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„Wir wollen keinen neuen kalten Krieg“

12.07.2016 - Interview

Außenminister Frank-Walter Steinmeier im Interview mit der Neuen Osnabrücker Zeitung zu den Ergebnissen des Warschauer NATO-Gipfels. Erschienen am 12.07.2016.

Außenminister Frank-Walter Steinmeier im Interview mit der Neuen Osnabrücker Zeitung zu den Ergebnissen des Warschauer NATO-Gipfels. Erschienen am 12.07.2016,

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Herr Steinmeier, am Wochenende tagte die Nato. Wie viel Säbelrasseln haben Sie vernommen?

Wie wollten eine Debatte über das richtige Verhältnis von militärischer Stärke und Bereitschaft zum Dialog. Die hat es in Warschau gegeben. Es ist uns in Warschau gelungen, die richtigen Botschaften zu setzen, und zwar: Ja, wir stehen zu unserer Verantwortung im Bündnis, aber nein, wir wollen keinen Rüstungswettlauf und keinen neuen Kalten Krieg! Dass morgen in Brüssel der Nato-Russland-Rat erneut zusammenkommt, ist ein wichtiges Signal. Es wäre gut, wenn es uns in diesem Forum gelänge, offen und transparent über alle Fragen zu sprechen, die für beide Seiten wichtig sind. Ich hoffe, dass wir damit auch einen Einstieg in einen dauerhaften und kontinuierlichen Dialog mit Russland hinbekommen.

Welche Rolle kommt der Türkei innerhalb des Bündnisses zu? Ist sie ein verlässlicher Partner?

Die Türkei ist und bleibt für uns ein wichtiger Bündnispartner. Wir arbeiten seit Jahrzehnten vertrauensvoll in der Nato zusammen, und das wird auch weiterhin nötig sein: Wer sich die Liste der blutigen Terroranschläge in den letzten Monaten anschaut, erkennt das ganze Ausmaß der Bedrohung für die Türkei und für die Nato-Partner. Nur gemeinsam sind wir stark genug, dem Terrorismus die Stirn zu bieten. Wahr ist aber auch, dass unsere Zusammenarbeit in letzter Zeit nicht immer einfach war. Ich hoffe, dass es gelingt, aus aktuellen Verstimmungen keinen dauerhaften Schaden werden zu lassen - dazu sind die Herausforderungen in der Region zu ernst.

Was kann das Land zur Lösung des Syrien-Konflikts beitragen?

Die Türkei hat knapp drei Millionen Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen - das ist ein Kraftakt, der unsere große Anerkennung verdient. Gleichzeitig hat die Türkei eine über 900 km lange gemeinsame Grenze mit Syrien und ist von den Auswirkungen des Bürgerkriegs unmittelbar betroffen. Auch Ankara hat deshalb ein starkes Interesse daran, dass dieser Konflikt endlich beigelegt wird.

Deshalb ist es gut, dass die Türkei und Russland aufeinander zugegangen sind. Wir brauchen beide Seiten für eine politische Lösung des Konflikts in Syrien.

In Osnabrück sprechen Sie über den Westfälischen Frieden als mögliches Modell für Syrien - also die Befriedung der Konfliktparteien durch Mächte und Druck von außen. Welche Druckmittel hat der Westen?

Es geht in erster Linie nicht um Druck, sondern darum, darüber nachzudenken, wie wir einen so hochkomplexen, brutalen und schon so lange andauernden Konflikt befrieden können. Da lohnt sich meiner Meinung nach ein Blick in die Geschichte.

Das Beispiel des Westfälischen Friedens zeigt, dass ein unkontrollierbar scheinender Großkonflikt am Ende lösbar ist. Was Syrien angeht, so ist es uns bei Wiener Verhandlungen zur Beilegung des Konflikts in Syrien gelungen, alle relevanten Akteure an einen Tisch zu bewegen. Wir haben uns auf einen konkreten Fahrplan geeinigt. Bei unserem Treffen in München haben wir eine Waffenruhe und konkrete Schritte zur humanitären Hilfe festgelegt. Die Waffenruhe ist extrem brüchig, und eine Lösung des Konflikts ist noch immer nicht in unmittelbarer Reichweite. Dass aber inzwischen alle belagerten Städte von humanitären Hilfskonvois erreicht werden konnten, ist ein greifbares Hoffnungszeichen für die Menschen im Land. Mit unseren Partnern werden wir weiter den Druck aufrechterhalten, damit noch mehr Menschen versorgt werden, die Waffenruhe endlich hält und die Voraussetzung für eine Fortsetzung der Gespräche in Genf geschaffen werden kann.

War es falsch, in Syriens Präsident Bashar al-Assad eher den Despoten als einen Faktor der Stabilität zu sehen?

Keine Diktatur ist auf Dauer stabil. Echte Stabilität erreicht man nur, wenn man alle Gruppen in politische Prozesse einbindet und wenn ein politisches System in der Lage ist, sich an die Bedingungen des einundzwanzigsten Jahrhunderts anzupassen.

Diesen Test hat das Regime von Präsident Assad nicht bestanden. Gleichzeitig sind es die Syrer selbst, die sich über die politische Zukunft ihres Landes am Verhandlungstisch verständigen müssen.

Mein Gefühl ist: Nach 250000 Toten und 12 Millionen Flüchtlingen glaube ich nicht, dass Assad derjenige ist, der noch die notwendige Akzeptanz in allen Bevölkerungsgruppen findet.

Interview: Burkhard Ewert. Übernahme mit freundlicher Genehmigung der Neuen Osnabrücker Zeitung.

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