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„Diplomatie ist keine katholische Ehe“

22.04.2017 - Interview

Außenminister Sigmar Gabriel spricht im Interview über die deutsch-türkischen Beziehungen und Asien als Schlüsselregion für die Zukunft Deutschlands. Erschienen am 22.04.2017 in der Rheinischen Post.

Sie haben in Ihrem Ministerium eine neue Asien-Abteilung gegründet. Warum?

Asien ist eine Schlüsselregion für unsere Zukunft – wirtschaftlich wie politisch. Eine stabile globale Ordnung schaffen wir nicht ohne den größten Kontinent, vier Milliarden Menschen und ein Drittel des Welt-Bruttosozialprodukts. Das geht nur mit einer strategischen Ausrichtung, mit starken Verbindungen in die Region, mit regional- und sprachkundigen Experten und mit einer kohärenten Politik in der gesamten Bundesregierung. Das alles wollen wir mit der neuen Asienabteilung hinbekommen. Es geht um Strukturen, und es geht auch um die Köpfe. Um ein neues Bewusstsein für die Bedeutung einer großen Weltregion.

Geht dieser „Pivot to Asia“, also eine außenpolitische Hinwendung zu Asien, auf Kosten der transatlantischen Beziehung?

Diplomatie ist doch keine katholische Ehe. Das läuft eher nach dem Prinzip „offene Beziehung“. Wenn wir unsere Partnerschaften mit einer Region der Welt intensivieren wollen, geht das nicht zu Lasten anderer. Die USA sind der wichtigste und engste Partner Deutschlands außerhalb Europas, und werden es bleiben, auch angesichts der etwas ruckeligen ersten Monate der Trump-Administration.

China ist der wichtigste Handelspartner Deutschlands. Trotzdem beklagen deutsche Unternehmen Ideenklau. Wie lässt sich Fairness organisieren?

Fakt ist: Die Zukunft der deutschen Wirtschaft hängt auch von unseren Beziehungen zu China ab. Deshalb brauchen wir faire und klare Regeln für unseren Handel. Deutsche Unternehmen müssen in China genauso behandelt werden wie chinesische Unternehmen in Deutschland. Daran arbeiten wir. Nächste Woche treffe ich den chinesischen Außenminister im Rahmen unseres strategischen Dialogs und dabei wird dieses Thema ganz weit oben auf der Tagesordnung stehen.

Ist langfristig ein EU-China-Freihandelsabkommen erstrebenswert?

Erstmal wollen wir so schnell wie möglich ein EU-Investitionsabkommen mit China abschließen, das den Unternehmen auf beiden Seiten faire Marktzugänge erlaubt. Ein Freihandelsabkommen ist noch Zukunftsmusik, aber eine gute Idee, die in der Luft liegt. Wir haben mit Aufmerksamkeit und Interesse wahrgenommen, dass sich die chinesische Regierung in letzter Zeit immer mehr für ein offenes Welthandelssystem und gegen Protektionismus ausgesprochen hat. Wichtig ist, dass diese Worte auch mit Taten unterfüttert werden. Das halten wir nach.

Gibt es eine Möglichkeit, den Austausch zwischen China und Deutschland auch auf kultureller Ebene zu forcieren, Austauschprogramme zum Beispiel?

Ja, zum Glück gibt es auf beiden Seiten gleichermaßen großes Interesse. Je besser unsere kulturellen und menschlichen Beziehungen zu China sind, desto besser können unsere politischen und wirtschaftlichen Beziehungen sein. Vergangenes Jahr war das Jahr des deutsch-chinesischen Jugendaustauschs mit vielen jungen Menschen, die das Partnerland besucht haben. Solche Projekte wollen wir auch in Zukunft fördern und zu einem der Schwerpunkte unseres Engagements mit China machen.

Welche Rolle kann die EU in dem Atomkonflikt in Nordkorea spielen. Sind wir da außen vor?

Nordkorea baut sein Atom- und Raketenprogramm trotz einschlägiger Resolutionen des UN-Sicherheitsrats unbeirrt weiter aus. Das ist kein regionales Problem, sondern eine Frage von Frieden und Sicherheit für uns alle. Deswegen kann es uns nicht egal sein, was Kim Jong Un in Ostasien treibt. Die EU spielt bei der Umsetzung der harten Sanktionen gegen das menschenverachtende Regime in Pjöngjang schon jetzt eine wichtige Rolle. Eine nachhaltige und dauerhafte Lösung des Konflikts kann es letztlich nur mit diplomatischen und politischen Mitteln geben. Wir suchen mit unseren Partnern nach Wegen, die in einen Dialogprozess zurückführen können. Das ist mit einem so schwierigen und sperrigen Regime wie dem in Pjöngjang naturgemäß kein leichtes Unterfangen. Was nicht zu unterschätzen ist: Deutschland ist schon durch seine Erfahrung als geteiltes Land ein gefragter Gesprächspartner in Korea-Fragen.

Sollte die EU den Beitrittsprozess mit der Türkei komplett abbrechen und finanzielle Demokratiehilfen einstellen?

Kurzschlussentscheidungen nach dem Motto „Jetzt wollen wir gar nicht mehr reden“ bringen uns nicht weiter. Es gibt immer einen Tag danach. Die Themen, die wir mit der Türkei bereden müssen und wollen – von Deniz Yücel über die Beziehungen mit der EU bis hin zu dem blutigen Konflikt in Syrien – werden nicht weniger. Deshalb werden wir nach dieser historischen Abstimmung in der Türkei von beiden Seiten die Gesprächsfäden mühsam einzeln wieder auflesen und zusammenfügen müssen. Einfach wird das nicht, denn die sehr knappe Entscheidung lässt die Türkei tief gespalten zurück, auch die internationalen Wahlbeobachter haben ihre Kritik ja deutlich gemacht. Wir wollen jetzt miteinander sorgfältig und jenseits von politischen Schnellschüssen beraten, wie wir mit einer schwierigen Lage umgehen. Aber letztlich ist es die Entscheidung der Türkei, ob sie sich noch weiter von Europa entfernen will. Mit unseren Bedenken, was die Entwicklungen der letzten Monate in der Türkei angeht, halten wir jedenfalls nicht hinter dem Berg. Das, was in der Türkei stattfindet, die Verhaftung von Abgeordneten, Oppositionellen, Journalisten, das entspricht ganz und gar nicht demokratischen Standards. Auch die jüngsten Entwicklungen in den Tagen nach dem Referendum stimmen leider nicht so zuversichtlich.

Wie lässt sich die Zivilgesellschaft in der Türkei unterstützen?

Die Türkei hat eine starke, demokratisch und europäisch gesinnte Zivilgesellschaft. Wer wie ich die Türkei in den letzten Jahrzehnten häufig besucht hat, kann über die riesigen Fortschritte, die das Land gemacht hat, nur staunen. Deshalb: Die Menschen in der Türkei brauchen uns sicher nicht für gute Ratschläge, aber vielleicht schon wenn es um konkrete Hilfe geht. Dazu gehört etwa, dass wir Journalistenaustausche organisieren, dass wir vor Ort Projekte durchführen, etwa zur Unterstützung von Medienprojekten und unabhängiger Berichterstattung. Wir unterstützen Wissenschaftler, haben Stipendienangebote aufgesetzt. Gerade der Jugendaustausch liegt mir sehr am Herzen, wir wollen noch in diesem Jahr die Förderung erheblich aufstocken.

Interview: Michael Bröcker

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