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Rede von Staatsminister Gloser anlässlich der Verleihung des Nürnberger Menschenrechtspreises an Soltani, 04.10.2009

06.10.2009 - Rede

- es gilt das gesprochene Wort -

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

gerne hätte ich heute hier einem Preisträger gratuliert, dessen Mut und dessen Zivilcourage mich persönlich tief beeindruckt haben. Dreimal ging Abdolfattah Soltani für seine Überzeugungen ins Gefängnis. Erst am 26. August wurde er nach zweieinhalb Monaten Haft wieder auf Kaution entlassen. Wir hofften bis zum Freitag, dass er heute hier persönlich den Nürnberger Menschenrechtspreis entgegennehmen könnte. Doch die iranischen Behörden haben, wohl wissend, mit welch großem Engagement die Bundesregierung, mit welchem großen Engagement die Stadt Nürnberg, sich für die Freilassung und die Reisemöglichkeit Soltanis eingesetzt haben, seine Anreise im letzten Moment verhindert.

Wir wissen aber auch: Unter den gegenwärtigen Umständen im Iran, ist allein die Entgegennahme eines im westlichen Auslands verliehenen Menschenrechtspreises für den Preisträger mit einem hohen persönlichen Risiko verbunden. Dass Abdolfattah Soltani trotz mehrwöchiger Inhaftierung, weiter laufenden Strafverfahren und unter enormen Druck stehend bis zuletzt entschlossen war, die Reise hierher nach Nürnberg anzutreten, bezeugt seinen ehrlichen persönlichen Einsatz. Es bezeugt wofür er steht: für Wahrhaftigkeit und Standfestigkeit. Es bezeugt auch hohen Mut, mit dem die iranischen Machthaber wohl nicht gerechnet hatten - sie sahen sich gezwungen, Herrn Soltani am Freitagmorgen unmittelbar vor Betreten des Flugzeuges seiner vollständigen und gültigen Reisedokumente zu berauben und unter fadenscheinigen Begründungen an der Abreise zu hindern. Welch ein klägliches Verhalten!

Wir werden uns als Bundesregierung davon nicht entmutigen lassen. Wir werden uns weiter für die Reisemöglichkeit von Herrn Soltani, und die Freilassung anderer politischer Gefangener im Iran einsetzen, seien es nun Journalisten, Mitglieder der Opposition. Und ich möchte an dieser Stelle auch ausdrücklich der Familie von Herrn Soltani meine Solidarität und meine tiefe Bewunderung bekunden – wir stehen alle an Ihrer Seite!

Wir tun dies auch, weil wir wissen, wie vielschichtig und oft widersprüchlich die Entwicklungen im Iran sind. Die Iraner haben in den letzten Wochen ein Wechselbad der Gefühle erlebt und durchlitten:

Millionen iranischer Bürger setzten sich in einem von vielen Beobachtern mit Staunen beobachteten, engagierten Wahlkampf für ihre Kandidaten ein. Dies geschah trotz oder gerade wegen der Einschränkungen der demokratischen Spielregeln - nur vier Kandidaten waren überhaupt zugelassen worden, darunter auch dieses mal wieder keine Frau. Dennoch hat das iranische Volk ein eindrucksvolles, in der Nah- und Mittelost-Region keineswegs selbstverständliches Engagement für Demokratie und politische Teilhabe gezeigt. Am deutlichsten drückt sich dies in einer Wahlbeteiligung von 85 Prozent aus.

Den Wahltag haben nicht nur sie, sondern auch wir, die wir nur von außen beobachten können, mit viel Emotion, Spannung und Hoffnungen verfolgt.

In ernüchternder Weise folgte der für viele überraschende und überraschend rasch erklärte Wahlausgang, mit Amtsinhaber Ahmadinedschad als erklärtem Sieger und den Vorwürfen der Opposition, dieses Wahlergebnis sei nur durch massive Wahlverfälschungen möglich gewesen. Diese Vorwürfe konnten bis heute nicht vollständig ausgeräumt werden. Da Iran keine internationalen Wahlbeobachter zulässt, konnten auch wir uns nur ein sehr eingeschränktes, eigenes Bild von den Vorgängen machen. Offenkundig ist aber bis heute, dass sich ein großer Teil des iranischen Volkes, und zwar nicht nur im Norden Teherans, sondern in Städten über das ganze Land verteilt, um seine Stimme betrogen fühlt.

Dieses Gefühl manifestierte sich in fast durchweg friedlichen und würdevollen Straßenprotesten, die von Sicherheitskräften, insbesondere den paramilitärischen Bassidsch-Milizen brutal niedergeschlagen wurden. Wir alle haben die erschütternden Bilder dieser Tage noch vor Augen. Die dort sichtbare Willkür und Brutalität lässt uns weiter von einer hohen Dunkelziffer an Opfern ausgehen.

