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Ein starkes Europa mit den richtigen Prioritäten. Von Frank-Walter Steinmeier und Frans Timmermans

18.03.2014 - Interview

Gemeinsamer Beitrag von Außenminister Frank-Walter Steinmeier und seinem niederländischen Amtskollegen Frans Timmermans. Erschienen in gekürzter Fassung im Handelsblatt vom 18.03.2014.

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Am Vorabend des 100. Jahrestages des Ausbruchs des Ersten Weltkrieges werden wir daran erinnert, wie zerbrechlich Frieden und Stabilität auch heute noch in unserer unmittelbaren Nachbarschaft sind. Die Ereignisse in der Ukraine haben Europa und die Welt in die schwerste Krise seit dem Fall des Eisernen Vorhangs geführt. Die plötzliche Krise erinnert uns mit großer Dringlichkeit daran, dass die Aufgabe, Europa besser und stärker zu machen, ganz oben auf der Tagesordnung stehen muss. Nur gemeinsam werden wir die vor uns liegenden Herausforderungen meistern können.

Für die Reform der Europäischen Union und der Währungsunion haben wir viel erreicht, aber eine Menge bleibt noch zu tun. Wir müssen handeln, damit unsere junge Generation durch die anhaltende Wirtschaftskrise nicht das Vertrauen in das europäische Projekt verliert. Wir müssen Europa überzeugend begründen und belegen, dass die Europäische Union weiterhin das beste Mittel ist, um unsere Interessen auf der internationalen Bühne durchzusetzen und Lösungen für die großen Fragen der Zukunft zu finden. Um nur einige zu nennen: die ständig zunehmende Globalisierung unserer Wirtschaft, Klimawandel, demografischer Wandel sowie die Digitalisierung von immer mehr Bereichen des täglichen Lebens.

Die Wahl eines neuen Europäischen Parlaments und die Einsetzung einer neuen Europäischen Kommission werden uns Gelegenheit geben, den zukünftigen Kurs der EU zu bestimmen. Drei zentrale Punkte liegen uns dabei besonders am Herzen:

Erstens brauchen wir eine stärkere Fokussierung. Europa muss die großen Fragen angehen, die wir nur gemeinsam in den Griff bekommen können. Im Vordergrund steht zunächst die Gestaltung der Politik gegenüber unseren Nachbarn im Osten und Süden und die Verbesserung unserer Fähigkeit, auf außenpolitische Herausforderungen zu reagieren. Darüber hinaus geht es um die Stärkung der Wirtschaft durch die Vertiefung unseres Binnenmarktes, gesunde Haushalte und zusätzliche Anreize für die Schaffung von Arbeitsplätzen und Wachstum bei Stärkung des sozialen Zusammenhalts. Wir müssen zudem die Wirtschafts-und Währungsunion weiter vertiefen. In der Eurozone mag das Schlimmste zwar vorbei sein, aber wir müssen unsere Arbeiten an den grundsätzlichen Konstruktionsfehlern des Maastricht-Systems fortsetzen.

Subsidiarität ist keine Einbahnstraße. Europa sollte nicht nicht versuchen, alles zu tun. Es sollte „groß bei großen Fragen und klein bei kleinen Fragen“ sein. Wer Prioritäten setzt, auch Posterioritäten identifizieren. Auf europäischer Ebene sollten wir uns auf die wichtigsten Fragen unserer Zeit konzentrieren, anstatt uns um Probleme zu kümmern, die überzeugender auf anderer Ebene gelöst werden können. Wir sollten uns auch nachdrücklich für eine bessere Rechtsetzung und weniger Bürokratie in Europa einsetzen. Dabei dürfen wir aber nicht in Frage stellen, was wir gemeinsam in Europa aufgebaut haben. Wir wollen nicht „weniger Europa “, sondern wir wollen ein „ besseres Europa “. Mit anderen Worten: Die Idee der Subsidiarität muss in Europa wirklich gelebt werden.

Wir vertrauen darauf, dass die künftige Kommission mit Blick auf ihre künftige Rechtssetzung die Auffassung teilt, dass ein intelligenter Mix von Prioritätensetzung und Zurückhaltung das europäische Projekt nicht schwächt, sondern vielmehr stärkt. Wir ermutigen daher den Rat, die Kommission und das Europäische Parlament, zu Beginn der nächsten Legislaturperiode in eine konstruktive Debatte über die politischen Prioritäten der EU für die kommenden Jahre einzutreten.

Zweitens muss Europa bei der Implementierung besser werden. Wir brauchen starke und effiziente europäische Institutionen, die die erfolgreiche Umsetzung politischer Entscheidungen sicherstellen. Die Umsetzung hängt natürlich nicht allein von der Kommission ab, doch kommt ihr eine Schlüsselrolle zu. Bevor die nächste Kommission ins Amt kommt , sollten wir drei zentrale Fragen überdenken: Ist die Kommission für die notwendige Fokussierung mit 28 Mitgliedern, die jeweils getrennte Dossiers bearbeiten, richtig aufgestellt? Wäre es nicht sinnvoller, wenn eine Anzahl der Kommissare zu bestimmten Themen als Team zusammenarbeitet? Sollte nicht die Hohe Vertreterin für Außen -und Sicherheitspolitik eine stärkere Koordinierungsrolle innerhalb der Kommission innehaben?

Drittens müssen wir die Legitimität europäischer Entscheidungsprozesse verbessern. Wir brauchen ein funktionierendes Europäisches Parlament und eine starke europäische Ausrichtung unserer nationalen Parlamente bei der Begleitung europäischer Entscheidungen. Aber Legitimität in der EU heißt noch mehr. Sie entsteht auch aus unserem inneren Zusammenhalt, unserem „ Teamgeist “. Die Europäische Union ist mehr als eine geographische Interessengemeinschaft. Wir haben eine gemeinsame Geschichte, die mehr als 2000 Jahre zurückreicht. Wir teilen die gleichen Werte, wir glauben an Freiheit, persönliche und soziale Rechte. Wir müssen unser Gefühl der Zusammengehörigkeit bewahren und verteidigen, wann immer nötig. Nur wenn alle EU-Mitgliedstaaten sich als Teil des Teams fühlen, können wir die notwendigen Ergebnisse erreichen.

Die Niederlande und Deutschland blicken zurück auf eine Geschichte mit vielen sehr schwierigen Momenten. Heute, 100 Jahre nach dem Beginn des Ersten und 75 Jahre nach dem Beginn des Zweiten Weltkrieges, sind wir enge Freunde im Herzen Europas. Gemeinsam haben wir uns einem starken Europa verpflichtet. Deshalb begrüßen wir, dass sich der kommende Rat für Allgemeine Angelegenheiten mit grundlegenden Fragen befassen wird: wie können wir in Europa den richtigen Mix aus Prioritäten und Posterioritäten erzielen, wie die Fokussierung, die Legitimität und den inneren Zusammenhalt verbessern. Wir setzen uns für eine gemeinsame Erklärung der 28 Mitgliedstaaten nach den Wahlen zum Europäischen Parlament über die politischen Schwerpunkte der EU ein. Nur eine Europäische Union mit richtig gesetzten Prioritäten und einem echten Zusammengehörigkeitsgefühl wird in der Lage sein, die anstehenden enormen Herausforderungen anzugehen.

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