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„Die Ukraine-Krise löst sich nicht durch Geisterhand auf“

17.05.2014 - Interview

Außenminister Frank-Walter Steinmeier im Interview mit der Thüringischen Landeszeitung zu den Bemühungen um eine Lösung der Krise in der Ukraine.

Außenminister Frank-Walter Steinmeier im Interview zu den Bemühungen um eine Lösung der Krise in der Ukraine. Erschienen in der Thüringischen Landeszeitung vom 17.05.2014.

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Herr Steinmeier, Sie bemühen sich unermüdlich um eine friedliche und diplomatische Lösung des Ukraine-Konfliktes. Dafür werden Sie jetzt heftig kritisiert. Ihre diplomatischen Bemühungen seien permanent erfolglos und nicht hinreichend mit der EU koordiniert. Isolierte deutsche Diplomatie könne nicht zum Erfolg führen. Halten Sie an Ihrer Strategie fest?

Ich sehe keine Strategie, mit der der Erfolg garantiert ist. Aber Rechtfertigung für Nichtstun ist das eben nicht. Es wäre unverantwortlich, wenn wir nicht alles unternehmen würden, um auf eine Deeskalation der gefährlichen Lage hinzuwirken und einen Weg hin zu einer friedlichen Lösung zu suchen. Ich werde weiter alles in meiner Macht Stehende tun, damit dafür Chancen entstehen. Unsere Idee eines nationalen Dialogs und der Errichtung Runder Tische im ganzen Land ist eine solche Chance, und ich bin froh, dass der Prozess vor wenigen Tagen in Gang gekommen ist. Jeder, der sich an unserer Seite um eine Entschärfung des Konflikts bemüht hat, weiß, dass das nicht einfach ist, wenn sich die Konfliktbeteiligen gegenseitig Gewalt antun und als Faschisten oder Terroristen beschimpfen. Aber wer nicht will, dass der Ukraine-Konflikt völlig aus dem Ruder läuft, der hat keine Alternative. Im Übrigen: Ich bin mir breiter Unterstützung für diese Politik sicher.

Es fällt auf, dass die Nörgelei gegen Ihre Russland-Politik nicht nur aus der CSU kommt, sondern auch von bekannten Sozialdemokraten wie Helmut Schmidt und Gerhard Schröder. Solche Kritik schwächt doch die deutsche Position gegenüber Putin!

Es gibt leider kein Allheilmittel, mit dem sich wie durch Geisterhand die Krise so einfach in Luft auflösen würde. Was uns droht, wenn es nicht gelingt, den Weg zu einer friedlichen Lösung zu finden, ist letztlich eine neue Spaltung Europas. Ich wünschte mir, dass diejenigen, denen Kritik so leicht über die Lippen geht, das Gesamtbild sähen. Wir in Deutschland sind doch fast die letzten, die inmitten der Krise und unter großem Druck das ständige Gespräch mit Russland nicht aufgegeben haben. Dabei gilt: Die Gesprächskanäle nach Moskau offen halten, heißt nicht, die russische Politik zu beschönigen oder gar zu rechtfertigen. Deshalb müssen wir klar sagen, dass die Annexion der Krim eine Völkerrechtsverletzung ist und das russische Verhalten diesseits und jenseits der Grenze zur Ukraine alles andere als ein Beitrag zur Deeskalation ist. Sieben Jahrzehnte nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges dürfen wir nicht zulassen, dass in Europa Grenzen mit Gewalt korrigiert werden. Wenn das erst einmal anfängt, nimmt es kein Ende mehr.

… Aber selbst die Schotten stimmen doch darüber ab, ob sie bei Großbritannien bleiben oder nicht. Muss man nicht dafür sorgen, dass es auf der Krim und in der Ostukraine demokratisch legitimierte Referenden gibt?

Der Unterschied könnte größer nicht sein. In Großbritannien wird seit vielen Jahren über das Verhältnis zu Schottland gestritten. Aber das geschieht in den Bahnen der verfassungsmäßigen Ordnung. Es gibt kein Verbot einer Selbstbestimmung des schottischen Teils der britischen Inseln. Im Gegenteil: Es gibt sogar eine politische Verabredung zwischen der Regierung in London und der schottischen Regionalregierung, dass ein Referendum über die Zukunft Schottlands durchgeführt und das Ergebnis in London anerkannt wird. In der Ukraine sieht die Verfassung keine Möglichkeit zur Abspaltung einzelner Landesteile vor, schon gar nicht mit Gewalt. Jedes Referendum ist ein Verstoß gegen ukrainisches Recht und deshalb illegal.

Militäraktionen sind keine rationale Option. Immer schärfere Sanktionen aber werden bei Putin nichts bewirken. Dann sind sie doch sinnlos?

Sanktionen dürfen kein Selbstzweck, kein Ersatz für Außenpolitik sein. Sie können aber als Teil einer außenpolitischen Strategie vernünftig sein, wenn der politische Druck erhöht werden muss. In unserer Politik gegenüber dem Iran war das ein wichtiges Element, um Teheran wieder an den Verhandlungstisch zu bringen. Wir müssen aber vermeiden, in einen Automatismus zu geraten, der nur in eine Sackgasse führt und keine politischen Handlungsmöglichkeiten mehr offen lässt. Ich wünsche mir, dass wir Sanktionen der dritten Stufe gegen Russland vermeiden können. Das setzt aber voraus, dass Russland die am 25. Mai anstehenden Wahlen in der Ukraine nicht behindert oder gar unmöglich macht.

Sanktionen können sogar die wirtschaftlich schwächelnden Staaten Europas härter treffen als Russland. Auch so betrachtet wäre dies ein Eigentor!

