns heute sogar, das ein oder andere Missverständnis auszuräumen, das mir in den vergangenen Wochen in der Berichterstattung der Medien – auf deutscher wie auf italienischer Seite – aufgefallen ist.

Die meisten von Ihnen sind Journalistinnen und Journalisten. Insofern bin ich froh, heute mit Ihnen über die deutsche Europapolitik und Deutschlands Rolle in der Europäischen Union ins Gespräch zu kommen. Das böte sicher auch genügend Stoff für einen längeren Vortrag. Ich möchte mich heute aber auf fünf zentrale Punkte beschränken:

Erstens möchte ich klarstellen: Deutschland braucht die EU – und zwar mindestens ebenso stark wie alle anderen Mitgliedstaaten der Union. Deutschland steht ohne Wenn und Aber zum europäischen Integrationsprozess. Mir ist aufgefallen, dass in den vergangenen Wochen in einigen italienischen Medien offenkundig Zweifel am europapolitischen Kurs Deutschlands aufgekommen sind.

Dabei ist doch offensichtlich: Selbst ein vermeintlich so großes und starkes Land wie Deutschland kann die Aufgaben, vor denen wir aktuell in Europa stehen, nicht im Alleingang lösen. Auch wenn von einigen bisweilen der Eindruck vermittelt wird, dass Deutschland angesichts seiner wirtschaftlichen Stärke alleine viel besser da stände: Das ist ein fataler Irrglaube!

Durch unsere Lage in der Mitte Europas sind wir das verwundbarste Land überhaupt. Deutschland hat gemeinsame Grenzen mit neun anderen Staaten und ist damit das Land der EU mit den meisten Nachbarn. Allein schon deshalb muss Deutschland einen regen Austausch mit seinen Partnern pflegen – und zwar nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht.

Das wollen und dürfen wir aber weder als „Oberlehrer“ noch als „Hegemon“ tun. Es bekümmert mich, wenn dieser verzerrte Eindruck in den vergangenen Wochen entstanden sein könnte. Schließlich ist Deutschland stets gut damit gefahren, seine wirtschaftliche und politische Stärke nicht allzu dominant auszuspielen. Lassen Sie mich klarstellen: Die EU wird nicht allein von Deutschland geführt! Es wäre weder in Europas noch in Deutschlands Interesse!

Auch wenn Deutschland angesichts der derzeitigen Bewährungsproben eine riesengroße Erwartungshaltung entgegenschlägt, können wir diese alleine nicht erfüllen. Wir wollen es auch nicht. Denn die EU ist eben immer ein Teamspiel, in dem wir ein engagierter, aber eben nicht der einzige Spieler sind.

Und im europäischen Team brauchen wir starke, proeuropäische Partner. Italien ist ohne Zweifel ein solcher Partner für Deutschland. Unsere beiden Länder sind als Gründungsmitglieder der Union bereits einen langen Weg in Europa gemeinsam gegangen. In diesen mehr als sechs Jahrzehnten hat Italien unschätzbar viel zur Vertiefung der europäischen Integration beigetragen. Ich kann Ihnen versichern: Italiens Stimme hat Gewicht in Deutschland. Das hat nicht nur mit der engen Verzahnung unserer Volkswirtschaften zu tun. Nein, auch politisch, kulturell und nicht zuletzt menschlich fühlen wir Deutschen uns Italien besonders eng verbunden.

Ebenso unverzichtbar für das europäische Teamspiel ist die Partnerschaft zwischen Deutschland und Frankreich. Mir ist bewusst, dass die enge deutsch-französische Abstimmung in Italien bisweilen als exklusiv empfunden wird. Dem ist selbstverständlich nicht so. Frankreich und Deutschland wollen weder für die EU noch für die Eurozone Entscheidungen vorgeben. Wahr ist aber auch: Wir kommen in Europa nicht voran, wenn Frankreich und Deutschland gegensätzliche Positionen vertreten. Und die Erfahrung zeigt immer wieder: Wenn Deutschland und Frankreich erst einmal einen Konsens gefunden haben, dann ist dies meist auch eine gute Grundlage für einen gesamteuropäischen Kompromiss. Es geht also nicht um einen „closed shop“, sondern um eine enge Vorabstimmung, von der letztlich auch alle anderen EU-Partner profitieren.

