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Rede von Außenminister Frank-Walter Steinmeier zur Eröffnung der OSZE-Antiterrorismuskonferenz „Preventing and Countering Violent Extremism and Radicalization that lead to Terrorism“

31.05.2016 - Rede

Sehr geehrte Damen und Herren,

Krisen, Konflikte, Gewalt und Terror - wir leben in stürmischen Zeiten. Dass das so ist, das war uns allen klar, als wir den OSZE-Vorsitz Anfang dieses Jahres übernahmen. Wie heftig aber sich diese Stürme schon in den ersten Tagen unseres Vorsitzes manifestieren sollten, das haben wir damals vielleicht nicht geahnt.

Am 12. Januar, nur Stunden bevor wir hier in genau diesem Saal unseren Vorsitz offiziell einläuten wollten, riss ein mörderischer Terroranschlag im Herzen Istanbuls zahlreiche Menschen in den Tod, darunter auch viele Deutsche. Seitdem haben wir weitere Anschläge erleben müssen: Ankara, Brüssel, Stawropol in Russland. Diese Liste ist selbst für den OSZE-Raum bei weitem nicht vollständig.

Uns allen ist klar - der globale Terrorismus ist eine unserer größten Herausforderungen.

Und: Er ist eine gemeinsame Herausforderung. Denn der Terror von Gruppen wie dem sogenannten Islamischen Staat richtet sich gegen alle, die frei und ohne staatliche und religiöse Bedrängnis leben wollen - ob im OSZE-Raum, ob im Mittleren Osten. Ob in Brüssel, Paris, Istanbul, Tunis oder in Beirut. Er richtet sich gegen Christen und Atheisten, gegen Juden und Muslime. Er hat fundamentale und fanatische Ausmaße.

Und für uns ist klar: So fundamental und umfassend dieser Terror wirken will, so umfassend müssen wir ihm begegnen!

Das, meine Damen und Herren, wird uns nur gelingen, wenn wir international zusammenarbeiten. Und: es wird auch nur dann gelingen, wenn wir in der Bekämpfung des Terrorismus alle Ebenen in den Blick nehmen: von der Strafverfolgung über Finanzierung und Rekrutierung bis - und darum soll es heute gehen - zu den Ursachen von Radikalisierung!

Ich bin überzeugt: Wir brauchen diesen ganzheitlichen Ansatz!

- Deswegen engagieren wir uns in der Anti-ISIS Koalition. Und zwar eben nicht nur militärisch – auch das ist nötig – sondern politisch, zum Beispiel in der Stabilisierung der vom ISIS-Terror befreiten Gebiete!

- Deswegen arbeiten wir an der Umsetzung von wichtigen VNResolutionen, die darauf zielen, die Organisierung und Finanzierung von Terrororganisationen zu bekämpfen.

- Deswegen setzen wir uns mit aller Kraft dafür ein, die Einreise von Terroristen und Extremisten in unseren Ländern zu unterbinden. Zum Beispiel durch den besseren Austausch von Fluggastdaten. Mit dem Instrument der sogenannten Advanced Passenger Information (API) haben wir hier ein effektives Instrument, das wir weiter voranbringen wollen. Aber noch wird es leider nicht von allen OSZE-Staaten genutzt. Das wollen wir ändern! Ich freue mich, dass ein Experte der International Air Transport Association heute hier ist, um Fragen zu diesem Projekt zu erläutern.

In all diesen Feldern, meine Damen und Herren, arbeiten wir mit Hochdruck. Aber: Ich sage es Ihnen hier ganz offen - ich fürchte, das allein wird nicht reichen!

Um Terrorismus nachhaltig zu verhindern, müssen wir die politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Ursachen von Radikalisierung und Extremismus angehen. Und wir müssen dabei auf vorbeugende Maßnahmen setzen!

Ich bin überzeugt: Prävention ist entscheidend. Prävention bedeutet, dass wir dort ansetzten, wo die Gefahr von Radikalisierung besonders groß ist. Dort, wo Menschen Perspektiven fehlen, ein Koordinatensystem für friedliches Zusammenleben. Dort, wo gerade junge Menschen mit der Propaganda von Terroristen in Berührung kommen, wo sie angeworben und für extremistische Ziele gewonnen werden.

Gerade dort müssen wir helfen, Lebens- und Bildungschancen zu verbessern und für mehr gesellschaftliche Teilhabe zu sorgen. Aber: Prävention bedeutet auch, dass wir der menschenverachtenden Propaganda von Terrororganisationen unsere Werte entgegensetzen.