Dies und die folgende Welle von tausenden willkürlichen Verhaftungen, Schauprozessen mit zweifelhaften Geständnissen und andere massive Einschränkungen der Bürger- und Menschenrechte bilden den vorläufigen negativen Höhepunkt einer sich seit Monaten in Iran verschlechternden Menschenrechtslage.

Die Bundesregierung ist angesichts dieser Entwicklung in den zurückliegenden Wochen gegenüber der iranischen Führung intensiv für eine Einhaltung der von ihr selbst eingegangenen internationalen Verpflichtungen eingetreten. In Einzelfällen konnte dieses Einwirken auch immer wieder etwas erreichen – die Verwandlung von Todes- in Haftstrafen zum Beispiel. Dies allein schon ist Motiv genug, auf unserem Kurs unbeirrt voranzuschreiten, auch wenn dies nicht allen in Teheran gefällt.

Die heutige Verleihung des Nürnberger Menschenrechtspreises an Abdolfattah Soltani setzt ein deutliches Zeichen, dass das entsprechende Engagement der Bundesregierung keineswegs - wie von iranischer Seite immer wieder vorgebracht - sachfremden politischen Erwägungen entspringt. Es widerspiegelt ein breites gesellschaftliches Interesse in Deutschland an den Vorgängen im Iran.

Den in den jüngsten Schauprozessen und auch gegen den heutigen Preisträger immer wieder erhobenen Vorwurf einer Steuerung der iranischen Zivilgesellschaft durch den Westen möchte ich an dieser Stelle erneut nachdrücklich zurückweisen. Die gegenwärtige Strategie der iranischen Regierung wird aber deutlich: überrascht durch die schließlich alle gesellschaftlichen Schichten erfassenden Proteste setzt sie nun alles daran möglichst viele Reformkräfte und Menschenrechtsaktivisten zu diskreditieren, darunter auch viele Personen, die bis vor kurzem integraler Bestandteil der iranischen Gesellschaft waren. All diese Maßnahmen, von denen das Ausreiseverbot gegen den heutigen Preisträger nur einen symbolischen Ausschnitt darstellt, werden Iran weiter in die Selbstisolation führen.

Dies geschieht zu einem Zeitpunkt, an dem die Beziehungen zwischen Iran und der internationalen Gemeinschaft und auch die Beziehungen zwischen Iran und Deutschland auch anderen gravierenden Belastungen ausgesetzt sind. Sie alle wissen, wir sind angesichts der iranischen Nuklearaktivitäten beunruhigt und haben Iran wiederholt zu konstruktivem Verhalten aufgefordert. Mit dem vor wenigen Tagen bekannt gewordenen Bau einer weiteren, bisher geheim gehaltenen Anreicherungsanlage hat die Führung in Teheran unsere bestehenden Zweifel gegenüber dem iranischen Atomprogramm zuletzt noch einmal erheblich verstärkt – und dies nicht nur im Westen. Wir hoffen, dass die Gespräche der E3+3 mit Iran vom 1. Oktober nun den Auftakt zu einem intensiven Verhandlungsprozess bilden. Aber: Noch müssen den Worten Teherans auch Taten folgen.

Ein weiterer, insbesondere für uns Deutsche schwer wiegender Grund für die zunehmenden Belastungen unserer Beziehungen sind wiederholte Äußerungen des iranischen Staatspräsidenten zum Holocaust und zur Existenz Israels, zuletzt vor der UN-Generalversammlung vor wenigen Tagen, die ich hier nicht wiedergeben möchte, die uns aber – gerade in Nürnberg - an die dunkelsten Kapitel unserer eigenen Geschichte erinnern.

Zu all diesen Themen müssen wir, auch wenn es uns die IRN Führung nicht leicht macht, immer wieder und unermüdlich den Dialog mit Iran suchen. Wir werden aber – wie auch in der Vergangenheit – diesem Dialog mit Iran die anderen wichtigen Fragen in unserem Verhältnis – einschließlich der universalen Menschenrechte – nicht unterordnen.

Die Verleihung des Internationalen Menschenrechtspreises an Abdolfattah Soltani ist Anerkennung für sein langjähriges Wirken für die Opfer von staatlicher Repression und Willkür und Ausdruck der großen Wertschätzung seiner Arbeit und seiner Courage. Sie ist aber auch ein Zeichen der Ermutigung für all diejenigen im Iran, die unter der derzeitigen Situation leiden und die sich für eine Verbesserung der Lage der Menschen- und Bürgerrechte dort einsetzen.

Ich danke der internationalen Jury für die Wahl von Herrn Soltani. Ich danke aber auch insbesondere der Stadt Nürnberg, die sich nicht nur an einem Sonntag wie diesem, sondern über das ganze Jahr hinweg für die Menschenrechte einsetzt.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

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