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Lage der syrischen Flüchtlinge: „Wir brauchen neue Ideen, neue Ansätze“

31.10.2014 - Interview

Im Interview mit dem Luxemburger Tageblatt beschreibt Außenminister Steinmeier die Herausforderungen für die internationale Gemeinschaft im Umgang mit der Lage der syrischen Flüchtlinge .

Herr Außenminister, inwiefern haben Sie bei der heutigen Konferenz eine Antwort darauf erhalten, wie man den syrischen Nachbarländern Jordanien, Libanon und der Türkei besser helfen kann?

Alle Teilnehmer der Konferenz haben deutlich gemacht, dass sie bereit sind, Verantwortung zu übernehmen, damit die Staaten, die die Hauptlast der Flüchtlingsbewegung in Folge des tragischen Bürgerkriegs in Syrien tragen, unter dieser Last nicht ersticken. Wo Wasser, Nahrung und Unterkunft ohnehin schon knapp sind, so wie im Norden Jordaniens oder im Libanon, wird der Mangel durch den Zustrom hunderttausender Flüchtlinge noch größer. Das hat enorme Sprengkraft für die ohnehin schon fragile Stabilität der Aufnahmestaaten. Deshalb haben wir uns heute verpflichtet, unsere Hilfsleistungen noch stärker auf die Aufnahmeländer auszurichten und sie planbarer, verlässlicher und effizienter zu machen.

Sie haben vom Libanon gesprochen. Das Land ist an seinen humanitären Grenzen angelangt. Sind Sie besorgt, dass man die Grenzen für syrische Flüchtlinge abgeriegelt hat?

Wer in den letzten Monaten in die Region gereist ist – ob nach Jordanien oder in den Libanon – hat erlebt, wie hoch die Spannungen sind. Und diese nehmen täglich zu. Deshalb sollten wir uns nicht darüber erheben, wenn in einem Land wie im Libanon, in dem ein Drittel der Gesamtbevölkerung jetzt schon Flüchtlinge sind, eine Debatte darüber entsteht, wie viel mehr an Last man bereit ist auf sich zu nehmen, ohne darunter zu zerbrechen. Ich finde, dass wir ohne Hochmut auf diese Diskussionen schauen sollten. Gleichwohl ist es auch unsere Verantwortung mit dazu beizutragen, dass die Nachbarländer ihre Aufnahmebereitschaft weiter aufrecht erhalten können.

Die Türkei hat beispielsweise eine sehr flüchtlingsfreundliche Politik bislang betrieben. Wie beurteilen sie diese „Open door policy“, wenn man sieht, was in Kobane passiert?

Die enorme humanitäre Leistung der Türkei wird oft unterschätzt. Wir haben nach der Zuspitzung der Kämpfe in den letzten Wochen in Nordsyrien erlebt, dass zusätzlich zu den mehr als 1,5 Millionen Flüchtlingen noch einmal um 200.000 Flüchtlinge hinzugekommen sind, die Schutz in der Türkei gesucht haben. Ohne die Zuflucht, die ihnen die Türkei gewährt hat, wären in den Kämpfen in Syrien und im Irak wahrscheinlich viele Tausend mehr ums Leben gekommen.

Die internationale Gemeinschaft war in den vergangenen Jahren nicht in der Lage, sich auf ein gemeinsames Vorgehen in Syrien zu einigen. Wie erklären Sie sich, dass in diesem Zeitraum weder eine militärische Entscheidung noch eine politische Lösung gefunden wurde?

Es ist häufig so, dass erst im Laufe eines Konfliktes Realismus bei den Parteien einkehrt. Und zu dem Realismus gehört es auch, dass es allein mit militärischen Mittel keine Lösung geben kann. Ich bin deshalb sehr froh darüber, dass wir mit Staffan de Mistura einen erfahrenen internationalen Konfliktmanager gefunden haben, der jetzt im Auftrag der Vereinten Nationen nach Auswegen aus der unendlichen Tragödie des syrischen Bürgerkriegs mit mehr als 200.000 Toten sucht. Bei dieser Herkulesaufgabe verdient er die volle Unterstützung der internationalen Staatengemeinschaft.

Der hohe UN-Flüchtlingskommissar Antonio Guterres hat heute betont, dass eine politische Lösung nicht bei einer Syrien-Konferenz im Sinne von „Genf III“ oder „Genf IV“ gefunden werden kann. Es brauche einen neuen Ansatz. Wie sehen Sie das?

Antonio Guterres hat Recht. Es wäre sogar eine Gefahr, nach zwei gescheiterten Genfer Konferenzen ohne ein neues Konzept und ohne eine Strategie zu einer dritten Konferenz einzuladen. Wir brauchen neue Ideen, neue Ansätze. Ich weiß, dass Staffan de Mistura unter Hochdruck daran arbeitet, mit kleinen Schritten den Rückweg in eine politische Lösung vorzubereiten.

Die Fragen stellte Dhiraj Sabharwal. Übernahme mit freundlicher Genehmigung des Luxemburger Tageblatts.

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