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Rede von Außenminister Steinmeier im Deutschen Bundestag im Rahmen der Haushaltsdebatte

25.11.2015 - Rede

--es gilt das gesprochene Wort--

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich bin am Montag von einer mehrtägigen Reise aus Ostafrika zurückgekommen. Der ein oder andere hat gefragt: Darf der Außenminister in diesen Zeiten, im Angesicht von terroristischer Bedrohung, Syrien-Krise, Irak-Krise, Ukraine-Krise eigentlich nach Afrika fliegen? Meine Antwort ist ein klares: Ja, das kann und das muss er in diesen Tagen sogar. Mein Verdacht ist, dass wir in den letzten Jahren und Jahrzehnten viel zu oft nach Gründen gesucht haben, warum wir nicht nach Afrika fliegen. Vieles, das in Europa geschah, schien drängender zu sein als das, was sich in unserer südlichen Nachbarschaft ereignet hat. Dabei muss uns heute klar sein, dass die Zeit der „Krisen weit weg von uns“ lange vorbei ist. Dass auch scheinbar ferne Krisen uns in Europa sehr schnell sehr nahe kommen, und das eben nicht nur in Gestalt von Flüchtlingen. Deshalb muss Außenpolitik helfen - wie eben in Mosambik und Uganda, wo ich unterwegs war -, Frieden zu konsolidieren, Perspektiven für die Menschen in ihren Heimatländern zu entwickeln oder regionale Kooperationen zu fördern, wie wir es gerade mit den Staaten Ostafrikas tun, damit sie in Zukunft in der Lage sein werden, mit Krisen, etwa in Burundi, vor Ort fertigzuwerden.

All dies ist ausdrücklich kein Nebenaspekt von Außenpolitik! Genau deshalb begrüße ich den vorliegenden Haushaltsentwurf. Denn dieser Haushaltsentwurf stärkt den Instrumentenkasten der Außenpolitik insgesamt, von der akuten humanitären Nothilfe bis hin zur zivilen Krisenprävention und zur Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik. Dass wir das so im Einverständnis miteinander verhandeln konnten -mit dem Blick sowohl auf die akute Krise von heute als auch auf die Krisenvorbeugung von morgen- dafür gilt diesem Hohen Hause und den Vertretern des Haushaltsausschusses vorab mein ganz herzlicher Dank.

Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, natürlich lastet auf uns allen noch die Schreckensnachricht von Paris. Sie liegt uns auf der Seele. Wir erinnern uns an einen ganz normalen, einen fröhlichen Abend in Paris: junge Menschen auf dem Weg in die Kneipe, Fußballfans auf dem Weg ins Stadion, Musikfans auf dem Weg in die Konzerthalle. Der Abend endete anders: mit 130 ermordeten Menschen. Und mit 340 Menschen, die verletzt wurden. Viele von ihnen ringen heute noch um ihr Leben.

Der Terror des sogenannten „Islamischen Staats“ ist in Europa angekommen. Aber die ganze Wahrheit ist: In Syrien, im Irak, in Libyen und in Nigeria wütet diese Barbarei schon lange. Und dort wütet sie am brutalsten und täglich. Erst gestern wieder in Tunesien. Viele der Menschen, die derzeit zu uns fliehen, suchen Zuflucht vor ebendiesem Terror, den der IS in ihrer Heimat verbreitet.

Und deshalb ist das ein Angriff auf alle, die in Freiheit und Frieden leben wollen, ob hier in Europa oder anderswo, ob Christen, Juden, Atheisten oder Muslime. Es ist ein Angriff auf eine offene Gesellschaft, die die Fanatiker nicht ertragen und die sie vernichten wollen: mit Bomben, mit Gewehrkugeln, durch Angst und Schrecken. Aber eine Gesellschaft in Angst, in der sich die Menschen zurückziehen, verliert genau das, was sie eigentlich lebenswert macht. Gerade deshalb müssen wir um sie kämpfen! Das ist die Botschaft an Tausenden Orten in Frankreich, wo der Angst, dem Schrecken, der Verzweiflung, der Wut, wenn alledem trotzig die Marseillaise entgegengesungen wird. Das ist die Botschaft, die Regierung und Parlament hier in Berlin am Tag nach der Schreckensnacht unseren französischen Freunden gesandt haben: Ihr seid nicht allein. Wir lassen euch nicht allein. Zu diesem Wort, liebe Kolleginnen und Kollegen, stehen wir gemeinsam.

