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„Nachhaltige Fortschritte kann es nur geben, wenn alle Europäer mitziehen“

29.02.2016 - Interview

Interview von Außenminister Frank-Walter Steinmeier mit der griechischen Tageszeitung Ta Nea. Erschienen am 29.02.2016.

Interview von Außenminister Frank-Walter Steinmeier mit der griechischen Tageszeitung Ta Nea. Erschienen am 29.02.2016.

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Alleingänge, Referenden, Grenzschließungen, das ist die Realität in der EU nur ein paar Tage nach dem Beschluss des EU Rates bis zum EU-Türkei-Gipfel am 7. März zu warten. Gibt es denn die EU noch?

Keine Frage: Es zerren starke Fliehkräfte an der Europäischen Union. Die Finanzkrise haben wir noch längst nicht überwunden, dazu kommen das anstehende Referendum in Großbritannien und der ungebremste Zustrom hunderttausender Menschen nach Europa. Natürlich mache ich mir angesichts dieser Dreifachkrise Sorgen. Noch gefährlicher wird es dann, wenn populistische, rechtsgerichtete Brandstifter die Situation ausnutzen, um Feuer an die Fundamente Europas zu legen. Das kann sich leicht zu einer weiteren Krise ausweiten. Wir müssen um Europa kämpfen! Gegenseitige Schuldzuweisungen müssen aufhören. Unsere Kräfte sollten wir lieber bündeln und gemeinsam an einer europäischen Lösung der Flüchtlingskrise arbeiten. Diese ist und bleibt der einzig gangbare Weg, wenn Europa heil und gestärkt aus dieser Krise hervorgehen soll.

Athen wurde von Österreich in der Wienerkonferenz zur Flüchtlingskrise demonstrativ ausgeschlossen. Dabei wurden von teils Nicht-EU-Mitgliedern Maßnahmen gegen Griechenland getroffen. Kann die EU solch ein Verhalten gegen ein EU-Mitglied einfach hinnehmen, ohne einen größeren Schaden als Union zu erleiden?

Ich habe immer deutlich gemacht: nationale oder regionale Alleingänge mögen nur auf den ersten Blick Abhilfe bieten. Nachhaltige Fortschritte kann es nur geben, wenn alle Europäer mitziehen. Gerade jetzt müssen wir unter den europäischen Partnern in engstem Kontakt und Abstimmung bleiben. Es ist keiner Seite gedient, wenn wir uns jetzt innerhalb der EU gegenseitig mit Vorwürfen und Schuldzuweisungen überziehen. Das bringt uns bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise keinen Schritt weiter. Die Risse, die jetzt mutwillig entstehen werden mühsam wieder gekittet werden müssen.

In Griechenland droht nach der Schließung des Grenzübergangs zur ejR Mazedonien eine humanitäre Katastrophe. Ist nicht Aufgabe der EU darauf zu reagieren und eine weitere Katastrophe zu verhindern?

Europa darf seine Probleme nicht zulasten eines Mitgliedsstaates lösen. Angesichts des nach wie vor großen Flüchtlingszustroms stehen wir Griechenland deshalb auch weiterhin zur Seite, so wie auch die Europäische Kommission sich mit voller Kraft vor Ort einsetzt. Im Zuge des Pakets, das wir derzeit mit der Türkei verhandeln, müssen wir europäisch auch über zusätzliche personelle und finanzielle Hilfe für Griechenland sprechen. Aber gleichzeitig muss Griechenland auch seine Verpflichtungen erfüllen, etwa was die Kontrolle und vollständige Registrierung der Flüchtlinge angeht. Hier hat Griechenland wichtige Fortschritte gemacht, aber es bleibt noch viel zu tun.

Der NATO Einsatz in der Ägäis hat begonnen. Können fünf Schiffe der Allianz eine Seegrenze von hunderten von Meilen überwachen, oder ist es der Anfang eines größeren Einsatzes der NATO?

Der Einsatz der NATO dient ja der Aufklärung und Überwachung und soll die Arbeit der Küstenwachen beider Länder und Frontex vor allem unterstützen, damit gegen illegale Migration und gegen kriminelle Schlepperbanden vorgegangen werden kann. Es ist ein gutes Signal, dass auch Griechenland und die Türkei sich hier einigen konnten.

Auch wenn alle Maßnahmen, Hot Spots, FRONTEX, NATO im Gang gesetzt werden, läuft Griechenland mit geschlossenen Grenzen trotzdem Gefahr zu einem riesigen Flüchtlingslager für die EU sich zu verwandeln, solange die Verteilung der Flüchtlinge in den EU-Ländern nicht funktioniert. Wie weit sind Überlegungen oder Planungen Flüchtlinge direkt aus der Türkei zu verteilen?

Wir haben mit dem gemeinsamen EU-Türkei-Aktionsplan bereits einen großen Schritt nach vorn gemacht. Jetzt wird es entscheidend darauf ankommen, dass die Türkei ihre Verpflichtungen erfüllt und entschiedene Schritte gegen die Schleuserkriminalität unternimmt, so dass der Zustrom aus der Türkei in die Europäische Union gemindert wird. Nur so können wir wirklich weiterkommen. Wir werden bei den Verhandlungen am 7. März sehen, wo wir stehen und welche weiteren Möglichkeiten sich bieten.

Zwei Krisen gleichzeitig sind für Griechenland mindestens eine Krise zu viel. Kann Athen auf mehr Verständnis seitens Deutschlands bei der Umsetzung des Programms hoffen?

Dass Griechenland durch den Zustrom von Flüchtlingen zusätzlich belastet ist, verstehen wir Deutschen besonders gut: wir gehören ja zu den Hauptaufnahmeländern. Im Rahmen der Verhandlungen mit der Türkei wird auch darüber gesprochen werden müssen, dass auf europäischer Ebene zusätzliche Hilfe für Griechenland bereitgestellt wird. Gleichzeitig gilt: Das Ziel ist nach wie vor, dass es in Griechenland wieder wirtschaftliches Wachstum und damit auch mehr Beschäftigung geben wird. Deshalb ist es dringend notwendig, dass am Reformkurs festgehalten wird. Das ist auch im Interesse der Griechen. Nur so kann es langfristige Erfolge geben.

Im Gegensatz zu Schuldenkrise, ziehen jetzt bei der Flüchtlingskrise Deutschland und Griechenland am selben Strang. Wie wirkt das auf die bilateralen Beziehungen, die während der Schuldenkrise sehr gelitten haben?

Uns Griechen und Deutsche verbindet eine jahrzehntelange Freundschaft und Partnerschaft innerhalb der Europäischen Union. Mit meinem griechischen Kollegen Nikos Kotzias stehe ich in ständigem Kontakt. Wir Deutschen und Griechen haben so viel Vertrauen aufgebaut, dass wir glücklicherweise über alles offen sprechen können. Das ist nicht selbstverständlich und gerade in der gegenwärtigen Krise in Europa sehr wertvoll.

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