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„Wir befinden uns in einem permanenten Ausnahmezustand“

03.02.2017 - Interview

Michael Roth, Staatsminister für Europa im Auswärtigen Amt, im Interview mit der Huffington Post (03.02.) über den Amtsantritt der neuen US-Regierung.

Michael Roth, Staatsminister für Europa im Auswärtigen Amt, im Interview mit der Huffington Post (03.02.2017) über den Amtsantritt der neuen US-Regierung.

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Herr Staatsminister, was war Ihr erster Gedanke, als Sie von Trumps Wahl erfahren haben?

Damit habe ich wirklich nicht gerechnet. Ich war wenige Tage vor der Wahl in Chicago und Minneapolis. Dort traf ich niemanden, der die Wahl von Trump für möglich hielt. Auch keinen Republikaner. Mit diesem festen Eindruck bin ich dann zurück nach Deutschland gekommen.

Mit welchen Folgen der Wahl rechnen Sie jetzt?

Diese Wahl wird unsere Politik ebenso massiv beeinflussen wie der Brexit. Nun wissen wir: Es beginnt ein neues Zeitalter für Europa.

Wie schauen Sie auf die ersten Tage der Trump-Administration?

Dass Trump eine völlig andere Figur in seiner Präsidentschaft machen wird als im Wahlkampf, war ein ziemlicher Irrglaube. Wir müssen damit rechnen, dass Trump seine Ankündigungen aus dem Wahlkampf zügig umsetzt. Eine Reihe seiner Entscheidungen sind schon starker Tobak. Damit umzugehen wird uns einiges abfordern.

Zum Beispiel?

Deutschland ist mit rund 1,2 Milliarden Euro der zweitwichtigste Geldgeber humanitärer Hilfe. Das ist aber nur ein kleiner Teil dessen, was die USA weltweit leisten. Wenn Trump hier kürzt, sind wir Europäer dann bereit, mehr zu zahlen?

Trumps Politikstil sorgt in Deutschland und der Welt für Entrüstung. Auch bei Ihnen?

Jeden Tag einen neuen Tweet gegen Trumps Politik abzusetzen, bringt wenig. Zu sagen, wie schrecklich das alles ist, ist leicht. Wir müssen uns in Europa endlich zusammenreißen, zusammen stehen und unsere Vorstellungen gegenüber den USA selbstbewusst vortragen.

Was erwarten Sie von der Kanzlerin, wenn sie nach Washington reist?

Es ist gut, dass sie eine sehr klare Sprache gefunden hat und klar gestellt hat, dass die transatlantischen Beziehungen auf gemeinsamen Werten beruhen – und nicht auf Macht. Wichtig ist, dass Europa mit einer Stimme spricht. Wir haben nur dann das nötige Gewicht, wenn alle Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union inklusive der EU-Institutionen die gleiche Botschaft nach Washington senden.

Welche Botschaft soll das sein?

Dass wir uns von seiner Politik des „Deals“ in Europa nicht auseinander dividieren lassen. Schlimm wäre es, wenn wir keine gemeinsame Sprache fänden. Wenn wir keine gemeinsame Strategie entwickelten. Es wäre fatal, wenn jeder versuchte, einen Spezialdeal mit Trump auszuhandeln.

Wie soll das möglich sein, wenn in Frankreich mit Marine Le Pen bald eine Europafeindin an die Macht kommen könnte?

Es ist bemerkenswert, dass die Nationalisten und Populisten mit den vermeintlich „starken Männern“ so viel Sympathie verbinden. Übrigens nicht nur in Frankreich, sondern in ganz Europa, hier etwa auch bei der AfD. Die Ehrerbietung gegenüber Trump, Putin und anderen ist ja stark ausgeprägt. Aber ich bin zuversichtlich, dass die Mehrheit der Französinnen und Franzosen sich für jemanden entscheiden wird, der weiß, wie wertvoll Solidarität und Zusammenhalt auf unserem Kontinent für uns alle sind.

Wie bewahren Sie sich Ihren Optimismus angesichts der aktuellen Lage in der Welt?

Diese Welt hat schlimmere Zeiten erlebt. Trotz der vielen Krisen haben wir ein starkes Fundament des Friedens, der Freiheit, der Demokratie und der Rechtstaatlichkeit in der EU. Es geht uns in Deutschland so gut wie schon lange nicht mehr.

Wir befinden uns nicht kurz vor dem Ausbruch des ersten Weltkriegs. Wir befinden uns auch nicht im dunkelsten Mittelalter. Und Europa ist immer noch eine starke Kraft. Das macht Mut. Außerdem bin ich ja nicht nur Politiker. Ich laufe auch mal sonntags mit meinem Hund durch den Wald und verbringe Zeit mit meiner Familie.

Sie wurden als Außenminister gehandelt. Sind Sie enttäuscht, dass Sie es nicht geworden sind?

Ich freue mich sehr über diese Entscheidung. Mit Gabriel ist ein Politiker Außenminister, der über ein starkes europäisches und internationales Profil verfügt.

Wie werden Sie mit dem neuen Außenminister klarkommen?

Gabriel hat ein anderes Temperament als Steinmeier. Ich kenne ihn gut und weiß, wie er denkt und tickt. Wir kommen schon lange prima miteinander aus.

Schulz Kanzlerkandidatur hat sie so überrascht wie die meisten. Auf Twitter haben Sie geschrieben: „Steige aus dem Flieger und alles ist anders“. Haben Sie oft das Gefühl, dass Sie sich in einer anderen Welt wiederfinden?

Manchmal schon. Ich bin in einer Phase neuer Krisen und wachsender Unübersichtlichkeit ins Auswärtige Amt gekommen. Das war von Beginn an sehr fordernd und temporeich. Wir leben in einer Zeit, an die wir uns sicherlich noch in zwanzig, dreißig Jahren erinnern werden. Die wachsende Angst vor der Globalisierung, der erstarkte Nationalismus und Populismus, der Brexit, die Wahl von Trump, die Lage in Syrien, die weltweite Migration, unvorhersagbare Wahlausgänge in Europa: Wir sind in einem permanenten Ausnahmezustand.

Wie gehen Sie mit den ständigen Schocks um?

Erstens habe ich Gottvertrauen. Zweitens guten Schlaf.

Nichts wühlt Sie auf?

Oh doch! Etwa, als ich auf einer meiner Reisen durch Europa die elenden Verhältnisse in einem Flüchtlingscamp erlebte. Ich war fassungslos, als man mir erklärte, dass das eines der besseren Flüchtlingscamps sei. Das sind die Momente, in denen es um einen herum sehr dunkel wird. Das geht mir sehr nah.

Interview: Jürgen Klöckner.

http://www.huffingtonpost.de

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