Was heißt das konkret? Was tun wir gegen den Terror? Natürlich bleibt richtig, was alle hier im Hause vermutlich gleichlautend sagen: Am Ende ist Terrorismus nicht militärisch zu besiegen. Am Ende ist das richtig. Aber richtig ist auch: Der IS muss auch militärisch bekämpft werden, wenn von Syrien am Ende etwas übrig bleiben soll, was wir mit unseren Bemühungen befrieden und wo wir den Menschen eine neue Zukunft schaffen. Falsch wäre es, uns nur auf Militärisches zu beschränken. Aber naiv wäre es, zu glauben, es ginge ganz ohne. Wir werden beides brauchen. Ich werde dafür streiten, mit all meiner Kraft, dass das politische Handeln und der politische Prozess bei dem, was wir tun, im Vordergrund stehen werden.

Drei Dinge sind wichtig. Erstens: Zu dem militärischen Kampf gegen ISIS, der fortgeführt werden muss, werden auch Luftangriffe gehören. Aber mehr denn je wird klar: Wir müssen vor allen Dingen diejenigen stärken, die am Boden kämpfen. Das haben wir früher gemacht als andere, als wir uns entschlossen haben, die Peschmerga im Irak mit Waffen und Ausbildung zu unterstützen. Wie richtig dieses Engagement war, bei allen Schwierigkeiten, die im Nordirak unter den Kurden bestehen, das sehen wir daran, dass nicht nur der Vormarsch des IS im Nordirak aufgehalten worden ist, sondern dass jetzt sogar kleinere Geländegewinne erzielt worden sind. Das ist keine Blaupause dafür, dass, was dort gelungen ist, auch überall sonst passiert. Aber das ist der Hintergrund, warum ich gesagt habe: Wir sollten jedenfalls versuchen, ohne dass wir die Beteiligten zwingen können, möglichst viele von den syrischen Kräften zusammenzubringen, die gegen IS sind und die bereit sind, gegen IS zu kämpfen.

Wichtig ist, dass wir uns in Arbeitsteilung mit unseren Partnern engagieren. Dazu gehört zum Beispiel das internationale Engagement in Mali. Wir diskutieren gerade in diesen Tagen im Kabinett darüber und werden im Parlament später über Mali und die Verstärkung unseres Einsatzes bei MINUSMA diskutieren. Ich rufe in Erinnerung, dass es auch Frankreich zu verdanken ist, dass Mali nicht komplett in die Hände von Islamisten gefallen ist und nicht zerstört worden ist. Dass dort heute überhaupt Stabilisierungsarbeit möglich ist, hängt damit zusammen, dass Frankreich damals eingegriffen hat - mit all den Schwierigkeiten, die das in der Folge hat. Aber wir sollten es nicht vergessen.

Ich sage das auch deshalb, weil ich mich bei den Angehörigen der VN-Mission und natürlich ausdrücklich auch bei den Soldaten der Deutschen Bundeswehr dafür bedanken will, dass sie unter den nicht ungefährlichen Umständen in Mali ihren Dienst tun. Herzlichen Dank dafür!

Unterstützung der Peshmerga, Arbeitsteilung in Mali - beides ist wichtig. Ich glaube, wir brauchen uns mit dem, was wir tun, nicht zu verstecken. Wir brauchen uns mit unseren Beiträgen nicht zu verstecken. Aber wir müssen wissen ‑ spätestens nach den Gesprächen, die der französische Präsident mit dem amerikanischen Präsidenten und mit Cameron geführt hat, und vor den Gesprächen, die er mit der Bundeskanzlerin und wenige Zeit danach mit Putin führen wird: Frankreich will nach der Tragödie von Paris kein einfaches Weiter-so in Syrien. Sondern Frankreich bittet ausdrücklich um Unterstützung - welche genau, das kann ich heute noch nicht sagen. Klar ist: Wir müssen nur geben, was wir können und verantworten können. Aber das bedeutet auch: Grundlos verweigern dürfen wir uns nicht. Sonst ist unser Versprechen, das wir gegenüber unserem engsten Nachbarn gegeben haben, eben nicht viel wert. Glaubwürdigkeit zu bewahren, gerade wenn es schwierig ist, liebe Kolleginnen und Kollegen, das sind wir auch uns selbst schuldig; jedenfalls ist das meine Überzeugung.