Die OSZE spielt dabei eine wichtige Rolle. Denn, was sich hinter der Konferenz-Klausel VERLT verbirgt- die Bekämpfung von „gewalttätigem Extremismus und Radikalisierung, die zu Terrorismus führen können“ - steht bei der OSZE seit Jahren im Fokus. Und wir haben es in der Ministererklärung von 2015 bekräftigt.

Auch die OSZE setzt dabei auf einen umfassenden Ansatz! Es geht darum, die Fähigkeiten der Mitgliedstaaten in der Terrorismusbekämpfung zu stärken – und gleichzeitig rechtstaatliche Strukturen zu fördern. Es ist ein mehrdimensionaler Ansatz, bei dem der Prävention eine entscheidende Rolle zukommt!

In Tadjikistan etwa helfen OSZE-Experten Eltern dabei, frühzeitig zu erkennen, ob sich ihr Kind von radikalen Kräften angezogen fühlt. Vor wenigen Wochen habe ich diese Experten auf einer Reise nach Zentralasien getroffen. Ihre Arbeit ist beeindruckend. Und was sie berichten, zeigt, wie wichtig diese Form der Prävention ist! Denn vielfach beginnt die Radikalisierung junger Menschen zu Hause, unbemerkt am Computer, fern von Freunden, aber eben auch fern der Eltern.

Soziale Medien spielen dabei eine große Rolle. Deswegen müssen auch wir diese Foren als Instrumente nutzen - in unserem Kampf gegen Extremismus! Die OSZE setzt genau hier an. Mit der Kampagne. „United in Countering Violent Extremism“ etwa wurden bereits über 6 Millionen Menschen erreicht! Das ist ein guter, ein wichtiger Ansatz, den wir weiter fördern müssen!

Und genau darum soll es heute gehen: Wir wollen uns austauschen darüber, wie wir junge Menschen am besten erreichen. Auch die Radikalisierung von Frauen – ein verhältnismäßig neues Phänomen - soll uns heute beschäftigen. Wahrscheinlich brauchen wir ganz eigene und besondere Ansätze, die uns noch nicht mit Erfahrungswerten zur Verfügung stehen.

Meine Damen und Herren,

ich bin überzeugt: Wir werden im Kampf gegen Terrorismus und Extremismus dann erfolgreich sein, wenn wir geschlossen handeln. Zum Beispiel, wenn es darum geht, den Aktionsplan der VN zur Prävention von gewalttätigem Extremismus umzusetzen. Ich bin überzeugt, dass die OSZE als größte VN-Regionalorganisation dabei eine wichtige Rolle spielen kann! Denn die OSZE ist ein einzigartiges Forum des Dialogs und des Austauschs.

Aber, auch das ist uns klar: allein auf staatlicher Ebene wird dieser Kampf nicht zu gewinnen sein. Präventionsarbeit kann nur dann gelingen, wenn alle gesellschaftlichen Kräfte mit an Bord sind – von zivilgesellschaftlichen Vereinigungen über lokale Verantwortungsträger bis zu den Religionsgemeinschaften. Ich freue mich deshalb sehr, dass so viele nichtstaatliche Organisationen heute hier vertreten sind. Wir freuen uns auf den Austausch mit Ihnen!

Aber wir wissen gemeinsam: erfolgreich werden wir nur sein können, wenn auch die muslimischen Gesellschaften des Mittleren Ostens und Nordafrikas das Notwendige tun. Nicht nur für uns, sondern vor allem zu ihrem eigenen Schutz.

Meine Damen und Herren,

als der Franzose Antoine Leiris im November bei den Anschlägen in Paris seine Frau verlor, da sandte er eine klare Botschaft an die Terroristen, eine Botschaft, die Tausende Menschen berührte: „Ihr habt das Leben eines außerordentlichen Wesens geraubt, das der Liebe meines Lebens, der Mutter meines Kindes“, so schrieb er, „aber: Ihr bekommt meinen Hass nicht.“

Leiris hat recht: Unseren Hass dürfen die Terroristen nicht bekommen!

Aber wir werden nicht zulassen, dass Terrorismus das zerstört, was uns ausmacht: Freiheit und Demokratie. Und wir dürfen nicht zulassen, dass Terroristen durch unsere Hauptstädte ziehen und wahllos Menschen töten, wie jene - bei den Anschlägen in Paris - die ihr ganzes Leben noch vor sich hatten. Die Kraft unserer Antwort muss stärker sein als der Hass! Ob sie gelingt, hängt ab von unserem Willen zur Geschlossenheit und zur Zusammenarbeit! Lassen Sie uns dazu heute von Berlin aus ein deutliches Signal senden!

Vielen Dank!

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