Wer den Weg wirtschaftlicher Sanktionen gehen will, muss wissen, dass das auch bei uns einen Preis haben wird. Wir haben in Europa in der Ukraine-Krise bislang eine klare, gemeinsame Haltung eingenommen. Europa wird auch in der Frage möglicher weiterer Sanktionen verantwortungsvoll handeln. Die Beratungen mit unseren Partnern in Europa und in den USA über die nächsten Schritte laufen.

Es droht also eine lange Eiszeit zwischen Russland und der EU?

Nicht unbedingt. Ich wünsche mir Kooperation statt Konfrontation. Wir sind dazu bereit. Ob alle anderen auch diese Bereitschaft haben, muss sich noch zeigen. Klar ist: Viele große Konflikte auf der internationalen Agenda – ich nenne nur den Bürgerkrieg in Syrien, das iranische Atomprogramm und Afghanistan – lassen sich nicht gegen, sondern nur mit Russland lösen.

Die Lage in der Ukraine ist desolat. Haben Sie überhaupt Hoffnung, dass es zu geordneten Präsidentschaftswahlen kommen kann?

Die OSZE berichtet, dass die Vorbereitung der Wahlen in weiten Teilen des Landes auf gutem Weg ist, auch im Osten und Süden. Die jetzt noch verbliebene Zeit muss dafür genutzt werden, auch politisch den Boden für Wahlen zu bereiten, die den Willen der Bürger der Ukraine in Ost und West, Nord und Süd widerspiegeln. Der vor wenigen Tagen aufgenommene nationale Dialog und die Runden Tische auch im Osten der Ukraine sind dafür das richtige Mittel. Und an die Adresse Moskaus sagen wir: Gerade diejenigen, die die Legitimität der ukrainischen Regierung bestreiten, müssen doch ein Interesse daran haben, dass mit demokratischen Wahlen frische Legitimität geschaffen wird. Das geht nur mit den geplanten Wahlen.

Es ist kaum realistisch, dass es überall in der Ukraine Wahlen geben wird!

Nach der Annexion der Krim sind dort Wahlen sicher nicht möglich. Aber in allen anderen Regionen der Ukraine können die Wahlen stattfinden. Selbst in Odessa, wo es bei einem Brand in einem Gewerkschaftshaus mehr als 40 Tote gegeben hat, ist die Lage inzwischen wieder ruhig und normalisiert. Sorgen bereiten uns Donezk und Mariupol, wo die Lage nach gewaltsamen Auseinandersetzungen unübersichtlich und zum Teil gefährlich ist. Mariupol hat sich in den letzten Tagen deutlich beruhigt. Für Städte wie Slawjansk und einen Teil von Lugansk sieht es hingegen nicht gut aus.

Da besteht doch die Gefahr, dass die Legitimität der gesamten Wahl angefochten wird.

Wir haben schon sehr frühzeitig die OSZE – übrigens unter Beteiligung von Kiew und Moskau - mit der Beobachtung der Wahlen betraut. Sie werden uns kurz nach den Wahlen sagen können, ob die Wahlen nach europäischen Standards abgelaufen sind und den Willen der Wähler tatsächlich widerspiegeln. Ganz klar ist: Wir brauchen ein Umfeld, in dem die Wahlen frei und fair abgehalten werden können. Gelingt das, haben die Gegner, ein Argument weniger, die Ergebnisse der Wahlen in Zweifel zu ziehen.

Die staatlichen Strukturen in der Ukraine lösen sich zunehmend auf, die Zentralregierung kann vieles nicht durchsetzen und die Korruption ist allgegenwärtig. Da verwundert es, dass der internationale Währungsfonds und die EU angekündigt haben, die Ukraine mit Milliarden Dollar und Euro zu unterstützen. Ist das zu rechtfertigen?

Es ist richtig, dass die Ukraine selbst ihren Beitrag dazu leisten muss, dass eine politische und wirtschaftliche Stabilisierung gelingt. Die Korruption muss dabei im Fokus stehen: Da ist es mit der Verabschiedung von Gesetzen nicht getan, sondern es braucht glaubwürdiges, entschlossenes Handeln, die Korruption und Bestechlichkeit unnachsichtig und mit aller Härte verfolgt. Nur dann kann man rechtfertigen, der Ukraine und einer neuen Regierung mit Finanzmitteln unter die Arme zu greifen.

Im Klartext: Geld gibt es nur, wenn Auflagen tatsächlich erfüllt werden?

Die von Internationalen Währungsfonds gewährten Hilfen können natürlich nur unter klaren Bedingungen gewährt werden. So ist es vereinbart. Auch Hilfen aus Europa und aus Deutschland werden so angelegt. Steuermillionen dürfen nicht in ein korruptes System fließen, sondern müssen Hilfen dafür sein, dass die Ukraine möglichst schnell wieder auf eigenen Beinen stehen kann.

Lässt sich der Westen in der Ukraine von Putin vorführen? In den USA wird Präsident Obama chronische Schwäche vorgeworfen. Dort lassen sich manche sogar mit der Meinung zitieren, wäre George W. Bush noch US-Präsident, hätte Putin sich nicht getraut, die Krim zu annektieren.

Umgekehrt wird doch ein Schuh daraus. Mit den Folgen der Außenpolitik von George W. Bush müssen wir bis heute umgehen. Für mich ist nicht Stärke die entscheidende Kategorie der Außenpolitik, sondern Klugheit.

Interview: Bernd Hilder. Übernahme mit freundlicher Genehmigung der Thüringischen Landeszeitung.

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