Meine zweite Botschaft ist: Die deutsche Europapolitik steht für ein gemeinsames Europa, das Solidarität, Wohlstand, Stabilität und soziale Sicherheit garantiert. Und dazu gehört nicht zuletzt eine funktionsfähige Wirtschafts- und Währungsunion. Wir haben in den vergangenen Jahren gemeinsam viel erreicht, um die Eurozone krisenfester zu machen. Ich denke dabei beispielsweise an die Stärkung des Stabilitäts- und Wachstumspakts, den Fiskalpakt oder die Schaffung der Bankenunion. Manchmal hat es dafür langer und schwieriger Verhandlungen bedurft, am Ende haben wir uns aber immer zusammengerauft.

Das gilt auch für unsere Anstrengungen, um die Eurozone vor dem Auseinanderbrechen zu bewahren. Gemeinsam haben wir dafür gesorgt, dass Irland, Portugal, Zypern und Spanien mittlerweile wieder auf einem guten Weg sind. Wir haben uns zwischenzeitlich auf eine notwendige Mischung aus Strukturreformen, Investitionen, Haushaltskonsolidierung und finanzieller Solidarität verständigt. Das alles reicht aber aus meiner Sicht noch nicht. Wir müssen die notwendige Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion mutiger, kreativer und engagierter angehen. Eine gemeinsamee Währungsunion braucht eine verbindliche Koordination der Wirtschafts-, Haushalts-, Beschäftigungs- und Sozialpolitik. Nur so lassen sich die derzeitigen Krisen in der Zukunft verhindern. Ich weiß, dass hier innerhalb der Eurogruppe noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten ist!

Nun werde ich in diesen Tagen keine europapolitische Rede halten können, ohne auf Griechenland zu sprechen zu kommen. Lassen Sie mich an dieser Stelle klarstellen: Wir haben beim Eurozonengipfel am 12. Juli nach schwierigen Verhandlungen gemeinsam eine Verabredung mit Griechenland getroffen. Wir sind bereit, Griechenland weiterhin solidarisch zur Seite zu stehen. Neues Vertrauen auf beiden Seiten muss wachsen. Das, was wir in Brüssel verabredet haben, gilt es umzusetzen und zum Erfolg zu führen. Und es muss jetzt endlich Schluss sein mit der Debatte um einen Grexit! Er ist für uns weder aus währungspolitischen noch außen- und europapolitischen Gründen eine verantwortbare Alternative!

Mir sind die kritischen Reaktionen zur deutschen Verhandlungsposition in den sozialen Medien und in den Printmedien – und damit meine ich auch die italienischen Medien – nicht entgangen. Vielleicht sind einige Verfasser entsprechender Artikel heute hier bei uns. Für Ihre Kritik habe ich Verständnis. Sie sollten sich alle politisch Verantwortlich meines Landes zu Herzen nehmen.

Ich möchte aber hinzufügen: Über manche Kritik – insbesondere in den sozialen Medien – war ich in den vergangenen Woche nicht glücklich. Als Politiker bin ich selbst auf Twitter aktiv. Daher kenne ich die Versuchung, mit wenigen Worten möglichst prägnante Tweets zu versenden. Dabei besteht aber die Gefahr, dass man die Wirklichkeit zu sehr vereinfacht und aus Grautönen sehr schnell schwarz oder weiß wird. Wir werden der Komplexität und Kompliziertheit der Krise in Griechenland aber nicht gerecht, wenn wir sie derart vereinfachen. Noch weniger werden wir ihr gerecht, wenn wir in nationale Stereotypen zurückfallen und die Debatte dadurch weiter anheizen. Nach den aufgeregten Debatten der vergangenen Wochen wird es höchste Zeit, jetzt wieder auf eine sachliche Ebene zurückzukehren! Meinen persönlichen Beitrag dazu will ich gerne leisten.

In diesem Zusammenhang steht meine dritte Botschaft, die mir auch als Sozialdemokrat besonders am Herzen liegt: Deutschland tritt mitnichten für eine sogenannte Austeritätspolitik in Europa ein. Dieser Vorwurf, der der Bundesregierung leider immer noch gemacht wird, ist schlichtweg falsch. Denn der lautstark geforderte Politikwechsel in Europa hat doch längst stattgefunden. Nicht zuletzt auf Initiative des Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker und vieler Sozialdemokraten in nationaler Regierungsverantwortung legt die EU mittlerweile einen klaren Schwerpunkt auf Wachstum, Beschäftigung und die Stärkung des sozialen Zusammenhalts. Haushaltskonsolidierung ist ein Eckpunkt der neuen strategischen Agenda der EU, aber daneben zählen eben auch Strukturreformen und Investitionen dazu.