Die zweite Dimension, jenseits des Militärischen, ist die Stabilisierung des Krisenbogens von Libyen bis in den Mittleren Osten. Nur wenn es staatliche Institutionen gibt, die funktionieren, wird Stabilisierung gelingen. Mir dann wird es gelingen, den Nährboden auszutrocknen, auf dem Extremismus und Terrorismus gedeihen, und nur dann wird es gelingen, wieder Lebensperspektiven für die Menschen zu entwickeln.

Deshalb haben wir sowohl bei der Organisation des Auswärtigen Amtes im Rahmen des „Review 2014“ genau darauf einen Schwerpunkt gesetzt als auch in diesem Haushalt. Ich bin froh darüber, dass dieser Budgetentwurf den Schwerpunkt Stabilisierung, Krisenprävention und Humanitäre Hilfe so stark unterstützt.

Zur Ehrlichkeit gehört allerdings: Wir können nicht jeden Euro umrechnen in ausbleibende Flüchtlinge oder gar in ausbleibende Terroranschläge. Außenpolitik gibt es eben leider nicht mit Festverzinsung. Aber wir sehen heute schon, dass unser Engagement einen Unterschied macht! So werden zum Beispiel 300 000 Menschen in Syrien durch unsere Investitionen in den Syria Recovery Trust Fund inzwischen wieder mit Strom versorgt, weil wir mit unseren Partnerorganisationen Strommasten wieder aufgerichtet haben, die zerstört waren. In Tikrit stellen wir Krankenhäuser, Schulen und die Wasserversorgung wieder her, sodass ein Großteil der Bewohner wieder in seine Häuser zurückkehren konnte. Und erst gestern hatten wir 300 Stipendiatinnen und Stipendiaten aus Syrien im Auswärtigen Amt zu Gast, die sich hier an deutschen Universitäten auch darauf vorbereiten, dass sie hoffentlich irgendwann in ihr Heimatland zurückkehren und beim Wiederaufbau helfen können.

Letztlich und abschließend die dritte Dimension: die politischen Lösungsversuche, der politische Prozess, den wir dringend brauchen. Ich will nicht wiederholen, was andere gesagt haben. Ich bin froh darüber, dass es in Wien erstmals gelungen ist, alle an einen Tisch zu bekommen. Ich mache mir Sorgen, dass der gestrige Flugzeugabschuss an der syrisch-türkischen Grenze uns weit zurückwerfen könnte. Ich bin froh, dass es möglicherweise zwischen der türkischen und russischen Regierung Bemühungen gibt, doch wieder zueinander zu kommen. Ich hoffe, dass sich Gerüchte bestätigen, nach denen es zu einem Treffen des türkischen und des russischen Außenministers kommen soll. Dann bleibt jedenfalls den Bemühungen um politische Optionen, an denen wir an zwei Wochenenden in Wien mühsam gearbeitet haben, eine Chance.

Alle drei Dimensionen, über die ich gesprochen habe, sind wichtig. Auch wenn wir heute noch fassungslos sind und voller Trauer über die Opfer von Paris - wir geben uns der Verzweiflung nicht hin, wir geben uns der Ohnmacht nicht hin. Deshalb ist eben das Reden über Haushalt mehr als ein Reden über Geld. Sondern dieser Haushalt macht Politik erst möglich – eine Politik, deren Maxime nicht Abschottung, nicht Ohnmacht ist, sondern Handeln. Und Handeln ist nötig, wenn wir diese Welt ein bisschen friedlicher machen wollen, als sie ist.

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