Es steht doch völlig außer Frage: Wir brauchen in Europa mehr Investitionen und mehr Wachstum, damit endlich wieder mehr Menschen in Arbeit kommen und der soziale Zusammenhalt gestärkt wird. Wir brauchen Investitionen in Schulen und Universitäten, damit unsere Kinder die richtigen Qualifikationen vermittelt bekommen. Wir brauchen Investitionen in erneuerbare Energien, um den Klimaschutz voranzubringen und unsere Importabhängigkeit von fossiler Energie zu verringern. Die Investitionen von heute sind unser Wohlstand von morgen!

Deshalb haben wir die EU-Kommission unter Jean-Claude Juncker und die Sozialdemokraten im Europäischen Parlament dabei unterstützt, einen Plan für eine Investitionsoffensive für Europa vorzulegen. Dieser Investitionsplan und der dazugehörige, in Rekordzeit aufgesetzte „Europäische Fonds für strategische Investitionen“ zeigt die Entschlossenheit der Kommission und der EU-Mitgliedstaaten, Europa auch mit Investitionen aus der Krise zu führen.

Bereits im April hat die Europäische Entwicklungsbank erste förderungswürdige Initiativen identifiziert und angeschoben, darunter ein Projekt für industrielle Innovation in Cremona und Triest, das u.a. 250 neue Arbeitsplätze schaffen wird. Lassen Sie uns gemeinsam dafür stark machen, dass die Investitionsoffensive viele weitere derartige Projekte finanzieren hilft und damit einen echten europäischen Mehrwert schafft.

Aber ohne weitreichende Strukturreformen schaffen wir es nicht, Europa sozial zu stabilisieren, krisenfest und fit für den globalen Wettbewerb zu machen. Machen wir uns bewusst: Als Europäer konkurrieren wir weniger untereinander, sondern global mit Staaten wie den USA, China, Indien, Brasilien und anderen. Für diesen Wettbewerb müssen wir uns aufstellen.

Wir in Deutschland wissen aus eigener Erfahrung nur zu gut, wie schwer es ist, komplexe Reformen gegen innenpolitische Widerstände durchzusetzen – insbesondere wenn ihre positiven Effekte erst nach Jahren eintreten. In Deutschland sind wir diesen steinigen Weg der Reformen vor einem guten Jahrzehnt unter einer sozialdemokratisch geführten Bundesregierung gegangen. Und ich möchte behaupten: Auch deshalb ist Deutschland vergleichsweise gut durch die Krise gekommen.

Italien hat in den vergangenen Jahren einen beachtlichen Reformeifer unter Beweis gestellt: Deshalb möchte ich an dieser Stelle ausdrücklich die Strukturreformen würdigen, die unter der Regierung Mario Monti und Enrico Letta begonnen und nun durch Matteo Renzi erfolgreich weitergeführt wurden.

Beispielhaft hierfür stehen die Modernisierung des Arbeitsmarktes durch den „Jobs Act“, die Reformen der öffentlichen Verwaltung und des Steuersystems oder auch die umfangreichen Maßnahmen im Bereich des Justiz- und des Bildungssystems, die die Regierung Renzi auf den Weg gebracht hat. Großen Gestaltungswillen hat die italienische Regierung auch bei den institutionellen Reformen gezeigt: Das Wahlrecht wurde reformiert und die Senatsreform durchläuft derzeit das parlamentarische Verfahren.

Die italienische Regierung hat sich für den schwierigen, aber langfristig erfolgversprechenden Weg entschieden – und das verdient unsere Anerkennung. Die Italiener können mit Stolz und Selbstbewusstsein auf ein Land blicken, das reich an Kreativität und Innovationskraft ist. Die gute Nachricht für uns alle in Europa ist: Italien ist zurück als ein politisches Kraftzentrum, das Europa aktiv mitgestaltet und dies aus wiedergewonnener innerer Stärke heraus tut.

Das bringt mich zu meinem vierten Punkt: Italien und Deutschland müssen gemeinsam daran arbeiten, die Fundamente unserer Union wieder zu festigen. Wir müssen uns daran machen, den inneren Zusammenhalt in Europa zu stärken. Unsere gemeinsamen Werte, Überzeugungen und auch unsere gemeinsame europäische Identität dürfen wir nicht in Frage stellen. Wir müssen entschieden für sie einstehen! Und das im Kleinen wie im Großen!

Die Krisen der vergangenen Jahre haben in vielen Mitgliedstaaten deutliche Spuren hinterlassen. Die teilweise immer noch schlechte wirtschaftliche und soziale Lage lässt die Menschen zweifeln, ob die EU noch Antworten auf die großen Bewährungsproben dieser Zeit geben kann. Die Wahlerfolge von europaskeptischen und populistischen Parteien am linken und am rechten Ende des Parteienspektrums sind auch ein Gradmesser dafür, dass sich viele Menschen ein ganz anderes Europa wünschen. Alte, nationale Stereotypen, die wir längst überwunden geglaubt haben, brechen mancherorts in bisher ungekannter Heftigkeit wieder auf.

All dies können wir nicht einfach ignorieren. Wir dürfen aber auch nicht die populistischen Parolen in abgemilderter Form wiedergeben. Die Menschen wählen am Ende dann doch das Original und nicht die Kopie. Was wir jetzt brauchen, sind mutige Antworten, die den Menschen zeigen: Wir stehen in Europa solidarisch zusammen. Europa ist imstande, zu „liefern“ und Lösungen für drängende Probleme anzubieten.

Bewährungsproben gibt es dafür nun wirklich genug. Da sind zum einen die inneren Probleme, die wir mit der richtigen Mischung aus Solidarität und Eigenverantwortung angehen müssen. Daneben sind wir derzeit auch mit zahlreichen Krisen und Konflikten in unserer unmittelbaren Nachbarschaft konfrontiert, die zum Teil dramatische Auswirkungen auf Europa haben. Ob wir in den Osten schauen, mit dem zutiefst beunruhigenden Konflikt in der Ukraine, oder in den Süden nach Syrien und Irak, oder auf die gefährliche Bedrohung durch den Terrorismus. All dieser Krisen kann Europa nur Herr werden, indem es geschlossen und entschlossen handelt.

Die Situation in Libyen zum Beispiel bereitet uns Deutschen ebenso Sorge wie Ihnen in Italien. Es ist ein europäisches Problem, wenn sich die Terrorgefahr des Islamischen Staates ausbreitet und Europas südliche Nachbarregion weiter destabilisiert. Wir müssen jetzt alles daran setzen, den nach dem Sturz Ghaddafis begonnenen Übergangsprozess wieder aufs Gleis zu setzen. Hier gab es in den vergangenen Wochen unter Vermittlung der Vereinten Nationen bemerkenswerte Fortschritte. Nun kommt es darauf an, dass in Libyen eine Regierung der Nationalen Einheit eingesetzt wird, die die notwendigen Schritte zur Stabilisierung des Landes einleitet. Die jüngste Erfahrung aus anderen Krisenherden in der Region zeigt: Wir brauchen stabile staatliche Strukturen im Land, damit unsere Hilfe wirksam ansetzen kann.

Die angespannte Lage in Libyen bringt mich zu meinem fünften und letzten Punkt: den Flüchtlingsströmen nach Europa. Wenn 90 Prozent der Bootsflüchtlinge, die in Italien anlanden, aus Libyen kommen, dann ist das nicht nur ein italienisches Problem. Wenn das Mittelmeer zum Massengrab für Flüchtlinge wird, dann ist das eine furchtbare Tragödie für ganz Europa!

Hunderte, ja tausende Menschen haben in Europa ein besseres Leben gesucht – und einen grausamen Tod gefunden. Es sind unsere gemeinsamen Werte, die im Mittelmeer untergegangen sind. Aus deutscher Sicht gehört daher die Entwicklung einer gemeinsamen europäischen Migrations- und Flüchtlingspolitik zu den vordringlichsten Aufgaben in Europa.

Gestern habe ich mit meinem Kollegen Sandro Gozi Flüchtlingslager in der Nähe von Catania besucht und mit Flüchtlingen gesprochen. Das Schicksal der Menschen, die sich in der Hoffnung auf ein besseres Leben auf den Weg zu uns nach Europa gemacht haben, berührt mich sehr.

Für uns muss die Rettung von Menschenleben oberste Priorität haben. Es ist inakzeptabel und mit unseren Grundwerten schlichtweg unvereinbar, wenn vor unseren Küsten, vor unseren Augen Menschen ertrinken. Deutschland und Italien arbeiten hier Hand in Hand. Deutschland unterstützt die italienische Marine seit Anfang Mai mit zwei Marineschiffen bei der Seenotrettung im Mittelmeer. Seitdem hat die deutsche Marine bereits mehr als 5.800 Menschen in Seenot gerettet. Gestern hatte ich Gelegenheit, im Hafen von Augusta die deutsche Fregatte „Schleswig-Holstein“ zu besuchen. Seit dem 30. Juni leistet sie einen Beitrag zur europäischen Anti-Schleuser-Mission EUNAVFOR MED, die der Europäische Rat im Mai beschlossen hat.

Unsere Anstrengungen müssen aber weit über die Seenotrettung und den Kampf gegen die Schleuserbanden hinausgehen. Denn wir haben es bei der Migrationsproblematik mit einer vielschichtigen und langfristigen Aufgabe zu tun. Perspektivisch werden nicht weniger, sondern mehr Menschen den Weg nach Europa suchen. Daher brauchen wir konkrete Antworten, wie wir die Lebensbedingungen in den Herkunftsländern verbessern können. Wir wollen die Fluchtursachen bekämpfen, nicht die Flüchtlinge!

Wenn wir über den Umgang mit Flüchtlingen sprechen, dann geht es immer auch um Solidarität: Derzeit nehmen gerade einmal fünf von 28 Mitgliedstaaten, darunter auch Deutschland, etwa 80 Prozent der Asylbewerber und Flüchtlinge auf. Wir haben deshalb vorgeschlagen, innerhalb der EU verbindliche Standards und Quoten für einen Solidaritätsmechanismus zu verabreden, der sich an Größe, Wirtschaftskraft und Aufnahmekapazität der einzelnen EU-Mitgliedstaaten orientiert. Jeder Mitgliedsstaat hat dabei Verantwortung zu tragen. Auch das ist Solidarität!

In einigen Mitgliedstaaten – insbesondere in Mittel- und Osteuropa – gibt es große Skepsis, ja auch Ablehnung, mehr Flüchtlinge aufzunehmen. Hier liegt also noch ein gutes Stück Überzeugungsarbeit vor uns. Diesen Staaten wollen wir Mut machen und auch die positiven Effekte der Zuwanderung verdeutlichen.

Immerhin ist in der vergangenen Woche ein erster Schritt gelungen: Innerhalb der nächsten zwei Jahre sollen 35.000 Personen, die in Italien und Griechenland ankommen, und 20.000 Menschen, die durch Bürgerkriege vertrieben worden sind, auf freiwilliger Basis auf die EU-Mitgliedstaaten verteilt werden. Deutschland hat sich dabei zur Aufnahme von weiteren 10.500 Flüchtlingen bereit erklärt.

Die Richtung stimmt also. Aber für alle Beteiligten bleibt noch sehr viel zu tun, um eine für alle Mitgliedstaaten tragbare Lösung zu finden. Wie Italien vertritt Deutschland die Ansicht, dass der Weg hin zu einem verbindlichen europaweiten Verteilungsschlüssel für Flüchtlinge weisen muss.

Deutschlands Platz ist und bleibt in der Mitte Europas. Wir wollen und werden den europäischen Integrationsprozess nicht zurück drehen. Lassen Sie uns - gerade jetzt - voran schreiten. In dem deutschen Märchen „Die Bremer Stadtmusikanten“ der Brüder Grimm stellen die Tiere auf ihrer gemeinsamen Flucht vor den Grausamkeiten der Menschen nüchtern fest: „Etwas besseres als den Tod findest Du überall.“ In Anlehnung an diese Geschichte möchte ich Ihnen unter umgekehrtem Vorzeichen zurufen: Etwas Besseres als die Europäische Union finden wir nirgendwo. Es sei denn, wir machen sie besser. Das, meine Damen und Herren, schaffen wir aber nur gemeinsam. Und dazu möchte ich uns ermuntern.

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